S 8 U 484/95

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 484/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7/11 U 1255/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 21.11.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.1995 wird aufgehoben, und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2110 und 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung und Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 07.03.1994 eine Verletztenrente in gesetzlichem Umfang nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit (BK) und die Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der 1940 geborene Kläger stellte mit Schreiben vom 06.04.1992 bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit. Er war zu dieser Zeit seit dem 01.07.1975 bei der Firma C. Rohrleitungsbau in Stadt beschäftigt, die am 14.09.1992 eine Anzeige des Unternehmers über eine Berufskrankheit erstattete und in dieser Anzeige angab, der Kläger sei dort bis zum 31.12.1989 als LKW-Fahrer, ab 01.01.1990 als Bauvorarbeiter und seit dem 01.11.1991 als Werkpolier tätig, jeweils verbunden mit der Bedienung von Baggern, Raupen und Radladern. Mit Datum vom 21.12.1992 folgte eine Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit von Frau Dr. D., Neurologin und Psychiaterin in D-Stadt. Sie bescheinigte eine Wirbelsäulenerkrankung in Form von Bandscheibenvorfällen im Bereich der Halswirbelsäule (C4/5, C5/6) und Bandscheibenvorfällen im Bereich der Lendenwirbelsäule (L5/S1). Vor seiner Tätigkeit bei der Firma C. hatte der Kläger bei verschiedenen Arbeitgebern gearbeitet, nämlich von Mai 1955 bis Dezember 1959 als Arbeiter an der Drehbank bei den E-werken in E-Stadt und von Januar 1960 bis März 1961 sowie von Mai 1963 bis Mai 1964 bei der Firma F. in E-Stadt als Staplerfahrer. Von April 1961 bis April 1963 war er Soldat bei der Bundeswehr. Von Mai 1964 bis April 1968 war der Kläger als LKW-Fahrer bei der Firma G-Spedition tätig gewesen, von Mai 1968 bis Februar 1969 hatte er als Staplerfahrer und Lagerarbeiter bei der Firma H. in H-Stadt gearbeitet, von Februar bis November 1969 war er wiederum bei einer Spedition als LKW-Fahrer, von November 1969 bis September 1971 als Aushilfe in der Feinmechanikerwerkstatt der Farbwerke J. und von September 1971 bis Juni 1975 als LKW-Fahrer im Ferntransport tätig gewesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vom Kläger hierzu erstellte Aufstellung (Blatt 48 bis 49 Gerichtsakte) sowie die Zusammenstellung im Gutachten von Prof. Dr. I. (Blatt 178 ff Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Beklagte holte ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Hochtaunus ein und wertete die beim Versorgungsamt Wiesbaden über den Kläger geführte Schwerbehindertenakte aus (Blatt 17 ff. und 26 ff. BK- Akte). Der Chirurg Dr. K. wertete diese Unterlagen für die Beklagte aus und kam in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 06.07.1993 (Blatt 66 ff. BK-Akte) zu der Beurteilung, zwar seien die beruflichen Voraussetzungen der zur Anerkennung beantragten BK Nr. 2110 noch nicht ermittelt, dies sei aber auch nicht erforderlich, weil bandscheibenbedingte Veränderungen beim Versicherten nur in den beiden unteren Segmenten der Lendenwirbelsäule vorlägen, so dass sich ein wesentlicher Ursachenbeitrag einer besonderen beruflichen Belastung nicht begründen ließe. Der von der Beklagten eingeschaltete Landesgewerbearzt beauftragte den Orthopäden Dr. L. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser kam in seinem Gutachten vom 21.09.1993 (Blatt 83 ff BK-Akte) zu der Feststellung, bei dem Kläger handele es sich um eine Kombination eines lokalen Lumbalsyndroms mit einem polyradikulären lumbalen Wurzelreizsyndrom, wechselweise rechts und links mit Ausstrahlungen in die beiden Beide. Die Lokalisation dieses Syndroms konzentriere sich auf die unteren drei Lendensegmente, wo röntgenologisch progrediente Veränderungen der Bandscheibenräume der vorderen Wirbelanteile und der Wirbelgelenke bestünden. Der Kläger habe 28 Jahre unter Bedingungen gearbeitet, bei denen er sowohl Gewichten von deutlich mehr als 20 kg täglich mehrfach unter teilweise ungünstigen Rumpfpositionen ausgesetzt gewesen sei als auch vor allem vertikalen Schwingungsbelastungen, die bei einer täglichen Expositionsdauer von durchschnittlich 6 Stunden mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Beurteilungsschwingstärke Kr von mehr als 20 geführt hätten, wodurch eine sichere Gesundheitsgefährdung bestanden habe. Er erfülle damit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2110, und es sei ihm dringend anzuraten, seine bisherige Tätigkeit aufzugeben, wenn er nicht eine rasche Verschlimmerung seines Wirbelsäulenleidens provozieren wolle. Die durch die Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit schätzte der Gutachter auf 20 % seit dem 01.09.1989, dem Beginn der kontinuierlichen Schmerzen. Der Landesgewerbearzt M. schlug daraufhin in seiner Stellungnahme vom 02.11.1993 vor, die Meidung der belastenden Tätigkeiten sollte durch Maßnahmen im Rahmen des S 3 Berufskrankheitenverordnung (BKVO) angestrebt werden, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sollte entsprechend der Empfehlung des Gutachters auf 20 % eingeschätzt werden.

Die Beklagte übersandte daraufhin im Dezember 1993 Erhebungsbögen für Belastungsdaten an der Lendenwirbelsäule an die vom Kläger angegebenen früheren Arbeitgeber und holte Stellungnahmen ihres Technischen Aufsichtsdienstes ein.

Der Diplom-Ingenieur N. wertete in seiner Stellungnahme vom 08.03.1994 (Blatt 138 ff. BK-Akte) zunächst die Tätigkeit bei der Firma C. hinsichtlich der Belastung der Hals- und Lendenwirbelsäule im Sinne der Berufskrankheiten Nr. 2108 und 2109 aus und sah zusammenfassend die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK nach den Nummern 2108 und 2109 als gegeben an. Im Einzelnen ergab sich aus der Stellungnahme, dass sich die Tätigkeit des Klägers als LKW-Fahrer von 1975 bis 1989 zu etwa 60 % aus LKW-Fahrten, 20 % Maschinistentätigkeiten und 20 % Ladetätigkeit und Wartezeit zusammengesetzt hatte. Bei der Tätigkeit als Vorarbeiter und auch bei der anschließenden Tätigkeit als Werkpolier hatte der Kläger etwa 50 % Tiefbauarbeiten mit zeitweise starker körperlicher Belastung ausgeführt, während reine Aufsichts- und organisatorische Tätigkeiten ohne körperliche Belastung nur etwa 20 % der Tätigkeit in Anspruch genommen hätten. Zur Frage der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2110 gab er den Vorgang zur Ermittlung der Höhe der Schwingungsbelastung an den Technischen Aufsichtsbeamten Dr.-Ing. O. weiter. Dieser kam in seiner Stellungnahme vom 16.03.1994 (Blatt 142 ff. BK-Akte) auf der Grundlage der Feststellungen des Technischen Aufsichtsbeamten N. und der Daten aus der Datenbank des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitssicherheit (BIA) zu der zusammenfassenden Einschätzung, die Zusammenstellung der Tätigkeiten, bei denen der Kläger durch das Bedienen von LKWs und Baumaschinen vertikalen Schwingungsbelastungen im Ganzkörperbereich ausgesetzt gewesen war, ergebe für den Belastungszeitraum von 18,5 Jahren eine Gesamtdosis von 423.000. Diese liege deutlich unter dem Dosisrichtwert von 580.000, der den Beginn einer vom Arbeitsplatz ausgehenden Gesundheitsgefährdung charakterisiere. Diese sei somit nicht gegeben. Im Einzelnen nahm er für die Tätigkeit von Juli 1975 bis Dezember 1979 unter Berücksichtigung der vom Kläger gefahrenen Fahrzeuge sowie anteiligem Fahren auf Straße einerseits und Baustelle andererseits bei fehlender Stoßhaltigkeit der Schwingungen eine tägliche Beurteilungs-Schwingstärke Kr von 11,3 an, weshalb diese Expositionen nicht in die Gesamtbelastung einbezogen werden könnten. Für die Zeit Januar 1980 bejahte Dr. O. das Vorliegen von Stoßhaltigkeit, so dass alle Expositionen mit Kr ) 12,5 herangezogen werden könnten. Dabei nahm er mangels näherer Angaben den zeitlichen Einsatz für die Bagger und Lader mit 50 % der Arbeitszeit an. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 142 bis 144 der BK-Akte Bezug genommen.

