S 81 BA 180/18 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
81
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 BA 180/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die vom EuGH in dem Urteil vom 06.02.2018 (C-359/16, Rn. 46 ff.) aufgestellten Grundsätze zur Bindungswirkung von Entsendebescheinigungen E 101 nach der VO/EWG Nr. 1408/71 (jetzt A1-Bescheinigungen aufgrund der VO/EG Nr. 883/04) sind auf türkische Entsendebescheinigungen A/T 1 gemäß Art. 5 Abs. 1 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 30.04.1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit (BGBl. II 1986, S. 1055) sinngemäß übertragbar.

2. Von der Türkei ausgestellte Entsendebescheinigungen A/T 1 binden die deutschen Sozialversicherungsträger danach nicht, wenn sie offensichtlich unrichtig sind, in betrügerischer oder rechtsmissbräuchlicher Weise erlangt wurden und wenn die mit den hierfür vorliegenden Beweisen konfrontierten türkischen Behörden eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entsendebescheinigungen innerhalb angemessener Frist ohne Angabe nachvollziehbarer Gründe unterlassen haben.

3. Die Befassung der türkischen Behörden mit den vorliegenden Beweisen für eine betrügerische oder rechtsmissbräuchliche Erlangung offensichtlich unrichtiger Entsendebescheinigungen kann auch im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erfolgen. Der Einleitung eines förmlichen Streitbeilegungsverfahrens gemäß Art. 55 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens bedarf es insofern nicht.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die sofortige Vollziehung hinsichtlich der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen in Höhe von über 20 Mio. EUR.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach türkischem Recht mit satzungsmäßigem Sitz in S. in der Türkei. Sie ist im Baugewerbe tätig und betreibt in N. eine rechtlich unselbstständige Niederlassung. Sie übt über das deutschtürkische Werkvertragsabkommen in Deutschland Bautätigkeiten aus, insbesondere Rohbau und sonstige Betonbauarbeiten. Sie beschäftigte in diesem Rahmen in dem streitigen Zeitraum von Januar 2007 bis Juni 2016 eine Vielzahl türkischer Arbeitnehmer. Sie zahlte diesen ihren Lohn in bar aus, meldete sie zur Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (SOKA-Bau) an und führte Lohnsteuern ab. Eine Anmeldung zur Sozialversicherung und eine Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Bundesrepublik Deutschland erfolgten dagegen nicht.

Auf eine entsprechende Anfrage der Deutschen Rentenversicherung Ober- und Mittelfranken teilte die Provinzdirektion der Sozialversicherungsanstalten in S. mit Schreiben vom 5. Januar 2007 unter anderem mit, dass die Antragstellerin im eigenen Gebäude sowohl in der Türkei als auch im Rahmen der Werkverträge in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Bausektor ihre Aktivitäten weiterhin fortsetze, dass sie in der Türkei und in Deutschland Personalräume bzw. Unterkünfte, Dienstgebäude und unbewegliche Güter bzw. Immobilien habe, dass es sich nicht um eine so genannte Briefkastenfirma handele, dass die Antragstellerin im Inland und im Ausland Baumaschinen und Baugeräte, Lager, Baustellen und Baustellenfuhrparks habe und sie bei den Bauarbeiten im Inland zeitweise je nach Arbeitsintensität und Bedarf, wenn auch teilweise, Nachunternehmer beschäftigen könne.

Auf einen anonymen Hinweis leiteten das Hauptzollamt Koblenz und die Staatsanwaltschaft Bonn gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin ein Ermittlungsverfahren ein (Az.: 430 Js 246/11). In diesem Rahmen wurden zunächst mehrere Baustellenprüfungen durchgeführt. Die überwiegende Anzahl der befragten Arbeitnehmer (44 von 47) gab an, lediglich für eine Entsendung nach Deutschland für eine Höchstdauer von neun Monaten neu eingestellt worden zu sein und weder zuvor noch anschließend in der Türkei für die Antragstellerin tätig gewesen zu sein. Nur drei Arbeitnehmer hatten bei einer Befragung im Jahr 2008 erklärt, vor ihrer Entsendung auch in der Türkei für die Firma C. gearbeitet zu haben, wobei offenblieb, ob es die Antragstellerin war oder die ähnlich lautende Baufirma des Bruders des Geschäftsführers der Antragstellerin mit Sitz in A. Nach der Beendigung der Beschäftigung in Deutschland seien die befragten Personen in ihr Heimatland zurückgekehrt und arbeitslos geworden, hätten auf eine neue Beschäftigung in Deutschland gehofft oder seien einer Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber oder privaten Interessen nachgegangen.

Der für die Antragstellerin in der Buchhaltung tätig gewesene Hauptbelastungszeuge Ö. gab im Rahmen zweier Vernehmungen durch das Hauptzollamt und einen Ermittlungsrichter unter anderem an, der Geschäftsführer der Antragstellerin habe nach einem Zerwürfnis mit seinem Bruder die Hauptniederlassung bzw. das Büro der Antragstellerin in S. neu gegründet und die bereits bestehende Zweigniederlassung in N. fortgeführt. Zur Entsendung der Arbeitnehmer über die neu gegründete Firma in S. habe er weiterhin das Kontingent der Firma seines Bruders mit Sitz in A. genutzt. Er sei deshalb von seinem Bruder in der Türkei auch bereits verklagt worden. Im Büro in S. seien ausschließlich organisatorische Dinge erledigt worden, insbesondere habe die Antragstellerin in der Türkei keine eigenen Baustellen gehabt. Vielmehr seien dort lediglich die Arbeiter für die Tätigkeit in Deutschland angeworben worden und es seien die entsprechenden Formalitäten dafür erledigt worden.

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Bonn richtete im Juli 2014 ein Rechtshilfeersuchen an die zuständige Justizbehörde der Republik Türkei in dem unter anderem danach gefragt wurde, welche Arbeitnehmer im Zeitraum von 2002 bis 2013 bei der Antragstellerin in der Türkei gemeldet waren und welche Arbeitnehmer sich in diesem Zeitraum arbeitslos gemeldet haben. Ferner wurde – auf der Grundlage eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Bonn – um Durchsuchung der Geschäftsräume der Antragstellerin in der Türkei ersucht. Im August 2015 teilte der Leitende Oberstaatsanwalt in Bonn auf eine entsprechende Anfrage des türkischen Justizministeriums ergänzend mit, dass die Personalien der einzelnen Arbeitnehmer benötigt würden, um zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entsendung auf Basis des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens (im Folgenden: DTSVA) vorgelegen haben. Es sei geplant, die dort zur Verfügung stehenden Daten zu den einzelnen Arbeitnehmern mit den bei der Staatsanwaltschaft Bonn bekannten Daten der deutschen Finanzbehörden abzugleichen. Im April 2016 teilte das zur türkische Justizministerium mit, dass das Ersuchen nicht bearbeitet werden konnte, da kein konkreter Beweis vorgelegt wurde und die zu ermittelnden Angelegenheiten persönliche Informationen seien.

