L 7 VE 6/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 14 VE 16/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VE 6/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. April 2015 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben sich für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen einer sexuell motivierten Straftat im Kindesalter der Klägerin aus dem Jahr 1996.

Am 18. Oktober 2007 beantragte die am ... 1985 geborene Klägerin Beschädigtenversorgung beim Beklagten nach dem OEG. Sie gab an, sie sei um Pfingsten des Jahres 1996, im Alter von 11 Jahren von ihrem damals 23-jährigen Cousin D. W. sexuell missbraucht und vergewaltigt worden. Hierbei wies sie auf ein entsprechendes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft H. (839/Js 86464/04) hin, was auch zu einer Verurteilung des Täters geführt habe.

Der Beklagten zog die Strafakten bei, aus denen sich Folgendes ergab:

Nach einer Zeugenvernehmung vom 2. Februar 2004 hatte die Klägerin im Rahmen einer Strafanzeige wegen sexueller Nötigung zum Nachteil ihrer Schwester S. angegeben: Nach einem Gesellschaftsspieleabend am 3. Januar 2004 bis 2.00 Uhr nachts habe D. W. ihr zu verstehen gegeben, dass sie bei ihm übernachten solle. Sie habe zuvor mitbekommen, dass er Kondome dabei gehabt habe und sein Ansinnen abgelehnt, im Gästezimmer des Onkels übernachtet und dabei die Zimmertür verschlossen. Am nächsten Tag habe er ihr von einem sexuellen Übergriff gegen ihre Schwester S. vom 6. September 2003 beim Nachtangeln berichtet. Hiernach habe er ihre Schwester S. auf seinen Schoß gesetzt und an die Brüste gefasst. Auch habe er ihr in die Hose gefasst und sei mit den Fingern in ihre Scheide eingedrungen. Da zu viele Personen beim Nachtangeln gewesen seien, sei nichts Weiteres geschehen. Er habe jedoch angegeben, mit S. schlafen zu wollen. Sie habe daraufhin D. W. gefragt, ob er sie "verarschen" wolle. Während der Heimfahrt mit ihm habe er wiederholt gefragt, ob sie (die Klägerin) mit ihm schlafen wolle. Dies habe sie strikt abgelehnt, auf dessen Frau verwiesen und zudem angegeben, einen Verlobten zu haben. D. W. habe sie dann zu Hause abgesetzt. Zwei Tage später habe sie ihre Schwester auf den Vorfall angesprochen, die ihr unter Tränen angegeben habe, was beim Nachtangeln vorgefallen sei. Da sie gewusst habe, dass die Sache mit ihrer Schwester schwer zu beweisen sei, habe sie D. W. dazu gebracht, nochmals über die Tat zu berichten, während – wie von ihr geplant – ihre Tante M. R. das Gespräch in der Waschküche belauscht habe. Während des Gesprächs habe der Beschuldigte ihr sein Geschlechtsteil gezeigt.

Im weiteren Verlauf der Vernehmung hatte die Klägerin angegeben: D. W. habe sich vor ca. 7 Jahren an ihr mit 11 Jahren vergangen. Zunächst habe er sie am Geschlechtsteil angefasst und anschließend vergewaltigt. Zu dieser Zeit sei sie noch nicht aufgeklärt gewesen. Zu der Aussage habe sie sich erst jetzt entschlossen, da die Vorfälle gegenüber der Schwester kein Einzelfall gewesen seien. D. W. habe sich auch an anderen weiblichen Familienangehörigen vergangen.

Bezüglich der Straftaten gegen die Klägerin stellte die Staatsanwaltschaft H. das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) zunächst ein und hatte wegen des Vorfalls vom 6. September 2003 zum Nachteil von S. Q. Anklage beim Amtsgericht W. – Schöffengericht erhoben. Dies führte zu einer ersten Verurteilung des D. W. durch das Amtsgericht W. (7 Ls 839 Js 76828/04) mit Urteil vom 25. November 2004. Der Angeklagte wurde wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt.

Am 30. Dezember 2004 hatte die Klägerin die Wiederaufnahme ihres Verfahrens beantragt. Am 7. April 2005 wurde daraufhin eine nochmalige Vernehmung vor dem Polizeirevier K. angeordnet. Die Klägerin hatte darin detailgenaue Angaben zum Geschehen im Jahr 1996 gemacht und mitgeteilt, dass sie seit Januar 2005 mit einer Freundin nach Bayern gezogen sei. Dort gehe es ihr jetzt besser. Gleichwohl habe D. W. ihr Leben zerstört. Sie werde sich demnächst in psychologische Behandlung begeben.

Nach Erhebung einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft H. in dieser Sache hatte das Amtsgericht W. die Erstattung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie Dr. K. (Klinikum B.) vom 31. Januar 2006 (Untersuchung vom 14. Dezember bis 16. Dezember 2005) angeordnet. Gegenüber dem Sachverständigen Dr. K. habe die Klägerin angegeben, lediglich vom Hausarzt behandelt zu werden. Eine psychopharmakologische Medikation bzw. psychiatrische Behandlung erfolge nicht. Weiter habe sie angegeben, es gehe ihr, mit Ausnahme einer gewissen Müdigkeit, gut. Sie habe keine körperlichen oder psychischen Beschwerden. In psychiatrischer Hinsicht fühle sie sich nicht krank. Nach Abschluss des Facharbeiterbriefes beabsichtige sie in Österreich zu arbeiten oder zur Bundeswehr zu gehen. Im Jahr 2002 habe sie einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt.

Die sexuelle Aufklärung sei in der 7. Klasse erfolgt. Sie habe zunehmend Probleme in der Schule bekommen. In der Schule sei sie von einem "Psychopathen" verprügelt worden und habe das Klassenziel der 7. Klasse drei Mal nicht erreicht. Mit 17 Jahren sei sie zu ihrem Freund nach V. gezogen und habe mit ihm in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Im August 2004/2005 habe sie sich dann von ihm getrennt. Nach einem Praktikum in Bad Grund, sei sie nach einer Kündigung wieder nach Hause zu den Eltern und dann im Januar 2005 nach Bayern gezogen. Zurzeit mache sie eine Ausbildung in der O.-Schule und wohne wieder bei den Eltern. Sie beschäftige sich in der Freizeit mit Computerspielen, Malerei und Kartenspielen. Gegenwärtig sei sie ohne Partner. Kurz vor der Begutachtung sei die Klägerin wegen einer von ihr begangenen Tätlichkeit gegenüber einer weiblichen Person vom Amtsgericht W. zu einer Arbeitsauflage von 40 Arbeitsstunden bestraft worden, nachdem sie sich in einen Streit ihrer Schwester eingemischt und eine dritte Person angegriffen habe.

In psychiatrischer Hinsicht habe der gepflegte Eindruck der Klägerin und ihre rege Gestik und Mimik imponiert. Eine Krankheitseinsicht oder ein Krankheitsgefühl bestünde nicht. Psychiatrische Diagnosen seien nicht zu stellen. Vor diesem Hintergrund bestünden keine Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der Klägerin über den Vorfall aus dem Jahr 1996.

Das Amtsgericht W. (8 Ls 839 Js 86464/04) hatte D. W. unter Einbeziehung der weiteren Verurteilung wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung verurteilt und der Klägerin ein Schmerzensgeld von 4.500,00 EUR zuerkannt. Nach Einlegung eines Rechtsmittels wurde D. W. vom Landgericht M. rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Auf die Anfrage des Beklagten, in welcher Weise sie ärztlich behandelt werde, gab die Klägerin an, sie sei beim Paritätischen Beratungszentrum in Behandlung und übersandte einen Beratungsnachweis vom 3. März 2008. Auf eine Nachfrage des Beklagten gab die Stadt W. unter dem 2. Juli 2009 an: Die Klägerin habe zwei Beratungstermine wahrgenommen. Nähere Berichte könnten wegen des nur kurzen Kontaktes nicht vorgelegt werden. Die Krankenkasse der Klägerin (BKK Salzgitter) gab am 30. November 2007 an, dass die Klägerin bei ihr seit dem 1. Januar 1999 versichert sei, jedoch Leistungen nicht beansprucht habe.