Unter dem Datum des 24.05.1994 erstellte der Dipl.-Ing. P. vom Technischen Aufsichtsdienst der Gebietsverwaltung Nord der Beklagten eine weitere Stellungnahme zur Wirbelsäulenbelastung des Klägers nach den BK Nummern 2108 und 2109, zu deren Einzelheiten auf Blatt 154 ff. der BK-Akte Bezug genommen wird. Für Zeit von Juli 1975 bis Dezember 1989 stellte er für das Heben und Tragen von schweren Lasten über 25 kg einen Arbeitszeitanteil von 20 % und für das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter über 50 kg 5 % der Arbeitszeit fest. Für die Zeit vom 01.01.1990 an habe der Anteil von Heben und Tragen schwerer Lasten 15 % und der Anteil extremer Rumpfbeugehaltung 10 % der Arbeitszeit ausgemacht, der Anteil des Tragens schwerer Lasten auf der Schulter wiederum 5 %.

In einem Untersuchungsbericht vom 27.01.1994 teilte die Radiologische Gemeinschaftspraxis Dres. Q. u. a., E-Stadt, als Ergebnis eines spinalen Computertomogramms der Lendenwirbelsäule altersübernormale polysegmentale ostheodegenerative Veränderungen mit Bandscheibenvorfall L4/5 fest. Durch dieses Untersuchungsergebnis sahen sich Dr. K. und der Orthopäde R. in ihrer Stellungnahme vom 10.10.1994 (Blatt 163 ff. BK-Akte) in ihrer früheren Stellungnahme darin bestätigt, dass bandscheibenbedingte Veränderungen beim Versicherten nur im Bereich der beiden unteren Segmente der Lendenwirbelsäule vorlägen. Ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen der beantragten Berufskrankheiten vorlägen, könne offen bleiben, weil die medizinischen Voraussetzungen sich beim Versicherten nicht begründen ließen. Das Schadensbild im Bereich der Lendenwirbelsäule sei nicht belastungskonform, weil ausschließlich die beiden unteren Segmente betroffen seien und sich insoweit eine Relation zu einer Belastung durch eine besondere berufliche Tätigkeit nicht begründen lasse.

Da die Verwaltung der Beklagten vor Erteilung eines ablehnenden Bescheides die Einholung einer klaren und eindeutigen Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten Nr. 2108, 2109 und 2110 für erforderlich hielt, wurde Frau Dipl.-Ing. S. mit einer weiteren Stellungnahme beauftragt. In ihrer Stellungnahme vom 25.10.1994 (Blatt 169 ff. BK-Akte) kam Frau S. zu dem Ergebnis, eine ausreichend hohe Belastung zur Anerkennung der BK Nr. 2108 habe nur im letzten Zeitintervall von 1990 bis 1993 über die Dauer von 48 Monaten vorgelegen. In der übrigen Zeit habe der zeitliche Anteil von belastenden Tätigkeiten nur bei etwa 15 % einer Arbeitsschicht gelegen. Eine Belastung durch das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter sei nur gelegentlich und unregelmäßig vorgekommen, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 nicht erfüllt seien. Die Schwingungsbelastung sei während der Tätigkeit des Klägers sehr unterschiedlich und von expositionsfreien Intervallen unterbrochen gewesen. Für den Vergleich des beim Kläger festzustellenden Dosiswertes mit dem Dosisrichtwert müsse jedoch die gesamte berufliche Schwingungsbelastung mitberücksichtigt werden, also auch die Tätigkeit des Klägers als Gabelstapler-Fahrer, bei der der Schwingungsgrenzwert zu jeder Zeit überschritten gewesen sei. Die Einbeziehung der Tätigkeit als Gabelstapler-Fahrer führe zu einer Überschreitung des Dosisrichtwertes von 580.000, so dass ihres Erachtens die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2110 erfüllt seien. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf Blatt 172 der BK-Akte Bezug genommen, wo eine Gesamtdosis von Dv = 631.181 errechnet ist.

Mit Bescheid vom 21.11.1994 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Klägers wegen einer Wirbelsäulenerkrankung nach Nr. 2108, 2109 und 2110 der BKVO ab und führte zur Begründung aus, nach dem Ergebnis der Feststellungen ihres Technischen Aufsichtsdienstes seien die arbeitsmäßigen Voraussetzungen zur Entstehung einer BK Nr. 2108 und 2109 nicht gegeben. Nach der fachärztlichen Beurteilung lägen zur Anerkennung einer BK Nr. 2110 die medizinischen Voraussetzungen nicht vor. Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.1995 zurück und wies ergänzend darauf hin, dass der Kläger die schädigende Tätigkeit noch nicht aufgegeben habe. Von medizinischer Seite handele es sich bei den Veränderungen an der Wirbelsäule des Klägers um typische anlagebedingte Verschleißschäden des Bewegungsapparates, wie sie im Vergleich zum Bevölkerungsquerschnitt auch ohne entsprechende berufliche Expositionen häufig anzutreffen und deren Ursachen vielschichtig seien.

Hiergegen hat der Kläger am 12.06.1995 Klage erhoben und vorgetragen, bei ihm seien erstmals 1981 Rückenbeschwerden aufgetreten, ab 1988 seien sie gehäuft und zunehmend stärker aufgetreten, seit März 1994 sei er arbeitunfähig erkrankt. Entsprechend einem Vergleichsangebot der LVA Hessen vom 20.01.1995 (Blatt 8 Gerichtsakte) sei bei ihm seit dem 08.03.1994, dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit, Berufunfähigkeit anerkannt, und er erhalte daher ab 01.04.1994 Rente wegen Berufsunfähigkeit.

In einer vom Gericht eingeholten Stellungnahme vom 29.02.1996 (Blatt 27 bis 34 Gerichtsakte) stellt der Landesgewerbearzt M. zunächst fest, es bestehe bei dem Versicherten eine bandscheibenbedingte Erkrankung in Sinne der BK Nr. 2108 bzw. 2110. Entgegen der Ansicht von Dr. K. finde sich weder im Text der BKVO noch in den dazu für die ärztliche Beurteilung herausgegebenen Merkblättern eine Einschränkung auf spezifische bandscheibenbedingte Schadensbilder. Hinsichtlich der Belastungen, die geeignet seien, eine BK der genannten Nummern hervorzurufen, gebe es keine eindeutige Grenze. Für die BK 2110 werde eine wiederholte Einwirkung von Ganzkörperschwingungen in Sitzhaltung gefordert, wobei die auf der Grundlage der sogenannten Rheinbraun-Studie sowie der VDl-Richtlinie 2057 bzw. der ISO 2631 festgelegten Dosis-Richtwerte auf einer Festlegung im Zusammenhang mit der Einführung der BK 2110 beruhten, während exakte quantitative Expositions-Effekt-Beziehungen bisher weder aus epidemiologischen noch aus experimentellen Untersuchungen zuverlässig abgeleitet werden könnten. Der für die Entstehung einer BK 2110 angenommene Dosis-Richtwert von 580.000 könne daher auch unter bestimmten Bedingungen unterschritten werden, um gleichwohl als ausreichend für die Annahme eines Kausalzusammenhanges angesehen werden zu können. Nach den Feststellungen von Frau Dipl.-Ing. S. sei davon auszugehen, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers geeignet gewesen sei, eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK 2110 hervorzurufen. Hinsichtlich der Hebe- und Tragebelastung in Bezug auf eine BK 2108 würden dagegen von den einzelnen Berufsgenossenschaften unterschiedliche Belastungsvoraussetzungen definiert. Für den Bereich der Bauwirtschaft werde eine Richtzahl von einem Drittel der Arbeitsschicht angenommen, die mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten oder mit Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verbunden sein müsse, andere Berufsgenossenschaften würden Dosis-Belastungsmodelle anwenden oder eine gewisse Zahl von Hüben während einer Arbeitsschicht ausreichen lassen. Bei der BK 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule) habe bereits Dr. K. zutreffen darauf hingewiesen, dass das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter gleichzeitig eine Belastung der Lendenwirbelsäule darstelle, so dass bei entsprechenden Tragebelastungen neben Schädigungen der Halswirbelsäule auch Schädigungen der Lendenwirbelsäule erwartet werden könnten. Wirkten neben Belastungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten auch Ganzkörperschwingungen ein, so sei anzunehmen, dass sich diese Belastungen soweit sie zeitlich unabhängig einwirkten - hinsichtlich ihrer schädigenden Wirkung summieren. Entsprechend finde sich im landwirtschaftlichen Bereich im Hinblick auf die Belastungsvoraussetzungen ein Additionsmodell, bei dem jeweils die Dosis-Richtwerte betreffend Ganzkörperschwingung sowie betreffend Hebe- und Tragebelastung mit ihrem prozentualen Anteil an dem jeweiligen Dosis-Richtwert addiert würden. Da bei dem Kläger neben der vom Landesgewerbearzt bereits als ausreichend belastend angesehenen Belastung durch Ganzkörperschwingungen auch eine Belastung durch das Heben und Tragen schwerer Lasten vorgelegen habe, sieht der Landesgewerbearzt die Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit gegeben und schlägt, da die Schädigung im Wesentlichen auf die Belastung durch Ganzkörperschwingungen zurückzuführen sei, die Anerkennung einer BK 2110 vor.

