Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 31 RA 332/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 RA 12/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 31/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben für beide Rechtzüge einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 Sozialgesetzbuch (SGB) VI.
Der 1939 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten die Bewilligung von Rente wegen Arbeitslosigkeit nach Vollendung des 60. Lebensjahres. Der Antrag vom 16. Oktober 2001 ging bei der Beklagten am 7. Februar 2002 ein und wurde mit Bescheid vom 10. Juni 2002 abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dem Antrag mit Rentenbeginn am 1. März 2002 könne nicht entsprochen werden, da die Voraussetzungen des § 237 SGB VI nicht insgesamt erfüllt seien. Der Kläger habe in den letzten 10 Jahren vor Beginn der Rente nicht 8 Jahre Pflichtbeiträge aufzuweisen. In dem maßgeblichen Zehnjahreszeitraum vom 1. März 1992 bis 28. Februar 2002 seien nur insgesamt 93 Pflichtbeiträge nachgewiesen, so dass die in § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI geforderten Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Kläger erhob am 18. Juni 2002 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 22. Juni 2002 begründete. Er machte geltend, der Zehnjahreszeitraum verlängere sich in seinem Fall um 81 Monate Anrechnungszeiten. Dies führe zur Berücksichtigung von Pflichtbeiträgen vom 1. April 1989 bis 1. März 1992 und damit seien die Voraussetzungen für den Rentenanspruch erfüllt.
Dem vom Kläger im Juni 2002 gestellten weiteren Antrag auf Altersrente wegen Vollendung des 63. Lebensjahres entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2002. Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10. Juni 2002 lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2003 ab. Bei einem Rentenbeginn zum 1. März 2002 seien in dem maßgeblichen Zehnjahreszeitraum des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vom 1. März 1992 bis 28. Februar 2002 nur 93, statt der erforderlichen 96 Pflichtbeiträge nachgewiesen. Eine Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes könne nur durch Anrechnungszeiten erfolgen, die innerhalb des maßgeblichen Zeitraumes lägen. Eine Verlängerung könne nicht aufgrund von außerhalb der genannten Zeiträume liegenden Anrechnungszeiten erfolgen.
Der Kläger erhob am 30. Januar 2003 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage. Eine Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes nach § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI trete auch um solche Anrechnungszeiten ein, die vor dem (eigentlichen) Zehnjahreszeitraum lägen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 25. Januar 2003, 14. Juni 2003 und 15. August 2003 mit Anlagen Bezug genommen. Dem gegenüber verteidigte die Beklagte ihre Verwaltungsentscheidung.
Nach Anhörung der Beteiligten hob das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 18. November 2003 den Bescheid vom 10. Juni 2003 und den Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2003 auf. Die Beklagte wurde verurteilt, dem Kläger ab 5. März 2002 Rente wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 237 SGB VI in gesetzlichem Rahmen zu zahlen. Zur Begründung führte das Sozialgericht im Wesentlichen aus, der Zehnjahreszeitraum vom 1. März 1992 bis 28. Februar 2002, innerhalb dessen der Kläger 93 Pflichtbeiträge nachgewiesen habe, sei um die Zeiten seiner schulischen Ausbildung im Sinne von § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI zu verlängern und daran anschließende Pflichtbeiträge seien anzurechnen. Der Kläger habe damit die Voraussetzungen von 8 Jahren Pflichtbeiträgen innerhalb des verlängerten Zehnjahreszeitraumes des § 237 SGB VI erfüllt. Laut Versicherungsverlauf habe er eine Hochschulausbildung über insgesamt 55 Monate absolviert. Der Zehnjahreszeitraum nach § 237 SGB VI verlängere sich um diese Zeiten der Ausbildung. Die Auffassung der Beklagten, dass nur Anrechnungszeiten, die innerhalb des Zehnjahreszeitraumes lägen, zur Anwendung kommen könnten, finde im Gesetz keine Stütze. Die Formulierung des Gesetzgebers in § 237 SGB VI entspreche weitestgehend der Formulierung z.B. in § 43 Abs. 4 SGB VI, wonach der dort geforderte Fünfjahreszeitraum ebenfalls um Anrechnungszeiten verlängert werde. Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 237 SGB VI erfüllt seien, habe der Kläger einen Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 5. März 2002, wie beantragt.
