Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 U 25/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 68/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. März 2017 aufgehoben und die Sache zur er-neuten Entscheidung zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1952 geborene und bis 2012 als Zimmerermeister in der Holzverarbeitung und zuletzt im Abbruch beschäftigt gewesene Kläger begehrt wegen der Folgen einer bei ihm anerkannten Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit – BK 2301) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens von der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente.
Die Beklagte holte nach Eingang einer ärztlichen Anzeige über eine BK der HNO-Ärztin Dr. S vom 21. März 2005 u.a. beim Arbeitgeber des Klägers eine Auskunft zur Lärmbelastung am Arbeitsplatz vom 21. April 2005 und ein auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers beruhendes HNO-ärztliches Gutachten von Dr. J vom 05. Juni 2005 ein, der eine BK-bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von unter 10 vom Hundert (vH) annahm. Ferner gab die Beklagte eine ergänzende Untersuchung von Dr. W vom 19. August 2005 in Auftrag, die sie beratungsärztlich auswerten ließ, vgl. Stellungnahme der HNO-Ärztin Dr. B vom 03. September 2005. Sie erkannte mit Bescheid vom 22. September 2005 das Bestehen einer BK 2301 und als deren Folgen eine minimale, symmetrisch ausgeprägte Hochtonschwerhörigkeit und Tinnitus an und lehnte die Gewährung einer Rente ab. Den gegen die Ablehnung der Rente gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02. November 2005 als unbegründet zurück. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Neuruppin (SG) S 8 U 114/05 wurde u.a. das auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr. K vom 13. Februar 2010 eingeholt, welcher eine BK-bedingte MdE von 10 vH annahm. Daraufhin holte das SG auf Antrag des Klägers das auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr. B vom 30. September 2010 ein, welcher ab dem 01. Juni 2005 eine MdE von weniger als 10 vH und ab dem Zeitpunkt der Begutachtung am 16. September 2010 eine MdE von 20 vH vorschlug und dies mit einem berufsbedingten Tinnitus mit dadurch verursachten psychischen Folgeerscheinungen begründete. Die Beklagte holte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme der HNO-Ärztin Dr. B vom 06. November 2010 ein. Der Kläger nahm die Klage am 07. April 2011 zurück. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 12. April 2011 der Sache nach die Fortsetzung des Verfahrens, welches dann unter dem Aktenzeichen S 8 U 42/11 fortgeführt wurde. Die Beteiligten schlossen am 28. Juni 2012 vor dem SG einen Vergleich des Inhalts, dass die Beklagte den Schriftsatz des Klägers vom 12. April 2011 als Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) ansieht und sich verpflichtet, dem Kläger hierüber einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen, der Kläger sich hiermit einverstanden erklärt und seine Klage zu S 8 U 42/11 zurücknimmt.
Nachdem die Beklagte dem Kläger drei HNO-Ärzte als Gutachter zur Wahl gestellt hatte, lehnte der Kläger eine weitere Begutachtung auf Veranlassung der Beklagten ab, woraufhin die Beklagte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 13. Septem-ber 2012 ablehnte. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 23. September 2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01. März 2013 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat sein Begehren mit der am 14. März 2013 zum SG erhobenen Klage weiterverfolgt. Bei der MdE-Bewertung seien die psychovegetativen Begleiterschei-nungen wie die zeitweise vorliegenden Gleichgewichtsstörungen, das Brummen, Beben und Wippen im Kopf, welche bei Umgebungsgeräuschen stark zunähmen, zu berücksichtigen. Die starken Einschränkungen auf dem rechten Ohr seien ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Sein behandelnder Arzt habe ihn darin bestärkt, dass seit der Antragstellung die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Rente auf der Grundlage einer MdE von mindestens 20 vH bestünden. Bei Dr. K sei zudem keine fachkundige Tinnitusuntersuchung durchgeführt worden. Das SG hat u.a. einen Befundbericht der C vom 04. Juli 2013 (Verschlechterung des Gehörs sei 2010 und des Tinnitus seit Dezember 2012) nebst einer Epikrise vom 04. März 2008 (chronisch dekompensierter Tinnitus aurium bei mittel- bis schwergradiger Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts und mittelgradiger Schwerhörigkeit links) sowie weitere Befunde (MRT des Kopfes vom 28. August 2012, Audiogramme vom 13. Juni 2013, 13. Januar 2010 und 21. Juli 2011) und einen Befundbericht der HNO-Ärztin Dr. S vom 22. Juli 2013 (oft wechselnde Beschwerden, immer mal wieder akute Exazerbationen mit depressiver Stimmungslage und erheblichen Schlafstörungen) beigezogen. Das SG hat mit Beweisanordnung vom 20. November die Einholung eines aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers zu erstellenden schriftlichen Sachverständigengutachtens durch die HNO-Ärztin Dr. Hangeordnet. Der Kläger hat sich zunächst geweigert, sich ambulant untersuchen zu lassen. Daraufhin hat das SG die Erstellung des Gutachtens nach Aktenlage angeordnet. Dr. H hat das Gutachten unter dem 01. Mai 2014 nach Aktenlage erstellt und darin ausgeführt, dass das Ohrgeräusch nicht lärmbedingt sei und damit nicht bei der MdE-Bewertung berücksichtigt werden könne, so dass eine MdE von 20 vH oder mehr nicht erreicht werde. Mit Schreiben vom 11. Juni 2014 hat sich der Kläger kritisch mit dem Gutachten auseinandergesetzt und mit Schreiben vom 22. Juni 2014 angeregt, ein neues umfassendes Gutachten erstellen zu lassen.
Die Vorsitzende hat in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2017 darauf hin-gewiesen, dass vorliegend eine lärmunabhängige Verschlechterung der Lärm-schwerhörigkeit eingetreten sei. Nach Stellung der Sachanträge und Verkündung der Urteilsformel, nach welcher die Klage abgewiesen wird und die Beteiligten Kosten einander nicht zu erstatten haben, ist als Erklärung des Klägers zu Protokoll genommen worden:
"Der Kläger verzichtet auf die Urteilsgründe, auch auf die schriftliche Darle-gung von Urteilsgründen im Urteil.",
ohne dass ein Verlesen bzw. Vorspielen des Diktats und eine Genehmigung durch den Kläger festgestellt worden sind. Den Beteiligten ist das Urteil nur mit dem Tenor und dem Hinweis "Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe wird im Hinblick auf den von den Beteiligten erklärten Rechtsmittelverzicht verzichtet (§ 136 Abs. 4 SGG)." zugestellt worden.
