S 3 U 11/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 3 U 11/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für eine hyperbare Sauerstofftherapie in Höhe von insgesamt 2642,50 EUR.

Der im Jahr 1966 geborene Kläger ist als selbständiger Landwirt tätig. Entsprechend seiner Unfallanzeige vom 04.05.2015 erlitt er am 14.03.2015 einen Unfall, als er eine Wühlmausfalle aufstellte. Beim Aufstellen der Falle im Wühlmausgang löste sich ein Schuss und es gab einen lauten Knall. Der Durchgangsarzt diagnostizierte am 14.03.2014 ein Knalltrauma beidseits, Ausschluss Laryngitis und Presbyakusis. Er leitete eine Steroidtherapie ein.

Am 23.04.2015 beantragte der Kläger unter der Diagnose Knalltrauma, Tinnitus aurium rechts, akute Innenohrperzeptionsstörung, periphere Ischämie die Durchführung einer hyperbaren Sauerstofftherapie in Form von 15 Anwendungen nach dem Innenohrschema.

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. N. ein, die dieser am 17.05.2015 erstattete und ausführte, der Kläger habe ein Knalltrauma erlitten. Es sei keine vorübergehende Vertäubung eingetreten und ein bleibender Schaden sei nicht zu erwarten. Die hyperbare Sauerstofftherapie sei aufgrund eines fehlenden Wirksamkeitsnachweises nicht zu empfehlen.

Mit Bescheid vom 19.05.2015 lehnte die Beklagte die Übernahme der Behandlungskosten für eine hyperbare Sauerstofftherapie nach Innenohrschema unter Bezugnahme auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. N. ab.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 07.06.2015 Widerspruch ein.

Die Beklagte holte eine erneute beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. N. ein, die dieser am 20.11.2015 erstattete und ausführte, entsprechend der medizinischen Unterlagen habe sich das Ohrgeräusch des Klägers trotz der hyperbaren Sauerstofftherapie nicht gebessert. Auch die wissenschaftliche Datenlage habe sich nicht geändert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 11.01.2016 Klage erhoben.

Er ist der Ansicht die Kosten für die hyperbare Sauerstofftherapie seien zu übernehmen bzw. er sei hiervon freizustellen. Die Behandlung habe zu einer messbaren Besserung der Hörminderung geführt. Insofern könne auf die Geeignetheit der durchgeführten Behandlungsmethode geschlossen werden.

Der Kläger beantragt, 1. den Bescheid der Beklagten vom 19.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.12.2015 aufzuheben; 2. die Beklagte zu verpflichten im Rahmen der Kostenübernahme für die durchgeführte hyperbare Sauerstofftherapie an den Kläger einen Betrag i.H.v. 1500,00 EUR zu zahlen; 3. die Beklagte insofern weiter zu verpflichten, den Kläger von einer weiteren Forderung der Praxis hyperbare Medizin i.H.v. 1142,50 EUR EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung Wesentlichen auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid.

Das Gericht hat zunächst die vollständigen Behandlungsunterlagen nebst Röntgenaufnahmen und Fremdarztberichten beigezogen von Dr. N., Facharzt für HNO-Heilkunde, Dr. L., Facharzt für HNO-Heilkunde, Dr. S., Dr. C., Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. G., Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, Dr. M., Facharzt für Orthopädie und dem St. K. Hospital, X ...

Das Gericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens auf hno-ärztlichem Fachgebiet von Prof. Dr. E., welches dieser am 28.06.2017 erstattet hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie den der Gerichtsakten.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Abs. 1 SGG.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kostenübernahme für die Kosten der hyperbaren Sauerstoffbehandlung in Höhe von 1.500,00 EUR.

Der Unfallversicherungsträger hat mit allen geeigneten Mitteln den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung). In diesem Rahmen haben Versicherte gemäß den §§ 26 Abs. 1, 27 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII Anspruch auf Heilbehandlung, hinsichtlich deren Art, Umfang und Durchführung dem Unfallversicherungsträger gemäß § 26 Abs. 5 SGB VII im Einzelfall ein pflichtgemäßes Auswahlermessen eingeräumt ist.

In der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie in anderen Sozialversicherungsbereichen das Sachleistungsprinzip, d.h. der Unfallversicherungsträger hat die zur Heilbehandlung bzw. beruflichen Wiedereingliederung erforderlichen Maßnahmen grundsätzlich als Sachleistung bzw. Naturalleistung zu gewähren; ein unmittelbarer Kostenerstattungsanspruch gegen den Unfallversicherungsträger für eine selbst beschaffte Leistung ist i.d.R. nicht gegeben (BSG, Urteil vom 24.02.2000, Breith 2000, 741). Das Sachleistungsprinzip für die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zur Heilbehandlung und Rehabilitation wurde eigens in § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII normiert. Ausnahmen sollen nur dann gelten, wenn dies im SGB VII ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen zur Leistungen zur Heilbehandlung findet unter den Voraussetzungen des analog anwendbaren § 13 Abs. 3 SGB V statt. Danach sind notwendige selbst beschaffte Leistungen vom Versicherungsträger in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn der Versicherungsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder der Versicherungsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Insoweit füllt § 13 Abs. 3 SGB V analog für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung eine Regelungslücke hinsichtlich der Kostenerstattung aus. Für eine weitere Ausdehnung des Kostenerstattungsanspruchs besteht aber kein Raum (BSG aaO).