Das Amtsgericht Bonn ordnete in dem Ermittlungsverfahren mit Beschlüssen vom 20. Dezember 2017 gegen die Antragstellerin und ihren Geschäftsführer einen Vermögensarrest in Höhe von 11.360.498,24 EUR an. Die Beschlüsse wurden am 22. Dezember 2017 vollstreckt. Der Geschäftsführer der Antragstellerin befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Bonn vom 20. Dezember 2017 und nachfolgenden Haftfortdauerentscheidungen in Untersuchungshaft. Nach telefonischen Angaben des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 8. Juni 2018 wurde der Vermögensarrest zwischenzeitlich gegen Einräumung einer Sicherheitsleistung in Form Grundschuld wieder aufgehoben.

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bonn vom 22. Februar 2018 wurde der Geschäftsführer der Antragstellerin unter anderem wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen in 115 Fällen angeklagt. Das Landgericht Bonn beschloss zwischenzeitlich die Eröffnung des Hauptverfahrens.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2018 bestätigte das Präsidium der Anstalt für Soziale Sicherheit der Türkei (SGK) gegenüber der Antragstellerin (erneut) dass sie in deren Region aktiv tätig sei. Es handele sich auf keinen Fall um eine Briefkastenfirma. Die Antragstellerin beschäftige sowohl im Inland als auch im Ausland regelmäßig wiederkehrend 2.900 Personen und habe keine Sozialversicherungsbeitragsschulden. Das Unternehmen sei sowohl in der Türkei als auch in Deutschland im Baugewerbe effektiv aktiv tätig.

Nach vorheriger Anhörung forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin mit Bescheid vom 19. Januar 2018 für den Prüfzeitraum vom 1. Januar 2007 bis 30. Juni 2016 die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Zahlung von Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 20.191.302,28 EUR. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für eine Entsendung der Arbeitnehmer auf der Grundlage des DTSVA hätten nicht vorgelegen. Die Arbeitnehmer seien allein für die Zwecke der Entsendung eingestellt und nach der Beendigung der Entsendung von der Antragstellerin nicht weiter beschäftigt worden. Das müsste der Antragstellerin aufgrund der nicht vorhandenen Beschäftigungsverhältnisse auch bekannt gewesen sein. Die Entsendebescheinigungen (A/T 1) nach dem DTSVA entfalteten keine Bindungswirkung. Das Abkommen enthalte keinen Grund für die Annahme, dass die Vertragsparteienihre Souveränitätsrechte mit einem Abkommen über Soziale Sicherheit wechselseitig hätten übertragen wollen. Eine Vereinbarung der Verbindungsstellen, dass die Prüfung der Entsendevoraussetzungen in erster Linie dem Träger des Entsendestaates obliege, liege nicht vor. Jedenfalls aber wäre den Entsendebescheinigungen die Bindungswirkung wegen offensichtlicher Fehlanwendung des Entsendebegriffs abzusprechen. Soweit an türkische Sozialversicherungsträger bereits Beiträge abgeführt worden seien, berühre das die Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung nicht. Es liege eine illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV vor und bestehe Versicherungs-und Beitragspflicht der Arbeitnehmer in allen Zweigen der Sozialversicherung. Die Höhe der beitragspflichtigen Arbeitsentgelte sei aufgrund von Differenzen in den sichergestellten Stundenaufzeichnungenund Entgeltabrechnungen sowie aufgrund von fehlenden Unterlagen für sämtliche im Prüfzeitraum aus der Türkei vermittelten Arbeitskräfte auf der Grundlage der von der Antragstellerin zur SOKA-Bau gemeldeten Bruttolöhne personenbezogen ermittelt worden. Die Beiträge seien nicht verjährt und es seien Säumniszuschläge zu erheben gewesen. Der Antragstellerin sei zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen.

Über den gegen den Bescheid vom 19. Januar 2018 eingelegten Widerspruch der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin noch nicht entschieden. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte die Antragstellerin insgesamt 37 Leitzordner mit Entsendebescheinigungen A/T 1 und Bescheinigungen A/T 11 vor.

Am 17. April 2018 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Köln einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt.

Das Sozialgericht Köln hat sich mit Beschluss vom 26. April 2018 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht Berlin verwiesen.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, der Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Januar 2018, dessen Vollziehung sie in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohe und eine unbillige Härte darstelle, sei rechtswidrig. Die Antragsgegnerin habe schon keine Prüfungskompetenz hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Stellung der Arbeitnehmer der Antragstellerin, sondern sei an die vorliegenden Entsendebescheinigungen aus der Türkei, die für den gesamten Streitzeitraum für alle von der Antragstellerin beschäftigten türkischen Arbeitnehmer vorlägen, gebunden. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Entsendebescheinigungen E101 bzw. A1 sei insofern auf die vorliegende Fallgestaltung übertragbar. Ein Missbrauch bzw. ein unrechtmäßiges Erschleichen der Bescheinigungen durch die Antragstellerin liege darüber hinaus nicht vor und die Antragsgegnerin habe sich nicht zur Klärung der Angelegenheit an die türkischen Behörden gewandt. Vielmehr hätten die Voraussetzungen einer Entsendung tatsächlich vorgelegen, was die türkischen Behörden mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 14. Mai 2018, bestätigt hätten. Die Antragstellerin sei keine Scheinfirma, die nur die Anwerbung von Arbeitnehmern zu Entsendung und die hierfür erforderliche interne Verwaltungstätigkeit ausübe, sondern betreibe in der Türkei aktiv ein renommiertes Bauunternehmen. Sie habe für alle Arbeitnehmer in der Türkei Sozialversicherungsbeiträge entrichtet. Die Aussagen des Zeugen Ö. und der vom Hauptzollamt Koblenz vernommenen Mitarbeiter seien irreführend und unvollständig übersetzt und deshalb letztlich unzutreffend gewürdigt worden. Der Zeuge Ö. sei nicht glaubwürdig, seine Aussage nicht glaubhaft. Die Aussagen der Mitarbeiter, die entlastende Angaben gemacht hätten, seien nicht weiter beachtet worden. Das Hauptzollamt habe den Sachverhalt nur einseitig ermittelt und gehe zum Teil von offensichtlich unzutreffenden Umständen aus. Obwohl der Antragsgegnerin sämtliche Daten über Beschäftigungszeiträume und Entgelte in Form einer Daten-CD vorlägen, berufe sie sich auf Daten der SOKA-BAU, die nicht mit den tatsächlichen Beschäftigungszeiten und Arbeitsentgelten übereinstimmten. Die geltend gemachten Säumniszuschläge seien rechtswidrig, zumal der Antragstellerin die Zahlung wegen der Arrestierung ihres Vermögens aktuell unmöglich sei. Die Nachforderung sei schließlich verjährt. Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 20. Februar 2018 gegen den Beitragsbescheid vom 19. Januar 2018 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen, hilfsweise dem Antrag lediglich befristet bis zum Abschluss dieser Instanz und mit der Auflage der Verzinsung in Höhe von vier vom Hundert stattzugeben.