Der Kläger hat gegen das ihm am 03. April 2017 zugestellte Urteil am 12. April 2017 Berufung eingelegt und an seinem erstinstanzlichen Vorbringen festgehalten. Er hat ergänzend ausgeführt, sich auch trotz der Hinweise des SG in der mündlichen Verhandlung nicht zu einer erneuten Klagerücknahme habe durchringen zu können. Er habe aber nach Erläuterung der Bedeutung nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf die Urteilsgründe wie auch auf die schriftliche Darlegung der Urteilsgründe im Urteil verzichtet. Einen Rechtsmittelverzicht habe er nicht erklärt. Es solle ein unabhängiges Gutachten eingeholt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. März 2017 sowie den Be-scheid der Beklagten vom 13. September 2012 in der Fassung des Wider-spruchsbescheids vom 01. März 2013 aufzuheben, die Beklagte zu verpflich-ten, den Bescheid vom 22. September 2005 in der Fassung des Wider-spruchsbescheids vom 02. November 2005 zurückzunehmen, und sie zu ver-urteilen, ihm wegen der Folgen der bei ihm anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vom Hundert zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, das SG habe den Kläger nach Verkündung des Urteils dar-über aufgeklärt, was ein Verzicht auf die Darlegung der Urteilsgründe, auch auf die schriftliche Darlegung bedeute und was für Auswirkungen dieser habe. Ob der Kläger oder sein Bevollmächtigter ausdrücklich einen Rechtsmittelverzicht erklärt hätten, sei dem Beklagtenvertreter nicht mehr erinnerlich. Nach der Belehrung des SG sei der Beklagtenvertreter unter Berücksichtigung des bisher vom Kläger emsig geführten Verfahrens überrascht gewesen, dass auf die schriftliche Darlegung der Urteilsgründe verzichtet worden sei, und davon ausgegangen, dass das Klageverfahren damit endgültig abgeschlossen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten ver-wiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Auf die zulässige Berufung des Klägers ist das angefochtene Urteil des SG vom 21. März 2017 aufzuheben und die Sache ans SG zurückzuverweisen.
Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht ein etwaiger Rechtsmittelverzicht des Klä-gers entgegen. Einen solchen hat er nicht erklärt. Hierfür gibt weder das Protokoll noch das Vorbringen der Beteiligten etwas her. Der Gehalt der im Anschluss an die Urteilsverkündung des SG zu Protokoll aufgenommenen Erklärung des Klägers, dass er auf Urteilsgründe verzichte, gibt für den Verzicht auf ein Rechtsmittel nichts her. Der Kläger selbst betont, so, wie es protokolliert ist, nur auf die Urteilsgründe verzichtet zu haben. Der Beklagtenvertreter kann sich an den Wortlaut der klägerischen Erklärung nicht mehr erinnern. Soweit der Beklagtenvertreter ausführt, dass die Vorsitzende des SG die Rechtsfolgen eines Rechtsmittelverzichts erläutert habe, ändert dies nichts an der fehlenden Auslegungsfähigkeit der klar protokollierten Erklärung des Klägers. Dass mit dieser konkreten Erklärung der Sache nach, m.a.W. schlüssig oder konkludent die Folge eines Rechtsmittelverzichts angesprochen ist, welcher gemäß § 136 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Möglichkeit des Gerichts nach sich zieht, von einer Absetzung von Tatbestand und Entscheidungsgründen abzusehen, wenn die rechtsmittelberechtigten Beteiligten auf Rechtsmittel verzichtet haben, führt indes nicht umgekehrt dazu, dass dem Verzicht auf Urteilsgründe gleichsam schlüssig die Erklärung beizumessen ist, auf Rechtsmittel verzichten zu wollen.
Die zulässige Berufung hat nur im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache Erfolg. Diese Entscheidung beruht auf § 159 SGG. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn 1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, oder 2. das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
Vorliegend ist zunächst ein Zurückverweisungsgrund nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG gegeben. Die Vorschrift meint grundsätzlich (nur) den Fall, wenn das SG zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden oder aus anderen Gründen (z.B. Fehldeutung des Klageziels) keine Sachentscheidung über den Streitgegenstand getroffen hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG – Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 159 Rn. 2a). Die Vorschrift wird für entsprechend anwendbar gehalten, wenn das SG zwar in der Sache selbst, aber aus Gründen, die das LSG nicht für zutreffend hält, die Klage abgewiesen und zu den eigentlichen Sachfragen nicht Stellung genommen hat, weil es in einer rechtlichen Vorfrage die Weiche falsch gestellt hatte (Keller a.a.O., Rn. 2b). Die Vorschrift gilt in entsprechender Anwendung auch dann, wenn das SG zu den materiellen Voraussetzungen des Anspruchs überhaupt nicht Stellung genommen und keinerlei Feststellungen getroffen hat. In diesen Fällen kann das LSG die Sache zur Vermeidung des Verlustes einer Instanz für den Kläger zurückverweisen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. Februar 1981 – 3 RK 61/80 –, zitiert nach juris Rn. 18).
Ebenso liegt es hier. Da das angefochtene Urteil keine Gründe aufweist, finden sich keinerlei Feststellungen zu den materiellen Voraussetzungen des prozessualen Anspruchs und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte darauf, wie weit sich die mit der Klageabweisung erzeugte Rechtskraft bzw. Bindungswirkung des Urteils erstrecken soll. Es lässt sich nicht ermessen, aus welchen sachlichen Gründen das SG die Klage abgewiesen hat, wofür zum Abweisungstenor normalerweise die Entscheidungsgründe heranzuziehen wären. Dies wird hier umso deutlicher, als nach dem Inhalt des streitbefangenen Urteils selbst unklar ist, ob die Klage als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen wurde, weil insofern für die Tragweite des Tenors die Entscheidungsgründe von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. Keller a.a.O., § 141 Rn. 7a). Die anlässlich der mündlichen Verhandlung durch die Vorsitzende erteilten (nicht bindenden) Hinweise zu den Erfolgsaussichten lassen sich hierfür nicht heranziehen, zumal die Entscheidungen des SG gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 SGG in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern ergehen.