Im Falle des Klägers sind die Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 13 Abs. 3 SGB V nicht gegeben. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte eine unaufschiebbare Leistung nicht bzw. eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, da die selbst beschaffte Leistung, hier die Inanspruchnahme eine hyperbaren Sauerstofftherapie, nicht geeignet ist, den Gesundheitsschaden des Klägers zu bessern.

Gemäß § 26 Abs. 2 SGB VII hat der Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern. Die Heilbehandlung in Form der ärztlichen Behandlung umfasst gemäß § 28 Abs. 2 SGB VII überdies einerseits nur die Tätigkeit der Ärzte, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich und zweckmäßig ist. Andererseits haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen zur Heilbehandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 26 Abs. 4 Satz 1 SGB VII).

Unter Berücksichtigung dieses gesetzlich aufgezeigten Rahmens der Heilbehandlung hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, dem Kläger die hyperbare Sauerstofftherapie zu bewilligen bzw. die Kosten hierfür zu erstatten. Denn es ist nicht hinreichend nachgewiesen, dass diese Therapie nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse geeignet ist, die Arbeitsunfallfolgen beim Kläger zu beseitigen oder zu lindern. Aus diesem Grund ist die Versorgung weder erforderlich noch zweckmäßig.

Geeignet ist eine Behandlungsmethode dann, wenn ihre Wirksamkeit nachgewiesen ist. Bei gesicherter und allgemein anerkannter genereller Wirksamkeit einer Heilmethode kann von der Zweckmäßigkeit bzw. Geeignetheit ausgegangen werden (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.04.2007 – L 6 U 38/05). Gehört eine neue Behandlungsmethode aus diesem Grund nicht zu dem allgemein anerkannten Leistungsspektrum, ist die objektive Wirksamkeit zu belegen. Eine Indizwirkung hat z. B. eine Richtlinie gemäß § 135 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung), wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung damit die Anerkennung des therapeutischen Nutzens einer neuen Behandlungsmethode empfohlen hat und sie deshalb gesetzlich Krankenversicherten ärztlich verordnet werden darf (vgl., LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.04.2007 – L 6 U 38/05). Mit Beschluss vom 10.04.2000 hat der damalige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (seit 1. Januar 2004: Gemeinsamer Bundesausschuss) ausdrücklich entschieden, dass die hyperbare Sauerstofftherapie nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden darf.

Auch wenn der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses die generelle Geeignetheit der hyperbaren Sauerstofftherapien in Frage stellt, kann dies nur ein einzelnes Indiz bei der Beurteilung des Heilbehandlungsanspruchs im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung sein. Es kommt weder eine direkte noch eine entsprechende Anwendung der Richtlinie als Ausschlusstatbestand in Betracht, weil die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses ihre Grundlage im Leistungs- und Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung haben, welches mit unterschiedlichen Schwerpunkten und differenzierter geregelt ist als in der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. LSG Sachsen-Anhalt a.a.O.).

Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Beachtung des medizinischen Fortschritts (§ 26 Abs. 4 Satz 1 a. E. SGB VII). Aber auch dieser Umstand vermittelt den vom Kläger begehrten Anspruch nicht. Das Gericht stützt sich in der Beurteilung auf das Ergebnis der Beweisaufnahme. Nach den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. E. scheidet eine hyperbare Sauerstofftherapie sowohl als Therapie der ersten Wahl als auch als flankierende Maßnahme nach den HNO-Leitlinien und nach dem Cochrane-Rewiev aus. Der Nachweis einer Effektivität der hyperbaren Sauerstofftherapie ist bei einer Innenohrhochtonschwerhörigkeit und einem beidseitigen subjektiven Tinnitus nicht erbracht. Wie der Sachverständige ausführte, fehlen Studien mit hoher Evidenz, da die Therapie in der Regel eher sekundär oder in Kombination mit anderen durchgeführt wird, so dass der Nachweis einer Besserung des Hörverluste alleinig oder im wesentlichen durch eine hyperbare Sauerstofftherapie in der akuten Phase bisher nicht erbracht werden konnte. Wie der Sachverständige schlüssig und nachvollziehbar ausführte besteht die Innenohrhochtonschädigung und der Tinnitus beidseits beim Kläger auch noch aktuell.

2. Aus den oben genannten Gründen war auch der Anspruch auf Freistellung einer weiteren Forderung der Praxis hyperbare Medizin i.H.v. 1142,50 EUR abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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