L 13 R 1525/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 447/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1525/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1965 im ehemaligen J. geborene Kläger, der sich seit 1992 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, war gemäß seinen Angaben in B. fünf Jahre als Kranfahrer und dann hier als Getränkeausfahrer sowie zuletzt als LKW-Fahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Ab März 2012 war er arbeitsunfähig und bezog dann ab 7. Mai 2012 im Weiteren Krankengeld bzw. Arbeitslosengeld und ab 24. September 2014 Arbeitslosengeld II. Daneben hat er vom 29. November 2013 bis 31. Dezember 2015 eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Wegen der Einzelheiten der versicherungsrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 19. Mai 2016 verwiesen.

Im April 2012 wurden u.a. eine inkomplette Paraparese mit Blasen- und Mastdarmlähmung sowie ein Z.n. TLIF-L4/5 wegen L4/5-sequestriertem linksbetontem medio bilateralem Massenprolaps diagnostiziert. Aus einem vom 4. Juli bis 28. August 2012 durchgeführten stationären Heilverfahren (Diagnosen: Inkomplette Paraparese, Harnblasenlähmung, Mastdarmlähmung) in der H.-S.-Klinik, B. W., wurde der Kläger als für einen rollstuhlgerechten Arbeitsplatz sechs Stunden und mehr leistungsfähig entlassen (Heilverfahren-Entlassungsbericht [HV-EB] vom 11. September 2012).

Einen Rentenantrag des Klägers, bei dem seit 26. April 2012 ein Grad der Behinderung von 90 und die Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G, B und aG festgestellt waren, vom 6. September 2012 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Februar 2013 ab, da der Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.

Grundlage war neben dem HV-EB vom 11. September 2012 und weiteren ärztlichen Berichten ein Gutachten des Dr. W. vom 15. Januar 2013 (Diagnosen: Inkomplette Paraparese mit Blasen- und Mastdarmlähmung, Z.n. Spondylodese L4/5 [März 2012] wegen sequestrierendem Massenprolaps, Adipositas permagna; gemäß dem HV-EB seien Treppensteigen und Laufbandtraining möglich gewesen und seien ausgeprägte Paresen nicht beschrieben; leichte Arbeiten im Sitzen und in Tagesschicht an einem rollstuhlgerechten Arbeitsplatz seien sechs Stunden und mehr möglich).

Den weiteren Rentenantrag des Klägers vom 20. Februar 2014 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2014 und Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2015 ab, da der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes verrichten könne.

Grundlage der Ablehnung der Rente waren ein Befundbericht der Allgemeinmediziner Dr. G. und Dr. St. vom 12. April 2014 (Paraparese TH 12, Harn- und Stuhlinkontinenz, Massenprolaps L4/L5, psychovegetatives Belastungssyndrom; Besserung durch intensive physikalische Therapie, Reisefähigkeit nur mit Begleitung), ein Bericht des Neurologen Dr. Th. vom 2. Dezember 2013 (Diagnosen: Z.n. Bandscheibenvorfall [BSV] L4/5 mit initialer Paraparese und Harnblasenentleerungsstörung, nach Operation weitere Regeneration, jetzt aktuell im neurologischen Befund im Bereich der Großzehenhebung links mäßige Parese, ansonsten keine Paresen mehr feststellbar und keine Sensibilitätsstörungen, insgesamt gute Erholung; da insbesondere das rechte Bein voll kräftig sei, sei aus neurologischer Sicht keine Einschränkung der Fahrtauglichkeit mit dem privaten PKW festzustellen) und ein Therapiebericht vom 31. Januar 2014 (große Fortschritte, einige Schritte seien ohne Stützen möglich, der Kläger bleibe schnell mit den Fußspitzen hängen, eventuell bedürfe es einer Stütze).