Der Ärztliche Gutachter des Beklagten Dr. B. wertete die Befunde am 17. März 2010 aus und hielt die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge für nicht gerechtfertigt. Nach dem strafgerichtlichen Gutachten von Dr. K. hätten sich bei der Klägerin keine psychiatrischen Diagnosen ergeben. Hinweise auf Brückensymptome oder psychische Erkrankungen und entsprechende Behandlungen seien ebenfalls nicht dokumentiert.

Mit Bescheid vom 9. April 2010 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beschädigtenversorgung mangels psychiatrisch-neurologischer Diagnosen ab. Hiergegen hat die Klägerin am 10. Mai 2010 Widerspruch eingelegt und geltend gemacht: Der Verurteilte komme am 23. August 2010 aus der Strafhaft, was sie mit Panik erfülle. Sie habe sich erneut in psychologische Behandlung begeben müssen. Auch leide sie daran, keine richtige Partnerschaft eingehen zu können.

Auf Nachfrage des Beklagten gab die Dipl.-Sozialpädagogin Berthold vom Beratungszentrum des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband am 14. September 2010 an: Die Klägerin habe lediglich am 6. Mai 2010 ein Erstgespräch in Anspruch genommen.

Im September 2010 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie solle sich zur stationären Behandlung in das Klinikum B. begeben. Auch müsse sie Antidepressiva einnehmen. Die Therapieaufnahme scheitere derzeit am mangelnden Versicherungsschutz. Zu Glaubhaftmachung hat sie ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B. vom 20. September 2010 vorgelegt. Danach leide die Klägerin an einer akut exazerbierten posttraumatischen Belastungsstörung mit aktuell schwerer Angstpsychose.

Der Beklagte zog einen Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Klinikum B.) vom 1. Februar 2011 bei. Darin berichtete Chefarzt Dr. K. über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 25. bis 31. Dezember 2010 unter der Diagnose Suizidversuch durch Tablettenintoxikation im Rahmen einer Anpassungsstörung bei partnerschaftlichem Konflikt. Die Klägerin habe sich in der Aufnahmesituation unkooperativ, verbal aggressiv und mit wenig Krankheitseinsicht gezeigt. Dies habe ihre stationäre Unterbringung gerechtfertigt. Ihr letzter Aufenthalt sei im September 2010 erfolgt. Die Klägerin sei der Empfehlung, eine ambulante Psychotherapie zu beginnen, nicht gefolgt. Bei Aufnahme hätten sich Tätowierungen sowie ein Piercing im Mundbereich gezeigt. Das Verhalten sei verbal aggressiv gewesen und habe eine kindlich fordernde Art gezeigt. Im Verlauf der Behandlung sei es gelungen, bei ihr ein aufgeschlossenes und freundliches Verhalten gegenüber Dritten zu erreichen. Sie habe auch Bereitschaft gezeigt, sich auf freiwilliger Basis stationär behandeln zu lassen. Im Behandlungsverlauf habe sie Angaben gemacht, dass sie an Perspektivängsten wegen der Ex-Partnerschaft leide und sie zudem befürchte, dass ihr ehemaliger Lebenspartner die Wohnung ausräumen werde. Bezüglich der Suizidabsichten sei eine deutliche Distanzierung mit ausreichendem Lebenswillen erreicht worden. Nach Ablauf der Woche habe die Klägerin auf ihre Entlassung gedrängt. Eine regelmäßige Medikation sei nicht zu empfehlen. Eine psychotherapeutische Weiterbehandlung sei dagegen zu erwägen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der stationäre Aufenthalt im Klinikum B. habe einen aktuellen Partnerschaftskonflikt, jedoch keinen Zusammenhang zu dem mehr als 14 Jahre zurückliegenden sexuellen Missbrauch sowie der Vergewaltigung aus dem Jahr 1996 aufgewiesen. Ein Versorgungsanspruch bestehe daher nicht.

Hiergegen hat die Klägerin am 20. Juni 2011 Klage beim Sozialgericht (SG) M. erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt. Durch die von D. W. im Jahr 1996 begangene Straftat leide sie an ständigen Angstzuständen und Panikattacken. Sie habe sich sozial zurückgezogen und müsse Antidepressiva einnehmen. Infolge der Schädigung sei sie beziehungsunfähig geworden und habe sich auch medizinisch wegen der Schädigungsfolgen behandeln lassen müssen.

Nach einem beigefügten Zeugnis der Berufsbildenden Schulen W. hat die Klägerin eine zweijährige Berufsfachschule Kosmetik besucht.

Das SG hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Die Fachärztin für Nervenheilkunde Dr. K. hat am 3. September 2013 über eine einmalige Behandlung am 30. Mai 2013 wegen Schlafstörungen berichtet. In einem beigefügten Arztbrief über diese Behandlung vom 3. Juni 2013 hatte Dr. K. ein depressives Syndrom bei multiplen psychosozialen Belastungen und traumatisierender Vorgeschichte diagnostiziert. Die Klägerin habe angegeben, vor der Prüfung zur Facharbeiterin für Touristikassistenz zu stehen. Ihr sei der Nebenjob als Kellnerin am letzten Sonntag gekündigt worden. Der Suizidversuch im Jahr 2010 sei eine Reaktion auf die Trennung von ihrem Verlobten gewesen. In früheren Jahren habe sie Drogenerfahrungen mit Hasch sowie Speed gehabt, den Konsum jedoch wieder eingestellt. Die Klägerin habe affektiv traurig und gedrückt, resonanzfähig und ängstlich gewirkt. Therapeutisch seien Amitriptylin-Tropfen 5 – 20 nach Bedarf zu empfehlen. Eine tagesklinische Behandlung sei sinnvoll. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B. hat eine psychosomatische Funktionsstörung als reaktive depressive Psychose diagnostiziert. Eine Leistungsminderung oder erhebliche Gefährdung des Leistungsvermögens sei jedoch nicht gegeben. In einem beigefügten Arztbrief hat Chefarzt Dr. K. am 5. Oktober 2010 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 24. bis 28. September 2010 in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie unter der Einweisungsdiagnose einer posttraumatische Belastungsstörung berichtet: Die Klägerin habe die Einnahme von Psychopharmaka abgelehnt. Sie sei vom sozialpsychiatrischen Dienst angemeldet worden. Sie habe über finanzielle Probleme berichtet. Die Eltern hätten angegeben, dass die Klägerin mit den Folgen eines sexuellen Missbrauchs aus dem Jahr 1996 nicht zurechtkomme. Der Täter sei seit dem 13. August 2010 wieder auf freiem Fuß. Ständig sei der sexuelle Missbrauch Gesprächsthema. Die Mutter habe der Klägerin Vorwürfe gemacht, erst im Jahr 2003 hierzu Angaben gemacht zu haben. Wäre dies früher erfolgt, hätte sie ihrer Schwester möglicherweise ähnliches Leid ersparen können. Vor kurzem habe sie den Täter gesehen und sei zusammengebrochen. Nachdem sie als Jugendliche die Zeitschrift Bravo gelesen habe, sei ihr erst klar geworden, was mit ihr passiert sei. Einen Schwangerschaftsabbruch habe sie im Jahr 2002 gehabt. Sie hätte gern das Kind behalten, jedoch sei ihre Mutter dagegen gewesen. Die letzte Beziehung zu einem Mann habe von Mai bis August 2010 gedauert. Die längste Beziehung sei über vier Jahre gegangen. Der Lebenspartner sei jedoch spielsüchtig gewesen und habe sie geschlagen. Ihr leiblicher Vater sei von Beruf LKW-Fahrer, lebe in W. und menschlich ein "Arschloch". Sie sei aus einer Affäre ihrer Mutter mit diesem Mann entstanden. Sie habe fünf Halbgeschwister. Zu den Schwestern bestehe kein gutes Verhältnis, während dies zu den Brüdern besser sei. Das Verhältnis zum Stiefvater sei gut, zur Mutter angespannt. Vor dem Täter habe sie keine Angst mehr, da sie keine 11 Jahre mehr sei und sich wehren könne. Sie hoffe auf eine Opferentschädigung, wenn sie eine Therapie mache. Aktuell absolviere sie eine Ausbildung zur Kosmetikerin. Eine Kochlehre von 2006 bis 2009 sei an der praktischen Prüfung und wegen eines Streits mit ihrem damaligen Chef gescheitert.

