Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 38/18 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 196/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller entsprechend ärztlicher Verordnung die Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs. 6 SGB V bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Az.: S 14 KR 121/17 zu genehmigen.
2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Genehmigung zur Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten (Cannabis Bedrocan 22 %) im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens.
Der 1967 geb. und jetzt 50-jährige Antragsteller (im Folgenden: Kläger) ist bei der Antragsgegnerin (im Folgenden: Beklagte), einer gesetzlichen Krankenkasse, versichert. Er leidet nach eigenen Angaben seit einem Verkehrsunfall im Jahre 1983 an Schmerzen sowie Beschwerden im Bereich der Gelenke im Sinne einer Psoriasis Arthritis und einer Polyneuropathie nach durchgeführter Chemotherapie eines Hodgkinlymphoms. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilte ihm mit Bescheid vom 14.01.2016 eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). zum Erwerb von Cannabis (Medizinal-Cannabisblüten).
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 28.03.2017 die Kostenübernahme für die Behandlung mit Cannabisblüten. Er reichte eine Bescheinigung seines Schmerztherapeuten Dr. med. C., Facharzt für Anästhesie, mit Datum vom 22.03.2017 sowie ein rechtsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. Dr. E. vom 25.01.2017 ein. Beide Schreiben sagten eindeutig, dass eine Therapie mit Cannabisblüten bei seiner Erkrankung als geboten und sinnvoll erscheine. Aufgrund früherer Anträge sollten alle notwendigen Unterlagen vorliegen. Er reichte dennoch zahlreiche weitere Krankenunterlagen ein.
Die Beklagte holte bei Frau Dr. D. vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Berlin-Brandenburg ein sozialmedizinisches Gutachten mit Datum vom 19.04.2017 ein. Darin gelangte diese zu dem Ergebnis, die Symptomatik liege in einer schwerwiegenden Ausprägung vor. Niedrigschwelligere Behandlungsoptionen seien glaubhaft ausgeschöpft worden. Es bestehe eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf oder auf die schwerwiegende Symptomatik durch ein Cannabis-Präparat. Inhalative Cannabis-Produkte seien aufgrund der kurzen Wirkdauer, des schnellen Anflutens, der Gefahr einer Lungenschädigung und Entwicklung eines Abhängigkeitssyndroms nur in Einzelfällen als unbedenklich und zweckmäßig einzustufen. Ein solcher Einzelfall liege hier nicht vor. Die Verordnung von Cannabisblüten widerspreche darüber hinaus bei bestehender Wirksamkeit des deutlich kostengünstigeren Dronabinols dem Gebot einer wirtschaftlichen Verordnungsweise. Kostenübernahme für die Versorgung mit Cannabisblüten könne deshalb sozialmedizinisch nicht befürwortet werden. Die Voraussetzungen für eine Verordnung von z. B. Dronabinol-Tropfen in öliger Lösung lägen vor.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 08.05.2017 die beantragte Kostenübernahme unter Hinweis auf das MDK-Gutachten ab.
Hiergegen legte der Kläger unter Datum vom 16.05.2017 Widerspruch ein. Er wies auf seine betäubungsmittelrechtliche Ausnahmegenehmigung hin und seine Krankengeschichte. Der bereits durchgeführte Therapieversuch mit Dronabinol-Tropfen sei deutlich schlechter gewesen. Er benötige die getrockneten Blüten regelmäßig, um die gravierenden Schmerzen zu lindern. Sein Schmerztherapeut Dr. med. C. habe ihm für die Übergangszeit empfohlen, eine Therapie mit Sativex zu beantragen.
Auf Anfrage der Beklagten reichte der Kläger ein Schreiben des Dr. med. C. vom 24.05.2017 ein. Darin führte dieser aus, wegen der besseren Wirksamkeit habe er für den Kläger Cannabisblüten beantragt. Nach Ablehnung empfehle er Sativex statt Dronabinol, weil THC/CBD ca. 1:1 statt ausschließlich THC bei Dronabinol enthalten sei, für MS sei es auch bereits zugelassen.
Die Beklagte holte bei Dr. F. vom MDK Hessen eine sozialmedizinische Stellungnahme mit Datum vom 18.05.2017 ein. Darin legte dieser die unterschiedlichen Kosten der verschiedenen Präparate (Cannabisblüten, Dronabinol und Sativex) und die Studienlage dar. Die Beklagte holte ferner bei Dr. G. vom MDK Berlin-Brandenburg ein sozialmedizinisches Gutachten mit Datum vom 02.06.2017 ein. Darin gelangte dieser zu dem Ergebnis, basierend auf der bestehenden Literatur sei festzuhalten, dass durchaus Indizien dafür bestünden, dass durch die Gabe cannabishaltiger Präparate eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehe. Es erfolge daher eine positive sozialmedizinische Empfehlung für das hier beantragte Sativex.
Daraufhin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2017 die Übernahme der Kosten für die Cannabis-Versorgung in Form von Sativex abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2017 den Widerspruch bzgl. der Ablehnung der Versorgung mit Cannabisblüten als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf die MDK-Gutachten und die Versorgung mit Dronabinol bzw. Sativex hin.
