L 19 R 446/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 R 192/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 446/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine gesetzliche Anspruchsgrundlage für die Geltung freiwilliger Beiträge als Pflichtbeiträge, wenn sie während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II gezahlt werden, existiert nicht.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 10.07.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Klägers, selbst Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen zu dürfen, die die Wirkung von Pflichtbeiträgen, d.h. insbesondere Herstellung und Garantie von Versicherungsschutz für eine eventuelle Erwerbsminderung, haben.

Der 1966 geborene Kläger erlernte nach seinen Angaben von 1981 bis 1984 den Beruf eines Einzelhandelskaufmanns und war in der Folgezeit - abgesehen von Bundeswehrzeiten - bis zur Beendigung des Geschäftsbetriebs seines Arbeitgebers im Januar 1999 in dieser Tätigkeit versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss bezog der Kläger zunächst befristet Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) konnten erst nach dem Aufbrauchen vorhandenen Vermögens ab dem Jahr 2009 bezogen werden. Eine durchgehende Arbeitslosmeldung ließ sich später nicht mehr belegen. Im Rechtsstreit L 19 R 384/14 entschied der Senat mit Urteil vom 13.04.2015, dass die vom Kläger über die bereits zuerkannten hinaus geltend gemachten Anrechnungszeiten nicht nachgewiesen seien sowie dass der Kläger für Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II ab dem Jahr 2011 keinen Anspruch auf Zuerkennung von Pflichtbeitragszeiten habe.

Ein Antrag des Klägers auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom August 2013 wurde von der Beklagten aus versicherungsrechtlichen und auch aus medizinischen Gründen abgelehnt, was vom Senat durch Urteil vom 29.10.2015 (Az. L 19 R 324/15) bestätigt wurde.

Am 28.11.2016 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Beitragszahlung für eine freiwillige Versicherung und ergänzte dies darum, dass er sich damit gegen den Erwerbsminderungsfall versichern wolle, so wie es auch jeder Berufstätige tun könne, indem er gewisse Mindestbeiträge leiste.

Die Beklagte wies den Kläger zunächst mit Schreiben vom 12.01.2017 darauf hin, dass in seinem Fall mit der Zahlung von freiwilligen Beiträgen eine Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht in Betracht komme. Im Weiteren bewilligte sie dem Kläger - insoweit antragsgemäß - mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26.01.2017 die Zulassung zur freiwilligen Versicherung, d.h. zur Zahlung von freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, wobei sie jedoch darauf hinwies, dass damit derzeit nur Auswirkungen für eine künftige Altersrente oder Hinterbliebenenrente, nicht aber für eine Erwerbsminderungsberentung verbunden wären.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 02.02.2017 am 03.02.2017 Widerspruch ein und machte geltend, dass es nicht akzeptabel sei, auf den Erwerbsminderungsschutz verzichten zu müssen, nachdem die Rentenversicherungspflicht im Rahmen der Zahlung von Arbeitslosengeld II seit 01.01.2011 aufgehoben worden sei.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2017 den Widerspruch zurück. Einen Antrag auf Versicherungspflicht könnten Personen stellen, die die Voraussetzungen des § 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erfüllen würden. Jedoch treffe keiner der darin genannten Tatbestände auf den Kläger zu, der derzeit Arbeitslosengeld II beziehe. Für dessen Bezug sei ab 01.01.2011 die Rentenversicherungspflicht entfallen. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 12.01.2017 darauf hingewiesen worden, dass er sich mit der Zahlung freiwilliger Beiträge keinen Versicherungsschutz für eine Erwerbsminderungsrente aufbauen können. Der Bescheid vom 26.01.2017 sei daher nicht zu beanstanden.

Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 21.03.2017 Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Er hat geltend gemacht, dass der Übergang zwischen Berufstätigkeit und Arbeitslosengeld II nicht immer nahtlos möglich sei. Oft werde Arbeitslosengeld II wegen mangelnder Bedürftigkeit oder auch wegen drohender Sanktionen ja nicht in Anspruch genommen. Eine Inanspruchnahme der Arbeitsvermittlung des Jobcenters mache auf dieser Grundlage keinen Sinn und würde nur zu weiteren Problemen beiderseits führen. Häufig würden auch Zeiten der Selbsthilfe der Inanspruchnahme der Sozialleistung vorausgehen. Die Zugänglichkeit der Anwartschaften, die ja auch für den Erwerbsminderungsfall gebildet worden seien, müsse auch beim Bezug von Arbeitslosengeld II gewährt sein.

Die Beklagte hat vorgebracht, dass dem Antrag des Klägers, die freiwilligen Beiträge als Pflichtbeiträge zu werten bzw. Pflichtbeiträge zahlen zu können, zu Recht nicht stattgegeben worden sei.