Im Hinblick auf die Stellungnahme des Landesgewerbearztes M. hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 16.09.1996 eine berichtigte Stellungnahme ihrer Technischen Aufsichtsbeamtin S. vom 22.08.1996 vorgelegt, aus der sich ergebe, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen zum Vorliegen der BK Nr. 2110 beim Kläger nicht vorlägen. Da bei den vom Kläger gefahrenen LKWs und Baumaschinen keine Stoßhaltigkeit vorgelegen habe, müsse von einem Beurteilungsgrenzwert von Kr = 16,2 ausgegangen werden. Da dieser Grenzwert jedoch unterschritten sei, habe nach dem 31.03.1988 keine Gefährdung im Sinne der Ziffer 2110 mehr vorgelegen. Die Gesamtschwingungsdosis reduziere sich hiernach auf Dv = 208.506. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf Blatt 74 bis 75 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Gericht hat daraufhin von Amts wegen ein Gutachten bei Prof. Dr. I. vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätskliniken Mainz eingeholt, in dem sowohl die arbeitstechnischen wie auch der medizinischen Voraussetzungen für die zur Anerkennung beantragte BK behandelt werden sollten. Bei der Erstellung des Gutachtens vom 06.07.2000, zu dessen vollständigem Inhalt auf Blatt 129 bis 210 der Gerichtsakte Bezug genommen wird, hat Frau Dr. T. bei der ambulanten medizinischen Untersuchung mitgewirkt und Prof. Dr. U. hat die Belastungsanalyse vorgenommen und den Gutachtenentwurf erstellt. Prof. Dr. I. hat sich mit dem Gutachten nach eigener Überprüfung und Überzeugung einverstanden erklärt.

Im Rahmen der Darstellung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2110 weist Prof. Dr. U. darauf hin, dass nach neueren Untersuchungen aus den Jahren 1998 und 1999 in Form einer epidemiologischen Langzeitstudie im Auftrag des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften gezeigt worden ist, dass bereits Tagesdosiswerte von 12,5 und mehr eine zunehmende gesundheitliche Gefährdung für die Lendenwirbelsäule darstellen. Dieser Wert solle daher generell gelten und somit auch Einflussfaktoren wie Stoßhaltigkeit und Schwingungsbelastungen in ungünstiger Körperhaltung umfassen. Eine eindeutige Festsetzung eines Dosisrichtwertes, der im BK-Verfahren für die Anerkennung der arbeitstechnischen Voraussetzungen herangezogen werden könne, lasse sich aus diesen Studien jedoch nicht ableiten. Der Sachverständige hat sodann die verschiedenen Stellungnahmen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der zur Anerkennung beantragten Berufskrankheit ausgewertet und dabei betont, dass insbesondere Dr. O., der auch innerhalb des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften einen Arbeitskreis "Vibrationen" leite, als für die einschlägigen Fragen kompetenter Technischer Aufsichtsbeamter angesehen werden könne. Wesentlich sei dessen Aussage bezüglich der Schwingungsbelastung, wonach Stoßhaltigkeit vorliege, so dass alle Expositionen mit Kr ) 12,5 zur Beurteilung herangezogen wurden. Diese Vorgehensweise sei als zutreffend und korrekt anzusehen. Prof. Dr. U. stimmt ebenfalls der Beurteilung der Schwingungsbelastung durch Frau Dipl.-Ing. S. vom 25.10.1994 zu, vertritt allerdings die Ansicht, auch die Tätigkeit des Klägers als LKW-Fahrer im Speditionsbereich in den 60er Jahren sei mit zu berücksichtigen. Soweit im Rechtsstreit dann diese Stellungnahme von Frau S. durch die Beklagte als fehlerhaft bezeichnet worden ist, kritisiert der Sachverständige, dass diese geänderte Feststellung nicht erklärt oder begründet werde. Sie sei auch unzutreffend. Wie Dr. O. ausgeführt habe, seien die von ihm berücksichtigten Schwingungsbelastungen durch Stoßhaltigkeit gekennzeichnet. Im Ärztlichen Merkblatt zur BK 2110 heiße es, unter stoßhaltigen Schwingungen verstehe man Schwingungsabläufe, die regelmäßig oder unregelmäßig vorkämen und hohe Beschleunigungsspitzen beinhalteten, die aus der Grundschwingung in erheblichem Maße herausragten. Es unterliege keinem Zweifel, dass die von dem Kläger gefahrenen Erdbaumaschinen und LKW für bestimmte Zeitanteile im Gelände und auf unbefestigten Wegen und dergleichen Schwingungen erzeugt hätten, die in diesem Sinne als stoßhaltig anzusehen seien. Es sei daher korrekt und zutreffend, dass Dr. O. solche Belastungsarten hinsichtlich ebenen oder unebenen Untergrundes differenziert bewertet hat. In den fraglichen Zeiträumen müssten daher Schwingungsbelastungen mit einer Beurteilungsschwingstärke von mehr als 12,5 als potentiell gefährdend in die Dosisberechnung einbezogen werden. Hinzu komme, dass neuere epidemiologische Untersuchungen gezeigt hätten, dass grundsätzlich bereits Tagesdosiswerte von mehr als 12,5 eine zunehmende gesundheitliche Gefährdung für die Lendenwirbelsäule darstellen, unabhängig davon, ob die Schwingungsbelastungen als stoßhaltig oder nicht stoßhaltig anzusehen seien. Für den vorliegenden Fall sei daher davon auszugehen, dass auf jeden Fall Schwingungskennwerte von mehr als 12,5 in die wertende Beurteilung einzubeziehen seien. Darüber hinaus komme es darauf an zu prüfen, ob die kumulative Einwirkung von Belastungen im Sinne der BK 2108 und der BK 2110 zusammen die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK-Anerkennung erfüllten. Eine solche kumulative Belastungsanalyse sei bisher nicht durchgeführt worden. Auf der Basis der vom Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten ermittelten Daten werde daher unter Ergänzung der bisher nicht berücksichtigten Zeitspannen eine vollständige Belastungsanalyse sowohl für Ganzkörperschwingungen als auch für das Heben und Tragen schwerer Lasten sowie für die Frage der kombinierten Belastung erstellt. Wegen der Bewertung der einzelnen vom Kläger ausgeübten wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten wird auf die Ausführungen des Sachverständigen auf Seite 49 bis 58 seines Gutachtens (Blatt 177 bis 186 Gerichtsakte), besonders auf die Tabellen 1 und 2 (Blatt 178 bis 181 Gerichtsakte), Bezug genommen. Zusammenfassend kommt Prof. Dr. U. zu der Feststellung, der Kläger sei seit Januar 1960 Ganzkörperschwingungen im Sitzen ausgesetzt gewesen, die zu einer Gesamtdosis von nahezu 800.000 geführt hätten, womit der als gefährdend geltende Richtwert von 580.000 deutlich überschritten sei. Die beruflichen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 2110 seien damit gegeben. In der Zeit vom Januar 1980 bis Dezember 1989 sei die biomechanische Belastung der Lendenwirbelsäule darüber hinaus durch Hebe- und Tragetätigkeit schwerer Lasten erhöht gewesen, was in kumulierten Tagesbelastungsgraden von 1,23 bzw. 1,15 zum Ausdruck komme.

