L 1 U 56/17

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 10 U 4568/13
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 56/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 8. Dezember 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung des Ereignisses vom 29. März 2012 als Arbeitsunfall sowie die Anerkennung einer Achillessehnenruptur rechts als hieraus resultierende Unfallfolge.

Der im Januar 1957 geborene Kläger versuchte am 29. März 2012 in seinem landwirtschaftlichen Betrieb, mit dem er bei der Beklagten versichert ist, einen Tandemachsanhänger vom Hof rückwärts in die Garage zu schieben. Dabei kam es zu einer Ruptur der rechten Achillessehne. Den behandelnden Ärzten gegenüber gab der Kläger an, dass es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Er habe unter größter Anstrengung einen schweren Hänger schieben wollen. Daraufhin wurde im Rahmen der Operation geschädigtes Sehnengewebe entnommen und in weiterer Folge histologisch untersucht. Der histologische Befund vom 4. April 2012 weist morphologische Zeichen einer geringen bis mittelgradigen degenerativen Vorschädigung aus.

Mit seiner Unfallanzeige vom 6. August 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er beim Rangieren des Anhängers durch körperlichen Einsatz die Achillessehne des rechten Beines abgerissen habe. Er habe versucht, den Anhänger zu verschieben, nachdem er diesen entladen habe. Der Beratungsarzt der Beklagten D. führte in seiner Stellungnahme vom 14. Oktober 2012 aus, nach dem geschilderten Unfallhergang könne nicht von einer traumatischen Achillessehnenruptur ausgegangen werden. Eine ausführliche Beschreibung des Hergangs liege nicht vor; deshalb sei eine Zusammenhangsbegutachtung sinnvoll. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2012 forderte die Beklagte den Kläger auf, den Unfallhergang ausführlich zu schildern und insbesondere Angaben darüber zu machen, in welchem Ausmaß das rechte Bein belastet worden sei und informierte ihn, dass beabsichtigt sei, eine Zusammenhangsbegutachtung zu veranlassen. In seinem Gutachten zur Zusammenhangsfrage vom 8. Februar 2013 führte Dr. W. aus, der Kläger habe zum Geschehenshergang befragt mitgeteilt, dass er den Hänger nach dem Abladen geschoben habe. Dabei habe er einen plötzlichen Schlag in der rechten Ferse verspürt. Auf ausdrückliche Nachfrage habe der Kläger angegeben, er sei weder abgerutscht, umgeknickt oder in ein Loch getreten. Das Schieben unter Einsatz des Körpergewichts führe zwar zur Anspannung der Achillessehne. Es handele sich aber um eine physiologische Anspannung der Sehne, für die diese ausgelegt sei. Sie sei willentlich gesteuert und nicht überraschend. Ein Überraschungsmoment (z.B. Tritt in den Boden) sei vom Kläger ausdrücklich nicht angegeben worden. Die Sehne sei durch degenerative Veränderungen bereits soweit geschädigt gewesen, dass sie der physiologischen Belastung nicht mehr standgehalten habe. Es entspreche allgemein anerkannter unfallchirurgisch-orthopädischer Auffassung, dass mit einer willentlich gesteuerten Kraftanstrengung eine in ihrer Struktur intakte Sehne nicht zerrissen werden könne; ein überfallartiges Geschehen habe nicht vorgelegen. Die Achillessehnenruptur sei daher nicht unfallbedingt. Ein Vorschaden habe nicht vorgelegen, jedoch eine Schadensanlage im Sinne der degenerativen Veränderungen, die letztlich ursächlich für die Achillessehnenruptur gewesen sei. Bei dem Ereignis habe es sich um eine Gelegenheitsursache gehandelt. Auch ohne dieses Ereignis wäre es durch normale Verrichtungen des privaten täglichen Lebens zu etwa derselben Zeit bzw. in naher Zukunft zu einem gleichen Schaden gleichen Ausmaßes gekommen.