Gegen den ihr am 22. Dezember 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die von der Beklagten am 20. Januar 2004 eingelegte Berufung. Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, eine Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes nach § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI sei nicht um solche Anrechnungszeiten möglich, die weit vor dem (eigentlichen) Zehnjahreszeitraum lägen. Die von dem Sozialgericht aus dem reinen Gesetzeswortlaut gewonnene Begründung für die Entscheidung sei nicht zutreffend. Dies bestätige die Rechtsentwicklung sowie der Sinn und Zweck der Regelung, die erstmals durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführt worden sei. Die Formulierung "bei der Ermittlung des Zehnjahreszeitraumes nicht mitgezählt" besage, das der Zehnjahreszeitraum durch Rückrechnung und unter Außerachtlassung der nicht mitzuzählenden Monate zu errechnen sei. Somit sei zunächst der Zehnjahreszeitraum zu bestimmen. Dieser könne dann um die darin enthaltenen Kalendermonate an "nicht mitzuzählenden Zeiten" verlängert werden. Fielen in den Verlängerungszeitraum erneut "nicht mitzuzählende Zeiten", sei der Zeitraum nochmals entsprechend zu erweitern, bis ohne die "nicht mitzuzählenden Zeiten" ein Zeitraum von 10 Jahren vorhanden sei. In diesem Zusammenhang wies die Beklagte auch auf die Gesetzesbegründung des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 zu § 25 Abs. 2 Satz 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) hin. Die Begründung BT-Drucksache 10/335 zu Artikel 2 Nr. 11 (§ 25 Angestelltenversicherungsgesetz – AVG -) verweise auf die Begründung zu Artikel 1 Nr. 31 (§ 1248 Reichsversicherungsordnung – RVO –). Hier sei zwar wiederum zu lesen, dass "bei der Feststellung des Zehnjahreszeitraumes sämtliche Ausfallzeiten sowie die Ersatzzeiten und die Rentenbezugszeiten unberücksichtigt bleiben sollen". Klarstellend werde jedoch in der Begründung zu Artikel 1 Nr. 29 (§ 1246 RVO/§ 23 AVG) ausgeführt, dass "sich in dem Fünfjahreszeitraum liegende Ersatzzeiten, Ausfallzeiten oder Rentenbezugszeiten nicht nachteilig für den Versicherten auswirken" sollen. Durch die Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes um "nicht mitzuzählende Zeiten" solle der Versicherte für bestimmte Tatbestände, die ihm eine Entrichtung von Pflichtbeiträgen in dem Zehnjahreszeitraum nicht möglich machten, die Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes erhalten, damit dort vorliegende Pflichtbeitragszeiten für die Prüfung der 96 Kalendermonate Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit mit hinzugenommen werden könnten. Diese durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführte Regelung zu § 25 AVG sei durch das Rentenreformgesetz 1992 in § 38 SGB VI (BGBl. I Seite 2261 vom 18. Dezember 1989) in Übereinstimmung mit dem alten Recht übernommen worden (Gesetzesbegründung zu § 38 SGB VI, BT-Drucksache 11/4124) und nach Aufhebung des § 38 SGB VI für eine Übergangszeit in § 237 SGB VI in der Fassung des RRG 1999 – inhaltsgleich – geregelt worden (Art. 1 Nr. 76 des RRG 1999). Daraus sei der Wille des Gesetzgebers zu erkennen, dass nur in dem Zehnjahresraum liegende Anrechnungszeiten und Rentenbezugszeiten aus eigener Versicherung für die Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes heranzuziehen seien. Im Übrigen sei nicht nachvollziehbar, warum nach dem Tenor des angefochtenen Gerichtsbescheides dem Kläger Rente wegen Arbeitslosigkeit erst ab 5. März 2002 zugebilligt werde, obwohl er im Antrag vom 7. Februar 2002 einen Rentenbeginn am 1. März 2002 angekreuzt habe.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2003 – S 31 RA 332/03 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid. Auf die Berufungserwiderung vom 14. April 2004 wird wegen der Einzelheiten des Vorbringens Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte, die vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§§ 153, 124 Sozialgerichtsgesetz - SGG -)