Im medizinischen Teil seiner Beurteilung setzt sich der Sachverständige im Wesentlichen mit den von Dr. K. vertretenen Ansichten auseinander. Hinsichtlich der Annahme eines berufstypischen oder belastungskonformen Schadensbildes vertritt der Sachverständige die Ansicht, ein solches spezifisches Schadensbild könne aus arbeitsmedizinischer Sicht nur dann entstehen, wenn die berufliche Belastung der Wirbelsäule auf Grund einer ganz besonderen Tätigkeit und Körperhaltung als spezifisch angesehen werden müsse. In der Tendenz zeige sich bei der Belastung durch Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung die Betroffenheit mehrerer Wirbelsegmente als stärker ausgeprägt als bei nicht belasteten Personen. Soweit die Frage des belastungstypischen Schadensmusters die BK Nr. 2110 betreffe, bei der nach übereinstimmender Fachärztlicher Auffassung die Krankheitsbilder dieselben seien wie bei der BK 2108, sei dieses bisher kaum untersucht worden. Nach den bereits erwähnten epidemiologischen Studien ließe sich bei schwingungsbelasteten Personen bei Ausmessung der Diskushöhen ein leichter Anstieg von unphysiologischen Veränderungen der Diskushöhe im unteren LWS-Bereich ab L3/4 bis L5/S1 aufzeigen. Die Häufigkeit des Vorkommens degenerativer Veränderungen sei bei den schwingungsbelasteten Personen von L1 bis L5 kontinuierlich angestiegen. Aus den vom Sachverständigen im Einzelnen referierten Darstellungen könne gefolgert werden, dass es ein beruftypisches, deutlich belastungsabhängiges oder belastungskonformes Schadensbild der Lendenwirbelsäule im Sinne der BK 2108 und 2110 nicht gebe. Bei dem Kläger liege nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen eine Kombination eines lokalen Lumbalsyndroms mit einem polyradikulären lumbalen Wurzelreizsyndrom wechselweise rechts und links mit Ausstrahlung in beide Beine, folgend mit positivem Lasèguezeichen, Reflexabschwächung, motorischen Störungen und Sensibilitätsstörungen vor. Die Lokalisation des Syndroms konzentriere sich auf die unteren drei Lendensegmente. Die polysegmentalen osteodegenerativen Veränderungen und Diskopathien stellten ein altersübernormales Maß dar. Hinweise auf außerberufliche übermäßige Belastungen der Lendenwirbelsäule beständen nicht.

Zusammenfassend kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, bei dem Kläger liege zum Zeitpunkt der Untersuchung eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor, die sich computertomografisch als altersübernormale polysegmentale osteodegenerative Veränderung mit Diskopathien in drei Segmenten nachweisen ließe. Diese Erkrankungen entsprächen den Krankheitsbildern nach den Ärztlichen Merkblättern für die BK 2108 und 2110. Diese Gesundheitsstörungen seien mit Wahrscheinlichkeit im Sinne der Entstehung ursächlich auf die aktenkundigen und durch eine Spezialanalyse nachgewiesenen beruflichen Belastungen der Lendenwirbelsäule zurückzuführen. Es gebe keine Hinweise auf andere ursächliche oder teilsursächliche Umstände für die Entstehung der Erkrankung. Insbesondere handele es sich um ein Schadensbild an der Wirbelsäule, das mit den genannten Berufskrankheiten vereinbar sei. Der Kläger erfülle die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 2110 sowie zusätzlich für verschiedene Zeitabschnitte auch der BK 2108 im Sinne einer kombinierten Belastung. Dies entspreche einer die Lendenwirbelsäule gefährdenden belastenden Tätigkeit von insgesamt 26,4 Jahren. Es gebe keine Hinweise darauf, dass andere als berufliche Umstände ursächlich bzw. mitursächlich für die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule seien. Es habe für den Kläger aus ärztlicher Sicht der Zwang zur Unterlassung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten bestanden. Die somit anzuerkennende BK 2110 bedinge ein Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 %.

Die Beklagte hat hierzu ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. V., V-Stadt, vorgelegt, in dem dieser den gerichtlichen Sachverständen Prof. I. und Prof. U. darin zustimmt, dass es ein im eigentlichen Sinne berufstypisches belastungsabhängiges oder gar belastungskonformes Schadensbild der Lendenwirbelsäule nicht gebe. In Auswertung der ihm vorgelegten Röntgenaufnahmen führt er weiter aus, bei singulärer Betrachtung dieser Aufnahmen könnte ein Schadensmuster im Sinne der gutachterlichen Vorgaben sowie auch im Sinne der gerichtlichen Sachverständigen definiert werden, wenn auch allein das Segment L5/S1 gravierende degenerative Veränderungen aufweise. Eine Gesamtschau der Wirbelsäule des Klägers führe aber zu einem anderen Ergebnis, da auch an der Halswirbelsäule zumindest in den Segmenten C4/5 sowie C5/6 vergleichbare ossäre Umbauvorgänge nachzuweisen seien. Eine BK 2108 bzw. 2110 könne nur anerkannt werden, wenn die degenerativen Veränderungen ausschließlich am belasteten Wirbelsäulenabschnitt oder nur dort in besonderer Ausprägung vorhanden seien. Seien gleichartige Veränderungen an zwei oder an allen Wirbelsäulenabschnitten vorhanden, sei eine Berufskrankheit nicht wahrscheinlich. Daher könne eine Berufskrankheit im Bereich der Lendenwirbelsäule des Klägers nicht anerkannt werden.

Sodann hat die Beklagte eine weitere Einschätzung der Schwingungsbelastung des Klägers vorgelegt, die von Frau Dipl.-Ing. W. und Dr.-Ing. X. vom BIA erstellt worden sind. In seiner Stellungnahme vom 20.09.2000 (Blatt 251 bis 253 Gerichtsakte) stimmt Dr. X. den Bewertungen der Schwingungsbelastung durch Prof. U. im Wesentlichen zu, insbesondere insoweit, als Erdbaumaschinen und LKW für bestimmte Zeitanteile im Gelände und auf unbefestigten Wegen und dergleichen Schwingungen erzeugt hätten, die als stoßhaltig anzusehen seien. Auf Baggern seien stoßhaltige Schwingungen, zumindest in der vertikalen Schwingungsrichtung, eher nicht anzutreffen, dagegen auf Ladern nicht auszuschließen. Eine ungünstige Körperhaltung im Sinne des Ärztlichen Merkblattes müsse bei üblichem Fahrbetrieb auf LKW nicht, auf Baggern ebenfalls nicht angenommen werden, auf Ladern sei sie nicht auszuschließen. Unter Berücksichtigung der aktenkundigen Aufschlüsselungen trügen die Straßenfahrten von LKW nicht zu einer stoßhaltigen Schwingung oder einer solchen in ungünstiger verdrehter Körperhaltung bei. Dies sei jedoch der Fall für Baustellenfahrtanteile der LKW sowie für die Bagger- und Ladertätigkeit. Aus diesem Grund sei die Tätigkeit von Januar 1980 bis Dezember 1984 mit einer Beurteilungs-Schwingstärke von 13,3 bei Stoßhaltigkeit bzw. ungünstiger Körperhaltung in die Berechnung mit einzubeziehen, während sich in der Zeit von Januar 1985 bis Dezember 1989 nur eine Beurteilungs-Schwingstärke von 12,2 ergebe und dieser Zeitraum daher nicht in die Gesamtdosis mit einzubeziehen sei. Hinsichtlich der Speditionsfahrten in den 60er Jahren ergebe sich kein Beitrag zur Gesamtschwingungsbelastung, wenn die Speditionsfahrten nicht täglich mehr als 6 Stunden über unbefestigte Straßen mit unebenem Untergrund geführt hätten, was unwahrscheinlich sei. Nach seiner Einschätzung sei damit höchstens eine Schwingungsbelastungsdosis von 436.300 im Zeitraum von Mai 1955 bis Dezember 1984 entstanden. Diese Gesamtschwingungsbelastungsdosis sei kleiner als die Richtwertdosis von 580.000. In ihrer Stellungnahme vom 28.09.2000 führt Frau Dipl.-Ing. W. aus, das generelle Zugrundelegen des niedrigeren Grenzwertes von Kr = 12,5 zur Beurteilung von Schwingungsbelastungen werde von den Berufsgenossenschaften der Bauwirtschaft abgelehnt, da ein konkreter Schwellenwert für die Schwingungsbelastung aus der von Prof. Dupuis erwähnten Studie nicht abgeleitet werden könne. Eine kumulative schichtbezogene Belastungsbeurteilung von kombinierten Belastungen durch Ganzkörperschwingungen im Sinne der BK 2110 einerseits und durch Belastungen der BK 2108 andererseits werde derzeit von den Berufsgenossenschaften ebenfalls nicht angewendet, da hierzu noch keine entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen. In einer ergänzenden Stellungnahme von 19.10.2000 schließt Frau W. auch für den Zeitraum von Januar 1980 bis Dezember 1984 eine Gefährdung des Klägers im Sinne der BK 2110 aus, weil erfahrungsgemäß beim Bagger- und Ladereinsatz in maximal 50 % der Einsatzzeit eine verdrehte Körperhaltung eingenommen werde.