Ferner hatte Dr. B. am 23. Juni 2014 ein nervenärztliches Gutachten erstattet, in dem u.a. die Angaben des Klägers zu seinen Behandlungen (nur in hausärztlicher und nicht in neurologisch-psychiatrischer, orthopädischer und schmerztherapeutischer Behandlung), seinen Beschwerden, den sonstigen Aktivitäten sowie zum Tagesablauf (u.a.: er mache seinen Haushalt, zum Teil mit Hilfen, Einkäufe und Arztbesuche und besuche auch einen Kollegen, der einen Garten habe, ansonsten schaue er viel Fernsehen und lese manchmal die Zeitung, abends schaue er Fernsehen, er habe nette Freunde und sei insofern zufrieden, mit denen könne er zusammen Kaffee trinken und erzählen) und der erhobene Befund (psychischer Befund: bewusstseinsklar, sicher in allen Qualitäten orientiert, im Denken formal zweifellos zugeordnet, kein Anhalt etwa für eine hirnorganische Leistungsstörung, insbesondere keine Hinweise für Koordinationsstörung oder Feingeschicklichkeitsstörung) referiert sind. Der Kläger wirke einfach strukturiert, sei aber keineswegs depressiv, sondern durchaus humorvoll, eher etwas wortkarg. Dr. B. stellte die Diagnosen Postnukleotomie-Syndrom bei Z.n. OP eines Massenprolaps mit vorbekannter inkompletter linksbetonter Paraparese, im Längsschnitt rückläufig, objektive Befunderhebung bei akzentuiertem Krankheitsverhalten erschwert, keine sicheren Anhaltspunkte für neurogene Blasen- und Mastdarmstörung, Adipositas permagna, akzentuiertes Verhalten. Neurologisch bestehe keine quantitative Leistungseinschränkung. Leichte Arbeiten seien sechs Stunden und mehr möglich. Der Nervenarzt und Sozialmediziner Dr. L. hatte sich in der Stellungnahme vom 19. Dezember 2014 dem Gutachten von Dr. B. angeschlossen (eine Einschränkung der Gehfähigkeit und eine relevante Erhöhung des Muskeltonus sowie Einschränkung der Muskelkraft der unteren Extremitäten sei nach der gutachterlichen Untersuchung nicht festgestellt).

Wegen der die Gewährung von Rente versagenden Entscheidungen hat der Kläger am 10. Februar 2015 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Er hat geltend gemacht, es sei zwar eine Konsolidierung eingetreten, so sei der GdB jetzt auf 70 herabgestuft worden und der Nachteilsausgleich aG sei nicht mehr zuerkannt, doch sei er weiter nicht vollschichtig leistungsfähig. Er sei bei Dr. G. in Behandlung. Es bestehe weiter ein pathologisches Gangbild wegen der Parese. Wegen einer Gefühllosigkeit könne er kein Kraftfahrzeug ohne Automatik führen. Dass er viermal 500 m in 20 Minuten gehen könne, sei zu bezweifeln. Öffentliche Verkehrsmittel könne er nicht ohne Begleitung benutzen. Er habe auch weiter Probleme bei der Defäkation und leide unter Inkontinenz. Zuletzt hat er noch angegeben, sein Onkel und seine Tante seien zu ihm gezogen. So sei immer jemand da. Manchmal gehe er allein einkaufen, manchmal mit dem Rollator, manchmal auch mit Krücken. Auto fahre er nur noch selten mit Schaltgetriebe. Eine Fahrerlaubnis habe er noch.

Das SG hat bei Dr. G. eine schriftliche Zeugenauskunft angefordert. Dessen Praxiskollegin Dr. St. hat am 6. Juni 2015 mitgeteilt, der Kläger klage über multiple Beschwerden. Es seien eine Paraparese am linken Bein, ein Z.n. BSV-OP 4/5 mit nachfolgender partieller Harn- und Stuhlinkontinenz, ein Diabetes mellitus WII und eine psychovegetative Erschöpfung diagnostiziert. Im vergangenen Jahr sei es zu einer Besserung gekommen, hauptsächlich der Inkontinenz und bezüglich der Gangstörung. Der Kläger könne keine sechs Stunden arbeiten, weil er schlecht laufen könne und auf eine Gehhilfe angewiesen sei. Es bestehe ein Leistungsvermögen von drei bis vier Stunden. Beigefügt gewesen ist u.a. ein Bericht der F.-St.-Klinik, B., vom 10. Juni 2014 (der Kläger sei vorübergehend für ein Jahr auf einen Rollstuhl angewiesen gewesen und jetzt an Krücken wieder mobil).

