L 8 KR 196/18 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 38/18 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 196/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 22. März 2018 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin mit dem Antrag (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 22. März 2018 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweilen Anordnung abzulehnen,

hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Beschluss zu Recht verpflichtet, dem Antragsteller entsprechend ärztlicher Verordnung die Versorgung mit Cannabisblüten bis zum Abschluss des vor dem Sozialgericht Marburg anhängigen Hauptsacheverfahrens S 14 KR 121/17 zu genehmigen.

Wegen des Sachverhalts, der rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der vorliegend allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie den gesetzlichen Anspruchsgrundlagen für die Erteilung der Genehmigung zur Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) wird auf die zutreffenden Darlegungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Beschluss Bezug genommen, die von den Beteiligten nicht infrage gestellt werden (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren wird von ihr auch nicht in Abrede gestellt, dass seitens des Antragstellers die Anspruchsvoraussetzungen auf Versorgung mit Cannabis gem. § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V erfüllt werden. Auch zur Überzeugung des Senats ergibt sich dies zweifelsfrei sowohl aus den Bescheinigungen der behandelnden Ärzte des Antragstellers als auch aus den vorliegenden Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Streit besteht allerdings insoweit, ob es dem Antragsteller zumutbar ist, anstelle der von ihm geltend gemachten Behandlung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten auf die kostengünstigere und damit wirtschaftlichere Versorgung mit den Fertigarzneimitteln Sativex oder Dronabinol verwiesen zu werden. Seitens der Sachverständigen des MDK wird insoweit die Ansicht vertreten, dass der Antragsteller hiermit ausreichend versorgt werden könnte, während der behandelnde Arzt des Antragstellers auf die mangelnde Wirksamkeit bzw. Unverträglichkeit der benannten Fertigarzneimittel bei dem Antragsteller hinweist. Konkret wurde diesbezüglich von dem Anästhesisten Dr. C., bei dem sich der Antragsteller in schmerztherapeutischer Behandlung befindet, mit Bescheinigungen vom 11. Oktober 2017 und 5. Dezember 2017 auf die mangelnde Wirksamkeit der auf Anraten des MDK durchgeführten Behandlung mit Sativex hingewiesen und mitgeteilt, dass es durch die zwischenzeitlich von ihm durchgeführte Behandlung mit Sativex und Dronabinol zu einer deutlichen Verstärkung der Beschwerden mit Muskelkrämpfen im Bereich des Rumpfes, einer vermehrten Myogelosenbildung sowie muskulären Schwächen im Rahmen des bestehenden Fatiquesyndroms gekommen ist. Soweit hierzu in dem Gutachten des MDK Hessen vom 13. Februar 2018 aufgrund der beschriebenen Unverträglichkeit von Sativex auf die Behandlungsalternative Dronabinol verwiesen worden ist, steht dies im Widerspruch zu dem zuvor erstellten Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg vom 2. Juli 2017, worin aufgrund eines vom behandelnden Arzt als nicht hinreichend wirksamen beschriebenen Therapieversuchs mit Dronabinol die Empfehlung zur Anwendung von Sativex abgegeben worden ist.

In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht sieht es der Senat aufgrund der Ausführungen des behandelten Arztes als hinreichend glaubhaft gemacht an, dass dem Antragsteller die Fortführung der Behandlung mit Sativex oder Dronabinol mangels hinreichender Wirksamkeit bzw. aufgrund bestehender Unverträglichkeit nicht zugemutet werden kann. Die vorliegenden Gutachten des MDK wurden ausschließlich nach Aktenlage erstellt und vermögen die Befundmitteilungen von Dr. C. aufgrund der von diesem durchgeführten Therapieversuche nach der im Verfahren des einstweilen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht zu widerlegen. Seitens des Antragstellers wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bestimmung des § 31 Abs. 6 SGB V keine Rangfolge der dort aufgeführten Therapieoptionen "Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon" beinhaltet. Zwar kann sich der Vorrang der Behandlung mit einem bestimmten Medikament aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V ergeben. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Diese Leistungsvoraussetzungen "ausreichend, zweckmäßig, notwendig, wirtschaftlich" stehen nicht nebeneinander, sondern in einem untrennbaren inneren Zusammenhang. Der Begriff der Zweckmäßigkeit entspricht dem der Eignung. Eine Maßnahme ist zweckmäßig, wenn die Leistung auf eines der in den §§ 11 Abs. 1, Abs. 2 und 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele objektiv ausgerichtet ist und auch hinreichend wirksam ist, um diese Ziele zu erreichen (Engelhard/Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 12 SGB V, Rn. 53). Innerhalb dieser Vorgaben obliegt es zunächst dem Behandlungsregime des behandelten Arztes, das erforderliche Medikament aufgrund der Indikation im konkreten Einzelfall auszuwählen. Soweit von der Antragsgegnerin gestützt auf die Ausführungen des MDK die Ansicht vertreten wird, die Behandlung des Antragstellers könne mit den Fertigmedikamenten Sativex oder Dronabinol durchgeführt werden, da insoweit keine Nebenwirkungen bei dem Antragsteller beschrieben worden seien, steht dies im Widerspruch zu den vorgenannten Befundmitteilungen des behandelnden Arztes Dr. C. vom 11. Oktober 2017 und 5. Dezember 2017. Eine abschließende Beurteilung der unterschiedlichen Auffassungen des behandelnden Arztes sowie der Sachverständigen des MDK ist dem Senat aufgrund eigener Sachkunde nicht möglich und im Verfahren des einstweiligen Rechtschutz auch nicht geboten. Die insoweit erforderliche weitergehende Aufklärung des Sachverhaltes muss angesichts der vom Antragsteller hinreichend glaubhaft gemachten Eilbedürftigkeit der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Der Antragsteller hat nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass es ihm nicht zumutbar ist, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Therapieversuche mit Sativex oder Dronabinol fortzuführen. Aufgrund seiner Angaben im erstinstanzlichen Verfahren bestehen auch keine Zweifel, dass er nicht dazu imstande ist, die Behandlung mit Cannabisblüten bis dahin selbst zu finanzieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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