Das Gericht hat sodann eine ergänzende Stellungnahme von Prof. I. und Prof. U. eingeholt. In dieser Stellungnahme vom 25.01.2001, zu deren vollständigem Inhalt auf Blatt 260 bis 275 der Gerichtsakte Bezug genommen wird, führen die Sachverständigen zunächst aus, bei dem Kläger bestünden nicht in allen Wirbelsäulenabschnitten gleichermaßen fortgeschrittene Degenerationen, sondern nur im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule, wobei jedoch die Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule deutlich stärker ausgeprägt seien als in anderen Bereichen der Wirbelsäule. Zur Frage der Bedeutung von Stoßhaltigkeit bei der Bewertung der Schwingungsbelastung führen die Sachverständigen aus, nach eingehender Diskussion der Untersuchungsergebnisse der genannten Langzeitstudie habe der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gebeten, die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen der BK 2110 vorzusehen. Inzwischen sei ein Arbeitskreis unter Federführung der Sachverständigen gegründet worden, der einen Vorschlag zur Überarbeitung des Ärztlichen Merkblattes entwerfen solle. Diese Empfehlungen würden darauf hinauslaufen, dass als genereller Richtwert der Tagesdosis Kr = 12,5 vorgeschlagen werde. Ebenso sei eine Überarbeitung der nationalen bzw. internationalen Regelwerke ISO 2631 bzw. VDI 2057 in Arbeit. Es solle keine Differenzierung mehr nach stoßhaltiger bzw. nicht stoßhaltiger Schwingungsbelastung oder Exposition in ungünstiger Körperhaltung vorgenommen werden. Hinsichtlich der kumulativen Belastungsbeurteilung von kombinierten Belastungen im Sinne der BK 2108 und 2110 weisen sie darauf, das Krankheitsbild beider Berufserkrankungen sei identisch und unterscheide sich in keiner Weise. Da eine Vielzahl Beschäftigter bei ihrer beruflichen Tätigkeit sowohl Schwingungsbelastungen als auch Belastungen durch Heben und Tragen schwerer Lasten ausgesetzt sei, sei es nicht nur logisch sondern auch unabdingbar, beide Belastungsarten, sofern sie auftreten, kumulativ zusammenzufassen. Ein entsprechendes Berechnungsverfahren stehe im Rahmen des Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) zur Verfügung.

Das Gericht hat schließlich noch eine Anfrage an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) gerichtet zum Stand der Umsetzung der genannten epidemiologischen Langzeitstudie "Ganzkörpervibrationen". Hierzu hat das BMA mitgeteilt, die Sektion Berufskrankheiten des Ärztlichen Sachverständigenbeirates habe eine Überarbeitung des Ärztlichen Merkblattes zur BK 2110 beraten, diese Beratungen seien jedoch noch nicht abgeschlossen. Die Norm ISO 2631 befinde sich in der routinemäßigen Überprüfung hinsichtlich ihrer weiteren Gültigkeit. Es sei jedoch nicht damit zu rechnen, dass die Aktualisierung den Richtwert der Tagesdosis betreffen werde.

Der Kläger vertritt unter Bezugnahme auf die vom Gericht eingeholten Gutachten und Stellungnahmen weiterhin die Ansicht, die bei ihm bestehende Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule sei als Berufskrankheit anzuerkennen und er habe auch einen Anspruch auf Verletztenrente.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 21.11.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2110 und 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung und Zugrundlegung eines Versicherungsfalles vom 07.03.1994 eine Verletztenrente in gesetzlichem Umfang nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie vertritt unter Bezugnahme auf eine fachorthopädische Stellungnahme von Dr. V. vom 21.02.2001 weiterhin die Ansicht, die vom Gericht beauftragten Sachverständigen hätten die im Bereich der Halswirbelsäule bestehenden bandscheibenbedingten Veränderungen nicht ausreichend berücksichtigt. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass gravierende degenerative Veränderungen bei dem Kläger sowohl an der Lendenwirbelsäule als auch an seiner Halswirbelsäule vorlägen. Die Beklagte weist weiter darauf hin, dass eine allgemein akzeptierte einheitliche Berechnungsweise hinsichtlich des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne der BK 2108 und/oder 2110 bislang nicht habe erreicht werden können. Nach dem geltenden amtlichen Merkblatt zur BK 2110 sei gegenwärtig weiterhin von einer festgelegten Beurteilungs-Schwingstärke von Kr = 16,2 auszugehen, allein der von den Sachverständigen erwähnte Vorschlag zur Herabsetzung des Richtwertes rechtfertige nicht, bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt diesen niedrigeren Grenzwert zugrunde zu legen. Bezüglich der vom Versicherten verrichteten Mischtätigkeiten vertritt sie weiter die Ansicht, eine kumulative schichtbezogene Belastungsbeurteilung sei weiterhin sehr umstritten.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der BK-Akte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig; insbesondere ist sie innerhalb der einmonatigen Klagefrist des S 87 Abs. I und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei dem erkennenden Gericht eingegangen.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 21.11.1994 und der Widerspruchsbescheid vom 09.05.1995 sind insoweit rechtswidrig, als es die Beklagte abgelehnt hat, die bandscheibenbedingte Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und ihm wegen deren Auswirkungen eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2110 der Anlage 1 zur BKVO und Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente aus gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von 20 v. H. der Vollrente unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles am 07.03.1994.

Rechtsgrundlage dieser Entscheidung sind die §§ 551, 548, 539 Abs. 1 Nr. 1, 580 und 581 der Reichsversicherungsordnung (RVO), die auch nach der mit Wirkung vom 01.01.1997 erfolgten Eingliederung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (7. Buch - SGB VII -) durch das Unfallversicherungs-Eingliederungsgesetz vom 07.08.1996 auf den vorliegenden Fall weiter Anwendung finden (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII), in Verbindung mit der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1992. Nach § 551 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit. Dabei sind Berufskrankheiten diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. In der Anlage zur BKVO sind als eine solche Berufskrankheit bezeichnet worden unter der Nr. 2108 "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können" und unter der Nr. 2110 "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".