Außerdem hat das SG ein Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. M. vom 19. August 2015 eingeholt. Bei ihm hat der Kläger angegeben, das linke Bein werde taub, besonders, wenn er lange laufe, so etwa nach zehn Minuten. Er müsse den Darm mit dem Finger entleeren und habe Probleme mit dem Wasserlassen. Eine Windelvorlage benötige er nicht mehr. In Behandlung sei er nur beim Hausarzt. Angereist sei der Kläger zur Untersuchung mit dem eigenen PKW mit Schaltgetriebe ohne Probleme. Der Sachverständige hat die Diagnosen Funktionsstörung der LWS nach Versteifungs-OP L4/5, neurologische Restsymptomatik am linken Bein, Fußheberparese links, objektiviert durch deutliche Muskelminderung im Unterschenkel sowie Hinweis auf Polyneuropathie (PNP) bei nun festgestelltem Diabetes mellitus gestellt und eine arterielle Verschlusskrankheit ausgeschlossen. Bezüglich der Beeinträchtigungen der Beine sei das Leistungsvermögen nicht aufgehoben. Im Bereich der LWS bestünden aktuell keine Nervenwurzelzeichen. Bei der Ganzkörperuntersuchung habe sich kein Hinweis auf eine orthopädische Funktionsstörung ergeben. Der Kläger könne leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit möglichem Haltungswechsel mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Er könne auch viermal 500 m in maximal 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Der Zustand bestehe etwa seit 2012 und habe sich seit dem Rentenantrag nicht wesentlich geändert.

Die Beklagte hat Stellungnahmen des Betriebsmediziners Dr. G. vom 25. Juni und 27. Oktober 2015 (durch das orthopädische Gutachten sei der Sachverhalt geklärt, soweit die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben begehrt werde, sei dies nicht während des laufenden Rentenverfahrens angezeigt) und der Sozialmedizinerin Dr. B. vom 4. November 2015 (bei laufendem Rentenverfahren bestehe eine mangelnde Reha-Motivation, weswegen keine Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorzuschlagen sei) vorgelegt.

Mit Urteil vom 11. Februar 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Hierbei hat sich das SG im Wesentlichen auf die Gutachten von Dr. M. und Dr. B. gestützt. Die Einschätzung der Dr. St., die von einem Leistungsvermögen von drei bis vier Stunden ausgehe, sei nicht schlüssig begründet. Der Kläger sei auch in der Lage, einen Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, unabhängig davon sei er im Besitz eines PKW mit Schaltgetriebe und einer Fahrerlaubnis, wobei er diesen PKW auch noch benutze. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil verwiesen.

Gegen das am 23. März 2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. April 2016 Berufung eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor, die behandelnde Ärztin habe eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens bestätigt. Sein linkes Bein sei auch taub, er habe immer Rückenschmerzen und leide unter Erektionsstörungen sowie Problemen bei Wasserlassen. Aus seiner Sicht sei das Gutachten von Dr. M. nicht schlüssig. Er habe immer noch eine Fahrerlaubnis und sei auch im Besitz eines PKW mit Automatikgetriebe. Hierzu hat er u.a. einen Medikamentenplan und Berichte der F.-St.-Klinik vom 21. Juni 2016 über eine stationäre Behandlung (Diagnose: akuter Verschluss bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit [pAVK]; erfolgreiche Rekanalisation mittels Stent, Entlassung in deutlich gebessertem Zustand) sowie vom 8. März und 23. April 2017 (Hauptdiagnosen pAVK Stadium IV links, Nekrose der D 1 links; Anlage eines femuro-poplitealen Vena saphena magna reserved Bypasses mit transphalangealer D1-Amputation links [15. Februar 2017] mit komplikationslosem postoperativem Verlauf) vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Februar 2016 sowie den Bescheid vom 23. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Januar 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, zumindest auf Zeit, ab 1. März 2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, der Kläger könne ihm zumutbare Tätigkeiten wenigstens sechs Stunden täglich verrichten. Hierzu hat sie Stellungnahmen von Dr. G. vom 28. Juli 2016, Dr. Th. vom 4. Oktober 2016 (erfolgreiche Thrombektomie und Lyse, keine Änderung der Leistungsbeurteilung) und der Dr. B. vom 17. März 2017 (neue medizinische Sachverhalte ergäben sich aus den Aussagen des behandelnden Neurologen Dr. Th. und der behandelnden Hausärztin Dr. St. nicht, der Kläger könne leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr verrichten) sowie vom 21. August 2017 (leichte Tätigkeiten seien mit qualitativen Einschränkungen täglich noch sechs Stunden und mehr möglich) vorgelegt.