Mit Bescheid vom 27. Februar 2013 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Ereignisses vom 29. März 2012 ab, weil ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen habe. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 11. März 2013 und 28. Mai 2013 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass eine Widerspruchsbegründung bislang noch nicht vorliegen würde und gab ihm Gelegenheit hierzu bis zum 20. Juni 2013. Am 20. Juni 2013 bat der Kläger per Faxnachricht um Fristverlängerung bis 28. Juni 2013. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. August 2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, die von der Beklagten vorgenommene Schilderung des Geschehensablaufes sei unvollständig, da der der Verletzung vorausgehende Vorgang keine Erwähnung gefunden habe. Er habe einen Tandemachsanhänger mit einem zulässigen Gesamtgewicht von zwei Tonnen geschoben. Hierbei habe er sich vorwärts bewegend und nach vorn gebeugt mit der linken Hand gegen die Ladefläche gestemmt und sei mit der rechten Hand darum bemüht gewesen, die rechts neben ihm befindliche Deichsel gerade zu halten bzw. mit ihr zu manövrieren. Die Grundstücksfläche vor der Garage weise zur Garage hin eine leichte Steigung auf und am Garageneingang sei eine Schwelle, über die der Hänger geschoben werden müsse. Als er darum bemüht gewesen sei, den Anhänger über die Schwelle hinüber zu schieben, habe sich der Anhänger plötzlich verdreht bzw. sei plötzlich ausgebrochen. Der Anhänger sei regelrecht auf ihn zugekommen und habe ihn gezwungen, ohne dass er damit gerechnet habe, sich mit vollem Körpereinsatz gegen den ausbrechenden Anhänger zu stemmen, um diesen hierdurch zu stabilisieren. Etwa im selben Moment habe er dann einen plötzlichen Schlag in der rechten Ferse und einen heftigen Schmerz verspürt. Ihm sei nicht mehr erinnerlich, ob er im unmittelbaren Zusammenhang mit dem plötzlichen Ausbrechen des Hängers und seiner sogleich erfolgten Gegenbewegung umgeknickt oder abgerutscht sei. Hierzu habe ihn der Gutachter Dr. W. auch gar nicht befragt.

Der Beratungsarzt D. hat in seiner Stellungnahme vom 18. Oktober 2014 darauf hingewiesen, dass mit der Klage nunmehr von einem plötzlichen Ausbrechen des Hängers, das zu einer übermenschlichen Kraftanstrengung geführt habe, berichtet werde. Auch dies sei nicht als entsprechende Panikreaktion zu werten. Eine solche ließe sich vorliegend nicht nachvollziehen. Im Übrigen hätte erwartet werden können, dass der Kläger einen Ausbruch des Hängers sofort geschildert hätte.

Hierauf hat der Kläger vorgetragen, er habe den Sachverhalt so bereits im Verwaltungsverfahren mit seiner Widerspruchsbegründung vorgetragen. Er könne nicht nachvollziehen, warum dieses Schreiben jedoch nicht Gegenstand der Verwaltungsakte der Beklagten ist. Ein Neuausdruck dieses Schreibens sei nicht möglich, da die Datei wegen Störungen des Computers gelöscht worden sei. Im Übrigen sei er sich bei der Begutachtung durch Dr. W. nicht über die Bedeutung der Sachverhaltsschilderung bewusst und zudem aufgrund eines Gesprächs mit dem Gutachter über einen gemeinsamen Bekannten abgelenkt gewesen.