Der Kläger hat hiergegen am 27.07.2017 die Klage zum Az.: S 14 KR 121/17 erhoben. Er hat bisher ergänzend zu seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vorgetragen, er habe mittlerweile das Mittel Sativex ausprobiert. Dieses habe allerdings nicht zu der gewünschten Wirksamkeit und Schmerzlinderung geführt. Dr. C. führe dies auf die unterschiedliche Zusammensetzung zurück. Sativex-Spray habe wegen der ausschließlichen Inhaltsstoffe THC/CBDim Verhältnis 1:1 im Gegensatz zu Blüten mit mehr als 80 Cannabinoiden und ca. 200 Inhaltsstoffen nicht annähernd die gleiche Wirksamkeit, die bei Bedrocan-Blüten per Inhalation erreicht würden. Bei der Behandlung mit Sativex hätten sich auch seine Mundschleimhäute entzündet. Diese seien geschwollen und schmerzten. Dies lasse sich durch die Einnahme mit einem Getränk umgehen, führe aber zu einer Abschwächung der Wirkung. Es sei auch zu einer Zunahme der Muskelkrämpfe im Bereich des Rumpfes, einer vermehrten Myogelosenbildung sowie einer muskulären Schwäche im Rahmen eines Fatiguesyndroms gekommen. Die Beschwerden des myofaszialen Syndroms verursachten die Krämpfe und dadurch bedingt sehr starke Schmerzen. Die Krämpfe träten in der Rumpfmuskulatur, dem Rücken, in der Schultermuskulatur, den Händen, Beinen und Füßen auf. In der Kombination mit der rheumatisch bedingten Gelenksteifigkeit sei dies für ihn nur sehr schwer zu ertragen. Hinzu kämen in beiden Schultergelenken sehr starke Arthroseschmerzen. Die für ihn verordnete Höchstmenge liege bei 75 g innerhalb von 30 Tagen, nicht bei 100 g. Die bereits durchgeführte Behandlung mit Cannabisblüten (Bedrocan) sei erfolgreich gewesen und es seien keine Nebenwirkungen wie aktuell mit Sativex aufgetreten. Dass er früher Raucher gewesen sei, sei irrelevant. Die Behandlung erfolge mittels Inhalation. Er hat u. a. eine ärztliche Bescheinigung des Dr. C. vom 05.12.2017 und 11.10.2017, einen Arztbrief des Radiologen Dr. med. H. vom 25.04.2017 und einen ärztlichen Befundbericht zum Rentenantrag der Praxis Dres. med. J. u. Koll. eingereicht. Der Kläger hat bisher beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2017 zu verurteilen, die für den Zeitraum März bis Juni 2017 entstandenen Kosten für Cannabisblüten Bedrocan 22 % in Höhe von insgesamt 3.163,00 EUR zu erstatten und für den nachfolgenden Zeitraum die Versorgung mit Cannabisblüten als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte hat bisher beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und die Gutachten des MDK verwiesen. Es liege im Ermessen des MDK, ob er eine Begutachtung nach Aktenlage oder nach persönlicher Untersuchung vornehme.
Am 02.03.2018 hat der Kläger den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er trägt vor, wegen Verschlimmerung der Beschwerden habe er am 26.01.2018 erneut die Kostenübernahme beantragt. Die Beklagte habe ein Gutachten des MDK mit Datum vom 13.02.2018 eingeholt und mit Bescheid vom 13.02.2018 die Kostenübernahme erneut abgelehnt. Hiergegen habe er Widerspruch eingelegt. § 31 Abs. 6 SGB V enthalte keine Abstufung der Versorgung, die Versorgung mit Cannabisblüten sei nicht nachrangig gegenüber der mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon oder Sativex. Sativex komme wegen der Nebenwirkungen und, ebs. wie Dronabinol, eingeschränkten Wirksamkeit nicht in Betracht. Ohne die Behandlung mit Cannabisblüten verschlimmerten sich seine Schmerzen. Er könne die weitere Behandlung mit Cannabisblüten nicht aus eigenen Mitteln tragen. Er beziehe eine gesetzliche Rente von monatlich 1.175 EUR, eine VBL-Rente von 402,25 EUR und eine private Berufsunfähigkeitsrente von 62,31 EUR (vierteljährlich 249,23 EUR). Die Einnahmen seiner Ehefrau beliefen sich auf netto 633,44 EUR. Dem stünden Ausgaben von 1.589 EUR zzgl. unregelmäßiger Gesundheitskosten für Schwimmbad, Rezeptgebühren, Physiotherapie, Einlagen und osteopathische Behandlungen gegenüber. Er habe noch weitere Darlehenskosten für einen Hausumbau zu tilgen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte einstweilen zu verpflichten, ihm entsprechend ärztlicher Verordnung die Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs. 6 SGB V bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Az.: S 14 KR 121/17 zu genehmigen.