Die Klägerin habe einen gepflegten Eindruck mit reger Gestik und Mimik gezeigt. Sie sei schwingungsfähig und im Antrieb neutral. Die Klägerin habe angegeben, schnell "auszurasten". Im Verlauf der Behandlung habe sie ein angepasstes Verhalten gezeigt, dabei recht kindlich und zum Teil fordernd gewirkt. Immer wieder habe sie angehalten werden müssen, an Therapien teilzunehmen. Wegen Problemen mit einer Zimmernachbarin habe sie ein Einzelzimmer verlangt und habe sich dann zur Entlassung entschieden. Die Entlassungsdiagnose lautet: Anpassungsstörung bei sexuellem Missbrauch in der Kindheit mit familiären Konflikten. Bei der Interpretation der Testergebnisse sei zu beachten, dass der Test eventuell nicht verstanden oder die Pathologie bewusst übertrieben worden sei.

In Auswertung dieser Befunde hat der Beklagte eine Stellungnahme seiner Gutachterin S. vom 11. Oktober 2013 vorgelegt. Danach sei nach den vorgelegten Unterlagen nicht von einer psychischen Störung auszugehen, die ursächlich durch die Schädigung von 1996 entstanden sei. Die beklagte Symptomatik lasse sich aus den "schwierigen Startbedingungen" der Klägerin erklären.

Das SG hat ein Psychiatrisches Sachverständigengutachten vom Facharzt für Psychiatrie und Psychiatrie Dr. F. vom 1. März 2015 erstatten lassen, der ausgeführt hat:

Die Klägerin habe angegeben, dass es ihr bis zum 14. Lebensjahr eigentlich nicht klar gewesen sei, was im Jahr 1996 passiert sei. Dies sei erst nach Lektüre einer "Bravo" offenkundig geworden. Versuche, mit der Mutter darüber zu sprechen, seien gescheitert, da sie den Eindruck gehabt habe, dass sie nicht habe mit ihr reden wollen. Dies habe sie frustriert und deprimiert, was zu einem Rückzugsverhalten und Schulschwierigkeiten geführt habe. Im Rahmen einer Krise sei es dann auch zu Selbstverletzungen gekommen. Sie habe sich in der Familie als Außenseiter gefühlt, habe das Gefühl beziehungsunfähig zu sein und den Eindruck, kein befriedigendes Sexualleben haben zu können. Die Vergewaltigung sei unmittelbar gegenwärtig durch häufige Alpträume, ständige Angst und dem Gefühl einer inneren Alarmbereitschaft. Sie leide unter heftigen Gefühlsschwankungen und habe Phasen, in denen sie das Bett nicht verlassen könne. Diese Phasen dauerten jedoch selten länger als einen Tag. Sie habe häufig Alpträume in denen sich der Missbrauch wiederhole, aber auch andere Alpträume, die keinen Zusammenhang dazu erkennen ließen.

Eine Behandlung im Jahr 2010 habe sie wegen einer schnarchenden Mitpatientin, die zudem ihre Zahnbürste benutzt habe, abgebrochen. Im Jahr 2010 sei sie auch wegen eines Suizidversuchs eine Woche stationär aufgenommen worden, was sie als Bestrafung empfunden habe. Seit 2012 sei sie unregelmäßig bei einer Nervenärztin in Behandlung. Diese habe ihr ein Schlafmedikament empfohlen, was sie nach Bedarf einnehme. Von ihrem Hausarzt habe sie Prothazin als Notfalltropfen erhalten. Sie stehe zwischen 8.00 Uhr bis 10.00 Uhr auf. Nach der Körperpflege und dem Frühstück beschäftige sie sich mit dem Haushalt. Ab und zu besuche sie ein Fitnessstudio. Sie habe drei beste Freundinnen, zu denen ein sehr guter Kontakt bestehe. Sie interessiere sich für Tätowierungen, male und zeichne und lese Fantasy-Literatur sowie Thriller. Seit August 2014 sei sie arbeitslos. Den letzten Arbeitsplatz im Hotel auf Norderney habe sie wegen Mobbing verloren.

Von ihrer Mutter habe sie sich immer abgelehnt gefühlt. Oft habe ihre Mutter ihr zu verstehen gegeben, dass sie sie an den leiblichen Vater erinnere. Zur Zeit der Strafverfahren habe sich die ganze Aufmerksamkeit und Sorge auf die jüngere Schwester gerichtet, während die Mutter ihr Vorwürfe gemacht habe, über ihr Missbrauchserlebnis nicht früher berichtet zu haben. Die Mutter hat zudem den Kontakt zum Umfeld des Täters weiter aufrechterhalten. Der leibliche Vater habe keine Rolle gespielt und sei nur eine kurze Affäre der Mutter gewesen. Während der Schwangerschaft habe die Mutter den 26 Jahre älteren Stiefvater kennengelernt. Dieser arbeite als Disponent. Das Verhältnis zum Stiefvater sei deutlich besser als zur Mutter.

Im psychopathologischen Befund habe die Klägerin sehr freundlich, zuvorkommend und kooperativ, beinahe überangepasst gewirkt. Nach dem Selbstbild versuche sie es ständig, es anderen recht zu machen. Gleichzeitig habe sie auch das Gefühl, Menschen nicht vertrauen zu können. Hinweise auf Konzentrations- oder Gedächtniseinbußen bestünden nicht. Sie habe eine Grübelneigung und Gedankenkreisen zum Thema des sexuellen Missbrauchs geschildert. Weiter habe sie über diffuse Ängste, Angst im Dunkeln, jedoch keine Zwangsphänomene berichtet. Der Affekt habe ausgeglichen gewirkt. Die Klägerin habe glaubhaft Phasen der Gereiztheit sowie eine unterschwellige Aggressivität und das Gefühl ständiger Angespanntheit und depressiver Einbrüche geschildert. Der Antrieb habe nicht eingeschränkt gewirkt. In der Testpsychologie habe sich ein durchschnittlicher IQ (97) ergeben.