Mithin liegt ein Urteil vor, dessen Tenor so unbestimmt ist, dass er nicht erkennen lässt, in welchem Umfang ein abgewiesener Anspruch tatsächlich abgewiesen ist, so dass es keine Rechtswirkungen erzeugen kann, weil hier dieser Widerspruch oder die Unbestimmtheit auch nicht unter Berücksichtigung der Urteilsgründe im Wege der Auslegung geklärt werden kann. Ein solches Urteil ist von vornherein unwirksam. Diese Unwirksamkeit ist in allen Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu beachten und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es an diesem Fehler leidet. Bereits aus diesem Grunde ist das Urteil - letztlich auch unabhängig von den Voraussetzungen des § 159 SGG - aufzuheben. Angesichts der grundlegenden Unklarheiten, welche Regelungsteile der angefochtenen Bescheide aufgehoben und welche in Form der Teilabweisung der Klage bestätigt worden sind, lässt sich schon der für das Berufungsverfahren maßgebliche Streitgegenstand nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit erfassen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. April 2016 – L 2 R 558/15 –, zitiert nach juris Rn. 25, 27).
Es liegt auch ein Zurückverweisungsgrund nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG vor. Das Verfahren leidet zunächst an einem wesentlichen Mangel. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Nicht notwendig ist nach dem eindeutigen Wortlaut, dass der Verfahrensmangel gerügt wird. Wesentlich ist der Mangel, wenn das Urteil des SG auf ihm beruhen kann. Bei der Beurteilung ist auf die Rechtsansicht des SG abzustellen; es liegt also kein Verfahrensfehler vor, wenn das SG Ermittlungen unterlassen hat, auf die es nach seiner Rechtsauffassung nicht ankam. Bei Verfahrensfehlern, die absolute Revisionsgründe sind (§ 202 S. 1 SGG iVm § 547 der Zivilprozessordnung (ZPO)), beruht das Urteil stets auf dem Verfahrensmangel (vgl. Keller a.a.O., § 159 Rn. 3 f.).
Hieran gemessen ergibt sich das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels hier zunächst aus § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO, weil die Entscheidung entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht mit Gründen versehen ist. Dies folgt aus § 136 Abs. 1 Nr. 5 und 6, Abs. 2 und 3 SGG, wonach das Urteil grundsätzlich eine gedrängte Darstellung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe zu enthalten hat, es sei denn, das Urteil wird in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet und die rechtsmittelberechtigten Beteiligten verzichten auf Rechtsmittel gegen das Urteil, § 136 Abs. 4 SGG. So liegt es hier aber gerade nicht. Laut Protokoll und dem letztlich übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten im Berufungsverfahren hat der Kläger lediglich auf Urteilsgründe verzichtet. Ein Verzicht auf Rechtsmittel ist nicht protokolliert worden. Auch der Beklagtenvertreter vermag sich im Berufungsverfahren nicht an einen ausdrücklich erklärten Rechtsmittelverzicht zu erinnern. Es liegt im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 136 Abs. 4 SGG quasi eine Dissens vor.
Zudem liegt hier ein wesentlicher Verfahrensmangel, auf welchem die Entscheidung offensichtlich beruhen kann, im Verstoß gegen die aus § 103 SGG folgende Untersuchungsmaxime. Eine Verletzung des § 103 liegt vor, wenn sich das Tatsachengericht auf der Grundlage seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen (Schmidt in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG – Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 103 Rn. 20).
Hiervon ausgehend hätte sich das SG vor dem Verfahrensabschluss zu einer weite-ren Beweisaufnahme gedrängt fühlen müssen, und zwar zumindest in Gestalt der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nicht nur nach Aktenlage, sondern aufgrund einer neuerlichen ambulanten Untersuchung des Klägers. Zwar hatte dieser zunächst die ihm obliegende Mitwirkung verweigert (vgl. zu den Folgen etwa Schmidt a.a.O, Rn. 13 ff.), indem er sich nicht einer neuerlichen Begutachtung unter Hinweis darauf hat unterziehen wollen, dass sich sein Anspruch bereits aus dem schriftlichen Sachverständigengutachten von Dr. B vom 30. September 2010 ergebe, welcher jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Begutachtung am 16. September 2010 eine MdE von 20 vH vorschlug und dies mit einem berufsbedingten Tinnitus mit dadurch verursachten psychischen Folgeerscheinungen begründete. Gegen Ende des ausgangsgerichtlichen Verfahrens hat er jedoch angeregt, ein neues umfassendes Gutachten erstellen zu lassen, vgl. Schreiben vom 22. Juni 2014. Dem hätte das SG nachgehen müssen, zumal es sich ja ausweislich der Beweisanordnung vom 20. November 2013 zunächst selbst tatsächlich veranlasst gesehen hatte, eine Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung und nicht nur nach Aktenlage vornehmen zu lassen. Dies war im Übrigen angesichts der bis dahin widerstreitenden MdE-Bewertungen der mit dem vorliegenden Fall betrauten Ärzte auch geboten. Insbesondere angesichts der lang andauernden Zeit einer in Frage kommenden Lärmexposition – der Kläger arbeitete bis 2012 möglicherweise gehörschädigend – und der Rückschlüsse, die sich aus dem Voranschreiten der Gehörerkrankung auf die berufliche Verursachung schließen lassen, ist hier eine neuerliche ambulante Untersuchung nicht nur mit umfangreicher fachaudiologischer, sondern auch klinischer Diagnostik geboten. Denn etwa aus der mit dem Befundbericht der C vom 04. Juli 2013 vorgelegten Epikrise vom 04. März 2008 ergeben sich Gehörerkrankungen, die sich in ihrer Gesamtheit nicht von vornherein als BK-Folgen ausschließen lassen, und der Kläger verweist auf psychovegetative Begleiterscheinungen wie Gleichgewichtsstörungen, Brummen, Beben und Wippen im Kopf. Das SG hat sich im Übrigen mit der Beiziehung