Die Beklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Kläger habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund. Das MDK-Gutachten vom 13.02.2018 habe die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabisblüten nicht bejaht, da ggf. eine Versorgung mit Dronabinol erfolgen könne. Im Antragsverfahren im Jahr 2015 habe der Kläger keine Ausführungen zu einer Unverträglichkeit von Dronabinol gemacht. Medizinische Nachweise seien ebf. nicht zur Verfügung gestellt worden. Eine Eilbedürftigkeit werde nicht gesehen, da der Kläger mit Sativex versorgt werde und das Vorverfahren noch nicht abgeschlossen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verfahrensakte zum Az.: S 14 KR 121/17 nebst beigezogener Verwaltungsakte Bezug genommen. Die Kammer brauchte wegen der bereits im Hauptsacheverfahren übersandten Verwaltungsakte und der Vorlage der Verfahrensunterlagen durch den Kläger nicht weiter auf den Eingang der Verwaltungsakte für dieses Verfahren abzuwarten. Die Beklagte hat die Verwaltungsakte offensichtlich noch an die frühere Adresse des Gerichts geschickt und der seitens der Gerichtsverwaltung gestellte Nachsendeantrag ist zwischenzeitlich ausgelaufen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag einen Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 1 u. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG). Es müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 920 Zivilprozessordnung i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Es ist eher wahrscheinlich, dass ein Anordnungsanspruch besteht.
Anspruchsgrundlage für eine Kostenübernahme für seine Behandlung mit Cannabinoiden ist § 31 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB V i. d. F. des Art. 4 Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BtMRÄndG) vom 06.03.2017, BGBl. I S. 403 (Nr. 11) mit Geltung ab 10.03.2017. Danach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.
Nach der Gesetzesbegründung bedeutet die in Nr. 1 formulierte gesetzliche Voraussetzung des Leistungsanspruchs nicht, dass ein Versicherter langjährig schwerwiegende Nebenwirkungen ertragen muss, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann. Durch den neu eingefügten Zusatz wird klargestellt, dass die Voraussetzung der Nr. 1 sowohl erfüllt ist, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung für eine bestimmte Erkrankung oder Symptomatik schon nicht vorhanden ist (Buchstabe a) als auch dann, wenn im konkreten Fall zwar abstrakt noch andere, allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen in Erwägung gezogen werden könnten, der behandelnde Vertragsarzt aber im konkreten Fall zu der begründeten Einschätzung kommt, dass diese anderen Leistungen unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des jeweiligen Versicherten nicht zur Anwendung kommen können (Buchstabe b) (BT-Drs. 18/10902, S. 20). Die Genehmigungsanträge bei der Erstverordnung der Leistung sind daher nur in begründeten Ausnahmefällen von der Krankenkasse abzulehnen. Damit wird auch der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes oder der Vertragsärztin Rechnung getragen (BT-Drs. 18/10902, S. 21).
Ein Leistungsanspruch besteht nicht nur dann, wenn eine allgemein anerkannte Behandlungsmethode nicht vorhanden ist, sondern bereits dann, wenn bei abstrakter Betrachtung zwar eine Standardbehandlung existiert, diese aber nach begründeter vertragsärztlicher Einschätzung bei Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen sowie unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann Für den Fall der Nichtanwendbarkeit einer Standardtherapie im Hinblick auf die Nebenwirkungen und den Krankheitszustand ist eine begründete Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin/des behandelnden Vertragsarzt erforderlich, welche zwingend den hier vorzunehmenden Abwägungsprozess erkennen lassen muss. Erforderlich ist eine Folgenabwägung dahingehend, womit im Falle der schulmedizinischen Standardbehandlung zu rechnen sein wird und wie sich dies konkret auf die versicherte Person auswirkt. Die Nebenwirkungen von Cannabisarzneimitteln müssen in diesem Zusammenhang ebenfalls mit in die Abwägung einfließen (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 04.10.2017 - L 8 KR 255/17 B ER - juris Rdnr. 6; LSG Hessen, Beschl. v. 16.10.2017 - L 8 KR 366/17 B ER - juris Rdnr. 10). Der Zusatz im Gesetzestext, dass eine Ablehnung nur in begründeten Ausnahmefällen möglich ist, muss so verstanden werden, dass die Krankenkasse bei Vorliegen einer Verordnung darlegen und beweisen muss, dass eine Standardbehandlung nicht existiert bzw. diese geeignet ist oder keine – wenn auch nur ganz entfernt liegende – Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome durch die Einnahme von Cannabisarzneimitteln besteht. Ein Abwälzen dieser Darlegungs- und Feststellungslast auf den Vertragsarzt oder den Versicherten soll ausdrücklich nicht möglich sein, da die Regelung "der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes [ ...] Rechnung" tragen soll (vgl. Beck/Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 31 SGB V, Rn. 97.2). Versicherte sind nicht verpflichtet, zunächst sämtliche alternativen Behandlungsmöglichkeiten auszuprobieren und langjährig schwerwiegende Nebenwirkungen zu ertragen, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann (vgl. SG Bremen, Beschl. v. 24.10.2017 S 7 KR 227/17 ER - juris Rdnr. 31;
Eine schwerwiegende Erkrankung ist eine Krankheit, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl. BSG, Urt. v. 15.12.2015 - B 1 KR 30/15 - BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr. 18, Rdnr. 32; BSG, Urt. v. 06.03.2012 B 1 KR 24/10 R - BSGE 110, 183 = SozR 4-2500 § 34 Nr. 9, juris Rdnr. 26). Allerdings kann nicht jede Art von Erkrankung den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre abhebt (vgl. BSG, Urt. v. 27.03.2007 - B 1 KR 17/06 - USK 2007-25, juris Rdnr. 20). Diese in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Use entwickelte Definition ist auch hier anwendbar (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 19.09.2017 - L 11 KR 3414/17 ER-B - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 28; LSG Hessen, Beschl. v. 04.10.2017 - L 8 KR 255/17 B ER - juris Rdnr. 4; LSG Thüringen, Beschl. v. 10.11.2017 - L 6 KR 1092/17 B ER - juris Rdnr. 24).