Bei der Klägerin bestehe ein komplexes psychopathologisches Bild. Symptomatisch sei die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen. Eine Dekompensation sei im Zusammenhang mit der Haftentlassung des Täters eingetreten. Neben der Traumatisierung durch den sexuellen Übergriff fänden sich Hinweise auf eine frühere Traumatisierung im Sinne eines Bindungstraumas. Die Klägerin sei offenbar ein ungewolltes Kind und Ergebnis eines bloßen sexuellen Kontakts, jedoch keiner Beziehung gewesen. Die Mutter-Tochter-Beziehung sei gestört. Dies zeige sich am Verhalten der Mutter gegenüber der Klägerin in Form des Vorwurfs, den Vorfall aus dem Jahr 1996 nicht frühzeitig mitgeteilt zu haben. Auffallend sei dabei, dass die Klägerin versucht habe, den Missbrauchsfall gegenüber der Schwester aufklären zu helfen, dem Täter Fallen zu stellen und die eigene Vergewaltigung nur anzuzeigen, um das Verbrechen an der Schwester sühnen zu lassen. Im Rahmen der Exploration lasse die Klägerin den Gutachter affektiv nicht spüren, welche Gefühle durch die Traumatisierung entstanden seien. Dieses Verhalten weise auf eine frühe Bindungsstörung hin. Bei der Klägerin seien Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung nachgewiesen. Die Klägerin habe glaubhaft wiederkehrende Alpträume und ein Vermeideverhalten geschildet. Die früh gestörte Mutter-Tochter-Beziehung mag Anteil daran haben, dass die Klägerin die spätere sexuelle Traumatisierung nicht habe verarbeiten können. Die Vergewaltigung sei jedoch nicht als bloße Gelegenheitsursache zu werten. Diagnostisch sei von einer posttraumatischen Belastungsstörung mit emotional instabilen Borderline-Anteilen auszugehen. Die klinischen Kernsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (Alpträume, Vermeideverhalten, Schwierigkeiten in der Gestaltung sexueller Beziehungen, allgemeine Beziehungsprobleme, wiederkehrende Therapieabbrüche, Probleme in der Lebensorganisation) seien gegeben. In den medizinischen Befunden seien die Symptome nur grob nachweisbar. Merkmale in der Biographie seien nicht im Sinne einer Traumafolge interpretiert worden. Der Grad der Schädigungsfolge (GdS) werde von ihm mit 30 eingeschätzt.

Deutliche Diskrepanzen bestünden zu den bisherigen Einschätzungen. Im Glaubwürdigkeitsgutachten werde von der Klägerin ein gutes Verhältnis zur Mutter geschildert. Offenbar falle es ihr schwer, die offenkundige Benachteiligung durch die Mutter anzuerkennen. Die freundlich angepasste Erscheinung werde im Sinne einer seelischen Gesundheit fehlgedeutet. Das Klinikum habe für den Septemberaufenthalt im Jahr 2010 eine posttraumatische Belastungsstörung bestätigt. Der versorgungsmedizinische Dienst habe daher nicht nachvollziehbar lediglich eine Anpassungsstörung aus dem Bericht des Klinikums abgeleitet. Gerade bei schweren Traumatisierungen seien Therapieabbrüche häufig zu beobachten.

Das SG hat mit Urteil vom 30. April 2015 die Bescheide des Beklagten aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung einer stärker behindernden psychischen Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit als Schädigungsfolge eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 30 ab dem 1. Oktober 2007 zu gewähren. Zur Begründung hat sich das SG dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen der Sachverständigen Dr. F. gestützt.

Mit seiner am 9. Juli 2015 gegen das am 9. Juni 2015 zugestellte Urteil eingelegten Berufung hat der Beklagte geltend gemacht: Nach dem strafrechtlichen Gutachten von Dr. K. habe sich kein Hinweis auf eine psychiatrische Erkrankung der Klägerin ergeben. Dr. F. Kausalitätsbeurteilung beruhe lediglich auf den Angaben der Klägerin, obwohl diese deutlich von den in der Akte dokumentierten früheren Angaben abwichen. Fehlerhaft sei die Annahme des Sachverständigen Dr. F., das Klinikum habe bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Dies sei lediglich die Eingangsdiagnose gewesen. Bei der Entlassung habe die Diagnose dagegen Anpassungsstörung bei sexuellem Missbrauch in der Kindheit mit familiären Konflikten gelautet. Im Dezember 2010 sei dann im Klinikum die Diagnose des Suizidversuchs durch Tablettenintoxikation im Rahmen einer Anpassungsstörung bei partnerschaftlichem Konflikt gestellt worden. Auch die Nervenärztin Dr. K. habe die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht genannt, so dass keiner der psychiatrischen Vorbehandler der Klägerin die von Dr. F. vertretene Diagnose bestätigt habe. Das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung sei bei der Klägerin zudem nicht gegeben. Zur Bekräftigung hat der Beklagte eine undatierte Stellungnahme seiner Gutachterin S. vorgelegt. Danach sei bei der Klägerin von einer schädigungsunabhängigen emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung auszugehen. Sollte daneben eine posttraumatische Belastungsstörung bestehen, gäbe es bei beiden Erkrankungen deutliche Überschneidungen. Wesentliche soziale Anpassungsstörungen ließen sich bei der Klägerin nicht feststellen. Ein GdS von 25 sei nicht zu begründen. Weder der schulische Leitungsabfall noch der zeitweilige Drogenkonsum sei im Sinne einer psychischen Erkrankung zu interpretieren.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. April 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und die erstinstanzliche Beweiserhebung für zutreffend.

Am 26. April 2015 hat die Klägerin geheiratet und am 27. Juli 2015 die gemeinsame Tochter E.-M. geboren.

Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B. hat über die Behandlung verschiedener Erkrankungen (u.a. Gastroenteritis, Allergien, psychische Dekompensation, psychosomatische Funktionsstörung, Patellaluxation) seit dem 8. Juni 2009 berichtet. Die subjektive Beeinträchtigung habe sich seit 2015 verringert. Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. R. hat am 9. September 2016 über häufige Infektionen der Luftwege und des Magen-Darm-Traktes bis zur letztmaligen Behandlung im Dezember 2014 berichtet.

Der Senat hat sich von der Klägerin Zeugnisse aus den Jahren 1994 bis 2003 vorlegen lassen. Im Zeugnis der Grundschule für das Jahr 1996/1997 wird angegeben, dass der Klägerin das Lernen nicht leicht falle, sie jedoch bemüht sei, sich zu verbessern. Zu den Mitschülern habe die Klägerin ein gutes Verhältnis. Im Halbjahreszeugnis 1997/1998 zeigte sich keine mangelhafte Bewertung bzw. sonstige Auffälligkeiten im Leistungsbild.

Der Senat hat ein fachpsychiatrisches und fachneurologisches Gutachten vom Privatdozent Dr. G. eingeholt, was am 17. November 2017 bei Gericht einging. Der Sachverständige hat zur Untersuchung vom 7. November 2017 ausgeführt: Die Klägerin sei das erste Kind gewesen. Nach ihr seien noch fünf Halbgeschwister geboren worden. Ihren leiblichen Vater habe sie einmal in der Stadt gesehen. Der habe ihr vorgeworfen, dass sie wie ihre Mutter sei und ein Kind nach dem anderen bekäme. Sie habe ihn daraufhin schroff abgefertigt. Zwischen den leiblichen Eltern habe es immer Stress gegeben. Als sie den leiblichen Vater einmal im Hotel bei der Arbeit gesehen habe, habe er ihr Trinkgeld geben wollen, was sie aber abgelehnt habe. Anfangs seien die Schulleistungen nicht so schlecht gewesen. Ihre Mutter habe sie wegen schlechter Schulnoten ins Internat stecken wollen. Die Schule habe sie aus "Gnatz" schlecht gemacht. Am 2. Dezember 2000 sei dann auch noch die Oma verstorben. Sie sei häufig von zu Hause abgehauen. Wegen einer Schwangerschaft habe die Mutter sie krankenhausreif geschlagen und zur Abtreibung gezwungen. Sie sei dann zum Opa geflüchtet, worauf die Mutter das Jugendamt eingeschaltet habe. Die Mutter habe sie im Beisein des Opas geschlagen, worauf der Opa die Mutter hinausgeworfen und ein Hausverbot erteilt habe. Ergänzend habe die Klägerin angefügt, dass die Mutter sie bereits mit 14 Jahren ins Internat habe stecken wollen. Zu diesem Zeitpunkt habe sie versucht, ihren leiblichen Vater kennenzulernen. Auf Betreiben der Mutter habe sie ein Heim in M. anschauen müssen. Sie habe einem Heimaufenthalt jedoch widersprochen, weswegen es dazu auch nicht gekommen sei. Auf die Frage, wie sie das Handeln der Mutter bewerte, hat die Klägerin angegeben: Sie habe zwar immer Kindergeld und Unterhalt bekommen, sie aber nicht einmal im Leben in den Arm genommen. Sie habe mit 17 Jahren bei O. in V. und bei den Großeltern in W. gewohnt. Mit 17 Jahren habe sie ein Berufsvorbereitungsjahr gemacht, jedoch den Sport verweigert. Sie sei halt ein Sturkopf. Wenn sie nicht wolle, dann wolle sie nicht. Wenn sie nicht in Ausbildung gewesen sei, sei sie mit O.über Jahre hinweg auf Fernfahrt gewesen. Dieser habe gut verdient. Im Jahr 2005 habe sie erfahren, dass er sie betrogen habe. Sie habe überraschend frei bekommen und sei nach Hause gefahren, wo sie ihn mit einer Frau "in flagranti" erwischt habe. Sie habe die Sachen der Frau aus dem Fenster geworfen und habe gedroht, den Hund auf sie zu hetzen.