Sie trägt zunächst vor, die stichprobenweise Prüfung der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Bescheinigungen habe ergeben, dass diese nicht vollständig mit den von der Antragstellerin zur SOKA-Bau gemeldeten und im Bescheid vom 19. Januar 2018 zugrunde gelegten Beschäftigungszeiträumen übereinstimmten. Aus den Bestätigungen der türkischen Sozialversicherungsbehörde sei nicht ersichtlich, auf der Basis welcher Prüfung die türkischen Behörden zu Ihrer Einschätzung gelangt seien, zumal das im Rahmen des Ermittlungsverfahrens an die türkischen Sozialbehörden gerichtete Rechtshilfeersuchen unbeantwortet geblieben sei. Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe die ursprünglich in A. ansässige und dort als Bauunternehmen tätige Antragstellerin allein zu dem Zweck übernommen, türkische Arbeitnehmer auf der Grundlage des DTSVA günstig in der Türkei zu Sozialversicherung anzumelden und sodann nach Deutschland zu entsenden. Im Unterschied zu der in A. ansässigen Firma seines Bruders habe die in S. ansässige Antragstellerin keine eigenen Bauprojekte in der Türkei abgewickelt. Für die Entsendung habe die Antragstellerin absprachewidrig die Beschäftigungskontingente der nahezu namensgleichen (ohne Zusatz "M.") und in A. ansässigen Firma des Bruders (M. C.) des Geschäftsführers der Antragstellerin genutzt. Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, die vorliegenden Entsendebescheinigungen entfalteten keine Bindungswirkung. Sie seien offensichtlich fehlerhaft und die türkischen Behörden hätten trotz eines an sie gerichteten Rechtshilfeersuchens nebst mehrfacher Nachfragen keine erneute inhaltliche Überprüfung dieser Bescheinigungen vorgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten nebst der von der Antragstellerin eingereichten Unterlagen und auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 20. Februar 2018 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Januar 2018 ist gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG sollen zwar Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben; diese entfällt gleichwohl nach Maßgabe des Abs. 2 in den meisten Fällen. So auch hier nach der einschlägigen Nr. 1. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Bei der Abwägungsentscheidung ist nach den Kriterien des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG vorzugehen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2007 – L 9 B 374/07 KR ER –, juris Rn. 3; und Beschluss vom 29. Juli 2014 – L 1 KR 131/14 B ER –, juris Rn. 13; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 12b m.w.N.). Danach ist die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Beitragspflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Beides ist vorliegend nicht der Fall, weshalb die Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin ausgeht.

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen nicht.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG liegen vor, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2007, a.a.O., Rn. 4; eingehend hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Oktober 2008 - L 24 B 373/08 KR ER -, juris Rn. 24 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versiche- rungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

a) Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen bei summarischer Prüfung nicht. Von einer vorherigen Anhörung der Antragstellerin durfte die Antragsgegnerin gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alt. SGB X mit Blick auf die im Strafverfahren angeordneten Sicherungsmaßnahmen (Vermögensarrest) absehen. Im Übrigen könnte ein Anhörungsmangel im Widerspruchsverfahren noch geheilt werden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).

b) Der angefochtene Bescheid ist bei summarischer Prüfung auch materiell rechtmäßig.

Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Dieser hat aufgrund § 28 f Abs. 1 SGB IV für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgeltenicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen, § 28 f Abs. 2 Satz 3 SGB IV.

Der Versicherungspflicht (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV) und Beitragspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI, § 25 Abs. 1 Satz 1 - Sozialgesetzbuch Drittes Buch Arbeitsförderung - SGB III). Dabei liegt der Beitragsbemessung für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag gemäß den §§ 28d, 28e SGB IV das Arbeitsentgelt zu Grunde (§ 342 SGB III, § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V, auf die Regelung im SGB V verweisend § 57 Abs. 1 SGB XI, § 162 Nr. 1 SGB VI).

aa) Die vorgenannten Vorschriften des deutschen Sozialversicherungsrechts finden nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung vorliegend Anwendung.

Grundsätzlich gelten nach § 3 Nr. 1 SGB IV die deutschen Rechtsvorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung für alle Personen, die im Geltungsbereich des Gesetzes beschäftigt sind (Territorialitätsprinzip), unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Gemäß § 5 SGB IV gelten die deutschen Vorschriften jedoch nicht für Personen, die im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnissesin diesen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist (Einstrahlung). Umgekehrt gilt Entsprechendes für die in § 4 SGB IV geregelten Fälle der Entsendung in das Ausland (Ausstrahlung). Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben nach § 6 SGB IV unberührt. Die hier einschlägigen Regelungen des deutschtürkischen Abkommensrechts führen indes vorliegend bei summarischer Prüfung nicht zu einer abweichenden rechtlichen Bewertung.

(1) Das durch Zustimmungsgesetz vom 13. September 1965 (BGBl. II 1965, S. 1169) umgesetzte bilaterale Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965, 1170; im Folgenden: DTSVA) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 (BGBl. II 1972, S. 2) und des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 (BGBl. II 1975, S. 374), ergänzt durch Zusatzabkommen vom 2. November 1984 (BGBl. II 1986, S. 1040) enthält zur Frage des anwendbaren Rechts für Fälle länderübergreifender Beschäftigung Kollisionsvorschriften, die das anwendbare Sozialversicherungsrecht bestimmen.

Art. 5 DTSVA geht - entsprechend § 3 SGB IV - als Grundregel davon aus, dass die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern sich unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers nach dem Sozialversicherungsrecht des Beschäftigungsortes richtet. Art. 6 Abs. 1 DTSVA sieht hiervon - insoweit ähnlich § 5 SGB IV - eine Ausnahme für den Fall einer Entsendung vor: Danach gelten für den Arbeitnehmer eines Unternehmens mit dem Sitz im Gebiet der einen Vertragspartei, welcher vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt wird, die Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei fort.