Eine schwerwiegende Erkrankung, die aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, liegt mit der Psoriasis Arthritis und Polyneuropathie des Klägers vor. Dies wird von der Beklagten auch nicht bestritten. Die Beklagte bestreitet auch nicht, dass der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabinoiden hat. Streitig zwischen den Beteiligten ist nur, ob die bestehende und kostengünstigere - und damit wirtschaftlichere (§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V) - Versorgung mit Sativex ausreichend ist. Nach Aktenlage spricht wesentlich mehr dafür, dass der Kläger die kostengünstigeren Mittel Dronabinol und Sativex nicht verträgt und/oder diese eine geringere Wirksamkeit haben, so dass der Kläger auf die Versorgung mit diesen Mitteln nicht verwiesen werden kann.
Dr. med. C. empfahl im Schreiben vom 24.05.2017 nach Ablehnung der Versorgung mit Cannabisblüten Sativex, weil Dronabinol nicht zu einer ausreichenden Versorgung geführt habe. Dr. G. vom MDK Berlin-Brandenburg gab daraufhin in seinem Gutachten mit Datum vom 02.06.2017 eine positive sozialmedizinische Empfehlung für Sativex ab, womit der Kläger in der Folgezeit ab Juni 2016 versorgt wurde. Der Kläger hat nunmehr aber darauf hingewiesen, dass Sativex zu nicht unerheblichen Nebenwirkungen und zu einer geringeren Wirksamkeit führt. Dr. med. C. hat als den Kläger behandelnder anästhesistischer Schmerztherapeut in seinen Bescheinigungen vom 05.12.2017 und 11.10.2017 den Vortrag des Klägers bestätigt. Er weist auf die nicht annähernd gleiche Wirksamkeit von Sativex hin. Die Behandlung mit Sativex habe zu einer deutlichen Verstärkung der Beschwerden geführt. Es bestünden zunehmende Muskelkrämpfe im Bereich des Rumpfes, eine vermehrte Myogelosenbildung sowie muskuläre Schwächen im Rahmen eines Fatiguesyndroms. Der MDK Hessen führt in seinem Gutachten vom 13.02.2018 aus, die beschriebene bekannte Unverträglichkeit von Sativex spreche für die Umstellung auf Dronabinol. Dieses Gutachten setzt sich nicht mit den Ausführungen des Dr. G. vom MDK Berlin-Brandenburg im Gutachten mit vom 02.06.2017 auseinander, der eine Empfehlung für Sativex abgegeben hatte, nachdem der Kläger wegen der geringen Wirksamkeit von Dronabinol eine andere Versorgung beantragt hatte. Zwar kommt aus Gründen der Wirtschaftlichkeit vorrangig eine Versorgung mit Dronabinol oder Sativex in Betracht. Soweit aber für den Kläger diese Mittel zu gering wirksam sind und/oder zu unzumutbaren Nebenwirkungen führen, wofür nach Aktenlage wesentlich mehr spricht, kann der Kläger nicht auf diese Versorgung verwiesen werden. Insofern hat die Beklagte bisher nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb die Versorgung mit Dronabinol für den Kläger wieder eine Alternative darstellen soll.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Nach den Angaben des Klägers verbleiben ihm bei einem Einkommen von 1.641,56 EUR und Ausgaben von 1.589 EUR monatlich auch unter Berücksichtigung des Einkommens seiner Ehefrau von 633,44 EUR weniger als 700,00 EUR monatlich. Damit ist er nicht in der Lage, monatlich Kosten von über 600,00 EUR aufzubringen. Wird er weiterhin nicht mit dem strittigen Arzneimittel versorgt, leidet er unter den Schmerzen seiner Erkrankung, was ihm nicht zuzumuten ist. Demgegenüber steht das allein fiskalische Interesse der Beklagten, im Falle eines Obsiegens die Kosten vom Kläger nicht oder nur ratenweise zurückzuerhalten. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass wesentlich mehr für ein Obsiegen des Klägers im Hauptsacheverfahren spricht, sind im Übrigen an den Anordnungsgrund nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen.