Die Partnerschaft habe sich dann wieder eingerenkt. Sie habe das Schlafzimmer auf seine Kosten erneuert. Im Jahr 2007 sei der Opa verstorben, was sie schwer getroffen habe. Bis zum Jahr 2010 sei sie mit O. zusammen gewesen. Am 23. Dezember 2010 habe er ihr dann gesagt, dass er eine andere Frau habe und sich wegen ihres sexuellen Desinteresses von ihr trennen wolle. Darauf habe sie versucht, sich mit Tabletten umzubringen.

Von 2005 bis 2006 habe sie ihren Hauptschulabschluss nachgeholt. Sie habe eine Ausbildung zur Köchin gemacht und die Zwischenprüfung mit "gut" bestanden. Während der drei Jahren Ausbildungszeit sei sie mit großem Engagement Klassensprecherin gewesen. Einmal sei sie über einen Bildungsträger in einem 5-Sterne-Hotel in Graz gewesen. Während der Ausbildung habe es Mobbingsituationen gegeben, da einer der Jungen ("Lappen") etwas von ihr gewollt habe. Daraufhin habe sie ihm in die Kniekehle getreten, so dass er zu Boden gegangen sei. In der Küche gehe es manchmal rau zu. Zur Abschlussprüfung sei sie dann nicht angetreten. Von 2009 bis 2010 habe sie eine Kosmetikausbildung begonnen.

Nach dem Suizidversuch habe ihre Mutter ihr auf der Intensivstation Vorwürfe gemacht, da sie "ihr das Weihnachtsfest versaut" habe. Sie habe diese dann durch medizinisches Personal hinauswerfen lassen. Das Angebot von O., wieder bei ihr zu wohnen, habe sie abgelehnt. Anschließend habe sie zwei Monate bei einer Freundin gewohnt. Nachdem sie eine neue Wohnung bekommen habe, habe sie eine Ausbildung zur "Staatlich geprüften Wirtschafts- und Touristikassistentin" begonnen und im Jahr 2013 auch erfolgreich bestanden. Über ein Dating-Portal habe sie Kontakt mit ihrem Jugendfreund aufgenommen. Sie seien dann wieder zusammengekommen. Heute führten sie eine glückliche Beziehung und hätten zwei Kinder.

Auf psychiatrische Behandlungen angesprochen hat die Klägerin erklärt: Sie habe beim Paritätischen Familienverbund eine Beratung erhalten. Im Jahr 2012/2013 sei sie bei Dr. K. gewesen, die ihr jedoch nur Tabletten verschrieben habe. Ambulant sei sie nicht in psychiatrischer oder psychologischer Behandlung gewesen. Sie nehme auch derzeit keine Psychopharmaka.

Aktuell sei sie in Elternzeit, während ihr Mann in Schichten arbeite. Sie beabsichtige, den Führerschein zu machen und habe die Theorie bestanden. In familiärer Hinsicht gebe es nach wie vor Probleme. Die Beziehung zur Mutter sei nach wie vor sehr angespannt. Ihre Mutter habe sie wiederholt geschlagen und die Halbschwestern ("ihre Prinzessinnen") vorgezogen. Obwohl ihr Spargel nicht schmecke, habe sie ihn bis zum Erbrechen essen müssen und sei dann durch das ganze Zimmer geprügelt worden. Als sie mit 16 Jahren schwanger gewesen sei, habe die Mutter sie blutig geschlagen, so dass der Stiefvater habe dazwischen gehen müssen. Ihre eifersüchtige Schwester C. habe ihr aktuell auf der Straße gedroht, "das Kind aus dem Bauch zu treten". Sie habe sich dann an die Mutter gewandt und gedroht, die Schwester zu schlagen. Die Mutter habe wieder einmal mit erhobener Hand vor ihr gestanden. Daraufhin habe sie sich zusammengenommen, "endgültig mit ihr gebrochen und ihr gesagt, dass jetzt Schluss ist."

Nach dem Bericht über den Schadensvorgang im Jahr 1996 hat die Klägerin zu den Schadensfolgen angegeben: Ihr Mann habe es nicht leicht mit ihr. Sie habe es immer noch schwer, sich anzupassen. Sie sei der Meinung, "dass schon meine Mutter das verkackt hat, vom 0. bis 6. Lebensjahr wurde mein Urvertrauen zerstört." Als ihre Tochter E-M. geboren worden sei, habe sie die Hoffnung gehabt, dass ihre Mutter vielleicht "eine bessere Oma als Mama sei". Dies sei aber nicht so gewesen, so dass sie jetzt mit der Mutter endgültig gebrochen habe. Nach ihrem Suizidversuch habe die Mutter sich auch geweigert, sie wieder aufzunehmen. Infolge der Schädigung sei sie sehr impulsiv. Sie träume sehr viel, was sie auf die damaligen Ereignisse zurückführe. Sie träume davon, dass ihr die Kinder weggenommen würden. Auch habe sie große Angst, dass ihren Kindern etwas zustoßen könne. Sie meide Dunkelheit und fahre auch keinen Fahrstuhl. Auch habe sie Höhenangst. Auf konkrete Nachfrage habe die Klägerin angegeben, sich die Zunge, die Brustwarzen und die Schamlippen gepierct zu haben. An beiden Armen, im Bereich beider Brüste und des Rückens befänden sich Tätowierungen. Der Blutdruck habe 120/74 mmHg bei einem Puls von 68 Schlägen betragen.

In psychischer Hinsicht habe die Klägerin bewusstseinsklar und voll orientiert bei durchschnittlicher Intelligenz gewirkt. Auffällig sei gewesen, dass sie wiederholt von der Fragestellung abgewichen sei. Die Besprechung zu Konflikten in der Primärfamilie habe zu mehrfachen kurzzeitigen Weinen geführt. Die Klägerin sei stimmungsmäßig ausgeglichen gewesen.