In einem Erörterungstermin vom 06.07.2017 ist der Sachverhalt mit den Beteiligten besprochen worden und diese sind dazu angehört worden, dass das Sozialgericht beabsichtige, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.07.2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte von ihm zu zahlende freiwillige Beiträge als Pflichtbeiträge werten müsse oder ihm die Zahlung von Pflichtbeiträgen ermöglicht werden müsse. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das vom Kläger vorgebrachte Begehren im Gesetz keine rechtliche Stütze finde. Der Gesetzgeber habe sich willentlich und wissentlich ab 01.01.2011 gegen eine Rentenversicherungspflicht bei Bezug von Arbeitslosengeld II entschieden und dem betroffenen Personenkreis auch keine Versicherungspflicht auf Antrag ermöglicht. Hierin sei auch keine unzumutbare Beeinträchtigung des Klägers zu sehen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat sich der Kläger mit Schreiben vom 17.07.2017 am 24.07.2017 an das Bayer. Landessozialgericht gewandt. Unter der Überschrift "Revision" hat er geltend gemacht, dass eine freiwillige Versicherung auf Antrag möglich sein müsse. Alles andere würde zu einer Enteignung seiner langjährigen Anwartschaften führen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 02.10.2017 die Berufung dem Berichterstatter übertragen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 10.07.2017 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die vom Kläger zu zahlenden freiwilligen Beiträge als Pflichtbeiträge zu werten, hilfsweise dem Kläger die Zahlung von Pflichtbeiträgen zu ermöglichen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 10.07.2017 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Unschädlich ist dabei, dass ein Nachweis über die Zustellung des Gerichtsbescheids an den Kläger dem Berufungsgericht nicht vorliegt. Dem Kläger ist dieser Bescheid offensichtlich in der Zeit vom 10.07.2017 bis 24.07.2017 - und dabei wohl schon bis zum 17.07.2017 - bekannt gegeben worden, wie aus dem Schreiben des Klägers zu ersehen ist, in dem dieser unter dem Datum 17.07.2017 am 24.07.2017 auf den Gerichtsbescheid reagiert. Die Berufungsfrist von einem Monat ist damit offensichtlich eingehalten. Die Berufung ist auch beim zuständigen Berufungsgericht erhoben worden, wobei es unschädlich ist, dass der Kläger als juristischer Laie den Begriff "Revision" verwendet hat; er erhebt erkennbar Einwände gegen den Gerichtsbescheid vom 10.07.2017 und will das zutreffende Rechtsmittel ergreifen.

Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Abänderung der angefochtenen Bescheide der Beklagten und damit inhaltlich nicht auf eine Wertung eventueller zukünftig gezahlter freiwilliger Beiträge als Pflichtbeiträge und auch nicht auf eine Zulassung zur Pflichtversicherung. Dabei folgt der Senat der Darlegung der Beklagten, dass ihr Verwaltungsakt über beide mögliche Antragsinhalte eines Antrags des Klägers auf "freiwillig zahlbare Pflichtbeiträge" entschieden hat.

Auch in dem Bescheid über die Zulassung zur freiwilligen Versicherung war dem Antrag des Klägers nicht voll entsprochen worden, weil er zugleich eine Negativfeststellung mit ausgesprochen hat, nämlich dass damit keine Wertung eventueller Beiträge als Pflichtbeiträge erfolge und kein Versicherungsschutz für den Fall der Erwerbsminderung erworben werden könne. § 55 Abs. 2 SGB VI enthält die abschließende Regelung, was bei entsprechender gesetzlicher Anspruchsgrundlage - wie etwa in § 43 SGB VI - als Pflichtbeitragszeit anzusehen ist. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI bezieht zwar "freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten" mit ein. Erforderlich wäre dafür aber eine besondere Vorschrift (z.B. § 205 Abs. 1 Satz 3 SGB VI oder § 279e Abs. 1 SGB VI). Eine gesetzliche Anspruchsgrundlage für die Geltung freiwilliger Beiträge als Pflichtbeiträge, wenn sie während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II gezahlt werden, existiert jedoch nicht. Damit verbleibt es bei der allgemeinen Regelung, dass freiwillige Beiträge im Übrigen nicht von § 55 Abs. 2 SGB VI erfasst sind (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand September 2017, § 55 SGB VI Rn. 14).

Die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist in Kapitel 1 Abschnitt 1 des SGB VI (d.h. §§ 1-6) geregelt. Früher, d.h. bis 31.12.2010, war in § 3 Satz 1 Nr. 3a SGB VI a.F. die Vorschrift enthalten, dass Personen in der Zeit, in der sie von den jeweils zuständigen Trägern nach dem SGB II Arbeitslosengeld II beziehen, versicherungspflichtig sind, sofern keine der zusätzlich festgelegten Ausnahmen vorgelegen hatte. Diese Vorschrift ist durch Gesetzesänderung zum 01.01.2011 nicht mehr gültig; sie ist ersatzlos gestrichen worden (Art. 19 Nr. 2 b Gesetz vom 09.12.2010, BGBl. I S. 1885). Ein anderer der in den §§ 1 bis 3 SGB VI genannten Tatbestände liegt nicht vor.

Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht auf Antrag (§ 4 SGB VI): Weder existiert ein Arbeitgeber im Sinne des Abs. 1, noch wird eine selbstständige von Abs. 2 erfasste Tätigkeit ausgeübt; auch liegt kein von Abs. 3 erfasster Sonderfall in Bezug auf Sozialleistungen nach § 3 SGB VI vor.

Dass der Bezug von Arbeitslosengeld II ab 2011 nicht mehr Versicherungspflicht auslöst, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wie der Senat bereits im Verfahren L 19 R 384/14 (vgl. oben) entschieden hat. Damit ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass auch ein Antrag des Klägers auf Feststellung der Versicherungspflicht bzw. deren Zuerkennung nicht begründet ist und abzulehnen war.

Ergänzend stellt der Senat fest: Soweit der Kläger geltend macht, durch die ab 2011 geltende Regelung gingen ihm erworbene Anwartschaftsrechte im Hinblick auf den Versicherungsschutz bei Erwerbsminderung verloren, verkennt der Kläger, dass dieser Schutz ihm bereits vor 2011 verloren gegangen war. Durch die Gesetzesänderung ist lediglich die Chance entfallen, sich allein ausschließlich durch den Bezug von Leistungen nach dem SGB II einen solchen Versicherungsschutz wieder neu aufbauen zu können.

Auch wenn der Kläger zutreffend sinngemäß darauf hinweist, dass Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI sich oft schon wegen vorhandenen Vermögens nicht lückenlos sich an vorherige Pflichtbeitragszeiten anschließen lassen, ist durch die Regelungen des § 43 Abs. 4 SGB VI, z.T. iVm § 58 SGB VI, aus Sicht des Senats ausreichend sichergestellt, dass derjenige bisherige Versicherte, der aus dem Erwerbsleben nicht - vorübergehend oder endgültig - ausscheiden will, seinen Versicherungsschutz aufrechterhalten kann. Und selbst für einen Wiederaufbau des Versicherungsschutzes bestehen nur geringe Hürden, da bereits eine geringfügige Beschäftigung hierfür ausreicht.

Ein Vertrauensschutz in den Fortbestand einer Erwerbsminderungsrentenversicherung auch ohne Bezug zum Erwerbsleben, wie ihn der Gesetzgeber in § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI operationalisiert hat, ist nur für den Personenkreis zu berücksichtigen, der diesen Schutz bereits vor der Rechtsänderung zum 01.01.1984 erworben gehabt hatte. Dem wurde vom Gesetzgeber durch die Regelung des § 241 Abs. 2 SGB VI Genüge getan. Der Kläger gehört nicht zu diesem Personenkreis, da er seinerzeit noch nicht die allgemeine Wartezeit (§ 50 Abs. 1 SGB VI) zurückgelegt gehabt hatte.

Die geltenden Regelungen stellen auch keinen Verstoß gegen Art. 3, Art. 14 oder Art. 20 Grundgesetz (GG) dar. Sie gelten für alle Bürger in gleicher Weise. Die Absicherung gegen Erwerbsminderung bestand und besteht nur insoweit als der Versicherte zum Zeitpunkt eines eventuellen medizinischen Leistungsfalls noch einen Bezug zum Erwerbsleben hat, weil der Gesetzgeber die Eintrittsverpflichtung der gesetzlichen Rentenversicherung davon abhängig machen wollte und erkennbar nicht eine allgemeine Invaliditätsversicherung bestehen sollte. Da diese Einschränkung für den Kläger schon in der Vergangenheit in gleicher Weise gegolten hatte und zugleich seine in der Vergangenheit geleisteten Beiträge nicht vollständig wertlos geworden sind, ist ein Verstoß gegen das geschützte Eigentum nicht gegeben. Auch im Lichte des Sozialstaatsprinzips bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, ob er die soziale Hilfeleistung an bedürftige Personen im Alter durch unmittelbare Sozialleistungen wie Grundsicherung erbringen will oder einen indirekten Weg über den Ausbau von Rentenversicherungsansprüchen wählt.

Die Beklagte hat die geltenden gesetzlichen Regelungen zutreffend angewandt, was letztlich auch der Kläger nicht beanstandet. Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die bestehenden Gesetze verletzen die Grundrechte des Klägers nicht. Weder Haupt- noch Hilfsantrag des Klägers im Berufungsverfahren sind begründet.

Die Entscheidungen des Sozialgerichts Bayreuth und die der Beklagten waren im Ergebnis zutreffend und die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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