Das Sozialgericht hat am 10. September 2015 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem der Kläger den Sachverhalt wie mit seiner Klagebegründung schilderte, und den Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. H. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Er hat in seinem Gutachten vom 19. April 2016 ausgeführt, der Kläger habe hinsichtlich des Unfallherganges mitgeteilt, dass er versucht habe, den Hänger mit voller Kraft rückwärts über die niedrige Bodenschwelle zu schieben, wobei dieser schräg gegen die Schwelle geschoben worden und die Deichsel zur Seite geschlagen sei. Der Kläger habe hierbei einen Ausfallschritt gemacht, dabei einen starken Schmerz und ein Rissgefühl im Bereich der rechten Achillessehne verspürt. Noch am gleichen Tag habe er sich im Krankenhaus B. vorgestellt, wo er stationär aufgenommen und am Folgetag operiert wurde. Bereits am 31. März 2012 habe er sich auf eigenen Wunsch aus der stationären Behandlung entlassen. Die ambulante Weiterbehandlung habe später offensichtlich mit einer Orthesenversorgung im Sinne eines Walkers über ca. sechs Wochen erfolgt. Arbeitsunfähigkeit habe - wohl nach Angaben des Klägers - überhaupt nicht bestanden, da er selbständig sei. Er habe keinerlei gesundheitliche Probleme oder funktionelle Einschränkungen nach der durchgemachten Achillessehnenruptur, die jetzt noch bestünden. Im Weiteren hat der Sachverständige festgehalten, dass der histologische Befund degenerative Veränderungen beschreibt. Es entspreche der herrschenden Lehre, dass eine Achillessehne bei willkürlicher Beanspruchung und koordiniertem Bewegungsablauf nicht reiße, da die Reißfestigkeit der Sehne höher als die Kraftbildung in der Wadenmuskulatur sei. Zwar sei es durch das Schieben zu einem verstärkten Kraftaufwand gekommen, aber dies seien ein koordinierter Kraftaufwand und eine koordinierte Bewegung. Der vom Kläger geschilderte Ausfallschritt bedeute nicht eine zusätzliche Krafteinleitung auf die maximal vorgespannte Achillessehne sondern das Ausführen des Ausfallschrittes mit danach erneuter Anspannung der Achillessehne. Der Schiebevorgang sei durch den Ausfallschritt unterbrochen worden und anschließend sei es zur erneuten Anspannung der Achillessehne gekommen. Eine Unfallbedingtheit der Achillessehnenruptur sei nicht wahrscheinlich. Im Übrigen sei zu beachten, dass ab dem 40. Lebensjahr häufig degenerative Veränderungen an der Achillessehne entstünden, die in der Regel asymptomatisch blieben. Ab dem 50. Lebensjahr komme es nicht selten plötzlich zu Achillessehnenrupturen auf Basis der bis dahin asymptomatischen Achillessehnendegenerationen im Rahmen von Alltagsbewegungen. Auf dieses Gutachten hin hat der Kläger mitgeteilt, der Sachverständige habe den Sachverhalt insofern unrichtig dargestellt habe, als er davon ausginge, der Kläger habe den Hänger von Anfang an schräg geschoben. Vielmehr habe er ihn gerade bzw. senkrecht zur Einfahrt in die Garage schieben wollen. Dabei sei es dann zu der ruckartigen Ausbrechung des Hängers gekommen.

Auf die mündliche Verhandlung hin hat das Sozialgericht mit Urteil vom 8. Dezember 2016 den Bescheid vom 27. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. August 2013 aufgehoben und festgestellt, dass das Unfallereignis des Klägers vom 29. März 2012 ein Arbeitsunfall sei und eine Ruptur der rechten Achillessehne zur Folge habe. Zwar lägen bei dem Kläger degenerative Vorschädigungen vor, insoweit sei aber nicht dargetan, dass diese so leicht ansprechbar gewesen seien, dass bei jeder anderen Gelegenheit der Schaden entstanden wäre. Die Vorschädigung sei damit lediglich Teilursache. Das Unfallgeschehen sei hingegen mindestens gleichstark rechtlich wesentlich. Zwar könne ein Antritt (Stemmen oder Schieben) in der Regel nicht zu einer Zusammenhangstrennung führen, dennoch sei im Einzelfall zu prüfen, ob nicht ungeplante Änderungen des Bewegungsablaufes zu einer zusätzlichen Belastung der Achillessehne geführt hätten, welche diese bei maximaler physiologischer Anspannung nicht mehr kompensieren konnte. Vorliegend sei zwar von einem physiologischen Ablauf auszugehen, jedoch habe die hohe Belastung der Achillessehne des Klägers beim Schiebevorgang aufgrund der Abweichung vom geplanten und koordinierten Ablauf aufgrund des Anstoßes der Räder an die Schwelle der Garageneinfahrt und das plötzliche Umschlagen der Deichsel, sodass der Kläger mit einer spontanen reflexartigen extremen Bewegung gegensteuern musste, schließlich zu einer unphysiologischen Belastung der Achillessehne und ihrem Reißen geführt.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie trägt vor, der Kläger habe den Unfallhergang unterschiedlich dargestellt. Ein geeigneter Unfallhergang sei nicht geschildert worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 8. Dezember 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Entscheidung des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat seine Prozessbevollmächtigte einen Schriftsatz vom 18. April 2018 vorgelegt, nach dem ein Ausfallschritt nicht stattgefunden habe. Vielmehr habe der Kläger bei bereits erheblicher Muskelanspannung wegen des Ausbrechens des Anhängers seine Muskeln noch stärker Anspannen müssen. Dabei sei es zu der Ruptur gekommen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Ereignis vom 29. März 2012 ist kein Arbeitsunfall; die Achillessehnenruptur rechts ist folglich keine Unfallfolge.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Ereignisses vom 29. März 2012 als Arbeitsunfall. Die angegriffenen Bescheide, mit denen die Beklagte die Feststellung eines Arbeitsunfalls am 29. März 2012 abgelehnt hat, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall ist es danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang). Diese Verrichtung muss zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheits(erst)schadens (haftungsaus-füllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, sondern insbesondere für die Gewährung einer Verletztenrente (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 30. Juni 2009 - B 2 U 22/08 R, juris).