Der Senat hat dann ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr. R., Chefarzt der Kliniken für Neurologie und Geriatrie der St. R.-Kliniken vom 4. Januar 2018 eingeholt. Dieser hat die in den Akten enthaltenen wesentlichen Befunde sowie die Angaben des Klägers und die von ihm selbst erhobenen Befunde referiert. Der Sachverständige ist zum Ergebnis gelangt, beim Kläger bestünden auf neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischem Gebiet eine leichtgradige anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia, leichte Nervenwurzelschäden L5 und S1 links, eine pAVK mit Durchblutungsstörung der Beine, eine PNP und die bereits von Dr. M. angeführten orthopädischen Leiden. Durch die anhaltende somatoforme Schmerzstörung sei es zu einer leichten Beeinträchtigung der Beweglichkeit des Skelettsystems und der freien Entfaltbarkeit der Muskelkraft gekommen. Die Dysthymia habe zu einer Störung der Stimmungslage geführt. Die leichten Nervenwurzelschäden L5 und S1 links beeinträchtigten die Gehfähigkeit in leichter Form. Der Kläger könne ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit aus neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischer Sicht leichte körperliche Arbeiten – ohne Akkord- und Fließbandtätigkeiten, Heben und Tragen von Lasten von mehr als zehn kg, Zwangshaltungen der WS, wie z.B. beim Bücken oder bei knienden Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, Tätigkeiten unter Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe, Nachtschicht, besondere geistige Beanspruchung mit hoher oder höherer Verantwortung, beispielsweise das Anleiten oder Beaufsichtigen mehrerer Personen oder das Überwachen komplexer oder laufender Maschinen – mit der Möglichkeit des Positionswechsels, beispielsweise an Büromaschinen oder Computertastaturen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Im Falle einer überwiegend oder ständig sitzenden Tätigkeit sollte der Kläger einen ergonomischen Arbeitsplatz erhalten. Ansonsten seien keine besonderen Arbeitsbedingungen unerlässlich. Die qualitativen Einschränkungen bestünden seit 1. Dezember 2013. Der Einschätzung von Dr. B., Dr. L. und Dr. M. sowie Dr. B. stimme er im Wesentlichen zu.

Zum Sachverständigengutachten von Prof. Dr. R. hat der Kläger Einwendungen erhoben.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässig eingelegte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dieser hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch 1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und 2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Der Eintritt einer rentenberechtigenden Leistungsminderung muss im Wege des Vollbeweises festgestellt sein, vernünftige Zweifel am Bestehen der Einschränkungen dürfen nicht bestehen. Gemessen daran vermag der Senat nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass eine rentenrechtlich relevante qualitative oder eine quantitative Minderung des Leistungsvermögens auf weniger als sechs Stunden arbeitstäglich vorliegt.

Der Kläger ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn er kann ihm zumutbare Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Dies ergibt sich für den Senat schlüssig und überzeugend aus dem Gutachten des Dr. B. sowie den Sachverständigengutachten von Dr. M. und Prof. Dr. R ...

