Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AL 57/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 174/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 12.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 sowie der Bescheid vom 15.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger zu 1) sowie der Klägerin zu 2) Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten der Kläger zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Kläger auf Arbeitslosenhilfe.
Der Kläger zu 1) wurde am 00.00.1955 geboren. Er arbeitete zuletzt bis Juni 2000 als Betriebsleiter bei der Firma B, G. Anschließend bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Dieser Anspruch war am 23.12.2001 erschöpft. Bis zum 23.12.2003 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe.
Im Weiterzahlungsantrag vom 11.12.2003 teilte der Kläger mit, zu seinen Gunsten bestehe eine Kapital-Lebensversicherung bei der C Lebensversicherungs-AG mit einem aktuellen Rückkaufswert in Höhe von 18.478,40 EUR. Der Kläger zu 1) gab an, hierfür bisher ca. 11.000,00 EUR eingezahlt zu haben. Zugunsten seiner Ehefrau I, der Klägerin zu 2), bestehe ein Anspruch aus einem Lebensversicherungsvertrag bei dem E Lebensversicherungsverein aG, deren aktueller Rückkaufswert einschließlich Überschussanteilen bei 4.379,91 EUR liege. Die Klägerin zu 2) gab an, hierfür ca. 5.000,00 EUR eingezahlt zu haben. Außerdem haben die Kläger Guthaben auf Girokonten in Höhe von 1.209,00 EUR beziehungsweise 190,00 EUR.
Mit Bescheid vom 12.12.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger verfüge gemeinsam mit seiner Ehefrau über ein Vermögen in Höhe von 23.345,84 EUR, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von insgesamt 17.000,00 EUR verbleibe ein Vermögen in Höhe von 6.345,84 EUR. Dieser Betrag sei bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen, weshalb der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe.
Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, für ihn gelte der Freibetrag der AlhiV 2002 in der bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung in Höhe von 520,00 EUR.
Mit Bescheid vom 04.03.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte insbesondere aus, für den Kläger zu 1) gelte der Freibetrag in Höhe von 200,00 EUR, weil er ab 23.12.2002 einen neuen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe geltend machen müsse.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 18.03.2004 erhobene Klage. Der Kläger beruft sich auf die Entscheidung der Kammer vom 12.09.2003 (S 8 AL 111/03.)
Die Klägerin zu 2) wurde am 00.00.1966 geboren. Sie arbeitete zuletzt bis Dezember 2002 als kaufmännische Angestellte bei der Firma N GmbH & Co. KG. Ab 01.01.2003 erhielt sie Arbeitslosengeld. Dieser Anspruch war am 27.12.2003 erschöpft, weshalb sie Arbeitslosenhilfe beantragte. Angaben zum Vermögen entsprechen denen des Klägers zu 1). Mit Bescheid vom 15.12.2003 und Widerspruchsbescheid vom 04.03.2004 lehnte die Beklagte mit entsprechender Argumentation auch den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe der Klägerin zu 2) ab. Hiergegen richtet sich die Klage der Klägerin zu 2) vom 18.03.2004. Auch die Klägerin zu 2) beruft sich auf die genannte Entscheidung der Kammer.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 12.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 und den Bescheid vom 15.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger zu 1) sowie der Klägerin zu 2) Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung und die Regelungen der AlhiV. Angesichts der eingezahlten Beträge sei zwar der Lebensversicherungsvertrag der Klägerin zu 2) nicht zu berücksichtigen, jedoch der Lebensversicherungsvertrag des Klägers zu 1).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässigen Klagen sind begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Kläger haben Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.
Die Grundvoraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gem. § 190 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 SGB III liegen vor. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
Im Gegensatz zur Meinung der Beklagten sind die Kläger auch bedürftig im Sinne des § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III.
Bedürftig ist gem. § 193 Abs. 1 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Nicht bedürftig ist gem. § 193 Abs. 2 SGB III ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen oder das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist.