von zwei Befundberichten begnügt, ohne bei den behandelnden Ärzten anzufragen, ob es noch weitere audiologische Befunde gibt, aus deren Verlauf Rückschlüsse auf die Ursächlichkeit und Krankheitsentwicklung hätten gezogen werden können. So steht etwa auch die Beiziehung von Patientenakten im Raum, zumal der Kläger über den langen Zeitraum vom 25. April 2000 bis jedenfalls zum 11. Juni 2013 von der HNO-Ärztin Dr. S untersucht bzw. behandelt wurde. Angesichts der sich aus dem Vorbringen des Klägers und etwa der bereits angesprochenen Epikrise der C mit dem Hinweis auf einen dekompensierten Tinnitus sowie den Hinweisen der HNO-Ärztin Dr. S in deren Befundbericht vom 22. Juli 2013 (oft wechselnde Beschwerden, immer mal wieder akute Exazerbationen mit depressiver Stimmungslage und erheblichen Schlafstörungen) ergebenden möglichen psychischen Komponente erscheint zudem auch eine nervenärztliche Sachaufklärung angezeigt, zu deren Erfordernis zumindest eine gezielte Stellungnahme im Rahmen einer HNO-ärztlichen Begutachtung hätte eingeholt werden müssen. Hinzu kommt die fehlende arbeitstechnische Aufklärung des Sachverhalts. Es ist keine Stellungnahme des technischen Aufsichtsdiensts der Beklagten ersichtlich. Es findet sich allein die Arbeitgeberauskunft zur Lärmbelastung vom 21. April 2005, die die nachfolgenden Zeiträume bis 2012 gar nicht erfasst. Bei alldem fehlt es an einer plausiblen fachkundigen arbeitstechnischen Bewertung der gesamten Lärmexpositionsdauer. Aufschluss über die Entwicklung der nach Angaben des Klägers in den 80er Jahren begonnenen Erkrankung können zudem die betriebs- und HNO-ärztlichen Befunde aus der Zeit ab 1980 ergeben, welche anhand der Eintragungen im Sozialversicherungsausweis des Klägers ermittelt und aus den Archiven der Behandler bzw. sonstigen Archiven beigezogen werden können. Davon abgesehen gibt das Gutachten der Sachverständigen Dr. H zur Nachfrage, auf welche Erfahrungswerte und Kriterien des herrschenden arbeitsmedizinischen Wissensstands sie ihre Zusammenhangserwägungen überhaupt stützt. Auf das einschlägige Schrifttum (vgl. Empfehlung fu&776;r die Begutachtung der La&776;rmschwerho&776;rigkeit (BK-Nr. 2301) – Ko&776;nigsteiner Empfehlung –, 2. Aufl. 2012; Feldmann/ Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl. 2012; Mehrtens/ Brandenburg, BKV – Kommentar, Stand Januar 2018) greift sie nicht zu-rück, so dass ihre Zusammenhangserwägungen ungeachtet der vorgenannten Er-mittlungsdefizite bereits für sich betrachtet nicht zu überzeugen und die gerichtliche Entscheidung in der Sache zu tragen vermögen.
Soweit seit der Änderung des § 159 SGG durch das Vierte Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3057) eine Zu-rückverweisung nach Nr. 2 nur möglich ist, wenn aufgrund des Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, liegen die Voraussetzungen jedenfalls vor. Mit der Änderung sollten die Zurückverweisungsmöglichkeiten ans SG eingeschränkt werden. Die Stellung des LSG als Entscheidungsinstanz sollte gestärkt, gleichzeitig die erste Instanz der Sozialgerichtsbarkeit entlastet werden, wodurch auch die Verfahrenslaufzeiten verringert werden sollen. Dies hat zur Folge, dass der Verfahrensmangel eine umfangreiche und aufwa&776;ndige Beweisaufnahme erforderlich machen muss, was der Fall ist, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sachlichen Mitteln erfordert (BT-Drucksache 17/6764 S. 27). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls (vgl. Keller a.a.O., § 159 Rn. 4).
Mangels (ausreichender) Feststellungen und Ermittlungen des SG konnte der Senat nicht ohne weitere aufwändige Beweiserhebung abschließend entscheiden. Es sind umfangreiche Ermittlungen erforderlich, die auch unter den Gesichtspunkten der Prozessökonomie und des Erhalts beider Tatsacheninstanzen die Aufhebung und Zurückverweisung an das SG als ermessensgerecht gebieten. So sind Ermittlungen in der Sache, welche sich bereits im ausgangsgerichtlichen Verfahren aufgedrängt haben, vorliegend noch überhaupt nicht getätigt worden. Es sind nach dem zuvor Gesagten offenbar noch zahlreiche arbeitstechnische und medizinische Ermittlungen durchzuführen, welche den Verlauf der Gehörerkrankung des Klägers dokumentieren und Rückschlüsse auf die Ursächlichkeit erlauben, und voraussichtlich zumindest ein umfangreiches medizinisches Sachverständigengutachten aufgrund eingehender audiologischer Diagnostik, ggf. ein nervenärztlichen Gutachten einzuholen.
§ 159 SGG stellt im Übrigen auch nach seiner Neufassung (vgl. o.) zumindest in gewissem Umfang ein Instrument der verfahrensmäßigen Qualitätssicherung dar. In der Rechtsprechung ist mit guten Gründen anerkannt, dass der Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung auch im Interesse der Rechtsuchenden gewissen Minimalanforderungen genügen muss. Wird dem nicht Rechnung getragen und sprechen, wie hier, keine sonstigen besonderen Gründe gegen eine Zurückverweisung, ist eine solche geboten (vgl. LSG Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. August 2012 – L 10 SB 134/12 –, zitiert nach juris Rn. 36). Der Senat erachtet es in Ausübung des ihm durch § 159 Abs. 1 SGG eingeräumten Ermessens insbesondere auch angesichts des ganz erheblichen Umfanges der noch vorzunehmenden Ermittlungen für sachgerecht, von der Möglichkeit einer Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Nur auf diesem Wege kann im Ergebnis der Verlust einer Tatsacheninstanz im Sinne einer ernsthaften inhaltlichen Prüfung des Klagebegehrens vermieden werden. Angesichts der überschaubaren Dauer des vorliegenden Berufungsverfahrens steht einer Zurückverweisung auch nicht die Besorgnis einer insgesamt unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer entgegen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, vgl. § 160 Abs. 2 SGG.