Der vorliegende Rechtsstreit ist dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen als auch die medizinische Kausalitätsbeurteilung zwischen den Beteiligten streitig ist und außerdem zwischen den Beteiligten Uneinigkeit darüber besteht, ob die beruflich bedingten Belastungen der Lendenwirbelsäule eines Arbeitnehmers im Sinne der BK 2110 einerseits und der BK 2108 andererseits addiert werden können, um das Vorliegen der haftungsbegründenden Voraussetzungen einer beruflich bedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung zu begründen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Beklagte im Verlauf des Feststellungs- und Gerichtsverfahrens die unterschiedlichsten Beurteilungen und Berechnungen über die Schwingungsbelastungen im Sitzen, denen der Kläger im Verlauf seines Berufslebens ausgesetzt gewesen ist, vorgelegt hat, die zumindest bei dem Kläger den Eindruck erwecken mussten, dass die Beklagte immer dann, wenn eine Berechnung der Schwingungsbelastung zu dem Ergebnis kam, dass der Dosisrichtwert erreicht oder überschritten gewesen ist, weitere Stellungnahmen ihres Technischen Aufsichtsdienstes eingeholt hat, bis schließlich der Dosisrichtwert nach der vorgelegten Berechnung deutlich unterschritten war. Die Kammer hat daher bereits in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten die unterschiedlichen Berechnungen der Belastungsdosis erörtert und hat dabei auf Fehler oder Unstimmigkeiten in der Berechnung hingewiesen und der Vorsitzende hat die von ihm auf der Grundlage der aktenkundigen Unterlagen vorgenommene Berechnung der Belastungsdosis dargelegt.

Nach dem Gesamtergebnis der im Verlauf des Feststellungsverfahrens der Beklagten und des Gerichtsverfahrens durchgeführten Ermittlungen ist die erkennende Kammer zusammenfassend zu der Beurteilung gekommen, dass bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 2110 und 2108 der Anlage 1 zur BKVO vorliegt. Dabei geht die Kammer davon aus, dass es sich bei den genannten Berufskrankheiten zwar um formal getrennte Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung handelt, die aber an das gleiche Krankheitsbild, nämlich eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, anknüpfen und dasselbe Zielorgan, nämlich die Lendenwirbelsäule, betreffen. Die Kammer geht daher in Übereinstimmung mit dem Landesgewerbearzt M. und den vom Gericht von Amts wegen gehörten Sachverständigen davon aus, dass die tatbestandlichen Belastungen im Sinne der BK 2110 einerseits und der BK 2108 andererseits ein kumulativ wirkendes Schädigungspotential haben, so dass die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Nummern 2108 und 2110 möglich ist. Soweit die Beklagte auch in ihren letzten Schriftsätzen weiterhin die Ansicht vertreten hat, bezüglich der vom Kläger verrichteten Mischtätigkeiten im Sinne der Ziffern 2108 und 2110 sei eine kumulative schichtbezogene Belastungsbeurteilung "weiterhin sehr umstritten", dürfte diese Ansicht durch die aktuellen Veröffentlichungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften überholt sein. Der Landesgewerbsarzt M. hatte in seiner vom Gericht eingeholten Stellungnahme bereits darauf hingewiesen, dass insbesondere die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften auf Grund der in ihrem Versichertenkreis üblichen einschlägigen Mischbelastungen bereits regelmäßig ein entsprechendes Additionsmodell anwenden. Dem vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegebenen BK-Report 2/2003 "Wirbelsäulenerkrankungen" ist in Abschnitt 3.4 zu entnehmen, dass zur Möglichkeit der Zusammenfassung von Belastungszeiten verschiedener lendenwirbelsäulenbelastender Tätigkeiten mit unterschiedlichen BK-Nummern (BK 2108 und 2110) in den Ärztlichen Merkblättern des BMA keine Aussage gemacht wird, andererseits aber für bestimmte Berufsgruppen und Gewerbszweige, wie z. B. Landwirtschaft, Tief- und Straßenbau, Transportwesen usw., davon auszugehen sei, dass Belastungen durch manuelles Heben oder Tragen oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung sowie durch Ganzkörperschwingungen täglich und/oder hintereinander an unterschiedlichen Tagen vorkommen können. Für diese Tätigkeiten sei eine zusammenfassende Beurteilung beider Belastungsarten möglich. Mischbelastungen könnten dadurch vorliegen, dass sowohl innerhalb der Arbeitssicht wie auch an unterschiedlichen Tagen Belastungen durch Heben oder Tragen oder durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung und durch Ganzkörperschwingungen vorkommen. Da eine direkte Addition der für die Arbeitsschicht oder für das Berufsleben bestimmten Belastungsdosiswerte aufgrund der unterschiedlichen Bestimmungsformeln und der vorgeschlagenen Dosisrichtwerte nicht möglich sei, könne eine gemeinsame Beurteilung der verschiedenen Belastungen nur mit Hilfe eines zusammenfassenden Verfahrens erfolgen. Dazu wird im BK-Report 2/2003 eine Vorgehensweise vorgeschlagen, mit der die einzelnen Belastungsdosiswerte normiert und relativ zu einem Gesamtwert (Belastungsgrad) zusammengeführt werden, mit dessen Hilfe eine Beurteilung erfolgen könne. Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus den Seiten 128 bis 138 des BK-Reports 2/2003. Da der BK-Report ausweislich seines Vorwortes vom Arbeitskreis "Wirbelsäulenerkrankungen" beim HVBG erarbeitet worden ist und praktische Empfehlungen und Auslegungshinweise für die Sachbearbeitung enthält, geht die Kammer davon aus, dass es sich hierbei um einen Konsens auf Seiten der gewerblichen Berufsgenossenschaften handelt, so dass die entgegenstehenden schriftsätzlichen Äußerungen der Beklagten insoweit überholt sein dürften.

Nach dem Gesamtergebnis der Arbeitstechnischen Ermittlungen und Feststellungen ist die Kammer davon überzeugt, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers in der Zeit von Mai 1955 bis März 1994 die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Nummern 2110 und 2108 erfüllt.

Darüber, welche Voraussetzungen für die Annahme einer "langjährigen" Tätigkeit mit Heben oder Tragen "schwerer" Lasten oder einer "langjährigen" Tätigkeit mit vorwiegender vertikaler Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen erfüllt sein müssen, sagt der Text der BKVO und ihrer Anlagen nichts, und auch in der Rechtsprechung und Literatur besteht keine Einigkeit über die nähere Definition dieser Voraussetzungen. Auch die so genannten Gesetzesmaterialien (Bundesratsdrucksache 737/92) enthalten insofern keine Aussagen. Die vom BMA herausgegeben Merkblätter für die Ärztliche Untersuchung zur BK 2108 und 2110 (veröffentlicht im Bundesarbeitsblatt 3/1993, Seiten 50 ff.) sind ebenfalls rechtlich nicht verbindlich, enthalten aber Hinweise auf die der Anerkennung der Berufskrankheiten zu Grunde liegenden epidemiologischen Studien und damit Anhaltspunkte für die Ausfüllung der Begriffe der schweren Lasten, der Ganzkörperschwingungen und der Langjährigkeit. Darüber hinaus wurde von einigen Berufsgenossenschaften bis 1999 die Beurteilung der ausreichenden Wirbelsäulenbelastungen anhand eines linearen Dosismodells nach Hartung und Dupuis vorgenommen. Anfang 1999 machte eine Autorengruppe aus Gewerbeärzten, Medizinern, Technischen Aufsichtsbeamten und Juristen mit dem sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) einen neuen Vorschlag zur systematischen Beurteilung der Belastung der Lendenwirbelsäule durch Heben und Tragen schwerer Lasten. Auch dieses Verfahren ist aber nicht unumstritten. Für den Bereich der Schwingungsbelastungen im Sinne der BK 2110 wird bereits im Ärztlichen Merkblatt auf ein Verfahren verwiesen, dass von Hartung und Dupuis in den Jahren 1993 und 1994 entwickelt worden ist und das sowohl den von der Beklagten eingereichten Stellungnahmen als auch den Berechnungen durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen zu Grunde liegt. Insoweit wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Seiten 37 bis 42 des Gutachtens vom 06.07.2000 Bezug genommen. Auch das Gericht legt seiner Entscheidung diese Berechnungsmethode zu Grunde.

Dabei brauchte das Gericht im Ergebnis nicht darüber zu entscheiden, ob, wie Prof. Dr. Dupuis und Prof. Dr. Konietzko auf der Grundlage der von ihnen zitierten Langzeitstudie vorgeschlagen haben, alle Schwingungsbelastungen mit einer Beurteilungsschwingstärke von mindestens 12,5 in die Gesamtbelastung einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob es sich um stoßhaltige Schwingungen oder Schwingungsbelastungen in ungünstiger Körperhaltung handelt oder nicht. Würde man eine Beurteilungsschwingstärke von 12,5 aus reichen lassen, dann wären die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2110 zweifellos erfüllt, wie die Technische Aufsichtsbeamtin S. in ihrer Stellungnahme vom 25.10.1994 errechnet hatte und zu einer Gesamtdosis von 631.181 kam, die den Dosisrichtwert von 580.000 deutlich überschreitet.