§ 193 Abs. 2 SGB III regelt generalklauselartig lediglich den Grundsatz der Berücksichtigung von Vermögen. Welche Vermögenswerte im Einzelnen zu berücksichtigen sind, bestimmt die aufgrund der Ermächtigung in § 206 Nr. 1 SGB III erlassene AlhiV vom 31.12.2001, geändert durch Artikel 11 des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 in der Fassung ab 01.01.2003.
Gem. § 1 Abs. 1 AlhiV ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt. Freibetrag ist gem. § 1 Abs. 2 AlhiV ein Betrag von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners, dieser darf für den Arbeitslosen und seinen Partner jeweils 13000,00 Euro nicht übersteigen. Diesen Freibetrag hat die Beklagte grundsätzlich zutreffend berechnet.
Die Freibetragsregelung des § 1 Abs. 2 der aktuellen AlhiV ist in Verbindung mit dem Wegfall von § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AlhiV 1974 mit höherrangigem Recht indes nicht zu vereinbaren (vgl. hierzu und zum Folgenden bereits Urteil der Kammer vom 12.12.2003 - S 8 AL 111/03; Berufungsverfahren beim LSG NRW anhängig unter dem Aktenzeichen L 9 AL 24/04).
Das LSG Berlin hat allerdings mit Urteil vom 02.09.2003 (L 6 AL 16/03) den pauschalierten Freibetrag grundsätzlich für rechtmäßig erachtet. Dieses Urteil bezieht sich ebenso wie die Ausgangsentscheidung des SG Berlin vom 12.02.2003 - S 58 AL 2208/03 -, auf die der Kläger sich beruft, aber auf die AlhiV 2002 vor Änderung durch Artikel 11 des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002. Das heißt, dem Rechtsstreit lag noch der bis zum 31.12.2002 geltende Freibetrag in Höhe von 520,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners zu Grunde. Dieser höhere Freibetrag hat im Fall des Klägers noch zur Annahme von Bedürftigkeit geführt, wie die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe bis zum 24.06.2003 auch zeigt.
Der Freibetrag in Höhe von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners ist jedoch zu niedrig, soweit die Beklagte Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag des Klägers zu 1) als Vermögen berücksichtigt. Für diejenigen, die ihr Vermögen in erheblichem Umfang zur Alterssicherung eingesetzt haben, bedeutet die seit dem 01.01.2002 mit Übergangsregelungen geltenden Neuregelung gegenüber der zuvor bestehenden Rechtslage eine Verschlechterung, die allenfalls noch mit dem bis zum 31.12.2002 geltenden Freibetrag, nicht aber mit dem seither geltenden Freibetrag von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr rechtmäßig ist.
§ 206 Nr. 1 SGB III ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist. Diese Ermächtigungsgrundlage hat das Normprogramm des § 193 Abs. 2 SGB III zur Geltung zu bringen. Hiernach ist der Verordnungsgeber aufgerufen, Fallgestaltungen festzulegen, nach denen mit Rücksicht auf vorhandenes Vermögen die Erbringung von Arbeitslosenhilfe "nicht gerechtfertigt" ist. Mit dem Begriff der Rechtfertigung der Gewährung von Arbeitslosenhilfe trotz vorhandenem Vermögen ist der Verordnungsgeber vor die Aufgabe gestellt, ein mit dem Strukturprinzipien des Arbeitslosenhilferechts kompatibles Schonvermögenskonzept zu entwickeln (SG Bremen, Beschluss vom 11.06.2003, Info also 2003 Seite 219 ff). Zwar ist dem Verordnungsgeber nach § 206 Nr. 1 SGB 3 kein konkretes Modell vorgegeben, in welcher Weise Vermögen zur Alterssicherung von der Verwertung auszunehmen ist. Insbesondere ist es dem Verordnungsgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht verwehrt, anstelle einer Einzelfallprüfung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden. Hinsichtlich der Höhe des Freibetrages hat der Verordnungsgeber allerdings zu beachten, dass grundsätzlich eine schonende Behandlung von Vermögen, das für die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist, geboten ist, da der Lebensstandard im Alter nicht ausschließlich durch die gesetzliche Rentenversicherung gesichert wird. Demzufolge hat das BSG den Freibetrag von 1000,00 DM gem. § 6 Abs. 4 Nr. 2 AlhiV 1974, zuletzt geändert durch Artikel 1 der 6. Verordnung zur Änderung der AlhiV vom 18.06.1999 (BGBL Seite 1433) für rechtmäßig gehalten (BSG, Urteil vom 05.06.2003 - B 11 AL 55/02 R -).