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses", "Unfallereignis" und "Gesundheitserstschaden" wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R, juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung infolge eines Versicherungsfalles muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst nachdem feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis eine naturwissenschaftliche Ursache für einen Erfolg ist, stellt sich die Frage nach einer wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, juris). Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das Ereignis vom 29. März 2012 nicht wesentlich für die stattgefundene Achillessehnenruptur rechts war. Beide Geschehen sind nicht geeignet, eine intakte Achillessehne zu schädigen. Die entgegenstehenden Behauptungen der Vorinstanz sind inhaltlich unklar und nicht nachvollziehbar.

Der Senat kann dahingestellt lassen, ob bei dem Ereignis vom 29. März 2012 ein schlichtes - wenn auch unter stärkster Kraftanstrengung erfolgtes - Schieben (so der aktenkundige klägerische Vortrag im Verwaltungsverfahren und im Schriftsatz vom 18. April 2018) oder ein Schieben unter stärkster Kraftanstrengung und wegen des Ausbrechens des Hängers mit erforderlichem Gegenstemmen und Ausweichschritt (so der vom Sachverständigen Dr. H. zugrunde gelegte und vom Kläger bis zur mündlichen Verhandlung unwidersprochene Vortrag) als Unfallgeschehen zu werten ist.

Zu berücksichtigen ist, dass die Achillessehne die stärkste Sehne innerhalb des menschlichen Körpers ist. Die Reißfestigkeit der Sehne übersteigt die Kraftbildungsgrenze der Wadenmuskulatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 420 f.). Zutreffend, weil im Einklang mit der herrschenden Meinung (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 420 ff.), hat der Sachverständige Dr. H. darauf hingewiesen, dass traumatische Verletzungen der Achillessehne nur bei einem Schlag bzw. Tritt gegen die vorgespannte Sehne oder einer plötzlichen Verlängerung der Muskel-Sehnen-Einheit mit gleichzeitiger Kontraktion des Muskels (z.B. Sturz nach vorn bei dabei fixiertem Fersenbein unter gleichzeitiger fußrückwärtiger Belastung des Fußes) denkbar ist. Abläufe wie Schieben, Gegenstemmen, Heben, Tragen, Sprung aus der Hocke sind hingegen nicht willkürlich gesteuerte Belastungen der Sehne und damit als Gelegenheitsanlässe und nicht Unfallereignisse anzusehen. Entsprechende Abläufe können die Sehne nicht gefährden, es fehlt hierbei bereits an der physiologisch-naturwissenschaftlichen Kausalität (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 423). Insofern haben der Beratungsarzt D., der Gutachter Dr. W. und der Sachverständige Dr. H. folgerichtig ausgeführt, dass das schlichte - wenn auch unter höchster Kraftanstrengung erfolgte - Schieben keinen geeigneten Unfallmechanismus darstellt. Soweit der Kläger eine - nach erfolgten Ausbrechens des Anhängers - weiter gesteigerte Muskelanspannung als Unfallgeschehen sieht, ist dies damit genau die Konstellation einer willentlichen physiologischen Kraftanstrengung, die bei einer intakten Achillessehne gerade nicht geeignet ist, diese zum Reißen zu bringen. Dieses Geschehen ist im Übrigen auch nicht vergleichbar mit einem Sturz nach vorn bei dabei fixiertem Fersenbein unter gleichzeitiger fußrückwärtiger Belastung des Fußes, der zu einer Verlängerung der Muskel-Sehnen-Einheit führt und was als Unfallgeschehen geeignet wäre.