Beim Kläger haben im streitigen Zeitraum gemäß dem Gutachten von Dr. B. zum Zeitpunkt von dessen Untersuchung, bei der die objektive Befunderhebung bei akzentuiertem Krankheitsverhalten erschwert war, ein Postnukleotomie-Syndrom bei Z.n. OP eines Massenprolapses mit vorbekannter inkompletter linksbetonter Paraparese, die im Längsschnitt rückläufig war, eine Adipositas permagna und ein akzentuiertes Verhalten vorgelegen. Sichere Anhaltspunkte für eine neurogene Blasen- und Mastdarmstörung haben sich nicht ergeben. Dr. M. hat eine Funktionsstörung der LWS nach Versteifungs-OP L4/5, eine neurologische Restsymptomatik am linken Bein, eine Fußheberparese links, objektiviert durch deutliche Muskelminderung im Unterschenkel, sowie einen Hinweis auf eine PNP bei Diabetes mellitus erhoben und eine arterielle Verschlusskrankheit noch ausgeschlossen. Im Bereich der LWS haben keine Nervenwurzelzeichen vorgelegen. Bei der Ganzkörperuntersuchung hat sich kein Hinweis auf eine orthopädische Funktionsstörung ergeben. Nachdem im Juni 2016 eine inkomplette, segmentale Stammvarikosis und eine Seitenastvarikosis festgestellt worden sind, deren Behandlung in der F.-St.-Klinik im Juni 2016 und im Februar/März 2017 erfolgt ist, hat die Untersuchung bei Prof. Dr. R. neben den von Dr. M. bereits bestätigten orthopädischen Leiden und der pAVK mit Durchblutungsstörung der Beine auf neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischem Gebiet eine leichtgradige anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia, leichte Nervenwurzelschäden L5 und S1 links ergeben. Durch die anhaltende somatoforme Schmerzstörung ist es zu einer leichten Beeinträchtigung der Beweglichkeit des Skelettsystems und der freien Entfaltbarkeit der Muskelkraft gekommen. Die Dysthymia hat zu einer Störung der Stimmungslage geführt. Die leichten Nervenwurzelschäden L5 und S1 links haben die Gehfähigkeit leicht beeinträchtigt. Zur Überzeugung des Senats haben diese Gesundheitsstörungen im streitigen Zeitraum von der Rentenantragstellung bis zur Entscheidung des Senats vorgelegen bzw. liegen diese Gesundheitsstörungen vor. Das Vorliegen weiterer Gesundheitsstörungen dauerhafter Art, die für die Beurteilung des Leistungsvermögens im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung von Bedeutung wären, ist dagegen nicht mit der erforderlichen Gewissheit festzustellen, auch nicht auf Grund der Äußerungen der behandelnden Ärzte.

Auf Grund dieser Gesundheitsstörungen ist das Vermögen des Klägers, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, eingeschränkt, allerdings – von vorübergehenden Zeiten von Arbeitsunfähigkeit abgesehen – nur in qualitativer Hinsicht und nicht quantitativ auf weniger als sechs Stunden arbeitstäglich.

Nachdem schlüssigen und überzeugenden Sachverständigengutachten des Prof. Dr. R. kann und konnte der Kläger seit Rentenantragstellung – von vorübergehenden Zeiten von Arbeitsunfähigkeit abgesehen – aus neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischer Sicht leichte körperliche Arbeiten – ohne Akkord- und Fließbandtätigkeiten, Heben und Tragen von Lasten von mehr als zehn kg, Zwangshaltungen der WS, wie z.B. beim Bücken oder bei knienden Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, Tätigkeiten unter Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe, Nachtschicht, besondere geistige Beanspruchung mit hoher oder höherer Verantwortung, beispielsweise das Anleiten oder Beaufsichtigen mehrerer Personen oder überwachen komplexer oder laufender Maschinen – mit der Möglichkeit des Positionswechsels, beispielsweise an Büromaschinen oder Computertastaturen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Im Falle einer überwiegend oder ständig sitzenden Tätigkeit sollte der Kläger einen ergonomischen Arbeitsplatz erhalten. Ansonsten seien keine besonderen Arbeitsbedingungen unerlässlich. Auch Dr. B. hat leichte Arbeiten für sechs Stunden arbeitstäglich als möglich erachtet. Gemäß dem Sachverständigengutachten von Dr. M. kann der Kläger leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit möglichem Haltungswechsel mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Er kann auch viermal 500 m in maximal 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Der Zustand hat sich seit dem Rentenantrag nicht wesentlich geändert.