Die jetzt geltende Freibetragsregelung ermöglicht demgegenüber keine angemessene Altersversorgung der Kläger mehr (vgl. hierzu näher BSG, Urteil vom 05.06.2003 a.a.O, in diesem Sinne auch Krauß in PK-SGB III Rdnr.: 52 zu § 193).
Abgesehen davon, hat der Verordnungsgeber mit der drastischen Absenkung der Freibetragsregelung die Grenzen des Rechts- und Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) verletzt. Die Absenkung des Freibetrages ohne Differenzierung nach der Art des Vermögens stellt eine tatbestandliche Rückanknüpfung (sogenannte unechte Rückwirkung) dar. Eine solche liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet ( BVerfGE 43, 291, 391; 79, 29, 45 ff). Die unechte Rückwirkung von Gesetzen ist unter Berücksichtigung der Schranken des Rechts- und Sozialstaatsprinzips nur innerhalb sachlicher Grenzen zulässig, die sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit und dem daraus folgenden Vertrauensschutz ergeben. Bei der Bestimmung dieser Grenzen sind das schutzwürdige Interesse des betroffenen Personenkreises an einem Fortbestand der bisherigen Rechtslage und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfGE 43, 291, 391; BSG SozR 3 - 4100 § 111 Nr. 12; in diesem Sinne auch SG Aachen, Urteil vom 18.09.2003 - S 15 AL 66/03 -). Eine tatbestandliche Rückanknüpfung muss insbesondere dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechen, das heißt die getroffene Regelung muss erforderlich, geeignet und angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) sein.
Die drastische Absenkung des Freibetrages dürfte zur Erreichung des Ziels des Verordnungsgebers - Verbesserung der defizitären Finanzlage des Bundeshaushaltes bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit - bereits ungeeignet sein. Denn es wäre dem Kläger unbenommen, ihm Hinblick auf die Entscheidung der Beklagten den den Freibetrag übersteigenden Vermögensbestandteil in kurzer Zeit zu verbrauchen (z.B. für Luxusaufwendungen) um sich anschließend wieder - diesmal erfolgreich - auf Bedürftigkeit zu berufen. Der zu niedrige Freibetrag fördert damit die Verschleuderung von Altersvorsorgevermögen, Entlastet den Bundeshaushalt im Ergebnis nicht und steht der gesellschaftlich und politisch gewünschten Bildung von privatem Altersvorsorgevermögen entgegen.
Die drastische Absenkung des Freibetrages ist auch unangemessen. Die Kläger haben jahrelang Konsumverzicht geleistet, um ein privates Altersvorsorgevermögen aufzubauen. Dieser jahrelange Konsumverzicht wird jetzt stark abgewertet.