Zusammenfassend sei fachpsychiatrisch von der Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung auszugehen. Hierbei handele es sich um eine Störung mit der deutlichen Tendenz, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren. Weiter bestehe eine Neigung zu emotionalen Ausbrüchen sowie eine Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren und eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten. In den letzten Jahren sei eine ausgesprochene Besserungstendenz festzustellen. Die Klägerin zeige nunmehr reife Züge und ein verantwortliches Verhalten. Sie habe sich als "ungewolltes Kind" einer ständigen Bevorzugung ihrer Halbschwestern ausgesetzt gesehen. Die Mutter habe ihr gegenüber mit erheblicher Gewaltausübung reagiert. Gerade der ungelöste Primärkonflikt mit der Mutter habe bei ihr zu den stärksten emotionalen Reaktionen geführt. Dieser massive und fortwirkende Ambivalenzkonflikt zur Mutter mit dem Nebeneinander von Liebe und Hass sei besonders hervorzuheben. Insgesamt sei eine deutliche Stabilisierung eingetreten. Die Klägerin habe bewusst eine Familie gegründet und durch die Partnerschaft und die Geburt beider Kinder eine deutliche Selbstaufwertung und Festigung erfahren. Glaubhaft seien phobische Symptome, eine leichte Höhenangst, eine Angst vor dem Alleinsein und Angst in Fahrstühlen. Derartige Störungen könnten Traumafolge sein. Bei allen vorangegangenen psychiatrischen Untersuchungen habe es dagegen keine entsprechenden Hinweise gegeben, so dass von einer verhältnismäßig gegenwartsnahen Manifestation auszugehen sei. Die Diagnosekriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht gegeben. Es fehle eine generelle Steigerung des vegetativen Erregungsniveaus. Es bestünden keine Intrusionen (Wiedererinnern und Wiedererleben von psychotraumatischen Ereignissen) sowie ein Vermeideverhalten, auch nicht im Bereich der Partnerbindung. Hinweise für eine Anhedonie (Fehlen von Vergnügen in Situationen, die normalerweise vergnüglich sind) sowie für einen wesentlichen sozialen Rückzug fehlen. So sei die Klägerin drei Jahre Klassensprecherin in der Ausbildungszeit gewesen, was den Wunsch nach Anerkennung verdeutliche. Die aufgeführten Störungen seien nicht wahrscheinlich in einem ursächlichen Zusammenhang zum Missbrauch im Jahr 1996 zu sehen. Gegenwärtig bestehe keine messbare geistige oder seelische Funktionsstörung. Den Bewertungen von Dr. F. sei nicht zu folgen. Die biographische Anamnese sei von ihm bereits zu knapp gewesen und werde der Komplexität der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin nicht gerecht. So stelle die dreijährige Klassensprecherfunktion in der Ausbildung das Gegenteil von einem sozialen Rückzug dar. Auch der Tritt in die Kniekehle gegenüber einem Mitlehrling spreche nicht für eine schwere Gehemmtheit. Das tatsächliche Ausmaß der Ablehnung der Mutter mit schweren körperlichen Misshandlungen sei von Dr. F. als konkurrierende Ursache nicht ermittelt und hinreichend bewertet worden. Bemerkenswert sei auch, dass die Mutter der Klägerin Vorhaltungen gemacht habe, die Straftat nicht vorher angezeigt zu haben, um die Straftat gegenüber der Schwester zu verhindern, anstatt der Klägerin beizustehen. Die Vorstellung, eine ärztliche Untersuchung könne eine Retraumatisierung auslösen, sei realitätsfern. Blutdruck und Puls seien trotz der angstbesetzten Situation nicht auffällig gewesen. Wegen des Piercings in primär erogenen Zonen der Klägerin sei nicht vorstellbar, dass eine vergleichsweise zurückhaltende ärztliche Untersuchung ein Traumanacherleben hätte verursachen können. Auch die Kritik von Dr. F. am versorgungsmedizinischen Dienst entbehre jeder Grundlage. Einweisungsdiagnosen würden bekanntermaßen häufig korrigiert. Bedeutsamer seien dagegen die Entlassungsdiagnosen, so dass Dr. F. eine Verwechselung unterlaufen sei. Der von Dr. F. ermittelte psychopathologische Befund erreiche nicht die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es fehle an Brückensymptomen und einer Diagnosestellung nach stationärem Aufenthalt durch Fachpsychiater des Krankenhauses B ... Selbst im Glaubwürdigkeitsgutachten, was die schwere familiäre Belastungssituation nicht zutreffend bewertet habe, sei keine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Die emotionale Instabilität und Impulsivität finde die überragende Ursache in den problematischen Beziehungen der Primärfamilie. Hiervon seien keine traumabedingten Schädigungsfolgen abzugrenzen. Den diagnostischen Einschätzungen des Fachkrankenhauses B. sei daher zu folgen.

Nach förmlicher Zustellung des Gutachtens hat die Klägerin beantragt, den Sachverständigen zum Termin zu laden und dies damit begründet, dass das Gutachten in erheblicher Weise von den bisherigen Expertisen abweiche, in weiten Teilen oberflächlich und nicht frei von Widersprüchen sei.

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Strafakte 839 Js 86464/04 haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. April 2015.

Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung von Schädigungsfolgen bzw. auf Versorgung nach den Vorschriften des OEG i.V.m. dem BVG aus dem Schadensereignis von 1996. Ab Antragstellung vom 18. Oktober 2007 steht der Klägerin kein Anspruch auf Feststellung einer gesundheitlichen Schädigung bzw. auf Versorgung zu. Der Senat geht nach Auswertung der medizinischen Unterlagen sowie dem Sachverständigengutachten von Privatdozent Dr. G. bei der Klägerin von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung aus, die jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Schädigungshandlung aus dem Jahr 1996 zurückgeführt werden kann. Eine posttraumatische Belastungsstörung ist nicht nachgewiesen.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010, B 9 VG 1/09 R und Urteil vom 9. April 2011, B 9 VG 2710 R, jeweils zitiert nach juris). Ein sexueller Missbrauch von Kindern kann dabei auch ohne Anwendung von Gewalt das Merkmal des "tätlichen Angriffs" im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG erfüllen (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995, 9 VG 4/93, juris).

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Sache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, das alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG bzw. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteile vom 24. November 2010, B 11 AL 35/09 R und vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R; Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, juris).

Nach diesen rechtlichen Vorgaben steht zunächst fest, dass die Klägerin im Sommer 1996 durch D. W. zunächst sexuell missbraucht und anschießend vergewaltigt worden ist. Die Klägerin ist damit Opfer eines tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden. Dies ergibt sich aus der rechtskräftigen Verurteilung des Täters sowie den durchgehend konsistenten und auch glaubhaften Angaben der Klägerin vor der Polizei, dem Strafgericht und beiden gerichtlichen Sachverständigen. Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Straftaten, wie von der Klägerin angezeigt, auch stattgefunden haben.

Demgegenüber ist der Nachweis nicht erbracht, dass bei der Klägerin durch das Schadensereignis aus dem Jahr 1996 eine posttraumatische Belastungsstörung entstanden ist (im Folgenden: 1.) bzw. die bei ihr festgestellte emotional instabile Persönlichkeitsstörung (im Folgenden: 2.) auf das Schadensereignis des Jahres 1996 zurückgeführt werden kann.

1. Wie von Privatdozent Dr. G. in seinem Gutachten vom November 2017 überzeugend ausgeführt, liegt bei der Klägerin das Symptombild einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht vor. Als erkrankungstypische Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung sind hiernach typischerweise eine generelle Steigerung des vegetativen Erregungsniveaus, Intrusionen, Vermeideverhalten, Anhedonie sowie ein wesentlicher sozialer Rückzug zu erwarten.

Gegen die Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung spricht zum einen, dass mit Ausnahme des Sachverständigengutachtens von Dr. F. diese Diagnose durch die Vorbehandler der Klägerin nicht bestätigt worden ist. Lediglich der fachfremde Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B. äußerte in einem Bericht vom 20. September 2010 eine vergleichbare Diagnose, ohne diese näher zu begründen. Insbesondere im Glaubwürdigkeitsgutachten von Dr. K., den Entlassungsberichten des Klinikums über zwei längere psychiatrisch-stationäre Aufenthalte der Klägerin im Jahr 2010 und den Ausführungen von Privatdozent Dr. G. finden sich keine entsprechenden Bewertungen. Überzeugend ist auch das Argument von Privatdozent Dr. G., dass die Klägerin anlässlich seiner Untersuchung keinen Hinweis für eine generelle Steigerung des vegetativen Erregungsniveaus gezeigt hat, der bei der Schilderung des traumatischen Geschehens zu erwarten gewesen wäre.