Die Kammer kommt auch ohne die Einbeziehung nicht stoßhaltiger Schwingungsbelastungen mit einer Beurteilungsschwingstärke unter 16,2, aber unter zusätzlicher Einbeziehung der Wirbelsäulenlastungen im Sinne der BK 2108, zu dem Ergebnis, dass die haftungsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei hat die Kammer zunächst in Übereinstimmung auch mit der Beklagten die Schwingungsbelastungen beim Gabelstaplerfahren von Januar 1960 bis März 1961, Mai 1963 bis Mai 1964 und Mai 1968 bis Februar 1969 in die Gesamtbelastung einbezogen (lfd. Nr. 2, 4 und 6 der Tabelle 2 auf Seite 52 des Gutachtens I., Blatt 180 Gerichtsakte). Zusätzlich einbezogen in die Gesamtdosis hat die Kammer die Tätigkeit des Klägers als LKW-Fahrer und Bagger- sowie Laderführer in der Zeit von Jan 1980 bis Dezember 1984 (lfd. Nr. 10b der genannten Tabelle 2). Bei der Berechnung der hieraus resultierenden Schwingungsdosis folgt die Kammer den Annahmen und Ausführungen des Herrn Dr. X. in seiner Stellungnahme vom 20.09.2000. In diesem Zeitabschnitt von 1980 bis 1984 hatte sich die berufliche Belastung des Klägers in der Weise geändert, dass er außer LKW auch Bagger und Lader gefahren hat, was nach der ersten Beurteilung mit einer Tagesdosis von Kr = 14,4 verbunden war, nach der Berechnung von Dr. X. aber nur eine Tagesdosis von Kr = 13,3 bedingte. Der nachfolgende Zeitabschnitt von Januar 1985 bis Dezember 1989 (lfd. Nr. 10c), der von Dr. O. und diesem folgend auch von Frau S. und Prof. U. mit einer Tagesdosis von Kr = 13,3 bewertet worden ist, bedingt nach der auch für die Kammer nachvollziehbaren Berechnung des Herrn Dr. X. nur eine Tagesdosis von Kr = 12,2 und kann damit nicht in die Gesamtschwingungsbelastung einbezogen werden. Ursache für die unterschiedliche Bewertung der Zeit von 1980 bis 1984 einerseits und 1985 bis 1989 andererseits war, dass nach den Ausführungen von Dr. O. bis 1985 Maschinen mit gefederten Sitzen benutzt wurden und ab 1985 Maschinen mit Schwingsitzen, weshalb die vom BIA ermittelten mittleren Schwingungswerte im ersten Zeitraum mit einer bewerteten Schwingstärke von Keq = 21 und im zweiten Zeitraum mit Keq = 18 bewertet worden sind. Hieraus resultiert bei zutreffender Berechnung im ersten Zeitraum eine Tagesdosis von Kr = 13,2 und im zweiten Zeitraum von Kr = 12,2. Wegen der Einzelheiten dieser Berechnung wird auf Seite 3 der Stellungnahme von Dr. X. vom 20.09.2000 Bezug genommen (Blatt 253 Gerichtsakte = Blatt 429 BK-Akte). Von den in den Jahren 1980 bis 1984 ausgeübten Tätigkeiten hat Dr. X. nachvollziehbar für die Baustellenfahrtanteile der LKW und für die Bagger und Ladertätigkeit Stoßhaltigkeit oder die Verbindung mit verdrehter Körperhaltung angenommen. Soweit Frau Dipl.-Ing. W. auf Intervention der Beklagten mit Schreiben vom 18.10.2000 dann in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 19.10.2000 auch die Tätigkeit von 1980 bis 1984 mit einer Tagesdosis von Kr = 11,1 und damit unterhalb des Grenzwertes von Kr = 12,5 bewertet, so folgt die Kammer dieser Beurteilung nicht. Der Technische Aufsichtsbeamte Dr. O., der auch nach Auskunft von Prof. Dr. U. für die vorliegenden Fragen als besonders kompetenter Technischer Aufsichtsbeamter anzusehen ist, hat für die gesamte Tätigkeit auf Baggern und Ladern von 1980 bis 1984 ausdrücklich Stoßhaltigkeit angenommen. Auch wenn Dr. X. insoweit Stoßhaltigkeit und verdrehte Körperhaltung nur als "Möglichkeit" bezeichnet hat, hat die Kammer keine Bedenken der Beurteilung des ausgewiesenen Fachmanns Dr. O. hinsichtlich der Stoßhaltigkeit der Schwingungsbelastungen in diesem Zeitraum zu folgen.

Soweit Dr. X. bei der Einschätzung der Gesamtschwingungsbelastungsdosis auf einen Wert von Dv = 436.300 kommt, ist dieser Wert allerdings zu korrigieren, weil Herr Dr. X. hierbei für den Zeitraum gemäß lfd. Nr. 10b die anteilige Gesamtschwingungsbelastungsdosis von 228.100 aus den Berechnungen von Dr. O., Frau S. und Prof. U. übernommen hat ohne zu berücksichtigen, dass die Tagesdosis nicht mit 14,4 sondern mit 13,3 zu bewerten ist. Bei korrekter Berechnung ergibt sich eine anteilige Gesamtschwingungsbelastungsdosis von 194.579. Dieser Annahme liegt folgende Berechnung zugrunde:

Dv = Kr² x d = 13,3² x (5 x 220 Arbeitstage) = 176,89 x 1100 = 194.579.

Hieraus folgt nach den Berechnung des Gerichts eine Gesamtschwingungsbelastungsdosis von Dv = 82.305 + 71.931 + 54870 + 194.579 = 403.685. Dies sind knapp 70 % der Richtwertdosis von 580.000.

Zu dieser Belastung hinzu kommen die Belastungen des Klägers im Sinne der BK 2108 in der Zeit von Januar 1990 bis März 1994. Hierzu liegen zwar keinerlei Berechnungen etwa im Sinne des MDD vor, jedoch hat Frau Dipl.-Ing. S. in ihrer Stellungnahme vom 25.10.1994 insoweit eine ausreichend hohe Belastung angenommen, die Erfüllung der Voraussetzungen einer BK 2108 aber abgelehnt, weil es an der Langjährigkeit von mindestens 10 Jahren fehle. Dieser Beurteilung von Frau S. schließt sich die Kammer unter Einbeziehung der Ermittlungsergebnisse des Technischen Aufsichtsbeamten P. in seiner Stellungnahme vom 24.05.1994 an. Dieser hatte für die Zeit von 1990 bis 1994 Hebe- und Tragebelastungen von mehr als 25 kg in ca. 15 % der Arbeitszeit und extreme Rumpfbeugehaltung in weiteren 10 % der Arbeitszeit festgestellt. Hinzuzurechnen sind die sich auch auf die Lendenwirbelsäule belastend auswirkenden Hebe- und Tragebelastungen auf der Schulter, die mit weiteren 5 % anzusetzen sind. Hinzu kommt, dass der Kläger zu dieser Zeit bereits das vierzigste Lebensjahr vollendet hatte und daher bereits Lasten von mindestens 20 kg als "schwer" anzusehen waren. Der Kläger hat also von 1990 bis Anfang 1994 etwa vier Jahre lang 30 % seiner täglichen Arbeitszeit belastende Tätigkeiten im Sinne der BK 2108 ausgeführt. Mit über vier Jahren einer derartigen beruflichen Belastung hat der Kläger etwa 40 % der "Mindestdosis" einer langjährigen Tätigkeit im Sinne der BK 2108 erfüllt.

Aus der Addition der Belastungen im Sinne der BK 2110 einerseits und der BK 2108 andererseits ergibt sich somit ein Gesamtbelastungsgrad von 70 % + 40 % = 110 %, so dass die haftungsbegründenden Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit erfüllt sind.