(2) Diese Voraussetzungen einer Entsendung lagen nach den durch das Hauptzollamt bzw. die Staatsanwaltschaft Bonn im Ermittlungsverfahren getroffenen Feststellungen, die die Antragsgegnerin dem angefochtenen Bescheid auch zugrunde legen durfte (vgl. dazu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juni 2017 – L 10 R 592/17 –, juris Rn. 19 ff.; Sächsisches LSG, Beschluss vom 12. Februar 2018 – L 9 KR 496/17 B ER –, juris Rn. 124 ff.; Scheer in: jurisPK-SGB IV, § 28p SGB IV Rn. 181), offensichtlich nicht vor.

Die von der Antragstellerin beschäftigten türkischen Arbeitnehmer wurden danach in der Türkeiallein für eine zeitlich befristete Tätigkeit in Deutschland angeworben und eingestellt und waren weder vor noch nach ihrer Tätigkeit in Deutschland für die Antragstellerin in der Türkei tätig. Sie wurden folglich nicht vorübergehend zur Arbeitsleistung aus der Türkei nach Deutschland entsandt.

Dies ergibt sich aus dem Ergebnis der Befragung von 47 Arbeitnehmern auf den Baustellen der Antragstellerin durch das Hauptzollamt und zudem aus den Angaben des Hauptbelastungszeugen Hüseyin Özkan im Rahmen seiner Vernehmung durch das Hauptzollamt am 22. Januar 2016 und seiner richterlichen Vernehmung am 5. Dezember 2017. Diese Angaben werden durch die weiteren Feststellungen gestützt. Die abschließende Würdigung sämtlicher Beweismittel muss insofern zwar dem Hauptsachverfahren vorbehalten bleiben. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung anhand der vorliegenden Unterlagen greifen jedoch die von der Antragstellerin vorgebrachten Einwände nicht durch:

(a) Die Angaben sämtlicher auf den Baustellen befragter Arbeitnehmer waren detailreich und stimmen inhaltlich überein. 44 der 47 befragten Arbeitnehmer haben ausgesagt, lediglich im Rahmen der Entsendung nach Deutschland für die Antragstellerin tätig gewesen zu sein. Sie würden immer nur für die Entsendung neu eingestellt und seien in Deutschland im Rahmen der Werkverträge längstens für die erlaubte Dauer von neun Monaten tätig. Danach kehrten sie in ihr Heimatland zurück und seien entweder arbeitslos, machten Urlaub, helfen der Familie, betreuten die eigene Landwirtschaft oder suchten sich Arbeit bei anderen Unternehmen. Nach drei Monaten Heimatsaufenthalt sei eine erneute Entsendung nach Deutschland möglich. Dazu würden sie mit der Antragstellerin Kontakt aufnehmen. Die Unterzeichnung des Arbeitsvertrages erfolge dann üblicherweise bei der türkischen Arbeitsverwaltung. Die überwiegende Anzahl der befragten Arbeitnehmer hat zudem angegeben, dass sich unter der Firmenadresse der Antragstellerin in S. lediglich ein Büro befinde, in dem zwei bis drei Büroangestellte tätig seien, die für den Abschluss der jeweiligen Arbeitsverträge und die Beantragung der Visa zuständig sind. Die Büroangestellten setzten sich mit den Arbeitskräften in Verbindung, wenn sie wieder für eine Tätigkeit in Deutschland vorgesehen seien. Dass die Firma C. in der Türkei gewerbliche Arbeiten ausführen, war keinem der Befragten bekannt. Lediglich drei Arbeitnehmer haben bei einer Befragung im Jahr 2008 bekundet, vor ihrer Entsendung auch in der Türkei für die Firma "C." gearbeitet zu haben. Offen blieb dabei jedoch, ob sie damit die Antragstellerin meinten oder die insofern gleichnamige und in A. ansässige Baufirma des Bruders ihres Geschäftsführers, M. C.

Soweit die Antragstellerin pauschal behauptet, die Aussagen der befragten Arbeitnehmer seien "irreführend und unvollständig" übersetzt worden, finden sich hierfür in ihrem eigenen Vorbringen wie auch in den vorliegenden Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte. Insbesondere hat die Antragstellerin keinen hiervon abweichenden plausiblen Sachverhalt dargelegt, der geeignetwäre, die Glaubhaftigkeit der Angaben der befragten Arbeitnehmer zu erschüttern. Sie hat selbst noch nicht einmal behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass die für sie in Deutschland in dem streitgegenständlichen Zeitraum tätig gewesenen türkischen Arbeitnehmer vor oder nach ihrer Tätigkeit in Deutschland tatsächlich für sie in der Türkei als Arbeitnehmer tätig gewesen sind. Dabei wäre es für sie sicher ein leichtes gewesen, hierzu aussagekräftige Nachweise vorzulegen. Das gilt auch, soweit bei drei der befragten Arbeitnehmer offengeblieben ist, ob sie in der Türkei tatsächlich für die Antragstellerin oder die Firma des M. C. tätig waren.

(b) Die Angaben des Hauptbelastungszeugen Ö., der in der Zeit von März 2007 bis September2013 bei der "Managementfirma" der Antragstellerin in N. tätig war, erscheinen in sich schlüssig und glaubhaft und stimmen mit den Angaben der befragten Arbeitnehmer und den weiteren Feststellungen inhaltlich überein. Dass der Zeuge - wie er im Rahmen seiner richterlichen Vernehmung unumwunden selbst eingeräumt hat - von der Antragstellerin bzw. ihrem Geschäftsführer ein "Schweigegeld" gefordert und sich damit möglicherweise einer versuchten Erpressung strafbar gemacht hat, stellt seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage nicht grundsätzlich infrage.

(c) Die vorgenannten Feststellungen werden auch durch eine Wirtschaftsauskunft der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) vom 22. August 2013 (Bl. 234 der Verwaltungsakten) gestützt, wonach als Geschäftszweck der Antragstellerin allein die Vermittlung von Personal für den Bausektor nach Deutschland aufgeführt und für das Kalenderjahr 2013 als Mitarbeiteranzahl "1" angegeben ist. Soweit sich aus den von der Antragstellerin vorgelegten Kammerregistereintragungen etwas anderes ergibt, muss deren abschließende Würdigung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Jedenfalls im Rahmen der summarischen Prüfung erscheint die pauschale Behauptung der Antragstellerin, es müsse sich hier um eine Verwechslung handeln, wenig glaubhaft, zumal die Wirtschaftsauskunft der IZA exakt mit den Angaben der befragten Arbeitnehmer und des Zeugen Ö. übereinstimmt.