Mindestens unzulässig dürfte es zudem sein, gem. § 206 Nr. 1 SGB III die Bestimmung, inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist, allein dem Verordnungsgeber zu überlassen. Auch im sozialen Leistungsrecht gilt der Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes (vgl. auch § 31 SGB I). Die Geltung dieses Grundsatzes ergibt sich auch aus Artikel 20 Abs. 3 GG. Es ist allgemein anerkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, - losgelöst vom Merkmal des Grundrechtseingriffs - in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (BVerfGE, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - m.w.N.; BVerfGE 34, 165 (192 ff).) In welchen Bereichen danach staatliches Handeln einer Rechtsgrundlage im förmlichen Gesetz bedarf, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Intensität der geplanten oder getroffenen Regelung ermitteln. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei in erster Linie den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den vom Grundgesetz anerkannten und verbürgten Grundrechten zu entnehmen. Nach den gleichen Maßstäben beurteilt sich, ob der Gesetzgeber mit der zur Prüfung vorgelegten Norm die wesentlichen normativen Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs selbst festlegen muß und dies nicht dem Handeln Dritter, etwa der Verwaltung, überlassen darf.
Wie gezeigt hat die Höhe des im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anerkannten Freibetrages erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Ansprüche aus Kapitallebensversicherungen sind als Eigentum im Sinne des Artikel 14 Abs. 1 GG anzusehen. Die Entscheidung über die Höhe des Freibetrages hat damit unmittelbar grundrechtsrelevante Wirkung. Dem Gesetzgeber ist es daher nicht erlaubt, der Verwaltung bei der Bestimmung der Höhe des Freibetrages völlig freie Hand zu geben und damit einen Freibetrag nach Kassenlage ohne weitere Einschränkungen zuzulassen. Gerade die vorliegende Fallgestaltung zeigt, dass es den Betroffenen nicht mehr möglich ist, vorherzusehen, welche Vermögensanlagen im Laufe der Zeit geschützt sind und welche Vermögensanlagen verwertet werden müssen. Der Gesetzgeber hätte daher in § 206 Nr. 1 SGB III genauere Vorgaben für die Bestimmung der Höhe des Freibetrages vorsehen müssen.
Die Beklagte darf bei ihrer Entscheidung über die Bedürftigkeit daher die neue Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 1 AlhiV durch Artikel 11 des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt nicht berücksichtigen. Sie wird sich an dem bis dahin geltenden Freibetrag in Höhe von 520,00 Euro orientieren müssen. Hiermit sind die Kläger bedürftig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Kläger auf Arbeitslosenhilfe.
Der Kläger zu 1) wurde am 00.00.1955 geboren. Er arbeitete zuletzt bis Juni 2000 als Betriebsleiter bei der Firma B, G. Anschließend bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Dieser Anspruch war am 23.12.2001 erschöpft. Bis zum 23.12.2003 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe.
Im Weiterzahlungsantrag vom 11.12.2003 teilte der Kläger mit, zu seinen Gunsten bestehe eine Kapital-Lebensversicherung bei der C Lebensversicherungs-AG mit einem aktuellen Rückkaufswert in Höhe von 18.478,40 EUR. Der Kläger zu 1) gab an, hierfür bisher ca. 11.000,00 EUR eingezahlt zu haben. Zugunsten seiner Ehefrau I, der Klägerin zu 2), bestehe ein Anspruch aus einem Lebensversicherungsvertrag bei dem E Lebensversicherungsverein aG, deren aktueller Rückkaufswert einschließlich Überschussanteilen bei 4.379,91 EUR liege. Die Klägerin zu 2) gab an, hierfür ca. 5.000,00 EUR eingezahlt zu haben. Außerdem haben die Kläger Guthaben auf Girokonten in Höhe von 1.209,00 EUR beziehungsweise 190,00 EUR.
Mit Bescheid vom 12.12.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger verfüge gemeinsam mit seiner Ehefrau über ein Vermögen in Höhe von 23.345,84 EUR, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von insgesamt 17.000,00 EUR verbleibe ein Vermögen in Höhe von 6.345,84 EUR. Dieser Betrag sei bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen, weshalb der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe.
Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, für ihn gelte der Freibetrag der AlhiV 2002 in der bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung in Höhe von 520,00 EUR.
