L 31 AS 671/18 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 134 AS 3535/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 671/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein bestandskräftiger Eingliederungsverwaltungsakt ist im Verfahren gegen einen Sanktionsbescheid nicht zu überprüfen, sondern mit seinem Regelungsgehalt zugrunde zu legen.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 05. April 2018 wird dieser aufgehoben. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 23. März 2018 gegen den Bescheid vom 20. Februar 2018 bzw. nunmehr nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2018 der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 10. Mai 2018 gegen diesen Widerspruchsbescheid wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der von dem Antragsgegner Leistungen nach dem Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) erhält, begehrt nach - Erlass des Widerspruchsbescheides und - Erhebung der Klage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 10. Mai 2018.

Nachdem der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung am 11. Mai 2017 scheiterte, ersetzte der Antragsgegner die Eingliederungsvereinbarung mit Verwaltungsakt vom 11. Mai 2017. Der Verwaltungsakt sollte ab 11. Mai 2017 bis auf weiteres gelten. Im Hinblick auf die Fortschreibung des ersetzenden Verwaltungsaktes führte der Antragsgegner aus, die Inhalte dieses Bescheides würden regelmäßig überprüft und im gegebenen Falle mit neuem ersetzenden Verwaltungsakt fortgeschrieben. Dies erfolge insbesondere, wenn eine wesentliche Änderung in den persönlichen Verhältnissen des Antragstellers eine Anpassung der vereinbarten Maßnahmen, Leistungen des Jobcenters und seiner Pflichten erforderlich machen würde. Das gleiche gelte, wenn das Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt nur aufgrund von Anpassungen und Änderungen erreicht bzw. beschleunigt werden könne. Zur Integration in Arbeit war unter anderem die Pflicht des Antragstellers aufgenommen worden, während der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung im Turnus von 2 Monaten - beginnend mit dem Erlass als Verwaltungsakt (sofern notwendig) - jeweils mindestens 8 (pro Woche eine) Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber im Anschluss an den oben genannten jeweiligen Zeitraum erstmals am 14. Juli 2017 und anschließend immer zum 14. jedes zweiten Folgemonats (im einzelnen genannte) Nachweise vorzulegen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Antragsgegner die Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche, per Post versandte Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB III, sofern der Antragsteller diese zuvor beantragt habe, zu unterstützen. Weiter ist dazu ausgeführt, die Erstattung der Bewerbungskosten erfolge in pauschalierter Form mit 5 EUR pro nachgewiesener Bewerbung bis zu einem jährlichen Höchstbetrag von 260 EUR. Bei E-Mail-Bewerbungen erfolge eine pauschalierte Erstattung i.H.v. 1 EUR pro Bewerbung. In der Rechtsfolgenbelehrung wurde der Antragsteller über die Möglichkeit der Verhängung von Sanktionen und deren Ausgestaltung belehrt.

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller - wegen der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit als Dozent vorläufig - mit Bescheid vom 8. Dezember 2017 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 in Höhe von monatlich 789,98 EUR.

Nachdem der Antragsteller weder am 14. Juli 2017, am 14. September 2017 noch am 14. November 2017 Bewerbungsbemühungen nachgewiesen hatte, hörte der Antragsgegner ihn mit Schreiben vom 8. Dezember 2017 zu einer beabsichtigten Sanktion an und wies ihn darauf hin, dass voraussichtlich ein Wegfall des Auszahlungsanspruchs für 3 Monate eintreten werde, da es sich um eine wiederholte Pflichtverletzung handle. Ein konkreter Pflichtverstoß wurde in diesem Anhörungsschreiben nicht genannt.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2018 stellte der Antragsgegner den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II (Regelbedarf und Leistungen für Unterkunft und Heizung) für die Zeit vom 1. März 2018 bis zum 31. Mai 2018 fest und hob den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 8. Dezember 2017 insoweit ganz auf. Auch in diesem Bescheid wurde der konkrete geahndete Pflichtverstoß – fehlender Nachweis der Bewerbungsbemühungen am 14. Dezember 2017 – nicht genannt.

Gegen den ihm am 24. Februar 2018 zugestellten Bescheid erhob der Antragsteller am 23. März 2018 Widerspruch und beantragte am 26. März 2018 beim Sozialgericht Berlin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.

Mit Beschluss vom 5. April 2018 ordnete das Sozialgericht Berlin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers von 23. März 2018 gegen den Minderungsbescheid des Beklagten vom 20. Februar 2018 an und führte zur Begründung unter anderem aus, der streitgegenständliche Änderungsbescheid beruhe auf der Ermächtigungsgrundlage des § 31 a Abs. 1 S. 3 SGB II i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Die Rechtmäßigkeit des Minderungsbescheides setze daher unter anderem voraus, dass der Antragsteller sich geweigert habe, eine Pflicht zu erfüllen, die in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt festgelegt worden sei. Maßgeblich für die Pflichten des Antragstellers sei vorliegend der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt des Antragsgegners vom 11. Mai 2017. Nach zutreffender Ansicht sei bei einem Pflichtenverstoß nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II inzident zu prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig sei. Erweise sich der Verwaltungsakt als rechtswidrig, führe dies zur Rechtswidrigkeit der Minderung. Insofern komme es nach zutreffender Auffassung auch nicht darauf an, ob der Eingliederungsverwaltungsakt inzwischen bestandskräftig geworden sei (so auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. November 2017, L 7 AS 1519/15 B ER, Rn. 40, zitiert nach juris; Sonnhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 55; Eicher/Luik/Knickrehm/Hahn, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 31 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen, auch zur Gegenansicht, die bei Bestandskraft keine Inzidentprüfung vornehmen will). Der Eingliederungsverwaltungsakt erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, weil das Fehlen einer Befristung oder zumindest einer festen Überprüfungsfrist im vorliegenden Fall ermessensfehlerhaft gewesen sei: Komme eine Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 2 SGB II nicht zu Stande, sollten die ansonsten in der Eingliederungsvereinbarung zu treffenden Regelungen nach § 15 Abs. 3 S. 3 SGB II durch Verwaltungsakt getroffen werden. Der die Vereinbarung ersetzende Verwaltungsakt habe denselben Inhalt aufzuweisen wie die Eingliederungsvereinbarung, solle also die in § 15 Abs. 2 S. 2 SGB II vorgesehenen Bestimmungen enthalten. Insbesondere solle der Eingliederungsverwaltungsakt danach regeln, welche Bemühungen erwerbstätige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen sollten und in welcher Form diese Bemühungen auch nachzuweisen seien. Nach § 15 Abs. 3 S. 1 SGB II solle die Eingliederungsvereinbarung regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von 6 Monaten, gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden. Für den hier vorliegenden Fall der Ersetzung einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt fehle im Gesetz zwar eine ausdrückliche Regelung. Insofern sei davon auszugehen, dass dem Antragsgegner ein Ermessen im Hinblick auf die Geltungsdauer und Überprüfungspflichten eines Eingliederungsverwaltungsaktes zukomme. Soweit ein Leistungsträger ermächtigt sei, nach seinem Ermessen zu handeln, sei sein Handeln rechtswidrig, wenn er die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG sowie § 39 Abs. 1 S. 1 SGB I zu Ermessensleistungen). Das Gericht habe also zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt habe, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe (so mit Verweis auf § 54 Abs. 2 S. 2 SGG: BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 19/14 R, Rn. 35 mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris; zu den Ermessensfehlern siehe auch: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rn. 26 ff.). Im vorliegenden Fall liege ein Ermessensfehlgebrauch vor, d. h. der Antragsgegner habe zwar Ermessenserwägungen im Hinblick auf die Geltungsdauer und Überprüfungsfristen für den Eingliederungsverwaltungsakt angestellt; diese seien indes unzureichend, weil relevante Ermessensgesichtspunkte nicht berücksichtigt worden seien. Der Antragsgegner sei verpflichtet, bei seiner Ermessensentscheidung im Hinblick auf die Geltungsdauer des Eingliederungsverwaltungsaktes zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für den Fall einer Eingliederungsvereinbarung in aller Regel einen Zeitraum von höchstens 6 Monaten ohne Überprüfung für angemessen halte (noch weitergehend Berlit, in: LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 15 Rn. 62, wonach bei einem Eingliederungsverwaltungsakt der in § 15 Abs. 3 S. 1 geregelte Überprüfungsmechanismus nicht greife und die Regelüberprüfungs(höchst)frist, die Höchstfrist für die einseitig festzulegende Laufzeit wäre; vergleiche auch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 8. Juni 2017, L 16 AS 291/17 B ER, wonach ein Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig sei, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Überprüfungsfrist von 6 Monaten ohne Ermessensausübung überschritten werde). Daher hätte der Antragsgegner im vorliegenden Fall den Gültigkeitszeitraum des Eingliederungsverwaltungsaktes entweder auf 6 Monate beschränken oder zumindest einen zwingenden 6-monatigen Überprüfungsturnus (mit entsprechender Anhörung des Antragstellers) vorsehen müssen. Einen solchen Überprüfungsturnus sähen auch die Fachlichen Weisungen des Antragsgegners vor (vergleiche Fachliche Weisungen zu § 15 SGB II, Stand 20. Oktober 2016, Rn. 15.46). Ein längerer Gültigkeits- oder Überprüfungsturnus dürfe nur ausnahmsweise zulässig sein, z.B. wenn mit einer Veränderung der Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu rechnen sei. Hiervon sei jedoch im vorliegenden Fall schon deshalb nicht auszugehen, weil insbesondere die dem Antragsteller auferlegte aktive Suche nach Stellenangeboten und die Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge sowie die Zuweisung zu einer Arbeitsgelegenheit beim Träger B W GmbH ab dem 1. Juni 2017 auch nach der Vorstellung des Antragsgegners zu einer Veränderung der Verhältnisse habe führen sollen. Aber selbst wenn ein solcher Ausnahmefall vorgelegen haben sollte, wären entsprechende Ermessenserwägungen des Antragsgegners erforderlich gewesen, die nicht ersichtlich seien.

Der Minderungsbescheid sei auch deswegen rechtswidrig, weil er gegen das Bestimmtheitsgebot nach § 33 SGB X verstoße, da er nicht hinreichend genau benenne, für welchen Pflichtenverstoß der Antragsteller sanktioniert werden solle. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müsse der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei sein und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (BSG, Urteil vom 29. November 2012, B 14 AS 196/11 R, Rn. 16, zitiert nach juris; BSG, Urteil vom 10. September 2013, B 4 AS 89/12 R, Rn. 15, zitiert nach juris). Der Wille der Behörde müsse für die Beteiligten des Verwaltungsverfahrens unzweideutig erkennbar und dürfe nicht unterschiedlichen subjektiven Bewertungen zugänglich sein (BSG, Urteil vom 29. Januar 1997, 11 RAr 43/96, Rn. 15 zitiert nach juris). Wie sich aus dem Wortlaut von § 31 b Abs. 1 S. 1 SGB II ergebe, enthalte ein Minderungsbescheid auch eine Feststellung der Pflichtverletzung. Daher müsse sich einem Minderungsbescheid - notfalls durch Auslegung - der feststellende Verfügungssatz entnehmen lassen, welche Pflichtverletzung vorläge und Grund für die Minderung sein solle. Diese Anforderung sei vorliegend nicht erfüllt. Dem Minderungsbescheid lasse sich nicht entnehmen, welcher Pflichtenverstoß in welchem Zeitraum als Grund für die Minderung herangezogen werde. Nach dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 11. Mai 2017 sei der Antragsteller unter anderem verpflichtet gewesen, während der Gültigkeitsdauer des Eingliederungsverwaltungsaktes im Turnus von 2 Monaten jeweils mindestens 8 (pro Woche eine) Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber im Anschluss an den oben genannten jeweiligen Zeitraum Nachweise vorzulegen. Den erstmaligen Nachweis sollte der Antragsteller zum 14. Juli 2017 und anschließend immer zum 14. jedes zweiten Folgemonats vorlegen. Die Vorlage von Unterlagen war daher nach dem Eingliederungsverwaltungsakt fällig zum 14. Juli 2017, zum 14. September 2017, zum 14. November 2017 sowie zum 14. Januar 2018. Dem Änderungsbescheid lasse sich bei dieser Sachlage lediglich entnehmen, dass in der Eingliederungsvereinbarung vom 11. Mai 2017 vereinbart worden sei, dass der Antragsteller Bemühungen zur Aufnahme einer Arbeit nachweisen müsse. Als Eigenbemühungen seien 8 Bewerbungen vereinbart worden. Der Antragsteller sei trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung nicht nachgekommen, da er die vereinbarten Bewerbungsbemühungen nicht nachgewiesen habe. Dem Änderungsbescheid lasse sich hingegen nicht entnehmen, durch welches Verhalten in welchem Zeitraum der Antragsteller den Pflichtverstoß begangen haben solle. Es werde insbesondere nicht mitgeteilt in welchen Monaten der Antragsteller ausreichende Eigenbemühungen unterlassen haben solle. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da insbesondere die Nichtvorlage von Bewerbungsnachweisen zum 14. Juli 2017, zum 14. September 2017, zum 14. November 2017 sowie zum 14. Januar 2018 jeweils gesonderte Pflichtverletzungen darstellen würden, die auch jeweils gesonderte Sanktionen rechtfertigen könnten, sofern man die Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes unterstelle. Bei dieser Sachlage dürfe der Minderungsbescheid nicht offen lassen, auf welchen Zeitraum sich der sanktionierte Pflichtenverstoß genau beziehe, weil anderenfalls offenbliebe, für welchen von mehreren möglichen Pflichtverstößen der vorliegende Minderungsbescheid eine Sanktionierung vornehme. Die genaue Angabe des sanktionierten Pflichtverstoßes und des Zeitraums, in dem der Pflichtverstoß begangen worden sein solle, sei ferner deswegen erforderlich, weil hiervon die Rechtmäßigkeit des Minderungsbescheides abhänge. So sei nach § 31 b Abs. 1 S. 5 SGB II die Feststellung der Minderung nur innerhalb von 6 Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung zulässig. Die Berechnung der Frist sei aber nur möglich, wenn der Minderungsbescheid hinreichend genau mitteile, in welchem Zeitraum der Pflichtenverstoß erfolgt sein solle. Die hinreichende Bestimmtheit ergebe sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des Minderungsbescheides. Zwar sei der Antragsteller mit Anhörungsschreiben vom 8. Dezember 2017 zum möglichen Eintritt einer Sanktion angehört worden. Das Anhörungsschreiben sei jedoch erkennbar lückenhaft. Weder würden die Eigenbemühungsverpflichtungen, gegen die verstoßen worden sein solle, mitgeteilt, noch lasse sich dem Anhörungsschreiben entnehmen, wann der entsprechende Pflichtenverstoß aufgetreten sein solle.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 ist der Widerspruch des Antragstellers vom 23. März 2018 gegen den Bescheid vom 20. Februar 2018 zurückgewiesen worden. Hier ist unter anderem ausgeführt worden, der Antragsteller sei mit dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 11. Mai 2017 verpflichtet worden, im Turnus von 2 Monaten jeweils mindestens 8 (pro Woche eine) Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und diese sodann ihm gegenüber nachzuweisen. Der Antragsteller habe daher auch zum 14. November 2017 Bewerbungsnachweise vorzulegen gehabt. Dieser Verpflichtung sei er nicht nachgekommen.

Gegen den ihm am 10. April 2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 13. April 2018 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung führt er unter anderem aus, eine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes sei ausgeschlossen, da dieser von dem Antragsteller nicht angefochten und damit bestandskräftig geworden sei. Er begründet diese Auffassung unter anderem mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juni 2016 (B 14 AS 30/15 R), in dem das Bundessozialgericht ausgeführt habe, dass eine Eingliederungsvereinbarung über die Prüfung, ob Nichtigkeitsgründe vorliegen, nicht auch darauf hin zu prüfen sei, ob sie rechtswidrig sei. Dieser Prüfungsmaßstab müsse auch für einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt gelten. Etwas anderes folge auch nicht aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29. April 2015 (B 14 AS 19/14 R), in dem die Minderung von Leistungen nach dem SGB II aufgrund eines Meldeversäumnisses streitig gewesen sei. Die Meldeaufforderung, die unstreitig als Verwaltungsakt zu qualifizieren sei, habe sich bereits erledigt gehabt, bevor überhaupt der Verwaltungsakt habe in Bestandskraft erwachsen können. In einem solchen Fall gebiete die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG eine inzidente Prüfung im anschließenden Sanktionsverfahren. Anders liege es jedoch bei einem Eingliederungsverwaltungsakt, der regelmäßig eine längere Gültigkeitsdauer habe, so dass er sich vor Eintritt der Bestandskraft nicht im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt habe. In diesen Fällen bestehe - und habe auch bei dem Antragsteller - die Möglichkeit (bestanden), gegen den Eingliederungsverwaltungsakt mittels Widerspruchs gesondert vorzugehen und bei Erfolglosigkeit nachfolgend Klage zu erheben. Die Gefahr der Verletzung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ohne inzidente Rechtmäßigkeitsprüfung bestehe in dieser Fallkonstellation gerade nicht.

Der Sanktionsbescheid vom 20. Februar 2018 sei auch hinreichend bestimmt gewesen. Die Bestimmtheit beziehe sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten eines Verwaltungsaktes. Insofern verlange das Bestimmtheitserfordernis, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei sei und den - unzweifelhaft erkennbaren - Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen müsse, sein Verhalten daran auszurichten. Diesen Anforderungen genüge der hier streitige Bescheid. Aus den Verfügungssatz "Für die Zeit vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018 (Minderungszeitraum) wird ein vollständiger Wegfall ihres Arbeitslosengeldes festgestellt. Ihr Arbeitslosengeld II mindert sich um 798,98 EUR monatlich." sei eindeutig und unzweifelhaft erkennbar, welche Regelung gegenüber dem Antragsteller habe getroffen werden sollen. Anders als das Sozialgericht meine, ergebe sich die mangelnde Bestimmtheit des Verfügungssatzes insbesondere auch nicht daraus, dass darin nicht genannt werde, welcher konkrete Pflichtverstoß in welchem Zeitraum dem Antragsteller zur Last gelegt werde. Die Benennung der Pflichtverletzung unter Angabe des Zeitraums stelle den Grund für die festgestellte Leistungsminderung dar. Sie betreffe damit nicht den Verfügungssatz, d.h. nicht die Regelung selbst, sondern vielmehr die Begründung der getroffenen Regelung im Sinne des § 35 SGB X. Auf die Begründung beziehe sich jedoch nicht das Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 SGB X (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. April 2013, L 20 AS 578/13 B ER). Sollte der Bescheid vom 20. Februar 2018 an einem Begründungsmangel gelitten haben, wäre dieser jedenfalls durch die konkrete Benennung der den Leistungswegfall begründen Pflichtverletzung im Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 nach Maßgabe von § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X geheilt worden.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2018 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.

Er begehrt insbesondere eine Entscheidung zu der Frage, ob er trotz verhängter Sanktionen verpflichtet ist, weiterhin Bewerbungsbemühungen zu unternehmen und ob insbesondere der Satz "Die Zumutbarkeit der Verpflichtung scheitert nicht an einer fehlenden Eigenleistungsfähigkeit" zutrifft.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen ist.

II.

Der Antrag des Antragstellers ist zunächst - nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2018 und Klageerhebung am 10. Mai 2018 - dahingehend auszulegen, dass er nunmehr die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 10. Mai 2018 begehrt. Eine solche Änderung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs in einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist entsprechend § 99 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne weiteres zulässig, wenn der Widerspruchsbescheid inzwischen erlassen und Anfechtungsklage erhoben worden ist. Dies gilt zur Überzeugung des Senats jedenfalls bei unvertretenen Antragstellern gerade dann, wenn sich dem Vorbringen des Antragstellers nichts anderes entnehmen lässt, da eine solche Änderung in deren wohlverstandenem Interesse ist (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer 12. Aufl. 2017 § 86 b Rn. 9 b, mit weiteren Nachweisen).

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht Berlin ausgeführt, dass der streitgegenständliche Minderungsbescheid auf der Ermächtigungsgrundlage des § 31 a Abs. 1 S. 3 SGB II i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II beruht und die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides daher unter anderem voraussetzt, dass der Antragsteller sich geweigert hat, eine Pflicht zu erfüllen, die in dem Eingliederungsverwaltungsakt festgelegt ist.

Ob der Eingliederungsverwaltungsakt rechtmäßig ist oder nicht, ist wegen dessen Bestandskraft nicht zu prüfen (§ 77 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Hier ist unstreitig gegen den Eingliederungsverwaltungsakt kein Widerspruch eingelegt worden. Das Prüfprogramm beschränkt sich im vorliegenden Fall daher darauf zu prüfen, ob die bestandskräftig auferlegten Pflichten tatsächlich erfüllt oder verletzt sind. Dass eine Verletzung der im Eingliederungsverwaltungsakt auferlegten Pflichten vorliegt, ist unstreitig, weil der Antragsteller keine Bewerbung vorgenommen hat.

Der Senat kann offenlassen, ob eine Inzident-Prüfung in Betracht kommt, wenn der Eingliederungsverwaltungsakt noch nicht bestandskräftig ist, weil er angefochten wurde oder sich vor Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit durch Zeitablauf erledigt hat und unter diesem Gesichtspunkt keine Bestandskraft eintreten konnte, da ein solcher Fall nicht vorliegt. Ob in diesem Fall der Ausgang einer Anfechtungs- oder jedenfalls denkbaren Fortsetzungsfeststellungsklage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt abzuwarten wäre, bevor über die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides entschieden werden könnte, oder aber gegebenenfalls parallel eine Inzidentprüfung erfolgen könnte, muss deshalb hier nicht entschieden werden.

Nichts anderes ergibt sich daraus, dass eine Meinung in Rechtsprechung und Literatur in Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid auch einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) im Hinblick auf den bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakt sehen will (S. Knickrehm/Hahn, in: Eicher/Luik/, SGB II, 4. Auflage, § 31 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen). Soweit bereits ein solcher Antrag - ohne eine Entscheidung der zuständigen Behörde - die gerichtliche Prüfung des bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakts ermöglichen soll (S. Knickrehm/Hahn, a.a.O.), begegnet diese Auffassung erheblichen Bedenken und ist abzulehnen, denn erst die getroffene Korrekturentscheidung nach §§ 44 ff. SGB X bewirkt die formale Rechtsfolge der Durchbrechung der Bindungswirkung des ursprünglichen Verwaltungsaktes nach § 77 SGG. Der bloße Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines bestandskräftigen Bescheides beseitigt seine materielle Bestandskraft noch nicht. Im Übrigen fehlt es für eine Gerichtsentscheidung über den bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakt auch an den Sachentscheidungsvoraussetzungen/Prozessvoraussetzungen im Hinblick auf die in Betracht kommenden Klagearten. Es ist nämlich nicht ersichtlich, welche Zulässigkeitsvoraussetzungen der in §§ 54, 55 SGG genannten Klagearten im Hinblick auf den bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakt gegeben sein sollen (vergleiche zu den besonderen Prozessvoraussetzungen: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl., vor § 51 Rn. 15).

Der Senat kann daher offenlassen, ob der Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig ist, auch wenn einiges für die vom Sozialgericht vertretene Rechtsauffassung, die sich unter anderem auf einen Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Juni 2017 (L 16 AS 291/17 B ER, zitiert nach juris) stützt spricht. Er ist jedenfalls bestandskräftig und legte damit für den Kläger verbindliche Pflichten fest.

Der Antragsteller kann sich auch nicht auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II für die Pflichtverletzung berufen. Insbesondere steht die behauptete fehlende Eigenleistungsfähigkeit den verlangten Bewerbungsbemühungen nicht entgegen.

Nach dem Eingliederungsverwaltungsakt war der Antragsteller verpflichtet, sich wöchentlich einmal zu bewerben und hierüber alle 2 Monate entsprechende Nachweise bei dem Antragsgegner vorzulegen. Soweit der Antragsteller insoweit ausführt, diese Pflicht sei ihm nicht zumutbar, da er in mehreren Zeiträumen, für die der Eingliederungsverwaltungsakt galt, sanktioniert gewesen sei und daher nicht über die finanziellen Mittel verfügt habe, Bewerbungen zu schreiben und an potenzielle Arbeitgeber zu versenden, kann der Senat dem schon deshalb nicht folgen, weil es dem Antragsteller offensichtlich völlig problemlos möglich ist, mehrseitige Schreiben per Fax und per Post sowohl im vorliegenden als auch in einer Vielzahl anderer Gerichtsverfahren dem Gericht zu übersenden. Warum es ihm zwar - trotz seiner knappen finanziellen Mittel - möglich ist, Schreiben an das Gericht zu senden, dies im Falle einer Bewerbung jedoch anders sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Im Übrigen gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Stellenangeboten, auf die eine Onlinebewerbung möglich ist, die nur geringe - bzw. gar keine zusätzlichen - Kosten verursachen würde. Aus welchem Grund es dem Antragsteller nicht möglich sein sollte, seine aus dem Eingliederungsverwaltungsakt folgende Pflicht, sich einmal wöchentlich zu bewerben durch Onlinebewerbungen nachzukommen, ist nicht ersichtlich. Der Antragsteller hatte damit keinen wichtigen Grund für sein Verhalten.

Damit sind die Voraussetzungen des § 31 Abs.1 S. 1 Nr. 1 SGB II erfüllt, denn der Antragsteller hat sich geweigert, eine Pflicht zu erfüllen, die in dem Eingliederungsverwaltungsakt festgelegt worden ist, so dass der Antragsgegner zutreffend die in § 31 a Abs. 1 S. 1, 3 SGB II festgelegte Rechtsfolge ausgesprochen und das Arbeitslosengeld II wegen eines erneuten Verstoßes vollständig gemindert hat. Der Verstoß war auch wiederholt (Bescheide vom18. April und 13. Juli 2017).

Soweit das Sozialgericht auch Zweifel an der Bestimmtheit des Minderungsbescheides hat, hat der Antragsgegner dagegen zutreffend eingewandt, dass der Verfügungssatz ausreichend bestimmt war und es sich "lediglich" um einen Begründungsmangel gehandelt hat, der im Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 geheilt worden ist, denn dort hat der Antragsgegner den sanktionierten Pflichtverstoß zutreffend benannt.

Nach alledem ist auf die Beschwerde des Antragsgegners der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2018 aufzuheben und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 10. Mai 2018 gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 abzulehnen.

Die Kostenentscheidung bezüglich der einstweiligen Anordnung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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