Diese Einschätzungen decken sich im Wesentlichen auch mit denen der Beratungsärzte der Beklagten. Sie sind für den Senat schlüssig und überzeugend, denn sie sind auch im Hinblick auf die von den Gutachtern erhobenen Befunde und die Angaben des Klägers zu seinen Aktivitäten und zu seinem Tagesablauf plausibel. Zum erhobenen psychischen Befund hat Dr. B. ausgeführt, der Kläger sei bewusstseinsklar, sicher in allen Qualitäten orientiert, im Denken formal zweifellos zugeordnet und es bestehe kein Anhalt etwa für eine hirnorganische Leistungsstörung, insbesondere keine Hinweise für Koordinationsstörung oder Feingeschicklichkeitsstörung. Der Kläger wirke einfach strukturiert, sei aber keineswegs depressiv, sondern durchaus humorvoll, eher etwas wortkarg. Prof Dr. R. hat zum psychischen Befund vermerkt, der Kläger, der pünktlich und korrekt gekleidet zum Untersuchungstermin erschienen sei und bei dem das An- und Auskleiden relativ rasch erfolgt und auch nicht von Schmerzäußerungen begleitet gewesen sei, habe während der Exploration aufmerksam und konzentriert gewirkt, aber auch einfach strukturiert und gutmütig. Fragen hat er prompt und bereitwillig beantwortet. Auch im weiteren Verlauf der mehrstündigen Begutachtung ist es nicht zu einem deutlichen Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit oder Aufmerksamkeit gekommen. Der Kläger ist bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten, also Ort, Person sowie Zeit und situativ voll orientiert gewesen. Die Antriebslage hat unauffällig gewirkt und es haben sich keine äußerlich erkennbaren inneren Unruhen gefunden. Die Stimmungslage ist streckenweise subdepressiv gewesen, doch ist es beim Besprechen angenehmer Themen rasch zu einer Stimmungsaufhellung gekommen. Die affektive Modulationsfähigkeit ist nicht eingeschränkt gewesen und es hat auch keine erhöhte Ängstlichkeit vorgelegen. Auffassungsgabe, Konzentration und Aufmerksamkeitsdauer sind ungestört gewesen. Das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis haben keine Einschränkungen aufgewiesen. Der formale Gedankengang ist unauffällig gewesen. Gedankeninhaltlich hat der Kläger um seine Schmerzen und seine Beschwerden gekreist.

Eine wesentliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens auf psychiatrischem Fachgebiet, die Zweifel an der Einschätzung von Prof. Dr. R. und Dr. B. begründen würde, ergibt sich daraus nicht.

