S 8 U 89/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 89/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 46/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Unfalls vom 10.07.2003 als Arbeitsunfall sowie die Zahlung von Entschädigungsleistungen.

Der 1982 geborene Kläger erlitt am 10.07.2003 einen schweren Unfall. Wegen des Tatbestands im Übrigen wird auf das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18.12.2006 (S 16 U 2150/04) gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 5 SGG verwiesen. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Auf den Hinweis des HLSG vom 15.10.2007 (L 3 U 143/07) nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 22.10.2007 die Berufung zurück und stellte unter dem gleichen Datum bei der Beklagten einen Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X; diese Anregung war seitens des HLSG erfolgt.

Mit Bescheid vom 11.12.2007 (Widerspruchsbescheid vom 13.03.2008) lehnte die Beklagte die Rücknahme des Ausgangsbescheides vom 08.09.2003 nach § 44 SGB X ab.

Dagegen richtet sich die Klage vom 16.04.2008.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 11.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2008 aufzuheben und ihm unter Anerkennung des Ereignisses vom 10.07.2003 als Arbeitsunfall Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Dem Gericht lagen die Akten der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist; die Beteiligten wurden hierzu gehört.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 SGG.

Im vorliegenden Fall ist der Kläger der gängigen Praxis gefolgt, seinen Berufungsantrag, weil die Berufungsfrist nicht eingehalten wurde zurück zu nehmen, um dann nach einem Hinweis des Richters einen Überprüfungsantrag nach § 104 SGB X zu stellen. Nach §§ 153 Abs. 1, 102 Abs. 1 SGG kann die Klage/Berufung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden. Die Möglichkeit, die Berufung zurück zu nehmen, ist Ausfluss der Dispositionsmaxime, das heißt der Verfahrensablauf liegt hier in der Hand der Beteiligten (Meyer-Ladewig, SGG, § 102 Anmerkung 1). Eine Auswirkung der Dispositionsmaxime liegt darin, dass der Kläger die Verfügungsbefugnis über den Streitgegenstand hat, demgemäß bestimmen kann, ob er die Klage/Berufung zurück nimmt. Mit der Rücknahme des Rechtsmittels, welche eine Prozesshandlung darstellt, bringt der Kläger zum Ausdruck, dass er eine Entscheidung des Gerichts nicht mehr einfordert (Meyer-Ladewig, SGG, § 102 Anmerkung 2). Rechtsfolge ist, dass eine Klage bezüglich des im Streit stehenden Prozessstoffes nicht mehr möglich ist (BSG SozR § 102 Nrn. 9, 10). Der prozessuale Anspruch ist damit verbraucht und eine neue Klage wäre unzulässig (BSG a.a.O.). Durch die Klage – beziehungsweise Berufungsrücknahme - hat sich der Kläger also mit dem bestehenden Zustand abgefunden und auf eine Überprüfung des Streitfalles durch das Gericht beziehungsweise durch das Berufungsgericht verzichtet. Es steht also im Ergebnis so, als ob über seine Klage sachlich zu seinen Ungunsten entschieden worden wäre (BSG a.a.O.). Vor dem geschilderten Hintergrund ist das Antragsrecht des Klägers nach § 44 Abs. 4 SGB X einen Überprüfungsantrag zu stellen durch die Klagerücknahme eingeschränkt. Nach § 44 Abs. 1 i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X besteht für einen Versicherten die Möglichkeit, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewendet oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, einen diesbezüglichen Überprüfungsantrag zu stellen. § 44 SGB X setzt somit tatbestandsmäßig voraus, dass sich durch eine Antragstellung neue Tatsachen oder Erkenntnisse ergeben haben müssen, die für die Unrichtigkeit der vorhergehenden Entscheidungen sprechen. Nimmt nun ein Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren seine Klage/Berufung zurück, begehrt also im Gerichtsverfahren keinen Rechtsschutz mehr, bringt er damit zum Ausdruck, dass er die ursprünglich beantragte Leistung, den begehrten materiell-rechtlichen Anspruch nicht mehr weiterverfolgen will. Durch die Klagerücknahme dokumentiert der Kläger also, dass er im weitesten Sinne auf sein ursprünglich geltend gemachten Anspruch verzichtet (Bley, Gesamtkommentar, § 102 SGG Anmerkung 3 a). Der durch die Klagerücknahme manifestierte Verzicht auf die weitere Geltendmachung des materiell-rechtlichen Anspruchs wirkt sich dann auf die Möglichkeit einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu stellen insoweit aus, dass dieses Antragsrecht nur eingeschränkt wahrgenommen werden kann. Soweit der Kläger im gerichtlichen Verfahren die Klage/Berufung zurücknimmt und gleichzeitig einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X stellt oder die Klage beziehungsweise Berufungsrücknahme in einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X auf seinen Antrag hin umgedeutet wird, ist ein diesbezüglicher Überprüfungsantrag von der Verwaltung dem Grunde nach ohne weitere Sachprüfung zumindest dann abzulehnen, wenn der Kläger gegenüber seinem Vorbringen im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren keine neuen Tatsachen oder Erkenntnisse im Klage- beziehungsweise Berufungsverfahren vorträgt. Die Behörde kann sich insoweit auf die Bindungswirkung des Ursprungsbescheides - § 77 SGG - berufen. Der Hinweis auf die Bindungswirkung des ursprünglichen Bescheides gilt dann in gleicher Weise auch für die Gerichte. Wenn sich die Klagerücknahme dahingehend auswirkt, dass der materiell-rechtliche Anspruch nicht mehr weiterverfolgt wird, der Kläger also so gestellt ist, als sei über die Klage sachlich zu seinen Ungunsten entschieden, folgt hieraus, dass ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X dem Grunde nach nicht greift, da das (neue) Sachbegehren des Klägers mit der Klagerücknahme verbraucht wurde. Falls sich also – wie vorliegend – aus dem klägerischen Vortrag keine neuen Tatsachen oder Erkenntnisse gegenüber dem vorangegangenen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ergeben, hat das Gericht dem Kläger die Folgen und Auswirkungen seiner Klage– beziehungsweise Berufungsrücknahme in einem Rechtsgespräch - § 62 SGG – zu erläutern. Bei gleichem Rechts- und Sachstand Verwaltungs-Widerspruchsverfahren einerseits, Sozialgerichtsverfahren andererseits, ist dann im Interesse aller Beteiligten zu fordern, dass über den Klageantrag des Klägers entweder durch Urteil, §§ 153 Abs. 1, 125 SGG oder durch Gerichtsbescheid, § 105 SGG entschieden wird und der Kläger hinsichtlich eines Überprüfungsantrags hinsichtlich der Konsequenzen der Auswirkungen der Klage- beziehungsweise Berufungsrücknahme auf sein Recht, einen Überprüfungsantrag zu stellen, nicht im Unklaren gelassen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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