Mit Bescheid vom 04.03.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte insbesondere aus, für den Kläger zu 1) gelte der Freibetrag in Höhe von 200,00 EUR, weil er ab 23.12.2002 einen neuen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe geltend machen müsse.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 18.03.2004 erhobene Klage. Der Kläger beruft sich auf die Entscheidung der Kammer vom 12.09.2003 (S 8 AL 111/03.)
Die Klägerin zu 2) wurde am 00.00.1966 geboren. Sie arbeitete zuletzt bis Dezember 2002 als kaufmännische Angestellte bei der Firma N GmbH & Co. KG. Ab 01.01.2003 erhielt sie Arbeitslosengeld. Dieser Anspruch war am 27.12.2003 erschöpft, weshalb sie Arbeitslosenhilfe beantragte. Angaben zum Vermögen entsprechen denen des Klägers zu 1). Mit Bescheid vom 15.12.2003 und Widerspruchsbescheid vom 04.03.2004 lehnte die Beklagte mit entsprechender Argumentation auch den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe der Klägerin zu 2) ab. Hiergegen richtet sich die Klage der Klägerin zu 2) vom 18.03.2004. Auch die Klägerin zu 2) beruft sich auf die genannte Entscheidung der Kammer.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 12.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 und den Bescheid vom 15.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger zu 1) sowie der Klägerin zu 2) Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung und die Regelungen der AlhiV. Angesichts der eingezahlten Beträge sei zwar der Lebensversicherungsvertrag der Klägerin zu 2) nicht zu berücksichtigen, jedoch der Lebensversicherungsvertrag des Klägers zu 1).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässigen Klagen sind begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Kläger haben Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.
Die Grundvoraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gem. § 190 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 SGB III liegen vor. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
Im Gegensatz zur Meinung der Beklagten sind die Kläger auch bedürftig im Sinne des § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III.
Bedürftig ist gem. § 193 Abs. 1 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Nicht bedürftig ist gem. § 193 Abs. 2 SGB III ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen oder das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist.
§ 193 Abs. 2 SGB III regelt generalklauselartig lediglich den Grundsatz der Berücksichtigung von Vermögen. Welche Vermögenswerte im Einzelnen zu berücksichtigen sind, bestimmt die aufgrund der Ermächtigung in § 206 Nr. 1 SGB III erlassene AlhiV vom 31.12.2001, geändert durch Artikel 11 des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 in der Fassung ab 01.01.2003.
Gem. § 1 Abs. 1 AlhiV ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt. Freibetrag ist gem. § 1 Abs. 2 AlhiV ein Betrag von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners, dieser darf für den Arbeitslosen und seinen Partner jeweils 13000,00 Euro nicht übersteigen. Diesen Freibetrag hat die Beklagte grundsätzlich zutreffend berechnet.
Die Freibetragsregelung des § 1 Abs. 2 der aktuellen AlhiV ist in Verbindung mit dem Wegfall von § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AlhiV 1974 mit höherrangigem Recht indes nicht zu vereinbaren (vgl. hierzu und zum Folgenden bereits Urteil der Kammer vom 12.12.2003 - S 8 AL 111/03; Berufungsverfahren beim LSG NRW anhängig unter dem Aktenzeichen L 9 AL 24/04).
Das LSG Berlin hat allerdings mit Urteil vom 02.09.2003 (L 6 AL 16/03) den pauschalierten Freibetrag grundsätzlich für rechtmäßig erachtet. Dieses Urteil bezieht sich ebenso wie die Ausgangsentscheidung des SG Berlin vom 12.02.2003 - S 58 AL 2208/03 -, auf die der Kläger sich beruft, aber auf die AlhiV 2002 vor Änderung durch Artikel 11 des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002. Das heißt, dem Rechtsstreit lag noch der bis zum 31.12.2002 geltende Freibetrag in Höhe von 520,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners zu Grunde. Dieser höhere Freibetrag hat im Fall des Klägers noch zur Annahme von Bedürftigkeit geführt, wie die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe bis zum 24.06.2003 auch zeigt.