Nach allem war dem Antrag stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgte der Entscheidung in der Hauptsache.
2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Genehmigung zur Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten (Cannabis Bedrocan 22 %) im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens.
Der 1967 geb. und jetzt 50-jährige Antragsteller (im Folgenden: Kläger) ist bei der Antragsgegnerin (im Folgenden: Beklagte), einer gesetzlichen Krankenkasse, versichert. Er leidet nach eigenen Angaben seit einem Verkehrsunfall im Jahre 1983 an Schmerzen sowie Beschwerden im Bereich der Gelenke im Sinne einer Psoriasis Arthritis und einer Polyneuropathie nach durchgeführter Chemotherapie eines Hodgkinlymphoms. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilte ihm mit Bescheid vom 14.01.2016 eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). zum Erwerb von Cannabis (Medizinal-Cannabisblüten).
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 28.03.2017 die Kostenübernahme für die Behandlung mit Cannabisblüten. Er reichte eine Bescheinigung seines Schmerztherapeuten Dr. med. C., Facharzt für Anästhesie, mit Datum vom 22.03.2017 sowie ein rechtsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. Dr. E. vom 25.01.2017 ein. Beide Schreiben sagten eindeutig, dass eine Therapie mit Cannabisblüten bei seiner Erkrankung als geboten und sinnvoll erscheine. Aufgrund früherer Anträge sollten alle notwendigen Unterlagen vorliegen. Er reichte dennoch zahlreiche weitere Krankenunterlagen ein.
Die Beklagte holte bei Frau Dr. D. vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Berlin-Brandenburg ein sozialmedizinisches Gutachten mit Datum vom 19.04.2017 ein. Darin gelangte diese zu dem Ergebnis, die Symptomatik liege in einer schwerwiegenden Ausprägung vor. Niedrigschwelligere Behandlungsoptionen seien glaubhaft ausgeschöpft worden. Es bestehe eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf oder auf die schwerwiegende Symptomatik durch ein Cannabis-Präparat. Inhalative Cannabis-Produkte seien aufgrund der kurzen Wirkdauer, des schnellen Anflutens, der Gefahr einer Lungenschädigung und Entwicklung eines Abhängigkeitssyndroms nur in Einzelfällen als unbedenklich und zweckmäßig einzustufen. Ein solcher Einzelfall liege hier nicht vor. Die Verordnung von Cannabisblüten widerspreche darüber hinaus bei bestehender Wirksamkeit des deutlich kostengünstigeren Dronabinols dem Gebot einer wirtschaftlichen Verordnungsweise. Kostenübernahme für die Versorgung mit Cannabisblüten könne deshalb sozialmedizinisch nicht befürwortet werden. Die Voraussetzungen für eine Verordnung von z. B. Dronabinol-Tropfen in öliger Lösung lägen vor.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 08.05.2017 die beantragte Kostenübernahme unter Hinweis auf das MDK-Gutachten ab.
Hiergegen legte der Kläger unter Datum vom 16.05.2017 Widerspruch ein. Er wies auf seine betäubungsmittelrechtliche Ausnahmegenehmigung hin und seine Krankengeschichte. Der bereits durchgeführte Therapieversuch mit Dronabinol-Tropfen sei deutlich schlechter gewesen. Er benötige die getrockneten Blüten regelmäßig, um die gravierenden Schmerzen zu lindern. Sein Schmerztherapeut Dr. med. C. habe ihm für die Übergangszeit empfohlen, eine Therapie mit Sativex zu beantragen.
Auf Anfrage der Beklagten reichte der Kläger ein Schreiben des Dr. med. C. vom 24.05.2017 ein. Darin führte dieser aus, wegen der besseren Wirksamkeit habe er für den Kläger Cannabisblüten beantragt. Nach Ablehnung empfehle er Sativex statt Dronabinol, weil THC/CBD ca. 1:1 statt ausschließlich THC bei Dronabinol enthalten sei, für MS sei es auch bereits zugelassen.
Die Beklagte holte bei Dr. F. vom MDK Hessen eine sozialmedizinische Stellungnahme mit Datum vom 18.05.2017 ein. Darin legte dieser die unterschiedlichen Kosten der verschiedenen Präparate (Cannabisblüten, Dronabinol und Sativex) und die Studienlage dar. Die Beklagte holte ferner bei Dr. G. vom MDK Berlin-Brandenburg ein sozialmedizinisches Gutachten mit Datum vom 02.06.2017 ein. Darin gelangte dieser zu dem Ergebnis, basierend auf der bestehenden Literatur sei festzuhalten, dass durchaus Indizien dafür bestünden, dass durch die Gabe cannabishaltiger Präparate eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehe. Es erfolge daher eine positive sozialmedizinische Empfehlung für das hier beantragte Sativex.
Daraufhin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2017 die Übernahme der Kosten für die Cannabis-Versorgung in Form von Sativex abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2017 den Widerspruch bzgl. der Ablehnung der Versorgung mit Cannabisblüten als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf die MDK-Gutachten und die Versorgung mit Dronabinol bzw. Sativex hin.