(d) Soweit die Antragstellerin Nachweise über Bauvorhaben vorgelegt hat, die belegen sollen, dass sie in der Türkei selbst auch Bauaufträge ausgeführt hat, muss deren abschließende Würdigung ebenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bonn (S. 36 = Bl. 2662Rs der Verwaltungsakten) werden insofern aber bereits plausibel Zweifel an der Echtheit bzw. inhaltlichen Richtigkeit dieser Nachweise vorgebracht und es wird zutreffend dargelegt, dass zum Nachweis von Geschäftsbeziehungen die Vorlage von Vertragsunterlagen, Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Eingangs- und Ausgangsrechnungen sowie Belege über Zahlungsflüsse der türkischen Gesellschaft naheliegend gewesen wäre. Entsprechende Unterlagen habe die Antragstellerin - trotz Aufforderung durch das Landgericht Bonn im Rahmen der Haftbeschwerde - nicht vorgelegt. Hiermit setzt sich die hier vorliegende Antragsbegründung inhaltlich nicht auseinander und es wurden auch in dem vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine weiteren Belege eingereicht. Im Übrigen wäre damit immer noch nicht der Nachweis erbracht, dass hinsichtlich der von der Antragstellerin in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine Entsendung nach dem DTSVA tatsächlich vorgelegen haben. Wie bereits oben dargelegt, hat die Antragstellerin bislang aber noch nicht einmal selbst behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass die in Rede stehenden Arbeitnehmer vor oder nach ihrer Tätigkeit in Deutschland für sie in der Türkei gearbeitet haben.

(e) Sofern die Antragstellerin Bescheinigungen des türkischen Sozialversicherungsträgers vom 5. Januar 2007 und 16. Januar 2018 vorgelegt hat, wonach durch "umfangreiche Untersuchungen" habe festgestellt werden können, dass es sich bei dem Unternehmen der Antragstellerin auf keinen Fall um ein Briefkastenunternehmen handele und dass das Unternehmen sowohl in der Türkei als auch in Deutschland zur Ausführung von Werkverträgen im Baugewerbe effektiv aktiv tätig sei, ist – worauf die Staatsanwaltschaft Bonn in der Anklageschrift ebenfalls zutreffend hinweist – nicht annähernd ersichtlich, auf der Basis welcher Prüfung die türkische Behörde zu den mitgeteilten Ergebnissen gekommen ist. Dies gilt umso mehr, als - worauf noch näher einzugehen sein wird - ein von den deutschen Ermittlungsbehörden an die türkischen Behörden gerichtetes Rechtshilfeersuchen inhaltlich nicht beantwortet wurde. Die vorstehenden Ausführungen gelten auch für das von der Antragstellerin in dem Schriftsatz vom 5. Juni 2018 erwähnte Schreiben der türkischen Behörden vom 14. Mai 2018. Entgegen dem Vortrag der Bevollmächtigten der Antragstellerin geht aus diesem Schreiben ausweislich der vom Gericht veranlassten Übersetzung schon nicht hervor, dass nach Ansicht der türkischen Behörden eine wirksame Entsendung im Sinne des DTSVA vorliege. Vielmehr lässt sich dem Schreiben lediglich entnehmen, dass für Arbeitnehmer, die von einem türkischen Unternehmen zwecks Beschäftigung in die Bundesrepublik Deutschland entsandt wurden, die Sozialversicherungsbeiträge (weiter) in der Türkei zu entrichten sind. Das ist unzweifelhaft zutreffend, allein es fehlt vorliegend an der insofern vorausgesetzten Entsendung der Arbeitnehmer. Hierauf geht auch das Schreiben vom 14. Mai 2018 nicht ein. Ihm lässt sich vielmehr entnehmen, dass auch nach dem Rechtsverständnis der türkischen Behörden eine Entsendung voraussetzt, dass der betreffende Arbeitnehmer von dem Unternehmen "zur Arbeitsaufnahme in der Türkei" angestellt wurde. Eben dies ist vorliegend jedenfalls nach summarischer Prüfung vorliegend nicht der Fall gewesen.

(3) Die von der Antragstellerin erstmals im Widerspruchsverfahren vorgelegten Entsendebescheinigungen "A/T 1" stehen der Anwendbarkeit des deutschen Sozialversicherungsrechts nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht entgegen (zur insoweit schon grundsätzlich zu verneinenden Bindungswirkung der A/T 11 – Bescheinigungen vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2007 – 1 StR 301/06 –, BGHSt 51, 224 ff., juris Rn. 26; Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 21 Rn. 14).

Offenbleiben kann insofern, ob für alle Arbeitnehmer und Beschäftigungszeiträume tatsächlich lückenlose Entsendebescheinigungen vorliegen.

Die Entsendebescheinigungen entfalten bei summarischer Prüfung vorliegend jedenfalls deshalb keine Bindungswirkung, weil sie offensichtlich unrichtig sind und die türkischen Behörden im Rahmen des an sie gerichteten Rechtshilfeersuchens an der Aufklärung des Sachverhalts nicht mitgewirkt haben.

(a) Die Erteilung der Entsendebescheinigungen findet ihre rechtliche Grundlage in Art. 5 Abs. 1 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit (BGBl. II 1986, S. 1055, im Folgenden: Durchführungsabkommen). Danach erteilt der zuständige Träger in den Fällen der Art. 6 und 9 des DTSVA im Gebiet der Vertragspartei deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind, der betreffenden Person auf Antrag eine Bescheinigung darüber, dass sie diesen Rechtsvorschriften untersteht. In der Türkei wird die Bescheinigung von der in Art. 48 Abs. 2 DTSVA aufgeführten Verbindungsstelle ausgestellt, die für die betreffende Person zuletzt als Verbindungsstelle zuständig war (Art. 5 Abs. 3 des Durchführungsabkommens).