Gegen die Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung spricht weiter, dass die Klägerin nach dem Schadensereignis aus dem Jahr 1996 bis zum Jahr 2008 keine entsprechenden psychiatrischen Behandlungen aufnehmen musste. Es fehlt damit – wie der Beklagte zu Recht ausgeführt hat – an einer entsprechenden Brückensymptomatik in der zeitlichen Nähe zum schädigenden Ereignis und an entsprechenden Behandlungen. Gegen eine nachhaltig negative Auswirkung des Schadensereignisses aus dem Jahr 1996 sprechen auch die von der Klägerin vorgelegten Zeugnisse. Hiernach ist es im Schuljahr 1996/1997 und 1997 nicht zu einem deutlichen Leistungsabfall der schulischen Leistungen der Klägerin gekommen, was bei einem stark traumatisierenden Geschehen mit der Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erwarten gewesen wäre.

Für eine schädigungsbedingte Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen auch nicht die ermittelten sozialanamnestischen Gesichtspunkte. Nach Aktenlage liegt bei der Klägerin kein erkrankungstypisches Vermeideverhalten mit sozialem Rückzug nahe. So hat die Klägerin über lange Jahre eine Beziehung geführt und mit ihrem damaligen Lebensgefährten auch diverse Fernfahrten unternommen. Sie hat im Hotel- und Gaststättengewerbe in Bayern, Österreich und an der Küste mit vielen menschlichen Kontakten gearbeitet und ist in der Ausbildung sogar für drei Jahre als Klassensprecherin tätig gewesen, was einem sozialen Rückzug gerade widerspricht. Auch die von Privatdozent Dr. G. herausgearbeitete Impulsivität der Klägerin, die beispielhaft wegen einer Körperverletzung zu einer strafrechtlichen Arbeitsauflage bzw. zu einem tätlichen Angriff in die Kniekehle eines Mitauszubildenden geführt hatte, stützt keine Symptomatik, die auf ein Vermeideverhalten und Rückzugstendenzen hinweisen könnte. Gleiches gilt für den in den Polizeivernehmungen der Klägerin geschilderten Versuch der Klägerin, den Täter mittels mithörender Zeugen planvoll überführen zu wollen. Sich in eigener Initiative freiwillig selbst in die Rolle eines "Lockvogels" zu begeben und damit der traumatischen Situation mit dem Täter nochmals direkt auszusetzen, macht eine stärkere Traumatisierung wenig nachvollziehbar. Schließlich wäre dann eher ein Vermeideverhalten zu erwarten gewesen wäre, sich der angstbesetzten Situation mit dem Täter möglichst zu entziehen. So ließ sich die Klägerin sogar allein vom Schädiger im Pkw nach Hause fahren und begab sich damit sogar ohne jeden Schutz durch Dritte in eine Situation, in der sich ein sexuell motivierter Angriff des Täters jederzeit hätte wiederholen können. Dieses Verhalten der Klägerin ist eher als sehr selbstbewusst, fast "cool" zu bezeichnen und macht den Rückschluss auf eine angstbesetzte Traumaschädigung unwahrscheinlich. Gegen schädigungsbedingte Rückzugstendenzen spricht auch die Angabe der Klägerin bei Dr. F., sie habe drei gute Freundinnen und könne diversen Hobbys nachgehen, was einem Vermeideverhalten wiederum nicht entspricht. Dagegen spricht auch der Umstand, dass die Klägerin mit ihren alten Jugendfreund mittels Datingportal wieder Kontakt aufnahm.

Bedeutsam ist auch, dass die Angaben der Klägerin zu den Traumafolgen des Ereignisses aus dem Jahr 1996 im Verlauf der Zeit nicht konsistent, sondern in der Gewichtung höchst unterschiedlich geschildert worden sind. Während der Exploration bei Dr. K. waren die Angaben der Klägerin in diesem Punkt wenig aussagekräftig. So schilderte sie eine relativ gute Familiensituation und problematisierte das Schädigungsereignis aus dem Jahr 1996 in seinen Folgen kaum. Entsprechend konnte Dr. K. bei der Klägerin auch keinerlei psychiatrische Diagnose stellen. Auch während der psychiatrischen Aufenthalte der Klägerin im Jahr 2010 spielten die Erlebnisse aus dem Jahr 1996 für das Erkrankungsbild keine bedeutsame Rolle. Wiederum fanden die behandelnden Fachärzte bei der Klägerin keinen Hinweis auf die Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung. In der aktuellen Exploration bei Privatdozent Dr. G. wird dagegen der schwere Mutter-Tochter-Konflikt gerade auch in den Gewaltexzessen der Mutter von der Klägerin mit Nachdruck betont, während die bei Dr. F. von ihr noch hervorgehobenen Folgen der Schädigung von 1996 dahinter völlig zurückgetreten ist. Die während der Exploration bei Dr. F. herausgearbeiteten Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung (Alpträume usw.) stehen daher nicht in einer ständig wiederkehrenden Kontinuität, sondern bleiben eher isoliert und punktuell. Die insoweit inkonsistenten Angaben der Klägerin zu den Folgen der an ihr begangenen Sexualstraftat aus dem Jahr 1996 begründen daher grundlegende Zweifel, ob die von der Klägerin bei Dr. F. geschilderten Traumafolgen bei ihr tatsächlich so vorliegen können.

Gegen eine posttraumatische Auswirkung des Geschehens von 1996 spricht weiter, dass sich die Klägerin Piercings im Intimbereich hat setzen lassen, was bei einem traumatisierenden Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung wohl nicht zu erwarten wäre.

Das Sachverständigengutachten von Dr. F. unterliegt zudem grundlegenden Bedenken. Dieser hat bei der Klägerin Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung bejaht, ohne sich mit den entgegenstehenden Vorbefunden überzeugend auseinanderzusetzen. Dabei räumt Dr. F. selbst ein, dass in den bereits vorliegenden medizinischen Befunden die Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung allenfalls grob nachweisbar sei und bejaht bei der Klägerin selbst ein Bindungstrauma aus einer gestörten Mutter-Tochter-Beziehung. Die notwendige Abgrenzung zwischen diesem schweren Bindungstrauma und den Folgen der Straftat aus dem Jahr 1996 wird von Dr. F. dabei nicht problematisiert, obwohl sich diese Frage geradezu aufdrängt. Stattdessen kritisiert er die zuvor erhobenen Befunde im Glaubwürdigkeitsgutachten von Dr. K. sowie die Einschätzungen der Versorgungsärzte des Beklagten als fehlerhaft. Dabei verkennt Dr. F. die von Privatdozent Dr. G. hervorgehobenen Unterschiede von Eingangs- und Entlassungsdiagnosen, nach der allein den Entlassungsdiagnosen ein besonderes Gewicht zukommen kann. So findet sich im Bericht des Klinikums B. vom 5. Oktober 2010 zwar die Einweisungsdiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese wird jedoch von Chefarzt Dr. K. bei der Entlassung nicht wiederholt, sondern stattdessen eine Anpassungsstörung nach sexuellem Missbrauch diagnostiziert. Im Bericht des Klinikums B. vom 1. Februar 2011 wird dagegen ein Suizidversuch im Rahmen einer Anpassungsstörung bei partnerschaftlichem Konflikt diagnostiziert. Weder im psychiatrischen Glaubwürdigkeitsgutachten noch in diesen beiden stationären Aufenthalten in einer psychiatrischen Fachklinik wird daher die von Dr. F. vertretene Diagnose bestätigt, was dessen Annahme, von einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen, wenig Überzeugungskraft verleiht.