Der Kläger hat hiergegen am 27.07.2017 die Klage zum Az.: S 14 KR 121/17 erhoben. Er hat bisher ergänzend zu seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vorgetragen, er habe mittlerweile das Mittel Sativex ausprobiert. Dieses habe allerdings nicht zu der gewünschten Wirksamkeit und Schmerzlinderung geführt. Dr. C. führe dies auf die unterschiedliche Zusammensetzung zurück. Sativex-Spray habe wegen der ausschließlichen Inhaltsstoffe THC/CBDim Verhältnis 1:1 im Gegensatz zu Blüten mit mehr als 80 Cannabinoiden und ca. 200 Inhaltsstoffen nicht annähernd die gleiche Wirksamkeit, die bei Bedrocan-Blüten per Inhalation erreicht würden. Bei der Behandlung mit Sativex hätten sich auch seine Mundschleimhäute entzündet. Diese seien geschwollen und schmerzten. Dies lasse sich durch die Einnahme mit einem Getränk umgehen, führe aber zu einer Abschwächung der Wirkung. Es sei auch zu einer Zunahme der Muskelkrämpfe im Bereich des Rumpfes, einer vermehrten Myogelosenbildung sowie einer muskulären Schwäche im Rahmen eines Fatiguesyndroms gekommen. Die Beschwerden des myofaszialen Syndroms verursachten die Krämpfe und dadurch bedingt sehr starke Schmerzen. Die Krämpfe träten in der Rumpfmuskulatur, dem Rücken, in der Schultermuskulatur, den Händen, Beinen und Füßen auf. In der Kombination mit der rheumatisch bedingten Gelenksteifigkeit sei dies für ihn nur sehr schwer zu ertragen. Hinzu kämen in beiden Schultergelenken sehr starke Arthroseschmerzen. Die für ihn verordnete Höchstmenge liege bei 75 g innerhalb von 30 Tagen, nicht bei 100 g. Die bereits durchgeführte Behandlung mit Cannabisblüten (Bedrocan) sei erfolgreich gewesen und es seien keine Nebenwirkungen wie aktuell mit Sativex aufgetreten. Dass er früher Raucher gewesen sei, sei irrelevant. Die Behandlung erfolge mittels Inhalation. Er hat u. a. eine ärztliche Bescheinigung des Dr. C. vom 05.12.2017 und 11.10.2017, einen Arztbrief des Radiologen Dr. med. H. vom 25.04.2017 und einen ärztlichen Befundbericht zum Rentenantrag der Praxis Dres. med. J. u. Koll. eingereicht. Der Kläger hat bisher beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2017 zu verurteilen, die für den Zeitraum März bis Juni 2017 entstandenen Kosten für Cannabisblüten Bedrocan 22 % in Höhe von insgesamt 3.163,00 EUR zu erstatten und für den nachfolgenden Zeitraum die Versorgung mit Cannabisblüten als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte hat bisher beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und die Gutachten des MDK verwiesen. Es liege im Ermessen des MDK, ob er eine Begutachtung nach Aktenlage oder nach persönlicher Untersuchung vornehme.
Am 02.03.2018 hat der Kläger den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er trägt vor, wegen Verschlimmerung der Beschwerden habe er am 26.01.2018 erneut die Kostenübernahme beantragt. Die Beklagte habe ein Gutachten des MDK mit Datum vom 13.02.2018 eingeholt und mit Bescheid vom 13.02.2018 die Kostenübernahme erneut abgelehnt. Hiergegen habe er Widerspruch eingelegt. § 31 Abs. 6 SGB V enthalte keine Abstufung der Versorgung, die Versorgung mit Cannabisblüten sei nicht nachrangig gegenüber der mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon oder Sativex. Sativex komme wegen der Nebenwirkungen und, ebs. wie Dronabinol, eingeschränkten Wirksamkeit nicht in Betracht. Ohne die Behandlung mit Cannabisblüten verschlimmerten sich seine Schmerzen. Er könne die weitere Behandlung mit Cannabisblüten nicht aus eigenen Mitteln tragen. Er beziehe eine gesetzliche Rente von monatlich 1.175 EUR, eine VBL-Rente von 402,25 EUR und eine private Berufsunfähigkeitsrente von 62,31 EUR (vierteljährlich 249,23 EUR). Die Einnahmen seiner Ehefrau beliefen sich auf netto 633,44 EUR. Dem stünden Ausgaben von 1.589 EUR zzgl. unregelmäßiger Gesundheitskosten für Schwimmbad, Rezeptgebühren, Physiotherapie, Einlagen und osteopathische Behandlungen gegenüber. Er habe noch weitere Darlehenskosten für einen Hausumbau zu tilgen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte einstweilen zu verpflichten, ihm entsprechend ärztlicher Verordnung die Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs. 6 SGB V bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Az.: S 14 KR 121/17 zu genehmigen.