(b) Nach der Rechtsprechung des BSG sind derartige Entsendebescheinigungen für die deutschen Sozialversicherungsträger und Sozialgerichte grundsätzlich bindend. Nur wenn sie auch auf der Grundlage des Rechtsverständnisses des die Bescheinigung ausstellenden Staates offensichtlich nicht richtig sein können, kann von einer unrichtigen Anwendung des Abkommens durch die ausländische Verbindungsstelle und damit von einer fehlenden Verbindlichkeit der Bescheinigung ausgegangen werden (BSG, Urteil vom 16. Dezember 1999 - B 14 KG 1/99 R –, BSGE 85, 240, SozR 3-5870 § 1 Nr. 17, juris Rn. 16 ff.). Damit im Wesentlichen übereinstimmend geht der BGH davon aus, dass abkommensrechtliche Entsendebescheinigungen dann keine Bindungswirkung entfalten, wenn sie gemessen an dem Wortlaut des Abkommens inhaltlich offensichtlich unzutreffend sind. Eine Bindung an die Bescheinigungen könnte demgegenüber allenfalls bestehen, soweit die Beschäftigungsverhältnisse, für die die Bescheinigungen erteilt wurden, noch vom möglichen Wortsinn des Vertragstexts erfasst werden, mag dieser in Deutschland auch anders ausgelegt werden (so BGH, Urteil vom 24. Oktober 2007 – 1 StR 189/07 –, juris Rn. 39; siehe dazu auch Rübenstahl,NJW 2007, 3538 ff.; Radtke, GmbHR 2009, 915, 922).

(c) Diese Grundsätze gelten auch für Entsendebescheinigungen A/T 1 auf der Grundlage des deutsch-türkischen Durchführungsabkommens (siehe dazu Rübenstahl, NJW 2007, 3538, 3540). Nach Art. 5 Abs. 1 und 3 dieses Abkommens wird unmittelbar die Freistellung von der Versicherungspflicht im Gastland bescheinigt, das heißt die Rechtsfolge des Art. 6 Abs. 1 DTSVA selbst, nicht nur tatsächliche Angaben zu den Tatbestandsvoraussetzungen, die den deutschen Behörden eine Entsendung plausibel machen sollen. Der Begriff der "Bescheinigung” spricht dafür, dass es sich nicht um ein Beweismittel, sondern um einen rechtswirksamen Nachweis handeln soll. Die Prüfung der Voraussetzungen einer Entsendung soll im Her- kunftsland durch die orts- und sachnähere Verbindungsstelle stattfinden (so zutreffend Rübenstahl, a.a.O.).

(d) In diesem Zusammenhang ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass Art. 55 DTSVA ein gesondertes Streitbeilegungsverfahren vorsieht. Nach dessen Absatz 1 sollen Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens soweit möglich durch die zuständigen Behörden der beiden Vertragsparteien beigelegt werden. Kann eine Streitigkeit auf diese Weise nicht beigelegt werden, so ist sie nach Absatz 2 auf Verlangen einer der beiden Vertragsparteien einem Schiedsgericht zu unterbreiten. Die Bildung und Entscheidung des Schiedsgerichts ist in den Absätzen 3 bis 5 geregelt.

Auch wenn sich das Streitbeilegungsverfahren nach Art. 55 DTSVA nicht dazu eignet, im konkreten Einzelfall eine abschließende und justiziable Überprüfung ausgestellter Entsendebescheinigungen vorzunehmen (vgl. dazu auch Radtke, GmbHR 2009, 915, 922), zumal allein Zweifel an der Unrichtigkeit ausgestellter Entsendebescheinigungen noch keine Streitigkeit" im Sinne dieser Vorschrift begründen dürften, lässt sich hieraus doch der Grundsatz ableiten, dass die zuständigen Behörden bei der Aufklärung des Sachverhalts und der Entscheidung über die (Un-)Richtigkeit von im Rahmen des DTSVA ausgestellten Bescheinigungen loyal zusammenarbeiten müssen. Das heißt, die deutschen Behörden müssen sich bei Anhaltspunkten für die (offensichtliche) Unrichtigkeit der von den türkischen Behörden ausgestellten Entsendebescheinigungen zunächst an diese wenden und sie mit den ihnen vorliegenden Beweisen konfrontieren. Erst wenn sich hiernach die Evidenz der Unrichtigkeit der erteilten Bescheinigungen erweist, entfällt die Bindungswirkung (in diesem Sinne auch Radtke, a.a.O.).

Insoweit lassen sich die vom EuGH in der Entscheidung vom 6. Februar 2018 (C-359/16, Rn. 46 ff.) zu den vormaligen E 101 – Bescheinigungen auf der Grundlage der EWG-VO Nr. 1408/71 (jetzt A1-Bescheinigungen aufgrund der VO/EG Nr. 883/04) aufgestellten Grundsätze sinngemäß auch auf das DTSVA übertragen. Nach dieser Entscheidung findet der Grundsatz der Bindungswirkung von Entsendebescheinigungen seine Grenze in den Fällen, in denen diese in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise erlangt wurden (a.a.O., Rn. 48 ff.). Wenn im Rahmen des in Art. 84a Abs. 3 der EWG-VO Nr. 1408/71 vorgesehenen Dialogs der Träger des Mitgliedstaats, in den Arbeitnehmer entsendet wurden, dem Träger, der die Bescheinigungen E 101 ausgestellt hat, konkrete Beweise vorlegt, die den Schluss zulassen, dass diese Bescheinigungen betrügerisch erlangt wurden, hat der ausstellende Träger gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit anhand dieser Beweise erneut zu prüfen, ob die Ausstellung zu Recht erfolgt ist, und die Bescheinigungen gegebenenfalls zurückzuziehen. Hat der Träger des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt wurden, den Träger, der die Bescheinigungen E 101 ausgestellt hat, mit einem Antrag auf erneute Prüfung und Widerruf dieser Bescheinigungen im Licht von im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung gesammelten Beweisen befasst, die die Feststellung erlaubt haben, dass die Bescheinigungen betrügerisch erlangt oder geltend gemacht wurden, und hat es der ausstellende Träger unterlassen hat, diese Beweise zu berücksichtigen, um erneut zu prüfen, ob die Ausstellung der Bescheinigungen zu Recht erfolgt ist, kann das nationale Gericht die Entsendebescheinigungen außer Acht lassen.

Diese Grundsätze ermöglichen auch im Rahmen des DTSVA eine sachgerechte Lösung in dem Konflikt zwischen der im Abkommensrecht verankerten (und der Rechtssicherheit dienenden) grundsätzlichen Bindungswirkung der von den türkischen Behörden ausgestellten Entsendebescheinigungen einerseits und dem berechtigten öffentlichen Interesse der deutschen Sozialversicherungsträger an der Verhinderung einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme (leistungsrechtlich) bzw. Umgehung (beitragsrechtlich) des deutschen Sozialversicherungssystems andererseits. Sie sind daher nach Ansicht der Kammer auf die vorliegend zu entscheidende Frage der Bindungswirkung der A/T 1 - Entsendebescheinigungen sinngemäß zu übertragen.