Anderes folgt vorliegend schließlich auch nicht aus dem Sachverhalt, den der Sachverständige Dr. H. zugrunde gelegt hat und den der Kläger mit Schriftsatz vom 21. Juli 2016 bekräftigte ("Den Ausfallschritt, den der Kläger in dem Moment machen musste, als die Deichsel zur Seite schlug, "): Durch das plötzliche "Ausbrechen" des Hängers seien ein entsprechendes Gegenstemmen und ein entsprechender Ausweichschritt erforderlich geworden, welches dann zur entsprechenden Ruptur geführt habe. Zwar kann der sogenannte "schnelle Antritt" als eine Belastung, die nicht der anatomischen-biomechanischen Bestimmung der Achillessehne entspricht (sogenannte unphysiologische Belastung) gewertet werden, doch ist beim "schnellen Antritt" als typischer Unfallmechanismus zu differenzieren. Es handelt sich hierbei grundsätzlich nicht um eine unphysiologische Bewegung, da die Achillessehne hierfür gebaut und funktionell vorgesehen ist. Daher ist grundsätzlich der schnelle Antritt für eine eingetretene Zusammenhangstrennung unbeachtlich. Allerdings kann im Einzelfall zu prüfen sein, ob nicht ungeplante Änderungen des Bewegungsablaufs ("Störfaktoren") zu einer zusätzlichen Belastung der Achillessehne geführt haben, welche diese bei maximaler physiologischer Anspannung nicht mehr kompensieren konnte. Bei hoher kinetischer Belastung, z.B. beim Sprint oder Weitsprung, ist die biologische Reserve der Achillessehne kleiner. Hier können bereits kleine, leicht zu übersehende Störungen des Bewegungsablaufes zu unphysiologischen Belastungen führen, z.B. durch eine Bodenunebenheit (so Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 423 f.). Insoweit folgt der Senat den in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. H ... Dieser hat festgestellt, dass der Ausfallschritt keine zusätzliche Krafteinwirkung auf die maximal vorgespannte Achillessehne bedeutete, sondern vielmehr das Ausführen des Ausfallschrittes als Unterbrechung mit danach erneuter Anspannung der Achillessehne zu werten ist. Das bedeutet, das geschilderte Ausbrechen des Anhängers stellt hinsichtlich der Belastung der Achillessehne eine Zäsur dar: Vor dem Ausbrechen erfolgte eine willentliche und physiologische Belastung der Achillessehne. Mit dem Ausbrechen des Hängers erfolgte zunächst eine Entlastung der Sehne, sodann ein Umsetzen des Fußes (Ausfallschritt) und schließlich eine erneute Belastung der Sehne zum Gegenstemmen. Auch diese erneute Belastung der Sehne ist wiederum eine nicht willkürliche physiologische Belastung. Bei dieser letzteren willentlichen Belastung zum Gegenstemmen ist es sodann zu der Achillessehnenruptur gekommen. Eine unfallbedingte Verletzung, wie ausnahmsweise beim schnellen Antritt, ist hierin nicht zu sehen. Dieses wäre z.B. denkbar, wenn bei dem geschilderten Geschehensablauf kein Ausgleichsschritt erfolgt wäre und der Kläger vielmehr bei fixierten Fuß und angespannte Sehne durch das Ausbrechen des Hängers umgestoßen worden wäre. Das aber konnte der Kläger durch den Ausfallschritt gerade verhindern.

Damit existiert bereits kein geeigneter Unfallhergang, der zu der Ruptur der Achillessehne geführt haben könnte. Das Ereignis vom 29. März 2012 war damit unter Berücksichtigung der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht Auslöser sondern lediglich Anlass für die erfolgte Achillessehnenruptur rechts. Wesentlich ursächlich dürften die im histologischen Befund festgestellten degenerativen Vorschäden an der Achillessehne gewesen sein. Dies steht in Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H., wonach ab dem 40. Lebensjahr häufig degenerative Veränderungen an der Achillessehne erfolgen, diese jedoch (zunächst) asymptomatisch bleiben und ab dem 50. Lebensjahr nicht selten plötzlich Achillessehnenrupturen auf Basis der bis dahin asymptomatisch gebliebenen Achillessehnendegeneration im Rahmen von Alltagsbewegungen entstehen. Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses war der Kläger 55 Jahre alt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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