Der Freibetrag in Höhe von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners ist jedoch zu niedrig, soweit die Beklagte Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag des Klägers zu 1) als Vermögen berücksichtigt. Für diejenigen, die ihr Vermögen in erheblichem Umfang zur Alterssicherung eingesetzt haben, bedeutet die seit dem 01.01.2002 mit Übergangsregelungen geltenden Neuregelung gegenüber der zuvor bestehenden Rechtslage eine Verschlechterung, die allenfalls noch mit dem bis zum 31.12.2002 geltenden Freibetrag, nicht aber mit dem seither geltenden Freibetrag von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr rechtmäßig ist.
§ 206 Nr. 1 SGB III ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist. Diese Ermächtigungsgrundlage hat das Normprogramm des § 193 Abs. 2 SGB III zur Geltung zu bringen. Hiernach ist der Verordnungsgeber aufgerufen, Fallgestaltungen festzulegen, nach denen mit Rücksicht auf vorhandenes Vermögen die Erbringung von Arbeitslosenhilfe "nicht gerechtfertigt" ist. Mit dem Begriff der Rechtfertigung der Gewährung von Arbeitslosenhilfe trotz vorhandenem Vermögen ist der Verordnungsgeber vor die Aufgabe gestellt, ein mit dem Strukturprinzipien des Arbeitslosenhilferechts kompatibles Schonvermögenskonzept zu entwickeln (SG Bremen, Beschluss vom 11.06.2003, Info also 2003 Seite 219 ff). Zwar ist dem Verordnungsgeber nach § 206 Nr. 1 SGB 3 kein konkretes Modell vorgegeben, in welcher Weise Vermögen zur Alterssicherung von der Verwertung auszunehmen ist. Insbesondere ist es dem Verordnungsgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht verwehrt, anstelle einer Einzelfallprüfung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden. Hinsichtlich der Höhe des Freibetrages hat der Verordnungsgeber allerdings zu beachten, dass grundsätzlich eine schonende Behandlung von Vermögen, das für die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist, geboten ist, da der Lebensstandard im Alter nicht ausschließlich durch die gesetzliche Rentenversicherung gesichert wird. Demzufolge hat das BSG den Freibetrag von 1000,00 DM gem. § 6 Abs. 4 Nr. 2 AlhiV 1974, zuletzt geändert durch Artikel 1 der 6. Verordnung zur Änderung der AlhiV vom 18.06.1999 (BGBL Seite 1433) für rechtmäßig gehalten (BSG, Urteil vom 05.06.2003 - B 11 AL 55/02 R -).
Die jetzt geltende Freibetragsregelung ermöglicht demgegenüber keine angemessene Altersversorgung der Kläger mehr (vgl. hierzu näher BSG, Urteil vom 05.06.2003 a.a.O, in diesem Sinne auch Krauß in PK-SGB III Rdnr.: 52 zu § 193).
Abgesehen davon, hat der Verordnungsgeber mit der drastischen Absenkung der Freibetragsregelung die Grenzen des Rechts- und Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) verletzt. Die Absenkung des Freibetrages ohne Differenzierung nach der Art des Vermögens stellt eine tatbestandliche Rückanknüpfung (sogenannte unechte Rückwirkung) dar. Eine solche liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet ( BVerfGE 43, 291, 391; 79, 29, 45 ff). Die unechte Rückwirkung von Gesetzen ist unter Berücksichtigung der Schranken des Rechts- und Sozialstaatsprinzips nur innerhalb sachlicher Grenzen zulässig, die sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit und dem daraus folgenden Vertrauensschutz ergeben. Bei der Bestimmung dieser Grenzen sind das schutzwürdige Interesse des betroffenen Personenkreises an einem Fortbestand der bisherigen Rechtslage und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfGE 43, 291, 391; BSG SozR 3 - 4100 § 111 Nr. 12; in diesem Sinne auch SG Aachen, Urteil vom 18.09.2003 - S 15 AL 66/03 -). Eine tatbestandliche Rückanknüpfung muss insbesondere dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechen, das heißt die getroffene Regelung muss erforderlich, geeignet und angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) sein.