Tatbestand:
Der 1952 geborene und bis 2012 als Zimmerermeister in der Holzverarbeitung und zuletzt im Abbruch beschäftigt gewesene Kläger begehrt wegen der Folgen einer bei ihm anerkannten Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit – BK 2301) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens von der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente.
Die Beklagte holte nach Eingang einer ärztlichen Anzeige über eine BK der HNO-Ärztin Dr. S vom 21. März 2005 u.a. beim Arbeitgeber des Klägers eine Auskunft zur Lärmbelastung am Arbeitsplatz vom 21. April 2005 und ein auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers beruhendes HNO-ärztliches Gutachten von Dr. J vom 05. Juni 2005 ein, der eine BK-bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von unter 10 vom Hundert (vH) annahm. Ferner gab die Beklagte eine ergänzende Untersuchung von Dr. W vom 19. August 2005 in Auftrag, die sie beratungsärztlich auswerten ließ, vgl. Stellungnahme der HNO-Ärztin Dr. B vom 03. September 2005. Sie erkannte mit Bescheid vom 22. September 2005 das Bestehen einer BK 2301 und als deren Folgen eine minimale, symmetrisch ausgeprägte Hochtonschwerhörigkeit und Tinnitus an und lehnte die Gewährung einer Rente ab. Den gegen die Ablehnung der Rente gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02. November 2005 als unbegründet zurück. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Neuruppin (SG) S 8 U 114/05 wurde u.a. das auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr. K vom 13. Februar 2010 eingeholt, welcher eine BK-bedingte MdE von 10 vH annahm. Daraufhin holte das SG auf Antrag des Klägers das auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr. B vom 30. September 2010 ein, welcher ab dem 01. Juni 2005 eine MdE von weniger als 10 vH und ab dem Zeitpunkt der Begutachtung am 16. September 2010 eine MdE von 20 vH vorschlug und dies mit einem berufsbedingten Tinnitus mit dadurch verursachten psychischen Folgeerscheinungen begründete. Die Beklagte holte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme der HNO-Ärztin Dr. B vom 06. November 2010 ein. Der Kläger nahm die Klage am 07. April 2011 zurück. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 12. April 2011 der Sache nach die Fortsetzung des Verfahrens, welches dann unter dem Aktenzeichen S 8 U 42/11 fortgeführt wurde. Die Beteiligten schlossen am 28. Juni 2012 vor dem SG einen Vergleich des Inhalts, dass die Beklagte den Schriftsatz des Klägers vom 12. April 2011 als Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) ansieht und sich verpflichtet, dem Kläger hierüber einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen, der Kläger sich hiermit einverstanden erklärt und seine Klage zu S 8 U 42/11 zurücknimmt.
Nachdem die Beklagte dem Kläger drei HNO-Ärzte als Gutachter zur Wahl gestellt hatte, lehnte der Kläger eine weitere Begutachtung auf Veranlassung der Beklagten ab, woraufhin die Beklagte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 13. Septem-ber 2012 ablehnte. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 23. September 2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01. März 2013 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat sein Begehren mit der am 14. März 2013 zum SG erhobenen Klage weiterverfolgt. Bei der MdE-Bewertung seien die psychovegetativen Begleiterschei-nungen wie die zeitweise vorliegenden Gleichgewichtsstörungen, das Brummen, Beben und Wippen im Kopf, welche bei Umgebungsgeräuschen stark zunähmen, zu berücksichtigen. Die starken Einschränkungen auf dem rechten Ohr seien ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Sein behandelnder Arzt habe ihn darin bestärkt, dass seit der Antragstellung die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Rente auf der Grundlage einer MdE von mindestens 20 vH bestünden. Bei Dr. K sei zudem keine fachkundige Tinnitusuntersuchung durchgeführt worden. Das SG hat u.a. einen Befundbericht der C vom 04. Juli 2013 (Verschlechterung des Gehörs sei 2010 und des Tinnitus seit Dezember 2012) nebst einer Epikrise vom 04. März 2008 (chronisch dekompensierter Tinnitus aurium bei mittel- bis schwergradiger Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts und mittelgradiger Schwerhörigkeit links) sowie weitere Befunde (MRT des Kopfes vom 28. August 2012, Audiogramme vom 13. Juni 2013, 13. Januar 2010 und 21. Juli 2011) und einen Befundbericht der HNO-Ärztin Dr. S vom 22. Juli 2013 (oft wechselnde Beschwerden, immer mal wieder akute Exazerbationen mit depressiver Stimmungslage und erheblichen Schlafstörungen) beigezogen. Das SG hat mit Beweisanordnung vom 20. November die Einholung eines aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers zu erstellenden schriftlichen Sachverständigengutachtens durch die HNO-Ärztin Dr. Hangeordnet. Der Kläger hat sich zunächst geweigert, sich ambulant untersuchen zu lassen. Daraufhin hat das SG die Erstellung des Gutachtens nach Aktenlage angeordnet. Dr. H hat das Gutachten unter dem 01. Mai 2014 nach Aktenlage erstellt und darin ausgeführt, dass das Ohrgeräusch nicht lärmbedingt sei und damit nicht bei der MdE-Bewertung berücksichtigt werden könne, so dass eine MdE von 20 vH oder mehr nicht erreicht werde. Mit Schreiben vom 11. Juni 2014 hat sich der Kläger kritisch mit dem Gutachten auseinandergesetzt und mit Schreiben vom 22. Juni 2014 angeregt, ein neues umfassendes Gutachten erstellen zu lassen.
Die Vorsitzende hat in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2017 darauf hin-gewiesen, dass vorliegend eine lärmunabhängige Verschlechterung der Lärm-schwerhörigkeit eingetreten sei. Nach Stellung der Sachanträge und Verkündung der Urteilsformel, nach welcher die Klage abgewiesen wird und die Beteiligten Kosten einander nicht zu erstatten haben, ist als Erklärung des Klägers zu Protokoll genommen worden:
"Der Kläger verzichtet auf die Urteilsgründe, auch auf die schriftliche Darle-gung von Urteilsgründen im Urteil.",
ohne dass ein Verlesen bzw. Vorspielen des Diktats und eine Genehmigung durch den Kläger festgestellt worden sind. Den Beteiligten ist das Urteil nur mit dem Tenor und dem Hinweis "Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe wird im Hinblick auf den von den Beteiligten erklärten Rechtsmittelverzicht verzichtet (§ 136 Abs. 4 SGG)." zugestellt worden.