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Der angefochtene Gerichtsbescheid kann nicht aufrechterhalten bleiben, denn er ist rechtswidrig und daher aufzuheben. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers vom 16. Oktober 2001 auf Rente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres (§ 237 SGB VI) zutreffend mit Bescheid vom 10. Juni 2002 und Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2003 abgelehnt, denn die gesetzlichen Voraussetzungen der Vorschrift lagen nicht sämtlich vor. Der Kläger hatte vor Rentenbeginn in den letzten 10 Jahren keine 8 Jahre Pflichtbeiträge aufzuweisen (§ 237 Abs.1 Nr. 4 SGB VI). Im maßgeblichen 10-Jahreszeitraum vom 1. März 1992 bis 28. Februar 2002 (zur Berechnung der Rahmenfrist: Niesel in Kasseler Kommentar § 237 RdNr. 22, Stand November 2001) sind nach den bindenden Feststellungen im Versicherungsverlauf vom 10. Juni 2002 keine 96 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Der maßgebliche 10-Jahreszeitraum, in dem die 8 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit enthalten sein müssen, umfasst 120 Kalendermonate und endet mit Ablauf des Kalendermonats vor Beginn der Altersrente (Klattendorf in Hauck/Haines, Kommentar zur Gesetzlichen Rentenversicherung, § 237 RdNr. 61).
Entgegen der Auffassung des Klägers und des Sozialgerichts wird der 10-Jahreszeitraum nicht durch Ausbildungszeiten des Klägers soweit verlängert, dass 96 Kalendermonate Pflichtbeiträge vorliegen. Im 10-Jahreszeitraum vom 1. Dezember 1991 bis 28. Februar 2002 hat der Kläger 93 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt, was nicht ausreichend ist. Eine Verlängerung der 10-Jahresfrist um die Zeit der Hochschulausbildung des Klägers (55 Monate) aus den Jahren 1962 bis 1966 als Anrechnungszeit (§ 58 Abs.1 Nr. 4 SGB VI) ist nach Auffassung des Senats rechtlich nicht möglich, denn sie liegt weit außerhalb des 10-Jahreszeitraumes. Auch auf die noch weiter zurückliegende Schulzeit als Anrechnungszeit kann ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Zwar ist gegenüber dem Kläger und dem Sozialgericht einzuräumen, dass der Wortlaut des § 237 Abs. 1. Nr. 4 SGB VI der von ihnen vertretenen Rechtsauffassung nicht unmittelbar entgegensteht, dass sich die Rahmenfrist von 10 Jahren um Anrechnungszeiten als Streckungstatbestände verlängert, soweit diese nicht auch Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sind. Solche Anrechnungszeiten sind die in den §§ 58, 252, 252a SGB VI, §§ 21, 29 FRG genannten Zeiten; nach Abs. 2 Satz 2 wird der 10-Jahreseitraum noch um Zeiten der Arbeitslosigkeit i.S. von Abs. 2 Satz 1 und um Ersatzzeiten erweitert. Aber auch wenn das Gesetz keinen ausdrücklichen Hinweis zur Berechnung enthält, sind für die Berechnung der Verlängerungszeit der 10-jährigen Rahmenfrist nicht alle Anrechnungszeiten eines Versicherten gemeint, die er jemals in seinem Versicherungsleben zurückgelegt hat. Dies folgt aus dem Normzweck der Vorschrift, der darin besteht, längere Zeit nicht zum Kreis der Arbeitnehmer zählende Versicherte vom Rentenbezug auszuschließen (Niesel a.a.O § 237 RdNr. 20). Deshalb sind als Streckungstatbestände der Rahmenfrist auch nur Anrechnungszeiten geeignet, die in zeitlichem Bezug zur Rahmenfrist stehen bzw. daran anschließen. Dies führt zwar zu einer weiteren Begrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises, ist aber gesetzgeberische Absicht und rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn die Altersrente damit nur bestimmten Pflichtversicherten zusteht, ist dies als eine zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums zu bewerten (BSG in SozR 3-2200 § 1248 Nr. 7). Vom Normzweck werden nicht nur Hausfrauen, Beamte und Selbständige betroffen, sondern alle Versicherte ohne eine ausreichende zeitliche Nähe zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dabei wird für § 237 Abs. 1 SGB VI die Grenze durch die 10-jährige Rahmenfrist gezogen, innerhalb derer eine 8-jährige Pflichtbeitragszeit liegen muss, die sich um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezuges einer Rente aus eigener Versicherung (Erweiterungstatbestände) verlängert, soweit diese Zeiten nicht auch Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sind. Fallen in den erweiterten Rahmenzeitraum wiederum Erweiterungstatbestände, so ist der Rahmenzeitraum erneut zu verlängern (Klattenhoff a.a.O. RdNr. 62, siehe auch das Berechnungsbeispiel in Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 2000 S. 232, 242). Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbegründung vom 22. März 2004 die Rechtsentwicklung seit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 (BGBl. I S. 1532 vom 22. Dezember 1983, Art. 39) aufgezeigt, die den Willen des Gesetzgebers belegt, dass einschränkend - nur in dem 10-Jahreszeitraum des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI liegende Anrechnungszeiten und Rentenbezugszeiten aus eigener Versicherung für die Verlängerung der Rahmenfrist in Betracht kommen. Darauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (vgl. auch Brettschneider in Jahn, § 237 Rechtsentwicklung und Allgemeines; Störmann in Gesamtkommentar a.a.O. § 237 Anm. 1 und 2). Die dem gegenüber in Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift erfolgte Erweiterung der Rahmenfrist auch für Ersatzzeiten hat der Gesetzgeber denn auch ausdrücklich geregelt.
Der angefochtene Gerichtsbescheid konnte keinen Bestand haben und war aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Auf Anregung der Beklagten hat der Senat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
II. Die Beteiligten haben für beide Rechtzüge einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 Sozialgesetzbuch (SGB) VI.
Der 1939 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten die Bewilligung von Rente wegen Arbeitslosigkeit nach Vollendung des 60. Lebensjahres. Der Antrag vom 16. Oktober 2001 ging bei der Beklagten am 7. Februar 2002 ein und wurde mit Bescheid vom 10. Juni 2002 abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dem Antrag mit Rentenbeginn am 1. März 2002 könne nicht entsprochen werden, da die Voraussetzungen des § 237 SGB VI nicht insgesamt erfüllt seien. Der Kläger habe in den letzten 10 Jahren vor Beginn der Rente nicht 8 Jahre Pflichtbeiträge aufzuweisen. In dem maßgeblichen Zehnjahreszeitraum vom 1. März 1992 bis 28. Februar 2002 seien nur insgesamt 93 Pflichtbeiträge nachgewiesen, so dass die in § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI geforderten Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Kläger erhob am 18. Juni 2002 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 22. Juni 2002 begründete. Er machte geltend, der Zehnjahreszeitraum verlängere sich in seinem Fall um 81 Monate Anrechnungszeiten. Dies führe zur Berücksichtigung von Pflichtbeiträgen vom 1. April 1989 bis 1. März 1992 und damit seien die Voraussetzungen für den Rentenanspruch erfüllt.
Dem vom Kläger im Juni 2002 gestellten weiteren Antrag auf Altersrente wegen Vollendung des 63. Lebensjahres entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2002. Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10. Juni 2002 lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2003 ab. Bei einem Rentenbeginn zum 1. März 2002 seien in dem maßgeblichen Zehnjahreszeitraum des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vom 1. März 1992 bis 28. Februar 2002 nur 93, statt der erforderlichen 96 Pflichtbeiträge nachgewiesen. Eine Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes könne nur durch Anrechnungszeiten erfolgen, die innerhalb des maßgeblichen Zeitraumes lägen. Eine Verlängerung könne nicht aufgrund von außerhalb der genannten Zeiträume liegenden Anrechnungszeiten erfolgen.
Der Kläger erhob am 30. Januar 2003 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage. Eine Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes nach § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI trete auch um solche Anrechnungszeiten ein, die vor dem (eigentlichen) Zehnjahreszeitraum lägen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 25. Januar 2003, 14. Juni 2003 und 15. August 2003 mit Anlagen Bezug genommen. Dem gegenüber verteidigte die Beklagte ihre Verwaltungsentscheidung.