Auch unter Berücksichtigung des angegebenen Tagesablaufs ist eine weiter gehende Einschränkung nicht ableitbar. Bei Dr. B. hat der Kläger, der sich zu dem Zeitpunkt auch nur in hausärztlicher Betreuung befunden hat, angegeben, er wohne im zweiten Stock in einem Gebäude ohne Aufzug und mache seinen Haushalt (zum Teil mit Hilfen), Einkäufe und Arztbesuche und besuche auch einen Kollegen, der einen Garten habe. Ansonsten schaue er viel Fernsehen und lese manchmal die Zeitung. Abends schaue er Fernsehen. Er habe nette Freunde und sei insofern zufrieden. Mit denen könne er zusammen Kaffee trinken und erzählen. Seit der BS-Operation stottere er manchmal, was nach der Erklärung der Ärzte durch die Einklemmung der Nerven komme. Bei Prof. Dr. R. hat der Kläger gemäß dem Gutachten angegeben, er lebe mit seinem Onkel und dessen Ehefrau in einer Mietwohnung im zweiten Stock. Da es keinen Aufzug gebe, müsse er die Treppe benutzen. Er sei noch in der Lage, die Waschmaschine zu befüllen und zu entleeren. Um das Geschirr kümmere sich die Ehefrau seines Onkels. Diese richte ihm auch das Frühstück. Er dusche in der Badewanne und sei noch in der Lage, sich selbstständig anzukleiden. Vormittags schaue er Fernsehen. Ansonsten lese er die Tageszeitung, die ihm ein Kollege vorbeibringe. Manchmal erhalte er sie auch von seinem Onkel. Sein Kollege besuche ihn jeden zweiten Tag. Man gehe dann gemeinsam zum Kaffeetrinken. Das Café sei mehrere hundert Meter entfernt. Das Mittagessen bereite die Ehefrau des Onkels zu. Sie kümmere sich auch um das Einkaufen. Es besuchten ihn auch mehrere Landsleute zum Kaffeetrinken. Er schaue auch nachmittags Fernsehen. Bei schönem Wetter setze er sich in eine gegenüberliegende Bäckerei und trinke dort Kaffee. Das Abendessen werde kalt eingenommen. Er habe auch noch eine Fahrerlaubnis und ein eigenes Auto. Zuletzt sei er vor einigen Tagen mit dem PKW zum Arzt gefahren. Ein- bis zweimal pro Woche fahre er mit dem PKW. Zweimal pro Woche suche er eine Krankengymnastik auf.

Auch diese Angaben zeigen, dass beim Kläger eine Tagesstruktur möglich ist und Ressourcen für Aktivitäten vorhanden sind, die auch im Rahmen einer Erwerbstätigkeit nutzbar sind.

Soweit der Kläger zuletzt in Kenntnis des Gutachtens von Prof. Dr. R. Einwendungen erhoben hat, führt dies weder zu einer anderen Beurteilung der Leistungseinschätzung, noch ergibt sich daraus ein Anlass zu weiteren Ermittlungen. Dass das Gutachten drei Monate nach der Untersuchung abgeschlossen wurde, entwertet die Schlussfolgerungen nicht, da der Kläger seinen Zustand subjektiv unverändert darstellt und eine Verschlimmerung weder dargetan, noch ersichtlich ist. Auch die Beschwerden beim Treppensteigen führen allenfalls zu qualitativen Einschränkungen und stehen nicht im Widerspruch zu dem von den Gutachtern gezeichneten positiven Leistungsbild. Unerheblich ist, ob er die Waschmaschine nur befüllt, wenn ihm dies nicht abgenommen wird. Wie weit das Cafe oder die Bäckerei entfernt ist, ist letztlich ebenso irrelevant, wie die Tatsache, dass er einen PKW mit Automatikgetriebe und nicht mit Schaltgetriebe hat. Die beklagten Beschwerden beim Wasserlassen und bei der Defäkation wurden ebenfalls schon von Dr. B. berücksichtigt bzw. gewürdigt. Die Benutzung von Hilfsmitteln ist insofern im Übrigen nicht unzumutbar. Ferner ergibt sich auch aus der Divergenz seiner Angaben zur bei der Begutachtung zurückgelegten Fußwegstrecke gegenüber dem Gutachten nichts wesentlich Neues, da der Kläger über einen PKW mit Automatikgetriebe verfügt, den er auch auf dem Arbeitsweg benutzen kann.

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr verrichten kann.

Im Übrigen liegt mit den o. g. qualitativen Einschränkungen auch keine schwere spezifische Leistungseinschränkung und auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor; dem Kläger sind beispielsweise einfache Bürotätigkeiten oder einfache Sortier-, Montier- oder Verpackungstätigkeiten mit leichten Industrie- und Handelsprodukten (vgl. BSG, Urteile vom 24. Februar 1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 135/11 B - juris) vollschichtig möglich, so dass sich Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes beschreiben lassen, weshalb es der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht bedarf. Ungeachtet dessen kämen für ihn auch leichte Bürotätigkeiten in Betracht, was sich auch aus den Gutachten von Dr. M. und Prof. Dr. R. ergibt.

Da der Kläger somit nicht erwerbsgemindert ist, hat er auch keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Der Senat weist deshalb die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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