Die drastische Absenkung des Freibetrages dürfte zur Erreichung des Ziels des Verordnungsgebers - Verbesserung der defizitären Finanzlage des Bundeshaushaltes bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit - bereits ungeeignet sein. Denn es wäre dem Kläger unbenommen, ihm Hinblick auf die Entscheidung der Beklagten den den Freibetrag übersteigenden Vermögensbestandteil in kurzer Zeit zu verbrauchen (z.B. für Luxusaufwendungen) um sich anschließend wieder - diesmal erfolgreich - auf Bedürftigkeit zu berufen. Der zu niedrige Freibetrag fördert damit die Verschleuderung von Altersvorsorgevermögen, Entlastet den Bundeshaushalt im Ergebnis nicht und steht der gesellschaftlich und politisch gewünschten Bildung von privatem Altersvorsorgevermögen entgegen.
Die drastische Absenkung des Freibetrages ist auch unangemessen. Die Kläger haben jahrelang Konsumverzicht geleistet, um ein privates Altersvorsorgevermögen aufzubauen. Dieser jahrelange Konsumverzicht wird jetzt stark abgewertet.
Mindestens unzulässig dürfte es zudem sein, gem. § 206 Nr. 1 SGB III die Bestimmung, inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist, allein dem Verordnungsgeber zu überlassen. Auch im sozialen Leistungsrecht gilt der Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes (vgl. auch § 31 SGB I). Die Geltung dieses Grundsatzes ergibt sich auch aus Artikel 20 Abs. 3 GG. Es ist allgemein anerkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, - losgelöst vom Merkmal des Grundrechtseingriffs - in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (BVerfGE, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - m.w.N.; BVerfGE 34, 165 (192 ff).) In welchen Bereichen danach staatliches Handeln einer Rechtsgrundlage im förmlichen Gesetz bedarf, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Intensität der geplanten oder getroffenen Regelung ermitteln. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei in erster Linie den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den vom Grundgesetz anerkannten und verbürgten Grundrechten zu entnehmen. Nach den gleichen Maßstäben beurteilt sich, ob der Gesetzgeber mit der zur Prüfung vorgelegten Norm die wesentlichen normativen Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs selbst festlegen muß und dies nicht dem Handeln Dritter, etwa der Verwaltung, überlassen darf.
Wie gezeigt hat die Höhe des im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anerkannten Freibetrages erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Ansprüche aus Kapitallebensversicherungen sind als Eigentum im Sinne des Artikel 14 Abs. 1 GG anzusehen. Die Entscheidung über die Höhe des Freibetrages hat damit unmittelbar grundrechtsrelevante Wirkung. Dem Gesetzgeber ist es daher nicht erlaubt, der Verwaltung bei der Bestimmung der Höhe des Freibetrages völlig freie Hand zu geben und damit einen Freibetrag nach Kassenlage ohne weitere Einschränkungen zuzulassen. Gerade die vorliegende Fallgestaltung zeigt, dass es den Betroffenen nicht mehr möglich ist, vorherzusehen, welche Vermögensanlagen im Laufe der Zeit geschützt sind und welche Vermögensanlagen verwertet werden müssen. Der Gesetzgeber hätte daher in § 206 Nr. 1 SGB III genauere Vorgaben für die Bestimmung der Höhe des Freibetrages vorsehen müssen.
Die Beklagte darf bei ihrer Entscheidung über die Bedürftigkeit daher die neue Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 1 AlhiV durch Artikel 11 des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt nicht berücksichtigen. Sie wird sich an dem bis dahin geltenden Freibetrag in Höhe von 520,00 Euro orientieren müssen. Hiermit sind die Kläger bedürftig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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