Die Beklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Kläger habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund. Das MDK-Gutachten vom 13.02.2018 habe die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabisblüten nicht bejaht, da ggf. eine Versorgung mit Dronabinol erfolgen könne. Im Antragsverfahren im Jahr 2015 habe der Kläger keine Ausführungen zu einer Unverträglichkeit von Dronabinol gemacht. Medizinische Nachweise seien ebf. nicht zur Verfügung gestellt worden. Eine Eilbedürftigkeit werde nicht gesehen, da der Kläger mit Sativex versorgt werde und das Vorverfahren noch nicht abgeschlossen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verfahrensakte zum Az.: S 14 KR 121/17 nebst beigezogener Verwaltungsakte Bezug genommen. Die Kammer brauchte wegen der bereits im Hauptsacheverfahren übersandten Verwaltungsakte und der Vorlage der Verfahrensunterlagen durch den Kläger nicht weiter auf den Eingang der Verwaltungsakte für dieses Verfahren abzuwarten. Die Beklagte hat die Verwaltungsakte offensichtlich noch an die frühere Adresse des Gerichts geschickt und der seitens der Gerichtsverwaltung gestellte Nachsendeantrag ist zwischenzeitlich ausgelaufen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag einen Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 1 u. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG). Es müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 920 Zivilprozessordnung i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Es ist eher wahrscheinlich, dass ein Anordnungsanspruch besteht.
Anspruchsgrundlage für eine Kostenübernahme für seine Behandlung mit Cannabinoiden ist § 31 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB V i. d. F. des Art. 4 Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BtMRÄndG) vom 06.03.2017, BGBl. I S. 403 (Nr. 11) mit Geltung ab 10.03.2017. Danach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.
Nach der Gesetzesbegründung bedeutet die in Nr. 1 formulierte gesetzliche Voraussetzung des Leistungsanspruchs nicht, dass ein Versicherter langjährig schwerwiegende Nebenwirkungen ertragen muss, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann. Durch den neu eingefügten Zusatz wird klargestellt, dass die Voraussetzung der Nr. 1 sowohl erfüllt ist, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung für eine bestimmte Erkrankung oder Symptomatik schon nicht vorhanden ist (Buchstabe a) als auch dann, wenn im konkreten Fall zwar abstrakt noch andere, allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen in Erwägung gezogen werden könnten, der behandelnde Vertragsarzt aber im konkreten Fall zu der begründeten Einschätzung kommt, dass diese anderen Leistungen unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des jeweiligen Versicherten nicht zur Anwendung kommen können (Buchstabe b) (BT-Drs. 18/10902, S. 20). Die Genehmigungsanträge bei der Erstverordnung der Leistung sind daher nur in begründeten Ausnahmefällen von der Krankenkasse abzulehnen. Damit wird auch der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes oder der Vertragsärztin Rechnung getragen (BT-Drs. 18/10902, S. 21).
Ein Leistungsanspruch besteht nicht nur dann, wenn eine allgemein anerkannte Behandlungsmethode nicht vorhanden ist, sondern bereits dann, wenn bei abstrakter Betrachtung zwar eine Standardbehandlung existiert, diese aber nach begründeter vertragsärztlicher Einschätzung bei Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen sowie unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann Für den Fall der Nichtanwendbarkeit einer Standardtherapie im Hinblick auf die Nebenwirkungen und den Krankheitszustand ist eine begründete Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin/des behandelnden Vertragsarzt erforderlich, welche zwingend den hier vorzunehmenden Abwägungsprozess erkennen lassen muss. Erforderlich ist eine Folgenabwägung dahingehend, womit im Falle der schulmedizinischen Standardbehandlung zu rechnen sein wird und wie sich dies konkret auf die versicherte Person auswirkt. Die Nebenwirkungen von Cannabisarzneimitteln müssen in diesem Zusammenhang ebenfalls mit in die Abwägung einfließen (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 04.10.2017 - L 8 KR 255/17 B ER - juris Rdnr. 6; LSG Hessen, Beschl. v. 16.10.2017 - L 8 KR 366/17 B ER - juris Rdnr. 10). Der Zusatz im Gesetzestext, dass eine Ablehnung nur in begründeten Ausnahmefällen möglich ist, muss so verstanden werden, dass die Krankenkasse bei Vorliegen einer Verordnung darlegen und beweisen muss, dass eine Standardbehandlung nicht existiert bzw. diese geeignet ist oder keine – wenn auch nur ganz entfernt liegende – Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome durch die Einnahme von Cannabisarzneimitteln besteht. Ein Abwälzen dieser Darlegungs- und Feststellungslast auf den Vertragsarzt oder den Versicherten soll ausdrücklich nicht möglich sein, da die Regelung "der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes [ ...] Rechnung" tragen soll (vgl. Beck/Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 31 SGB V, Rn. 97.2). Versicherte sind nicht verpflichtet, zunächst sämtliche alternativen Behandlungsmöglichkeiten auszuprobieren und langjährig schwerwiegende Nebenwirkungen zu ertragen, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann (vgl. SG Bremen, Beschl. v. 24.10.2017 S 7 KR 227/17 ER - juris Rdnr. 31;
Eine schwerwiegende Erkrankung ist eine Krankheit, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl. BSG, Urt. v. 15.12.2015 - B 1 KR 30/15 - BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr. 18, Rdnr. 32; BSG, Urt. v. 06.03.2012 B 1 KR 24/10 R - BSGE 110, 183 = SozR 4-2500 § 34 Nr. 9, juris Rdnr. 26). Allerdings kann nicht jede Art von Erkrankung den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre abhebt (vgl. BSG, Urt. v. 27.03.2007 - B 1 KR 17/06 - USK 2007-25, juris Rdnr. 20). Diese in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Use entwickelte Definition ist auch hier anwendbar (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 19.09.2017 - L 11 KR 3414/17 ER-B - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 28; LSG Hessen, Beschl. v. 04.10.2017 - L 8 KR 255/17 B ER - juris Rdnr. 4; LSG Thüringen, Beschl. v. 10.11.2017 - L 6 KR 1092/17 B ER - juris Rdnr. 24).