Der Kläger hat gegen das ihm am 03. April 2017 zugestellte Urteil am 12. April 2017 Berufung eingelegt und an seinem erstinstanzlichen Vorbringen festgehalten. Er hat ergänzend ausgeführt, sich auch trotz der Hinweise des SG in der mündlichen Verhandlung nicht zu einer erneuten Klagerücknahme habe durchringen zu können. Er habe aber nach Erläuterung der Bedeutung nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf die Urteilsgründe wie auch auf die schriftliche Darlegung der Urteilsgründe im Urteil verzichtet. Einen Rechtsmittelverzicht habe er nicht erklärt. Es solle ein unabhängiges Gutachten eingeholt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. März 2017 sowie den Be-scheid der Beklagten vom 13. September 2012 in der Fassung des Wider-spruchsbescheids vom 01. März 2013 aufzuheben, die Beklagte zu verpflich-ten, den Bescheid vom 22. September 2005 in der Fassung des Wider-spruchsbescheids vom 02. November 2005 zurückzunehmen, und sie zu ver-urteilen, ihm wegen der Folgen der bei ihm anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vom Hundert zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, das SG habe den Kläger nach Verkündung des Urteils dar-über aufgeklärt, was ein Verzicht auf die Darlegung der Urteilsgründe, auch auf die schriftliche Darlegung bedeute und was für Auswirkungen dieser habe. Ob der Kläger oder sein Bevollmächtigter ausdrücklich einen Rechtsmittelverzicht erklärt hätten, sei dem Beklagtenvertreter nicht mehr erinnerlich. Nach der Belehrung des SG sei der Beklagtenvertreter unter Berücksichtigung des bisher vom Kläger emsig geführten Verfahrens überrascht gewesen, dass auf die schriftliche Darlegung der Urteilsgründe verzichtet worden sei, und davon ausgegangen, dass das Klageverfahren damit endgültig abgeschlossen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten ver-wiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Auf die zulässige Berufung des Klägers ist das angefochtene Urteil des SG vom 21. März 2017 aufzuheben und die Sache ans SG zurückzuverweisen.
Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht ein etwaiger Rechtsmittelverzicht des Klä-gers entgegen. Einen solchen hat er nicht erklärt. Hierfür gibt weder das Protokoll noch das Vorbringen der Beteiligten etwas her. Der Gehalt der im Anschluss an die Urteilsverkündung des SG zu Protokoll aufgenommenen Erklärung des Klägers, dass er auf Urteilsgründe verzichte, gibt für den Verzicht auf ein Rechtsmittel nichts her. Der Kläger selbst betont, so, wie es protokolliert ist, nur auf die Urteilsgründe verzichtet zu haben. Der Beklagtenvertreter kann sich an den Wortlaut der klägerischen Erklärung nicht mehr erinnern. Soweit der Beklagtenvertreter ausführt, dass die Vorsitzende des SG die Rechtsfolgen eines Rechtsmittelverzichts erläutert habe, ändert dies nichts an der fehlenden Auslegungsfähigkeit der klar protokollierten Erklärung des Klägers. Dass mit dieser konkreten Erklärung der Sache nach, m.a.W. schlüssig oder konkludent die Folge eines Rechtsmittelverzichts angesprochen ist, welcher gemäß § 136 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Möglichkeit des Gerichts nach sich zieht, von einer Absetzung von Tatbestand und Entscheidungsgründen abzusehen, wenn die rechtsmittelberechtigten Beteiligten auf Rechtsmittel verzichtet haben, führt indes nicht umgekehrt dazu, dass dem Verzicht auf Urteilsgründe gleichsam schlüssig die Erklärung beizumessen ist, auf Rechtsmittel verzichten zu wollen.
Die zulässige Berufung hat nur im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache Erfolg. Diese Entscheidung beruht auf § 159 SGG. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn 1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, oder 2. das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
Vorliegend ist zunächst ein Zurückverweisungsgrund nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG gegeben. Die Vorschrift meint grundsätzlich (nur) den Fall, wenn das SG zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden oder aus anderen Gründen (z.B. Fehldeutung des Klageziels) keine Sachentscheidung über den Streitgegenstand getroffen hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG – Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 159 Rn. 2a). Die Vorschrift wird für entsprechend anwendbar gehalten, wenn das SG zwar in der Sache selbst, aber aus Gründen, die das LSG nicht für zutreffend hält, die Klage abgewiesen und zu den eigentlichen Sachfragen nicht Stellung genommen hat, weil es in einer rechtlichen Vorfrage die Weiche falsch gestellt hatte (Keller a.a.O., Rn. 2b). Die Vorschrift gilt in entsprechender Anwendung auch dann, wenn das SG zu den materiellen Voraussetzungen des Anspruchs überhaupt nicht Stellung genommen und keinerlei Feststellungen getroffen hat. In diesen Fällen kann das LSG die Sache zur Vermeidung des Verlustes einer Instanz für den Kläger zurückverweisen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. Februar 1981 – 3 RK 61/80 –, zitiert nach juris Rn. 18).
Ebenso liegt es hier. Da das angefochtene Urteil keine Gründe aufweist, finden sich keinerlei Feststellungen zu den materiellen Voraussetzungen des prozessualen Anspruchs und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte darauf, wie weit sich die mit der Klageabweisung erzeugte Rechtskraft bzw. Bindungswirkung des Urteils erstrecken soll. Es lässt sich nicht ermessen, aus welchen sachlichen Gründen das SG die Klage abgewiesen hat, wofür zum Abweisungstenor normalerweise die Entscheidungsgründe heranzuziehen wären. Dies wird hier umso deutlicher, als nach dem Inhalt des streitbefangenen Urteils selbst unklar ist, ob die Klage als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen wurde, weil insofern für die Tragweite des Tenors die Entscheidungsgründe von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. Keller a.a.O., § 141 Rn. 7a). Die anlässlich der mündlichen Verhandlung durch die Vorsitzende erteilten (nicht bindenden) Hinweise zu den Erfolgsaussichten lassen sich hierfür nicht heranziehen, zumal die Entscheidungen des SG gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 SGG in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern ergehen.