Auf der Grundlage der vom Landesgewerbsarzt und dem Gericht eingeholten Sachverständigengutachten ist die Kammer auch davon überzeugt, dass die bei dem Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehende bandscheibenbedingte Erkrankung wesentlich ursächlich auf beruflichen Belastungen der Lendenwirbelsäule des Klägers zurückzuführen ist. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit, dass bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Lendenwirbelsäulenerkrankung vorliegt. Es handelt sich dabei, wie bereits Dr. L. in seinem Gutachten vom 21.09.1993 festgestellt hat, um ein lokales Lumbalsyndrom mit einem polyradikulären lumbalen Wurzelreizsyndrom mit Ausstrahlungen in die beiden Beine sowie Reflexabschwächung, motorischen Störungen und Sensibilitätsstörungen. Die Lokalisation des Syndroms konzentriert sich auf die unteren drei Lendensegmente, wo röntgenologisch progrediente Veränderungen der Bandscheibenräume der vorderen Wirbelanteile und der Wirbelgelenke bestehen. Im Einzelnen war im Segment L3/L4 eine geringgradige Osteochondrose festzustellen, im Abschnitt L4/L5 eine Spondylochondrose mit konzentrischer Aufwölbung des Anulus fibrosus sowie Entwicklung eines paramedianen rechtsseitig betonten Bandscheibenprolaps mit Diskusüberhang von ca. 6 mm und einer geringgraden Spondylarthrose und schließlich im Segment L5/S1 eine Spondylochondrose mit deutlichen Höhenverlust des Bandscheibenfaches, mäßiggradiger Protrusio disci mit begleitender Retrospondylose mit paramedianer linksseitiger Betonung und einer Irritation der linken S1-Wurzel sowie einer Spondylarthrosis deformans. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. I. und Prof. U. ergibt sich zusammenfassend nach den vorliegenden fachärztlichen Befunden und der in ihrem Institut ambulant durchgeführten Untersuchung, dass bildtechnisch nachgewiesene degenerative Veränderungen in drei Segmenten der unteren Lendenwirbelsäule vorliegen, die mit chronischen rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen verbunden sind. Diese degenerativen Veränderungen gehen über das altersnormale Maß hinaus. Es handelt sich auch um ein belastungskonformes Schadenbild im Sinne der BK Nr. 2108 und 2110. Das Gericht geht in Übereinstimmung mit Dr. L., Prof. Dr. I. und auch Dr. Y. davon aus, dass es insbesondere für die Kombination von beruflichen Belastungen im Sinne der BK 2108 und 2110 kein so genanntes belastungstypisches Schadensbild gibt. Prof. Dr. I. hat nachvollziehbar dargelegt, dass insbesondere für die BK 2110 kein belastungstypisches Schadensmuster angenommen werden kann, weil ein solches bisher kaum untersucht worden ist. Nach den von ihm mehrfach zitierten Studien aus den Jahren 1989 und 1999 lasse sich aber bei schwingungsbelasteten Personen bei Ausmessung der Diskushöhen ein leichter Anstieg von unphysiologischen Veränderungen der Diskushöhe im unteren LWS-Bereich ab L3/L4 bis L5/S1 aufzeigen. Dies entspricht exakt dem Schadensmuster an der Lendenwirbelsäule des Klägers. Soweit Dr. Y. eingewandt hat, die vom Gericht gehörten Sachverständigen hätten nicht ausreichend beachtet, dass auch an der Halswirbelsäule des Klägers degenerative Veränderungen festgestellt worden sind, so steht dies der Anerkennung der Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers als Berufskrankheit nicht entgegen. Allein das Vorliegen degenerativer Veränderungen auch in anderen Wirbelsäulenabschnitten schließt die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht aus, sondern nach der Rechtsprechung der Kammer spricht allein ein gleichmäßig die gesamte Wirbelsäule betreffendes Verteilungsmuster bandscheibenbedingter Erkrankungen mit großer Wahrscheinlichkeit gegen das Vorliegen einer Berufsbedingtheit und für das Vorliegen einer Anlagebedingtheit. Auch würde gegen einen beruflichen Ursachenzusammenhang sprechen, wenn über die Wirbelsäule hinausgehend, insbesondere an Schulter-, Knie- und Hüftgelenken, eine generelle Verschließbereitschaft festzustellen wäre. Derartiges ist jedoch beim Kläger nicht festgestellt worden. Bereits Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 21.09.1993 darauf hingewiesen, dass im Falle des Klägers konkurrierende Faktoren im Sinne von Fehlbelastungen der Lendenwirbelsäule durch außerberufliche Tätigkeiten wie etwa Eigenleistung beim Hausbau, schwere Gartenarbeit oder bestimmte Sportarten bzw. einseitig die Wirbelsäule belastende Trainingsmethoden in der Freizeit ebensowenig vorgelegen hätten wie genetische Prädispositionen oder andere konkurrierende Faktoren, wie z. B. angeborene oder erworbene Fehlbildungen der Lendenwirbelsäule, eine Spondylolisthesis, eine Spondylitis, Tumoren, eine Osteoporose oder Frakturen, Wirbelfehlbildungen o. ä. Selbst unter Einbeziehung des von der Beklagten und Dr. Y. in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellten degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule des Klägers ist jedenfalls keine allgemeine Verschleißbereitschaft anzunehmen, so dass die beruflichen Belastungen der Lendenwirbelsäule des Klägers im Sinne der in der gesetzlichen Unfallversicherung anzuwendenden Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung zumindest als wesentliche und damit rechtlich bedeutsame Mitursache für die Entstehung der Lendenwirbelsäulenerkrankung angesehen werden müssen.

Nach den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. L. einerseits und Prof. Dr. I. andererseits bestand aus ärztlicher Sicht für den Kläger auch der Zwang zur Unterlassung der wirbelsäulenbelastenden beruflichen Tätigkeiten im Sinne der BK-Nummern 2108 und 2110. Der Kläger hat die belastende Tätigkeit dann auch tatsächlich mit dem 07.03.1994 endgültig aufgegeben, so dass eine Berufskrankheit nach Nr. 2110 und 2108 der Anlage 1 zur BKVO vorliegt.

Die durch die Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers schätzt die Kammer im Übereinstimmung mit Dr. L. und Prof. I. auf 20 v. H. Diese Bewertung entspricht den Vorschlägen in der einschlägigen Gutachtensliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage 1998, Abschnitt 8.3.5.5.6, Seite 540). Hiernach beträgt die MdE 10 v. H. für eine Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule mit funktionell nicht bedeutsamen neurologischen Ausfällen, 20 v. H. bei einer starken Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule und 30 v. H. bei einer Funktionseinschränkung mit funktionell bedeutsamen motorischen Ausfällen und/oder ausgeprägtem, funktionell schwerwiegendem chronischen Wurzelreizsyndrom. Unter Zugrundelegung dieser Tabelle schließt sich die Kammer der von den Sachverständigen übereinstimend vorgenommenen Schätzung der durch die Berufskrankheit bedingten MdE des Klägers mit 20 v. H. an.

Die Kammer konnte und musste auf Grund der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorhandenen Erkenntnisse nicht entscheiden, ab wann die Beklagte dem Kläger auf der Grundlage einer durch die Berufskrankheit bedingten MdE von 20 v. H. eine Verletztenrente zu gewähren hat. Zwar steht mit der Berufsaufgabe am 07.03.1994 der Tag des Versicherungsfalles fest, der Kläger bezog seinerzeit aber Krankengeld, möglicherweise bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ihm von der LVA Hessen Rente wegen Berufsunfähigkeit bewilligt worden ist. Den Zeitpunkt des Rentenbeginnes kann die Beklagte aber ohne weiteres bei Ausführung des Urteils auf der Grundlage von § 580 Abs. 3 RVO festlegen. Da der Kläger nach dem 07.03.1994 die Arbeitsfähigkeit im bisherigen Beruf zweifelsfrei nicht wiedererlangt hat, beginnt die Rente nicht mit dem Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung (§ 580 Abs. 2 RVO), sondern nach dem Tage, an dem die Heilbehandlung soweit abgeschlossen war, dass der Kläger eine geeignete Berufs- oder Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen konnte, jedoch nicht, solange die Voraussetzungen für die Zahlung von Verletztengeld vorlagen, (§ 580 Abs. 3 Nr. 1 RVO).

Die Kostenentscheidung beruht auf S 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved