L 8 R 855/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 607/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 855/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 20.12.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zusteht.

Der 1971 geborene Kläger absolvierte die Hauptschule und erlernte nach Besuch der Berufsvorbereitung im BfW R. vom 01.08.1988 bis zum 26.06.1992 den Beruf des Holzfachwerkers. Anschließend war er als Bauhelfer, Druckerhelfer, Maschinenbediener, Vertreter, Reinigungskraft, als selbständiger Internetverkäufer, als Hausmeisterhelfer, bei der R. Tafel und als Hausmeister tätig bzw. versicherungspflichtig, zuletzt geringfügig beschäftigt (Blatt 2, 15 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil). Zuletzt bezog er Grundsicherungsleistungen des JobCenters L. (Blatt 11, 49 ff., 75/77, 181/185 der Beklagtenakte/Versichertenrente).

Der Kläger befand sich vom 05.02.2013 bis zum 12.03.2013 in einer stationären medizinischen Rehabilitation in der S.-Klinik Bad O. GmbH (zum Entlassbericht vom 26.03.2013 vgl. die Beklagtenakte/Reha-Akte; Diagnosen: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode; organische affektive Störung; Epicondylitis radialis humeri; sozialmedizinische Leistungseinschätzung als Arbeiter und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt: mit qualitativen Einschränkungen 6 Stunden und mehr).

Am 11.02.2014 – Antragseingang am 13.03.2014 – (Blatt 1/20 der Beklagtenakte/Versichertenrente) beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zu seinem Antrag gab er an: "Ca. 2011 ist mein psych. Gesundheitszustand stark verschlechtert, jedoch seit Geburt Einschränkungen (wg. Sauerstoffmangels), wie Zittern seit Kindheit, Sonderschulbesuch wg. Aufnahmestörung, geistige Konzentrationsfähigkeit; Mit 17 Verkehrsunfall mit Gehirnerschütterung. Durch Zittern u. oben genannte Gründe: langsames Arbeiten; Schlafprobleme (Einschlafprobl); Antriebslosigkeit &8594; medikamentöse Therapie + Psychotherapie Nach wie vor Unkonzentriertheit, mangelnde Stressbewältigung, Arbeitstempo. Erkrankung: Depression und Einschränkungen seit Geburt" (Blatt 4 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil). Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach Einholung von Gutachten beim Arzt für Innere Medizin/Rettungsmedizin P. vom 08.05.2014 und beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S.-B. vom 17.09.2014 (Blatt 37/49, 57/79 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil) mit Bescheid vom 19.05.2014 mangels Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen einer Rente wergen Erwerbsminderung ab (Blatt 91/107 der Beklagtenakte/Versichertenrente).

Am 04.05.2015 – Antragseingang 06.05.2015 – beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente (Blatt 109/125 der Beklagtenakte/Versichertenrente) und machte Angaben wie zum vorherigen Antrag (Blatt 98 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil). Er legte den Bescheid des Landratsamt L. vom 11.03.2015, mit dem ihm seit 20.11.2014 ein GdB von 50 zuerkannt ist, sowie ärztliche Atteste vor (Blatt 105/107, 109/111, 117/123 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil).

Die Beklagte zog einen Bericht des psychologischen Psychotherapeuten K. vom 10.06.2015 (Blatt 125/127 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil) bei und lehnte nach Auswertung durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin/Notfallmedizin/Sozialmedizin Dr. T. (Blatt 129 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil) mit Bescheid vom 17.06.2015 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab (Vor Blatt 187 der Beklagtenakte/RMG 2015). Der Kläger könne noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Der Kläger erhob hiergegen am 08.07.2015 Widerspruch (Blatt 187/189 der Beklagtenakte/RMG 2015). Er habe eine Schädigung am Hirn, nicht an den Nerven. Er leide unter Depressionen und Konzentrationsschwäche. Er gerate schnell in Stress, dann habe er Schmerzen unter den Rippen, schwitze und zittere. Er sei hinsichtlich des Cannabisgebrauchs clean, eine Verhaltensstörung liege nicht vor. Er habe Schlafstörungen, Angstträume (Blatt 213/220 der Beklagtenakte/RMG 2015). Der Kläger legte ärztliche Berichte vor (Blatt 131/133 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil).

Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. S.-B. erneut ein Gutachten über den Kläger. In diesem Gutachten vom 16.11.2015 (Blatt 147/164 der Beklagtenakte/Ärztlicher Teil; Untersuchung des Klägers am 29.10.2015) wurde der Kläger hinsichtlich Aushilfstätigkeiten und leichten bis mittelschweren Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen im Umfang von 6 Stunden und mehr leistungsfähig erachtet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2016 (Blatt 231/239 der Beklagtenakte/RMG 2015) wies die Beklagte den Widerspruch durch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 16.02.2016 beim Sozialgericht (SG) Freiburg Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen den Vortrag im Widerspruchsverfahren wiederholt. Man sehe hinsichtlich weiterer Therapien keine Aussicht auf Genesung. Er sei bereits stationär behandelt und sei seit mehreren Jahren in engmaschiger psychiatrischer und psychologischer Betreuung. Er hat ein Gutachten des arbeitsamtsärztlichen Dienstes vom 04.03.2016 vorgelegt (Blatt 12/17 der SG-Akte).

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie G ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 14.07.2016 (Blatt 21/68 der SG-Akte; Untersuchung des Klägers am 07.07.2016) eine leichte kognitive Störung, linksbetonte spastische Hemiparese, eine leichte Intelligenzminderung , eine depressive Störung/DD Depressive Entwicklung/ Anpassungsstörung/Dysthymie, einen Nikotinabusus, eine leichtgradige Adipositas, eine Hyperlipoproteinämie, ein Zervikobrachialgiesyndrom bei degenerativen Veränderungen im Bereich der HWS, ein Lumbalgiesyndrom bei degenerativen Veränderungen im Bereich der LWS, eine Epicondylitis humeri radialis rechts und den Verdacht auf Zustand nach Contusio cerebri bei Verkehrsunfall im 16. Lebensjahr (posttraumatische Amnesiezeit 2 bis 3 Wochen) beschrieben. Sowohl motorische, als auch psychische Funktionen seien beeinträchtigt. Im Vordergrund stehe ein leichter Intelligenzdefekt und eine motorisch-spastische, linksbetonte Komponente. Die psychischen Funktionen seien auch darüber hinaus häufig gestört. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, dauerhaft und regelmäßig einer Erwerbstätigkeit von nennenswertem Wert nachkommen zu können. Möglich seien allenfalls noch körperlich leicht belastende Tätigkeiten (Heben und Tragen allenfalls zwischen 5 und 10 kg) in wechselnder Arbeitshaltung, vorwiegend jedoch im Sitzen, unter Ausschluss von Akkord, Schicht- bzw. Nachtarbeit. Arbeiten seien dabei prinzipiell auch im Freien möglich, Anforderungen an das geistige Anspruchsniveau seien aber niedrig zu halten. Arbeiten in diesem abgegrenzten qualitativen Rahmen seien weniger als 3 Stunden pro Tag möglich.

Dem Gutachtensergebnis ist die Beklagte unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Sozialmedizin Dr. N. vom 14.09.2016 entgegengetreten (Blatt 73/75 der SG-Akte).

Vom SG ergänzend befragt hat der Gutachter G. an seiner gutachterlichen Bewertung festgehalten (Stellungnahme vom 10.10.2016, Blatt 80/87 der SG-Akte).

Die Beklagte hat die sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. N. vom 04.11.2016 (Blatt 92/93 der SG-Akte) vorgelegt.

Das SG hat mit Urteil vom 20.12.2016 die Beklagte "unter Aufhebung des Bescheids vom 17.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2016 verurteilt, Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren."

Gegen das ihr am 09.02.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. N. vom 23.02.2017 am 06.03.2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Die Beurteilung des Gutachters G. überzeuge nicht. Der Kläger sei nicht daran gehindert, leichte Arbeiten noch sechs Stunden und länger pro Tag unter den betriebsüblichen Bedingungen auszuüben. Da die Partnerin des Klägers bei der Untersuchung durch Herrn G. anwesend gewesen sei, bestünden gegen das Gutachten gravierende methodische Bedenken. Darüber hinaus könne aus dem Gutachten auch nicht eindeutig nachvollzogen werden, welche Angaben von der Lebenspartnerin stammten oder wann sie anstelle des Klägers Fragen beantwortet habe. Der Kläger sei auch nicht als intelligenzgemindert, sondern als minderbegabt einzustufen. Dies sei aber keine psychiatrische Diagnose, sondern gehöre ebenso wie die Höherbegabung zu den Normvarianten des Seins. Darüber hinaus sei zu beanstanden, dass sich weder aus dem Urteilstenor noch aus den Entscheidungsgründen ergebe, wann eine quantitative Leistungsminderung eingetreten sein solle. Der zeitliche Eintritt eines Leistungsfalls sei aber zumindest monatsgenau vom SG festzulegen und zwar sowohl im Hinblick auf die Rentenberechnung als auch auf die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Dies sei im vorliegenden Urteil nicht geschehen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 20.12.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Sachverständige G. stelle maßgeblich auf eine Dekompensation ab. Hierauf gehe der Beratungsarzt Dr. N. in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 23.02.2017 nicht ein. Alles in Allem stehe die seitens des Sozialgerichts zugesprochene Rente wegen voller Erwerbsminderung daher zu.

Die Beklagte hat eine aktuelle Rentenauskunft vorgelegt (dazu vgl. Blatt 26/651 der Senatsakte).

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M ... Diese hat in ihrem Gutachten vom 30.12.2017 (Blatt 56/74 der Senatsakte; Untersuchung des Klägers am 05.12.2017) eine leichte ängstlich-depressive Störung, eine leichte Minderbegabung sowie einen Abusus von suchterzeugenden Substanzen (Cannabis) diagnostiziert. Das Zusammenwirken der Befunde im Rahmen der Diagnosen bewirke qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers. Nicht zumutbar seien intellektuell anspruchsvolle Tätigkeiten im Akkord, unter übernormalem Zeitdruck, mit hoher Geschwindigkeit. Tätigkeiten handwerklicher Art, auch Lagertätigkeiten, Tätigkeiten mit Ordnen, Sortieren, Reinigen und einfache Männerarbeiten seien unter Beachtung dieser Punkte weiterhin zumutbar. Mittelschwere Tätigkeiten könnten verrichtet werden. Der Kläger sei noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und Tätigkeiten als Schreiner sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 30.01.2018 (Blatt 75/77 der Senatsakte) unter Vorlage eines Attestes des Facharztes für Innere Medizin/Palliativmedizin Dr. O. vom 25.01.2018 ausgeführt, das Gutachten von Dr. M. sei nicht aussagefähig. Die Gutachterin habe ihn lediglich 10 Minuten gesehen. Die weiteren Tests, Blutabnahme etc. seien von Mitarbeitern der Gutachterin ausgeführt worden. Er sei nicht zum Tagesablauf befragt worden, lediglich zu Hobbies und seiner Beziehung. Auch sei keine Untersuchung der Schmerzen im Arm erfolgt. Dr. O. hat angegeben, aus einer Verzweiflung und einer reaktiven Hilflosigkeit heraus habe der Kläger Cannabis konsumiert und zu seiner Überraschung festgestellt, dass sich seine Symptome auf ein bisher nicht gekanntes und erlebtes akzeptables Maß reduziert hätten. Nach dem Gutachten G. sei von der Krankenkasse und dem MDK eine medizinische Anwendung von Cannabisblüten als indiziert erachtet worden. Seit der Anwendung seien die Symptome zu kontrollieren. Die Grundproblematik, der nicht mögliche Wiedereinstieg ins Arbeitsleben, sei damit aber nicht beseitigt worden. Es bestehe lediglich eine für den Kläger tolerierbare Alltagssituation.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrages der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache ist diese auch erfolgreich.

Der angefochtene Bescheid vom 17.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2016 ist nicht rechtswidrig, der Kläger wird nicht in seinen Rechten verletzt. Er hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. Er ist nach Überzeugung des Senats in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen an fünf Tagen pro Woche (arbeitstäglich) zu verrichten. Er ist damit nicht erwerbsgemindert i.S.d. § 43 SGB VI. Daher war das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im Übrigen identischen Anspruchsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich – bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche - ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Senat konnte mit dem Gutachten von Dr. M. ein auf weniger als sechs Stunden arbeitstäglich reduziertes quantitatives Leistungsvermögen des Klägers und damit Erwerbsminderung beim Kläger nicht feststellen.

Keine der leistungsmäßig relevanten Gesundheitsstörungen einer leichten ängstlich-depressiven Störung, einer leichten Minderbegabung oder des Abusus von suchterzeugenden Substanzen (Cannabis) führt beim Kläger zu einer rentenrechtlich relevanten Minderung seines Leistungsvermögens. Auch die schmerzhafte Erkrankung des Ellenbogens bedingt keine zeitliche Reduzierung seines Leistungsvermögens.

Auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. M. konnte der Senat eine manifeste oder latente Parese im Bereich der Extremitäten nicht feststellen. Bei der gutachterlichen Untersuchung waren Gang und Stand frei. Eine Muskelatrophie bestand nicht. Tonus und Trophik waren unauffällig, die grobe Kraft war ungestört. In den Vorhalteversuchen bestand keine Absinktendenz. Die Muskeleigenreflexe waren beidseits lebhaft auslösbar, pathologische Reflexe bestanden nicht. Die Koordination war im Strichgang, Romberg-Test sowie im Unterberger Steh- und Tretversuch unauffällig. Zeigeversuche erfolgten zielsicher. Das Vibrationsempfinden war allseits ungestört. Eine Störung des Berührungs- und Schmerzempfindens bestand nicht.

Die Gutachterin hat bei ihrer Untersuchung des Klägers ein geordnetes Äußeres, ein zugewandtes Verhalten bei einfach strukturierter Persönlichkeit beschrieben. Die Tagesgestaltung und Alltagskompetenzen sind überwiegend erhalten. So hat der Kläger der Gutachterin angegeben, zur Hausarbeit in der Lage zu sein. Er versorgt seine Mietwohnung und das Aquarium. Seinem Tagesablauf, den er der Gutachterin geschildert hat (Blatt 7 des Gutachtens = Seite 62 der Senatsakte), ist außer wiederholtem Weinen keine wesentliche Einschränkung der Gestaltungsfähigkeit zu entnehmen. Der Kläger unterhält seit Jahren eine feste Partnerschaft. Er hat zumindest sein Aquarium als Hobby. Der Kläger besitzt den Führerschein und fährt auch selbst Auto, wie er gegenüber der Gutachterin angegeben hatte.

Bei regelmäßigem Cannabiskonsum, wobei Canabis allerdings in geringerem Umfang als von der Krankenkasse gestattet konsumiert wird, bestehen keine Entzugssymptome. Die Gutachterin konnte in der Begutachtungssituation auch im Hinblick auf die angegebenen Schmerzzustände keine Einschränkung der Beweglichkeit beobachten. Es erfolgte ein kräftiges Aufstützen auf der Unterlage. Muskelatrophien bestanden nicht.

Die Stimmung des Klägers war in der Untersuchung überwiegend ausgeglichen. Teilweise in Bezug auf die finanzielle und Arbeitsplatzsituation war der Kläger leicht moros depressiv verstimmt. Ängste vor Überforderung hat er geäußert. In der Untersuchungssituation bei Dr. M. konnte diese den Kläger keineswegs als verlangsamt, auch nicht schnell ermüdbar erleben. Der Antrieb war ungestört. Die Geschicklichkeit der Hände, auch beim An- und Ausziehen, war in der Untersuchung bei Dr. M. nicht beeinträchtigt. Eine Schonhaltung wurde nicht eingenommen, ein Aufstehen bzw. Umhergehen wegen Schmerzen erfolgte nicht. Hinweise auf Radikulopathie, noch auf eine Schädigung eines peripheren Nervens liegen nicht vor.

Dr. M. hat den Kläger mit einfacher Persönlichkeitsstruktur und Hinweisen auf leichte Minderbegabung, die sich allerdings testpsychologisch nicht abbildet, beschrieben. Der Antrieb war ungestört, Denken und Handeln in der Untersuchungssituation stringent. Versorgungswünsche klingen immer wieder an, waren funktionell aber irrelevant. In der Labordiagnostik bestätigte sich die Einnahme von Cannabis, desgleichen von Amitriptylin (Antidepressivum). Bezüglich der angegebenen Einnahme von Paroxetin war ein äußerst niedriger Spiegel nachzuweisen, sodass der Verdacht besteht, dass der Kläger das Paroxetin nicht einnimmt.

Die in der Vergangenheit festgestellten Tremorbefunde und motorischen Auffälligkeiten waren im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung bei Dr. M. nicht zu beobachten. Insoweit hat Dr. M. den Verdacht z.B. auf Entzugssymptome oder Intoxikationssymptome des eingenommenen Cannabis geäußert. Der Behandlungsverlauf ist lückenhaft. Insbesondere ist eine kontinuierliche psychiatrische Behandlung, auch mit Evaluation der Medikation nicht dokumentiert. Auch der Umfang und Verlauf der durchgeführten Psychotherapie ("bis Februar 2017") ist nicht dokumentiert.

Der Senat musste feststellen, dass der Kläger mit einem IQ von 85 weder gemindert intelligent (ein IQ von 85 bis 115 entspricht durchschnittlicher Intelligenz) noch durch seine Schmerzen, die Erkrankungen oder den Cannabiskonsum in seiner Leistungsfähigkeit rentenrechtlich relevant gemindert ist. Den Befunden der Gutachterin M. lässt sich eine solche Minderung der Erwerbsfähigkeit auf unter sechs Stunden arbeitstäglich für zumindest leichte Tätigkeiten nicht entnehmen.

Der Kläger hat – wenn auch nach Sonderschul- bzw. Hauptschulbesuch – eine Ausbildung zum Holzfachwerker erfolgreich abgeschlossen und nimmt am Straßenverkehr teil. Ersteres zeigt mit der Gutachterin und Dr. N. , dass eine wesentliche Intelligenzminderung nicht vorliegt, letzteres zeigt dem Senat, dass der Kläger in der Lage ist, reaktionsschnell auf sich schnell verändernde Umstände einzustellen und entsprechend zu handeln. Eine dauerhaft bestehende wesentliche Konzentrationsminderung bzw. ein Ausschluss von Konzentration ist nicht festgestellt. Eine wesentliche Antriebsminderung konnte der Senat auch nicht feststellen.

Soweit Dr. O. annimmt, die Erwerbsfähigkeit sei rentenrechtlich relevant gemindert, folgt ihm der Senat nicht. Vielmehr musste der Senat dem Attest des Dr. O. entnehmen, dass sich durch die medizinische Verwendung des Cannabis eine weitere Stabilisierung der vom Kläger angegebenen Beeinträchtigungen – gemeint sind wohl insbesondere die empfundenen Konzentrationsbeschwerden und das Zittern – ergeben hat. Es ist eine Reduzierung der Symptome auf ein bisher nie gekanntes und erlebtes Maß eingetreten, sodass der Kläger mit Dr. O. seinen Alltag tolerabel bewältigen kann. Weshalb hieraus eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit resultiert konnte der Senat dem Attest des Dr. O. nicht entnehmen. Soweit dieser aber auf das Problem des Wiedereinstiegs ins Arbeitsleben abstellt, ist dieses Risiko gerade nicht bei der Beklagten versichert und führt daher grds. nicht zur Annahme der verminderten Erwerbsfähigkeit, vielmehr wäre der Kläger insoweit an die Grundsicherungsträger nach dem SGB II bzw. die Bundesagentur für Arbeit zu verweisen.

Der Beurteilung des Gutachters G. folgt der Senat nicht. Nicht nur, dass gegenüber seiner im Beisein der Lebensgefährtin des Klägers erfolgten Anamneseerhebung und Untersuchung methodische Bedenken von solchem Ausmaß bestehen, dass das Gutachten nur schwer zu verwerten sein dürfte (vgl. dazu z.B. aus der Rechtsprechung LSG Baden-Württemberg 22.09.2016 - L 7 R 2329/15 – juris; LSG Berlin-Brandenburg 17.02.2010 - L 31 R 1292/09 - juris; SG Mainz 07.02.2017 – S 11 SB 204/15 – juris; so auch Brockhaus, MedSachV 2016, 49ff.; Keller, jurisPR-SozR 24/2016 Anm. 6; Mushoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 103 SGG, RdNr. 120 ff.), weil wegen der Anwesenheit der Lebensgefährtin die Gefahr einer Verfälschung der Angaben besteht und vorliegend auch kein medizinischer Grund für deren Anwesenheit vorhanden ist. Auch dass der Gutachter G. in seinen Ausführungen nicht deutlich macht, ob er Aussagen des Klägers oder seiner Lebensgefährtin heranzieht bzw. bewertet (vgl. z.B. Blatt 52 der SG-Akte, im Gutachten "Zum Tagesablauf", wo nicht deutlich wird, wer mit "Ich" gemeint ist, nachdem zuvor die Lebensgefährtin des Klägers zu liegengelassenem Geschirr zitiert ist), macht das Gutachten nur schwer überzeugungsbildend. Darüber hinaus hat der Gutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme gegenüber dem SG deutlich machen müssen, dass er von unsicheren Faktoren, Befunden und Einschätzungen ausgegangen ist, die sich nach Auffassung des Senats auch widersprechen (so z.B. die Annahme eines ADS in der ergänzenden Stellungnahme einerseits während im Gutachten bei gleichen Befunden eine solche Diagnose nicht angenommen wird), so hat er eine Hirnschädigung im Gutachten als Verdachtsdiagnose angenommen, in der ergänzenden Stellungnahme aber nicht annehmen können sondern nur mitgeteilt, es sei eher erstaunlich, wenn eine solche nicht verursacht worden sei. Damit gründet sich sein Verdacht alleine auf Mutmaßungen, die beim Kläger von ihm nicht überprüft wurden. Auch seine Annahme einer linksbetonten spastischen Hemiparese entbehrt bei den Befunden des Gutachters G. (z.B. "Kraft der rechten Hand gegenüber links etwas abgeschwächt, der Pb. beklagt dann Schmerzen im Ellenbogengelenk, kein sicheres Kraftdefizit im Bereich der beiden unteren Extremitäten, keine sichere Tonuserhöhung, keine Atrophien") eher einer Anknüpfungstatsache. Sein Gutachten lässt auch eine kritische Überprüfung der Angaben und der Mitwirkung des Klägers vermissen. Diese hätte sich dem Gutachter G. schon z.B. deshalb aufdrängen müssen, weil er bei flüssigem Gangbild einen Fersenstand nicht bzw. als kaum durchführbar beschrieben hat, ohne darzulegen, wie bzw. warum dies nicht möglich war und er zugleich auch eine linksbetonte spastische Hemiparese angenommen hat. Auch seine Ausführungen zur Hemiparese lassen mit seinen Befunden eine kritische Würdigung der eigenen Befunde vermissen.

Darüber hinaus hat Dr. M. in ihrem Gutachten auf eine fehlende Beschwerdevalidierung, unzureichende Beachtung der Kompetenzen und Ressourcen des Klägers (Führerschein, langjährige berufliche Tätigkeit, selbständige Haushaltsführung, Partnerschaft, Hobbies), auch im biographischen Zusammenhang, durch den Gutachter G. verwiesen.

Diese schon methodischen Schwierigkeiten des Gutachters G. hat das SG nicht beachtet; im Übrigen hat es bei seiner nur äußerst kurzen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beklagten versäumt, den bei dem von ihm gewählten Urteilsausspruch erforderlichen Versicherungsfall, ohne den eine Rente nicht festgestellt werden kann, taggenau zu definieren.

Vor diesem Hintergrund überzeugt das Gutachten G. nicht im Ansatz.

Soweit Dr. O. auf die Bewertung der Reha-Klinik Bad O. verweist, dei einen "sehr ausführlichen Befundbericht. mit sehr detaillierten Daten zur Biographie, Anamnese und vorliegenden Gesundheitseinschränkungen" enthalte, so muss darauf hingewiesen werden, dass dieser Bericht den Kläger gerade leistungsfähig im Umfang von sechs Stunden und mehr gesehen hatte und der Kläger sich nicht auf eine Stufe mit arbeitenden behinderten Menschen stellen wollte (" wurde er mit der Möglichkeit einer Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt konfrontiert. Dies habe den Patienten nach eigener Aussage völlig aus der Bahn geworfen ("ich soll mit Behinderten arbeiten gehen) Diese alternative Beschäftigungsmöglichkeit möchte der Patient unter keinen Umständen zulassen. Der Pat. forderte ausdrücklich seine Verwendung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.").

Der Senat konnte auch im Hinblick auf die Schmerzbeschwerden am Ellenbogen keine quantitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers feststellen. Solche ergeben sich weder aus den von ihm vorgelegten ärztlichen Unterlagen noch aus den Gutachten oder dem Reha-Bericht, der in Kenntnis dieser Erkrankung vollschichtige Leistungsfähigkeit angenommen hatte.

Mit der Überzeugung des Senats kann der Kläger daher zumindest leichte Tätigkeiten (Dr. M. lässt sogar mittelschwere Tätigkeiten zu) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden arbeitstäglich verrichten.

Im Hinblick auf die bestehenden Gesundheitsstörungen sind aber qualitative Einschränkungen zu beachten, sodass dem Kläger – wie der Senat auf der Grundlage der Gutachten von Dr. M. und Herrn G. feststellen konnte - intellektuell anspruchsvolle Tätigkeiten im Akkord, unter übernormalem Zeitdruck und mit hoher Geschwindigkeit nicht mehr zuzumuten sind. Daher dürfte auch Schichtarbeit, zumindest Nachtschicht, ausgeschlossen sein. Insoweit kann auch dem Reha-Bericht 2013 entnommen werden, dass feinmotorische Aufgaben und Verantwortung für Maschinen/Personen oder die die Steuerung komplexer Vorgänge beinhaltet, nicht zumutbar sind. Andere qualitative Leistungseinschränkungen ergeben sich auch nicht aus den Gutachten von Dr. S.-B. und den Berichten der behandelnden Ärzte.

Zumutbar und ohne Gefährdung seiner Gesundheit kann der Kläger daher Tätigkeiten handwerklicher Art, auch Lagertätigkeiten, Tätigkeiten mit Ordnen, Sortieren, Reinigen, einfache Männerarbeiten arbeitstäglich sechs Stunden und mehr ausführen. Damit liegen auch weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch schwere spezifische Leistungsstörungen, welche ausnahmsweise die Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden (BSG, Urteil v. 20.10.2004, B 5 RJ 48/03 R m.w.N.), vor. So ist der Kläger insbesondere auch mit dem Gutachten Dr. M. in der Lage, Wege von 500 Metern innerhalb von 30 Minuten viermal am Tag zurückzulegen und den öffentlichen Personennahverkehr zu benutzen. Er ist damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Der Senat hält weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht für erforderlich. Soweit der Kläger Einwendungen gegen das Gutachten von Dr. M. erhebt, als diese ihn nur 10 Minuten untersucht habe und die weiteren Tests wie Blutabnahme etc. von Mitarbeitern der Gutachterin ausgeführt worden seien, er auch nicht zum Tagesablauf, lediglich zu Hobbies und seiner Beziehung befragt worden sei und die Schmerzen am Arm nicht untersucht worden seien, folgt daraus nicht die Pflicht ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen.

Ausweislich des vom Kläger vorgelegten Kostenerstattungsantrags war er am 05.12.2017 von 8:45 Uhr bis 15:30 Uhr bei Dr. M. zur Untersuchung. Schon dies, wie auch der im Gutachten mitgeteilte Umfang der Angaben des Klägers machen deutlich, dass die persönliche Untersuchung, die bei psychiatrischen Gutachten vor allem durch Gespräche und Beobachtung des Klägers erfolgt, deutlich länger als 10 Minuten gedauert haben muss. Soweit die Gutachterin Blutuntersuchungen usw. ihren qualifizierten Mitarbeitern überlässt, ist dies als Übertragung von Hilfstätigkeiten zulässig; die persönliche Untersuchung und die eigenständige Beurteilung und Bewertung der auch von ihr persönlich erhobenen Befunde durch die Gutachterin werden vom Kläger nicht bestritten, Fehler insoweit konnte der Senat auch nicht feststellen.

Soweit der Kläger angibt, nicht zum Tagesablauf befragt worden zu sein, so widerspricht dies den Angaben im Gutachten, wo Dr. M. den Tagesablauf nach den Angaben des Klägers dargelegt hat. Dass der Kläger nicht zu den Schmerzen am Arm untersucht worden sei, kann der Senat nicht feststellen, denn Dr. M. hat aus der Beweglichkeit und dem Einsatz des Armes (z.B. kräftiges Abstützen auf der Unterlage; fehlende Muskelatrophien) zutreffend darauf schließen können, dass eine rentenrechtlich relevante Funktionsbehinderung nicht vorliegt. Dem hat sich der Senat angeschlossen.

Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO).

Ist der Kläger nach den Feststellungen des Senats aber nicht in seiner quantitativen Leistungsfähigkeit eingeschränkt, hat er keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung; angesichts des Geburtsdatums hat er auch trotz Absolvierung einer Ausbildung keinen Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente (vgl. § 240 SGB VI).

Damit war auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des SG aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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