Mithin liegt ein Urteil vor, dessen Tenor so unbestimmt ist, dass er nicht erkennen lässt, in welchem Umfang ein abgewiesener Anspruch tatsächlich abgewiesen ist, so dass es keine Rechtswirkungen erzeugen kann, weil hier dieser Widerspruch oder die Unbestimmtheit auch nicht unter Berücksichtigung der Urteilsgründe im Wege der Auslegung geklärt werden kann. Ein solches Urteil ist von vornherein unwirksam. Diese Unwirksamkeit ist in allen Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu beachten und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es an diesem Fehler leidet. Bereits aus diesem Grunde ist das Urteil - letztlich auch unabhängig von den Voraussetzungen des § 159 SGG - aufzuheben. Angesichts der grundlegenden Unklarheiten, welche Regelungsteile der angefochtenen Bescheide aufgehoben und welche in Form der Teilabweisung der Klage bestätigt worden sind, lässt sich schon der für das Berufungsverfahren maßgebliche Streitgegenstand nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit erfassen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. April 2016 – L 2 R 558/15 –, zitiert nach juris Rn. 25, 27).
Es liegt auch ein Zurückverweisungsgrund nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG vor. Das Verfahren leidet zunächst an einem wesentlichen Mangel. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Nicht notwendig ist nach dem eindeutigen Wortlaut, dass der Verfahrensmangel gerügt wird. Wesentlich ist der Mangel, wenn das Urteil des SG auf ihm beruhen kann. Bei der Beurteilung ist auf die Rechtsansicht des SG abzustellen; es liegt also kein Verfahrensfehler vor, wenn das SG Ermittlungen unterlassen hat, auf die es nach seiner Rechtsauffassung nicht ankam. Bei Verfahrensfehlern, die absolute Revisionsgründe sind (§ 202 S. 1 SGG iVm § 547 der Zivilprozessordnung (ZPO)), beruht das Urteil stets auf dem Verfahrensmangel (vgl. Keller a.a.O., § 159 Rn. 3 f.).
Hieran gemessen ergibt sich das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels hier zunächst aus § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO, weil die Entscheidung entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht mit Gründen versehen ist. Dies folgt aus § 136 Abs. 1 Nr. 5 und 6, Abs. 2 und 3 SGG, wonach das Urteil grundsätzlich eine gedrängte Darstellung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe zu enthalten hat, es sei denn, das Urteil wird in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet und die rechtsmittelberechtigten Beteiligten verzichten auf Rechtsmittel gegen das Urteil, § 136 Abs. 4 SGG. So liegt es hier aber gerade nicht. Laut Protokoll und dem letztlich übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten im Berufungsverfahren hat der Kläger lediglich auf Urteilsgründe verzichtet. Ein Verzicht auf Rechtsmittel ist nicht protokolliert worden. Auch der Beklagtenvertreter vermag sich im Berufungsverfahren nicht an einen ausdrücklich erklärten Rechtsmittelverzicht zu erinnern. Es liegt im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 136 Abs. 4 SGG quasi eine Dissens vor.
Zudem liegt hier ein wesentlicher Verfahrensmangel, auf welchem die Entscheidung offensichtlich beruhen kann, im Verstoß gegen die aus § 103 SGG folgende Untersuchungsmaxime. Eine Verletzung des § 103 liegt vor, wenn sich das Tatsachengericht auf der Grundlage seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen (Schmidt in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG – Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 103 Rn. 20).
Hiervon ausgehend hätte sich das SG vor dem Verfahrensabschluss zu einer weite-ren Beweisaufnahme gedrängt fühlen müssen, und zwar zumindest in Gestalt der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nicht nur nach Aktenlage, sondern aufgrund einer neuerlichen ambulanten Untersuchung des Klägers. Zwar hatte dieser zunächst die ihm obliegende Mitwirkung verweigert (vgl. zu den Folgen etwa Schmidt a.a.O, Rn. 13 ff.), indem er sich nicht einer neuerlichen Begutachtung unter Hinweis darauf hat unterziehen wollen, dass sich sein Anspruch bereits aus dem schriftlichen Sachverständigengutachten von Dr. B vom 30. September 2010 ergebe, welcher jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Begutachtung am 16. September 2010 eine MdE von 20 vH vorschlug und dies mit einem berufsbedingten Tinnitus mit dadurch verursachten psychischen Folgeerscheinungen begründete. Gegen Ende des ausgangsgerichtlichen Verfahrens hat er jedoch angeregt, ein neues umfassendes Gutachten erstellen zu lassen, vgl. Schreiben vom 22. Juni 2014. Dem hätte das SG nachgehen müssen, zumal es sich ja ausweislich der Beweisanordnung vom 20. November 2013 zunächst selbst tatsächlich veranlasst gesehen hatte, eine Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung und nicht nur nach Aktenlage vornehmen zu lassen. Dies war im Übrigen angesichts der bis dahin widerstreitenden MdE-Bewertungen der mit dem vorliegenden Fall betrauten Ärzte auch geboten. Insbesondere angesichts der lang andauernden Zeit einer in Frage kommenden Lärmexposition – der Kläger arbeitete bis 2012 möglicherweise gehörschädigend – und der Rückschlüsse, die sich aus dem Voranschreiten der Gehörerkrankung auf die berufliche Verursachung schließen lassen, ist hier eine neuerliche ambulante Untersuchung nicht nur mit umfangreicher fachaudiologischer, sondern auch klinischer Diagnostik geboten. Denn etwa aus der mit dem Befundbericht der C vom 04. Juli 2013 vorgelegten Epikrise vom 04. März 2008 ergeben sich Gehörerkrankungen, die sich in ihrer Gesamtheit nicht von vornherein als BK-Folgen ausschließen lassen, und der Kläger verweist auf psychovegetative Begleiterscheinungen wie Gleichgewichtsstörungen, Brummen, Beben und Wippen im Kopf. Das SG hat sich im Übrigen mit der Beiziehung von zwei Befundberichten begnügt, ohne bei