Überdies sind nach den überzeugenden Ausführungen des Privatdozenten Dr. G. dem Sachverständigen Dr. F. beachtliche handwerkliche Fehler bei der Exploration unterlaufen, die die Überzeugungskraft seines Gutachtens wiederum erschüttern. Die zu knappe Exploration durch Dr. F. hat dazu geführt, den schweren Mutter-Tochter Konflikt, die schweren z.T. gewaltgeprägten Demütigungen durch die Mutter an der Klägerin nicht klar genug herausgearbeitet zu haben. Auch die stark emotionalen Reaktionen der Klägerin zum weiterhin ablehnenden Verhalten der Mutter in ihrer neuen Rolle als Oma während der aktuellen Exploration zeigen einen tiefgreifenden und schweren Konflikt auf, der – wie die Klägerin selbst bei Privatdozent Dr. G. dargestellt hat – ihr kindliches Urvertrauen völlig zerstört hat und auf ein völlig zerrüttetes Mutter-Kind-Verhältnis schließen lässt. Die lückenhafte Exploration von Dr. F. hat zudem bedeutsame Gesichtspunkte im Lebenslauf der Klägerin (schwere Gewaltexzesse der Mutter gegen die Klägerin bei hochgradiger emotionaler Vernachlässigung; langjährige Klassensprecherfunktion, Tätigkeit im Gastronomiegewerbe deutschlandweit, Piercing im Intimbereich usw.) vernachlässigt, die einer posttraumatischen Belastungsstörung eher entgegenstehen.

2. Bei der Klägerin kann dagegen als psychiatrische Erkrankung von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung ausgegangen werden. Insoweit folgt der Senat dem überzeugenden Gutachten von Privatdozent Dr. G ... Diese Störung wird nach Aktenlage durch das stark impulsgesteuerte Verhalten der Klägerin immer wieder bestätigt. Treffend bezeichnet die Klägerin diesen zentralen Wesenszug mit der Formulierung "sie sei halt ein Sturkopf. Wenn sie nicht wolle, dann wolle sie nicht". Dies zeigte sich in ihrem Schulverhalten, den abrupten Spontanreaktionen, der Bereitschaft, wenn nötig auch mit körperlicher Kraft zu reagieren. Infolge eines beachtlichen Nachreifungsprozesses als Ehefrau und zweifache Mutter hat die Klägerin jedoch ihre Impulsivität nach der aktuellen Exploration bei Privatdozent Dr. G. so positiv unter Kontrolle bekommen, dass diese Störung funktional praktisch keine erkennbaren Auswirkungen mehr hat. Zwischen der Entstehung dieser emotional instabilen Persönlichkeitsstörung und dem Schadensereignis aus dem Jahr 1996 lässt sich keine hinreichend wahrscheinliche Kausalbeziehung erkennen. Prägend und nachhaltiger in seinen negativen Auswirkungen bewertet der Senat dagegen das schwere Beziehungstrauma der Klägerin zu ihrer Mutter. Nach Angaben der Klägerin hat die Mutter ihr gegenüber praktisch jede mütterliche Regung vermissen lassen und teils mit roher Gewalt das Mutter-Kind-Verhältnis völlig zerstört. In hohem Maße hat die Mutter die Klägerin emotional vernachlässigt und kaum eine Gelegenheit ausgelassen, ihr wegen vermeintlichen Fehlverhaltens Vorhaltungen zu machen, dabei ihre Halbschwestern ständig bevorzugt und auch vor demütigenden "Erziehungsmaßnahmen" nicht zurückgeschreckt. In einem derartigen emotionalen Mangelmilieu über Jahre hinweg ist es eher wahrscheinlich, dass sich hieraus eine psychische Störung entwickeln kann. Währenddessen lassen sich nach dem Schadensfall aus dem Jahr 1996 keine zeitnahen Umstände finden, die darauf hindeuten könnten, dass sich die emotional instabile Persönlichkeitsstörung als Folge aus der Sexualstraftat mit Wahrscheinlichkeit entwickeln konnte. Die von Privatdozent Dr. G. genannten phobischen Symptome, die leichte Höhenangst, die Angst vor dem Alleinsein und Angst in Fahrstühlen sind erstmals in seiner Exploration von der Klägerin genannt worden und können daher schon aus zeitlichen Gründen mit dem schädigenden Ereignis aus dem Jahr 1996 nicht in einer Kausalbeziehung gesehen werden. Auch unabhängig von diesem zeitlichen Aspekt hat Privatdozent Dr. G. keinen Zusammenhang zum schädigenden Ereignis herstellen können. Dem schließt sich der Senat an.

Dem Antrag der Klägerin, den Sachverständigen Privatdozent Dr. G. zum Termin zu laden, musste der Senat keine Folge leisten.

Soweit die Klägerin beantragt hat "den Sachverständigen zum Termin, der anberaumt werden muss, zu laden" und dies mit der Abweichung bisheriger Expertisen, einer oberflächlichen Behandlung und vermeintlichen Widersprüchen begründet hat, hat die Klägerin ihr Fragerecht gemäß §§ 116 Abs. 2 SGG, 118 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 397, §§ 402, 411 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) ausgeübt.

Dem Gericht steht es in diesem Fall nach § 411 Abs. 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen grundsätzlich frei, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen. Dabei steht jedem Beteiligten gemäß §§ 116 Satz 2, 118 Abs.1 iVm §§ 397, 402, 411 Abs.4 ZPO das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung des Sachverhalts für dienlich erachtet (BSG, Beschluss vom 23. Juni 2016, B 3 P 1 /16 B, juris mit weiteren Nachweisen; vgl. Urteil des Senats vom 30. August 2017, L 7 SB 82/13, juris). Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen, z.B. auf Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche hinzuweisen (BSG a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Der Beteiligte, der sein Fragerecht in diesem Sinne ausüben will, muss dabei alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftliche Fragen im oben dargestellten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind (BSG a.a.O. mit weiteren Nachweisen).

Diesen Anforderungen hat die Klägerin nicht genügt. Sie hat nicht alles Erforderliche getan, um eine Anhörung zu erreichen. Sie hat den Antrag zwar rechtzeitig am 6. Dezember 2017 gestellt, jedoch in keiner Weise zu erkennen gegeben, welche Fehler das Gutachten von Privatdozent Dr. G. aufweisen soll.

Die Ausübung des Fragerechts nach §§ 116 Satz 2, 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO verlangt zwar keine konkrete Frageformulierung, darf sich aber auch nicht – wie hier – auf die inhaltlich substanzlose Behauptung beschränken, dass Gutachten sei oberflächlich und nicht frei von Widersprüchen, ohne diese Mängel zumindest ansatzweise zu erläutern, so dass ein Rückschluss auf eine konkrete Frage zumindest möglich erscheint. Der von der Klägerin zum Fragerecht ausgeführte Vortrag lässt jede kritische Auseinandersetzung zu möglichen Lücken, Unklarheiten oder Widersprüchen oder ähnlichem zum Gutachten des Sachverständigen von Privatdozent Dr. G. vermissen. Es genügt für die Ausübung des Fragerechts jedoch nicht, lediglich pauschal die Oberflächlichkeit des Gutachtens und vermeintliche Widersprüche zu behaupten. Die Ausübung des Fragerechts nach §§ 116 Satz 2, 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO ist nicht voraussetzungslos im Sinne eines allgemeinen Fragerechtes zum Beweisthema zu verstehen, sondern erfährt durch den Begriff "sachdienliche Fragen richten zu lassen" gemäß § 411 Abs. 1 Satz 2 ZPO eine inhaltliche Beschränkung. Diese verlangt, dass bei Ausübung des Fragerechts zumindest ansatzweise erkennbar sein muss, an welcher Stelle aus Sicht des Fragenden unverständliche, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen zu hinterfragen sind (vgl. BSG, Beschluss vom 23. Juni 2016, B 3 P 1/16 B; Urteil des Senats vom 30. August 2017, L 7 SB 82/13, juris). Hierfür ist eine zumindest andeutungsweise inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten notwendig, um einen subjektiven Aufklärungsbedarf plausibel machen zu können. Diesem Mindestanspruch wird der Antrag der Klägerin nicht gerecht, so dass der Senat nicht verpflichtet war, den Sachverständigen ergänzend zu befragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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