(e) Bei Anwendung dieser rechtlichen Maßgaben auf den vorliegenden Fall ergibt sich danach Folgendes:

Die von den türkischen Behörden ausgestellten Entsendebescheinigungen A/T 1 waren bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung offensichtlich unrichtig (siehe dazu oben (2)). Sie wurden nach den Angaben des Zeugen Ö. in betrügerischer oder zumindest rechtsmissbräuchlicher Weise erlangt, indem zur Entsendung der Arbeitnehmer über die neu gegründete Firma in S. weiterhin das Kontingent der Firma des M. C. mit Sitz in A. genutzt wurde. Hierzu wurde auf den Anträgen der Name der Firma des M. C. (C.Ltd) ohne den von der Antragstellerin nach dem von ihr vorgelegten türkischen Kammerregisterauszug geführten Zusatz "M." verwendet. Dementsprechend wurden auch die von der Antragstellerin vorgelegten Entsendebescheinigungen für "C.Ltd." ausgestellt.

Das geschah mutmaßlich in der Absicht, den für die türkischen Arbeitnehmer nach den materiell-rechtlichen Vorgaben des DTSVA geltenden Regelungen des deutschen Sozialversicherungsrechts und der damit verbundenen Beitragsbelastung zu entgehen.

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens haben sich die Ermittlungsbehörden mit einem Rechtshilfeersuchen an die zuständigen türkischen Sozialbehörden gewandt und hierbei insbesondere um Auskunft ersucht, welche Arbeitnehmer im Zeitraum von 2002 bis 2013 bei der Antragstellerin in der Türkei gemeldet waren. Dieses Rechtshilfeersuchen wurde seitens der türkischen Behörden nicht bearbeitet. Die hierfür gegebene Begründung des türkischen Justizministeriums, es seien keine konkreten Beweise vorgelegt worden, ist in Anbetracht der in dem – dem Rechtshilfeersuchen beigefügten – Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn explizit genannten Beweismittel für die Begründung des Tatverdachts nicht nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, als die Vorlage von Beweismitteln in dem Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 nicht vorgesehen ist (vgl. Art. 14 des Abkommens) und seitens der türkischen Behörden auch keinerlei Beweise angefordert wurden und in dieser Hinsicht auch keine Nachfrage erfolgte. Eine Nachfrage erfolgte vielmehr allein im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Personalien sämtlicher Arbeitnehmer der Antragstellerin. Diese wurde seitens der deutschen Ermittlungsbehörden beantwortet. Vor diesem Hintergrund wäre es zumindest zu erwarten gewesen, dass die türkischen Behörden die deutschen Behörden um Übersendung der in dem Durchsuchungsbeschluss erwähnten Beweismittel bitten, wenn sie deren Vorlage für erforderlich halten.

Auch in der von der Antragstellerin vorgelegten Bescheinigung des türkischen Sozialversicherungsträgers vom 16. Januar 2018 wird auf die mit dem Rechtshilfeersuchen mitgeteilten konkreten Vorwürfe nicht eingegangen und es ist – wie bereits dargelegt (siehe oben (2) (e)) – nicht annähernd ersichtlich, auf der Basis welcher Prüfung die türkische Behörde zu den darin mitgeteilten Ergebnissen gekommen ist. Insofern ist jedenfalls im Rahmen der vorliegenden summarischen Prüfung davon auszugehen, dass die türkischen Behörden die Ihnen vorgelegten Beweise für eine betrügerische bzw. rechtsmissbräuchliche Erlangung der Entsendebescheinigungen inhaltlich nicht berücksichtigt haben mit der Folge, dass die Antragsgegnerin und das Gericht an diese Bescheinigungen nicht gebunden sind.

Dass die Befassung der türkischen Behörden mit den vorliegenden Beweisen für eine betrügerische bzw. rechtsmissbräuchliche Erlangung der Entsendebescheinigungen im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens der Ermittlungsbehörden und nicht im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 55 DTSVA erfolgt ist, ist rechtlich unerheblich. Zum einen eignet sich das Verfahren nach Art. 55 DTSVA grundsätzlich nicht für die Klärung der (Un-)Richtigkeit ausgestellter Entsendebescheinigungen in einem konkreten Einzelfall (siehe oben (d)) und begründet die bloße Nichtbeantwortung einer förmlichen Anfrage (hier im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens) noch keine "Streitigkeit", die ein Verlangen auf Einberufung eines Schiedsgerichts gemäß Art. 55 Abs. 2 DTSVA rechtfertigen würde. Überdies erschien es aus Sicht der Antragsgegnerin geboten, die Ermittlungshoheit der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren (§ 160 StPO) und das im Strafverfahren vorgesehene förmliche Rechtshilfeverfahren auf der Grundlage des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 zu respektieren.

bb) Die Berechnung der Beitragsnachforderung hält sich bei der auch insofern allein möglichen summarischen Prüfung im Rahmen des der Antragsgegnerin gemäß § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV eröffneten Schätzungsermessens und ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Berechnung erfolgte auf der Grundlage der von der Antragstellerin selbst an die SOKABau gemeldeten Bruttolöhne (vgl. Bl. 285 ff. der Verwaltungsakten). Sofern die Antragstellerin zuletzt vortragen lässt, der Antragsgegnerin hätten sämtliche Daten über Beschäftigungszeiträume und Entgelte in Form einer Daten-CD vorgelegen, geht dies aus den dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakten nicht hervor. Die Antragstellerin hat danach vielmehr auch im Rahmen der im August 2015 bereits erfolgten Anhörung zum Erlass eines Summenbescheides keine (vollständigen) Unterlagen vorgelegt. Vor allem aber wird in dem jetzigen Vortrag der Antragstellerin nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass und warum die sich aus den auf den Daten-CDs enthaltenen Aufzeichnungen ergebenden Sozialversicherungsbeiträge zu ihren Gunsten von den mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachten Beitragsforderungen abweichen sollten. Aus den im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sichergestellten Unterlagen und den Angaben des Zeugen Ö. ergibt sich nämlich, dass die tatsächlichen Arbeitszeiten und Bruttolöhne sogar noch deutlich über den von der Antragstellerin an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) übermittelten Stundenaufzeichnungen und Bruttolöhne lagen (vgl. S. 29 f., 33 f., 39 der Anklageschrift). Insofern ist nach den von der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren jedenfalls bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die tatsächlichen Arbeitsentgelte zumindest nicht niedriger waren als die von der Antragstellerin selbst zur SOKA-Bau gemeldeten Entgelte, zumal auch nicht ansatzweise ersichtlich ist, dass und warum die Antragstellerin selbst der SOKA-Bau höhere als die tatsächlich gezahlten Entgelte gemeldet haben sollte. Sofern die Antragstellerin sich dagegen wendet, dass in dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin immer volle Beschäftigungsmonate zugrunde gelegt wurden, obwohl die Arbeitnehmer oft nur Teile des Monats gearbeitet hätten, ist dies allein dem im Sozialversicherungs- und beitragsrecht geltenden Monatsprinzip (vgl. dazu z.B. BSG, Urteil vom 5. Dezember 2017 – B 12 R 10/15 R –, juris) geschuldet. Es wurde in dem Bescheid aber keinesfalls immer derselbe (volle) Monatslohn zugrunde gelegt, sondern gerade die von der Antragstellerin selbst zur SOKA-Bau gemeldeten Monatslöhne, die bei einer Tätigkeit in nur einem Teil des Monats entsprechend geringer waren. Auf etwaige (vermeintliche) Differenzen in den gemeldeten und den von der Antragsgegnerin zugrunde gelegten Beschäftigungszeiträumen kommt es insofern nicht. Im Übrigen ist ein Bestandteil des Vorwurfs im Strafverfahren gerade, dass die von der Antragstellerin zur SOKA-Bau gemeldeten Beschäftigungszeiten mit Blick auf die von der ULAK erlangten Erstattungen für vermeintlich gezahlte Urlaubsvergütungen von den tatsächlichen Beschäftigungszeiten in erheblichem Umfang abwichen.