den behandelnden Ärzten anzufragen, ob es noch weitere audiologische Befunde gibt, aus deren Verlauf Rückschlüsse auf die Ursächlichkeit und Krankheitsentwicklung hätten gezogen werden können. So steht etwa auch die Beiziehung von Patientenakten im Raum, zumal der Kläger über den langen Zeitraum vom 25. April 2000 bis jedenfalls zum 11. Juni 2013 von der HNO-Ärztin Dr. S untersucht bzw. behandelt wurde. Angesichts der sich aus dem Vorbringen des Klägers und etwa der bereits angesprochenen Epikrise der C mit dem Hinweis auf einen dekompensierten Tinnitus sowie den Hinweisen der HNO-Ärztin Dr. S in deren Befundbericht vom 22. Juli 2013 (oft wechselnde Beschwerden, immer mal wieder akute Exazerbationen mit depressiver Stimmungslage und erheblichen Schlafstörungen) ergebenden möglichen psychischen Komponente erscheint zudem auch eine nervenärztliche Sachaufklärung angezeigt, zu deren Erfordernis zumindest eine gezielte Stellungnahme im Rahmen einer HNO-ärztlichen Begutachtung hätte eingeholt werden müssen. Hinzu kommt die fehlende arbeitstechnische Aufklärung des Sachverhalts. Es ist keine Stellungnahme des technischen Aufsichtsdiensts der Beklagten ersichtlich. Es findet sich allein die Arbeitgeberauskunft zur Lärmbelastung vom 21. April 2005, die die nachfolgenden Zeiträume bis 2012 gar nicht erfasst. Bei alldem fehlt es an einer plausiblen fachkundigen arbeitstechnischen Bewertung der gesamten Lärmexpositionsdauer. Aufschluss über die Entwicklung der nach Angaben des Klägers in den 80er Jahren begonnenen Erkrankung können zudem die betriebs- und HNO-ärztlichen Befunde aus der Zeit ab 1980 ergeben, welche anhand der Eintragungen im Sozialversicherungsausweis des Klägers ermittelt und aus den Archiven der Behandler bzw. sonstigen Archiven beigezogen werden können. Davon abgesehen gibt das Gutachten der Sachverständigen Dr. H zur Nachfrage, auf welche Erfahrungswerte und Kriterien des herrschenden arbeitsmedizinischen Wissensstands sie ihre Zusammenhangserwägungen überhaupt stützt. Auf das einschlägige Schrifttum (vgl. Empfehlung fu&776;r die Begutachtung der La&776;rmschwerho&776;rigkeit (BK-Nr. 2301) – Ko&776;nigsteiner Empfehlung –, 2. Aufl. 2012; Feldmann/ Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl. 2012; Mehrtens/ Brandenburg, BKV – Kommentar, Stand Januar 2018) greift sie nicht zu-rück, so dass ihre Zusammenhangserwägungen ungeachtet der vorgenannten Er-mittlungsdefizite bereits für sich betrachtet nicht zu überzeugen und die gerichtliche Entscheidung in der Sache zu tragen vermögen.
Soweit seit der Änderung des § 159 SGG durch das Vierte Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3057) eine Zu-rückverweisung nach Nr. 2 nur möglich ist, wenn aufgrund des Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, liegen die Voraussetzungen jedenfalls vor. Mit der Änderung sollten die Zurückverweisungsmöglichkeiten ans SG eingeschränkt werden. Die Stellung des LSG als Entscheidungsinstanz sollte gestärkt, gleichzeitig die erste Instanz der Sozialgerichtsbarkeit entlastet werden, wodurch auch die Verfahrenslaufzeiten verringert werden sollen. Dies hat zur Folge, dass der Verfahrensmangel eine umfangreiche und aufwa&776;ndige Beweisaufnahme erforderlich machen muss, was der Fall ist, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sachlichen Mitteln erfordert (BT-Drucksache 17/6764 S. 27). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls (vgl. Keller a.a.O., § 159 Rn. 4).
Mangels (ausreichender) Feststellungen und Ermittlungen des SG konnte der Senat nicht ohne weitere aufwändige Beweiserhebung abschließend entscheiden. Es sind umfangreiche Ermittlungen erforderlich, die auch unter den Gesichtspunkten der Prozessökonomie und des Erhalts beider Tatsacheninstanzen die Aufhebung und Zurückverweisung an das SG als ermessensgerecht gebieten. So sind Ermittlungen in der Sache, welche sich bereits im ausgangsgerichtlichen Verfahren aufgedrängt haben, vorliegend noch überhaupt nicht getätigt worden. Es sind nach dem zuvor Gesagten offenbar noch zahlreiche arbeitstechnische und medizinische Ermittlungen durchzuführen, welche den Verlauf der Gehörerkrankung des Klägers dokumentieren und Rückschlüsse auf die Ursächlichkeit erlauben, und voraussichtlich zumindest ein umfangreiches medizinisches Sachverständigengutachten aufgrund eingehender audiologischer Diagnostik, ggf. ein nervenärztlichen Gutachten einzuholen.
§ 159 SGG stellt im Übrigen auch nach seiner Neufassung (vgl. o.) zumindest in gewissem Umfang ein Instrument der verfahrensmäßigen Qualitätssicherung dar. In der Rechtsprechung ist mit guten Gründen anerkannt, dass der Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung auch im Interesse der Rechtsuchenden gewissen Minimalanforderungen genügen muss. Wird dem nicht Rechnung getragen und sprechen, wie hier, keine sonstigen besonderen Gründe gegen eine Zurückverweisung, ist eine solche geboten (vgl. LSG Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. August 2012 – L 10 SB 134/12 –, zitiert nach juris Rn. 36). Der Senat erachtet es in Ausübung des ihm durch § 159 Abs. 1 SGG eingeräumten Ermessens insbesondere auch angesichts des ganz erheblichen Umfanges der noch vorzunehmenden Ermittlungen für sachgerecht, von der Möglichkeit einer Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Nur auf diesem Wege kann im Ergebnis der Verlust einer Tatsacheninstanz im Sinne einer ernsthaften inhaltlichen Prüfung des Klagebegehrens vermieden werden. Angesichts der überschaubaren Dauer des vorliegenden Berufungsverfahrens steht einer Zurückverweisung auch nicht die Besorgnis einer insgesamt unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer entgegen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, vgl. § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
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