Eine schwerwiegende Erkrankung, die aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, liegt mit der Psoriasis Arthritis und Polyneuropathie des Klägers vor. Dies wird von der Beklagten auch nicht bestritten. Die Beklagte bestreitet auch nicht, dass der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabinoiden hat. Streitig zwischen den Beteiligten ist nur, ob die bestehende und kostengünstigere - und damit wirtschaftlichere (§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V) - Versorgung mit Sativex ausreichend ist. Nach Aktenlage spricht wesentlich mehr dafür, dass der Kläger die kostengünstigeren Mittel Dronabinol und Sativex nicht verträgt und/oder diese eine geringere Wirksamkeit haben, so dass der Kläger auf die Versorgung mit diesen Mitteln nicht verwiesen werden kann.
Dr. med. C. empfahl im Schreiben vom 24.05.2017 nach Ablehnung der Versorgung mit Cannabisblüten Sativex, weil Dronabinol nicht zu einer ausreichenden Versorgung geführt habe. Dr. G. vom MDK Berlin-Brandenburg gab daraufhin in seinem Gutachten mit Datum vom 02.06.2017 eine positive sozialmedizinische Empfehlung für Sativex ab, womit der Kläger in der Folgezeit ab Juni 2016 versorgt wurde. Der Kläger hat nunmehr aber darauf hingewiesen, dass Sativex zu nicht unerheblichen Nebenwirkungen und zu einer geringeren Wirksamkeit führt. Dr. med. C. hat als den Kläger behandelnder anästhesistischer Schmerztherapeut in seinen Bescheinigungen vom 05.12.2017 und 11.10.2017 den Vortrag des Klägers bestätigt. Er weist auf die nicht annähernd gleiche Wirksamkeit von Sativex hin. Die Behandlung mit Sativex habe zu einer deutlichen Verstärkung der Beschwerden geführt. Es bestünden zunehmende Muskelkrämpfe im Bereich des Rumpfes, eine vermehrte Myogelosenbildung sowie muskuläre Schwächen im Rahmen eines Fatiguesyndroms. Der MDK Hessen führt in seinem Gutachten vom 13.02.2018 aus, die beschriebene bekannte Unverträglichkeit von Sativex spreche für die Umstellung auf Dronabinol. Dieses Gutachten setzt sich nicht mit den Ausführungen des Dr. G. vom MDK Berlin-Brandenburg im Gutachten mit vom 02.06.2017 auseinander, der eine Empfehlung für Sativex abgegeben hatte, nachdem der Kläger wegen der geringen Wirksamkeit von Dronabinol eine andere Versorgung beantragt hatte. Zwar kommt aus Gründen der Wirtschaftlichkeit vorrangig eine Versorgung mit Dronabinol oder Sativex in Betracht. Soweit aber für den Kläger diese Mittel zu gering wirksam sind und/oder zu unzumutbaren Nebenwirkungen führen, wofür nach Aktenlage wesentlich mehr spricht, kann der Kläger nicht auf diese Versorgung verwiesen werden. Insofern hat die Beklagte bisher nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb die Versorgung mit Dronabinol für den Kläger wieder eine Alternative darstellen soll.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Nach den Angaben des Klägers verbleiben ihm bei einem Einkommen von 1.641,56 EUR und Ausgaben von 1.589 EUR monatlich auch unter Berücksichtigung des Einkommens seiner Ehefrau von 633,44 EUR weniger als 700,00 EUR monatlich. Damit ist er nicht in der Lage, monatlich Kosten von über 600,00 EUR aufzubringen. Wird er weiterhin nicht mit dem strittigen Arzneimittel versorgt, leidet er unter den Schmerzen seiner Erkrankung, was ihm nicht zuzumuten ist. Demgegenüber steht das allein fiskalische Interesse der Beklagten, im Falle eines Obsiegens die Kosten vom Kläger nicht oder nur ratenweise zurückzuerhalten. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass wesentlich mehr für ein Obsiegen des Klägers im Hauptsacheverfahren spricht, sind im Übrigen an den Anordnungsgrund nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen.
Nach allem war dem Antrag stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgte der Entscheidung in der Hauptsache.
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