cc) Die von der Antragstellerin nachzuzahlenden Beiträge sind auch nicht verjährt.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Hingegen verjähren solche Ansprüche erst in 30 Jahren (§ 25 Abs. 1 S 2 SGB IV), wenn die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind. Letzteres ist hier bei summarischer Würdigung der vorliegenden Beweismittel jedenfalls überwiegend wahrscheinlich.

dd) Rechtlich und rechnerisch nicht zu beanstanden ist insofern auch die Forderung von Säumniszuschlägen in Höhe von 8.718.434,50 EUR. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von einem Prozent des rückständigen, auf 50 EUR abgerundeten Betrages zu zahlen. Säumniszuschläge können regelmäßig auch rückwirkend festgesetzt werden. Sie dürfen nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB IV gegenüber dem Arbeitgeber nur dann nicht rückwirkend erhoben werden, wenn die Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt wird und der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Ob der unverschuldeten Unkenntnis der Zahlungspflicht auch fahrlässiges (so BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 67/09 R –, Rn. 23) oder nur vorsätzliches (so wohl BSG, Urteile vom 26. Januar 2005 – B 12 KR 3/04 R –, Rn. 36; und 9. November 2011 – B 12 R 18/09 R –, Rn. 28) Verhalten entgegensteht, kann vorliegend dahingestellt bleiben, weil die Beiträge hier bei summarischer Prüfung vorsätzlich vorenthalten wurden. Sofern die Klägerin geltend macht, durch den strafrechtlichen Vermögensarrest sei ihr eine Erfüllung der Beitragsforderung unmöglich geworden, ändert dies an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Säumniszuschläge grundsätzlich nichts. Säumniszuschläge werden in dem angefochtenen Bescheid nur bis einschließlich Dezember 2017 gefordert, die Arrestbeschlüsse wurden aber erst am 22. Dezember 2017 vollstreckt.

2. Dass die Vollziehung des Nachforderungsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte darstellt, ist ebenfalls weder dargelegt noch ersichtlich, geschweige denn glaubhaft gemacht.

Eine unbillige Härte ist anzunehmen, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung des Verwaltungsaktes Nachteile entstehen oder ernsthaft drohen, die nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können, sofern sie über die eigentliche Zahlung hinausgehen, denn Nachteile, die mit dem Vollzug eines nicht rechtskräftigen Verwaltungsaktes allgemein verbunden sind, sind regelmäßig zumutbar (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Oktober 2008 - L 24 B 373/08 KR ER -, juris Rn. 24; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86a Rn. 27b, jeweils m.w.N.). Allein ernsthafte Liquiditätsprobleme bzw. die drohende Insolvenz eines Beitragsschuldners zur gesetzlichen Sozialversicherung begründen für sich noch nicht die Annahme einer unbilligen Härte des Sofortvollzugs eines Beitragsbescheides. Vielmehr kann sich aus einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im besonderen Maße ein Interesse an der Durchsetzung der Beitragsfor- derung ergeben, soweit nicht dargelegt wird, dass bei einem Zuwarten die Fortführung des Geschäftsbetriebs erfolgen kann und der spätere Ausgleich der Beitragsschuld gesichert ist. Eine beachtliche Härte in diesem Sinne wäre also regelmäßig nur dann denkbar, wenn die Durchsetzung der konkreten Beitragsforderungen aktuell zur Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Insolvenzordnung (InsO) führen würde und/oder die Zerschlagung des Geschäftsbetriebes zur Folge hätte, andererseits die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache zumindest nicht weiter gefährdet wäre als zurzeit (siehe zum Vorstehenden LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Dezember 2013 – L 3 U 112/13 B ER –, juris Rn. 51 f.; Sächsisches LSG, Beschluss vom 12. Februar 2018 – L 9 KR 496/17 B ER –, juris Rn. 149). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich, geschweige denn glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat zu ihrer Einkommens- und Vermögenssituation keine Angaben gemacht und auch keine Nachweise eingereicht. Im Übrigen werden die berechtigten Interessen des Beitragsschuldners an der Vermeidung einer finanziellen Überforderung und der Sicherstellung des notwendigen Existenzminimums durch die Vorschriften über Stundung/Niederschlagung und Erlass der Beitragsschuld gemäß § 76 SGB IV, den Pfändungsschutz gemäß §§ 850 ff ZPO und durch das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung nach § 294 Abs. 1 ZPO ausreichend und abschließend geschützt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 4, § 52 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes. Von dem Gesamtbetrag Nachforderung der Beiträge und Säumniszuschläge in Höhe von 20.191.302,98 EUR war wegen des nur vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens grundsätzlich die Hälfte anzusetzen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2007 - L 9 B 374/07 KR ER –, juris Rn. 9; und Beschluss vom 29. Juli 2014 – L 1 KR 131/14 B ER –, juris Rn. 29). Dieser Betrag war nach § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG auf den Maximalstreitwert von 2,5 Mio EUR zu kürzen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Dezember 2011 – L 1 KR 184/11 ER –, juris Rn. 263).
Rechtskraft
Aus
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