Nach Anhörung der Beteiligten hob das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 18. November 2003 den Bescheid vom 10. Juni 2003 und den Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2003 auf. Die Beklagte wurde verurteilt, dem Kläger ab 5. März 2002 Rente wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 237 SGB VI in gesetzlichem Rahmen zu zahlen. Zur Begründung führte das Sozialgericht im Wesentlichen aus, der Zehnjahreszeitraum vom 1. März 1992 bis 28. Februar 2002, innerhalb dessen der Kläger 93 Pflichtbeiträge nachgewiesen habe, sei um die Zeiten seiner schulischen Ausbildung im Sinne von § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI zu verlängern und daran anschließende Pflichtbeiträge seien anzurechnen. Der Kläger habe damit die Voraussetzungen von 8 Jahren Pflichtbeiträgen innerhalb des verlängerten Zehnjahreszeitraumes des § 237 SGB VI erfüllt. Laut Versicherungsverlauf habe er eine Hochschulausbildung über insgesamt 55 Monate absolviert. Der Zehnjahreszeitraum nach § 237 SGB VI verlängere sich um diese Zeiten der Ausbildung. Die Auffassung der Beklagten, dass nur Anrechnungszeiten, die innerhalb des Zehnjahreszeitraumes lägen, zur Anwendung kommen könnten, finde im Gesetz keine Stütze. Die Formulierung des Gesetzgebers in § 237 SGB VI entspreche weitestgehend der Formulierung z.B. in § 43 Abs. 4 SGB VI, wonach der dort geforderte Fünfjahreszeitraum ebenfalls um Anrechnungszeiten verlängert werde. Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 237 SGB VI erfüllt seien, habe der Kläger einen Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 5. März 2002, wie beantragt.
Gegen den ihr am 22. Dezember 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die von der Beklagten am 20. Januar 2004 eingelegte Berufung. Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, eine Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes nach § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI sei nicht um solche Anrechnungszeiten möglich, die weit vor dem (eigentlichen) Zehnjahreszeitraum lägen. Die von dem Sozialgericht aus dem reinen Gesetzeswortlaut gewonnene Begründung für die Entscheidung sei nicht zutreffend. Dies bestätige die Rechtsentwicklung sowie der Sinn und Zweck der Regelung, die erstmals durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführt worden sei. Die Formulierung "bei der Ermittlung des Zehnjahreszeitraumes nicht mitgezählt" besage, das der Zehnjahreszeitraum durch Rückrechnung und unter Außerachtlassung der nicht mitzuzählenden Monate zu errechnen sei. Somit sei zunächst der Zehnjahreszeitraum zu bestimmen. Dieser könne dann um die darin enthaltenen Kalendermonate an "nicht mitzuzählenden Zeiten" verlängert werden. Fielen in den Verlängerungszeitraum erneut "nicht mitzuzählende Zeiten", sei der Zeitraum nochmals entsprechend zu erweitern, bis ohne die "nicht mitzuzählenden Zeiten" ein Zeitraum von 10 Jahren vorhanden sei. In diesem Zusammenhang wies die Beklagte auch auf die Gesetzesbegründung des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 zu § 25 Abs. 2 Satz 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) hin. Die Begründung BT-Drucksache 10/335 zu Artikel 2 Nr. 11 (§ 25 Angestelltenversicherungsgesetz – AVG -) verweise auf die Begründung zu Artikel 1 Nr. 31 (§ 1248 Reichsversicherungsordnung – RVO –). Hier sei zwar wiederum zu lesen, dass "bei der Feststellung des Zehnjahreszeitraumes sämtliche Ausfallzeiten sowie die Ersatzzeiten und die Rentenbezugszeiten unberücksichtigt bleiben sollen". Klarstellend werde jedoch in der Begründung zu Artikel 1 Nr. 29 (§ 1246 RVO/§ 23 AVG) ausgeführt, dass "sich in dem Fünfjahreszeitraum liegende Ersatzzeiten, Ausfallzeiten oder Rentenbezugszeiten nicht nachteilig für den Versicherten auswirken" sollen. Durch die Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes um "nicht mitzuzählende Zeiten" solle der Versicherte für bestimmte Tatbestände, die ihm eine Entrichtung von Pflichtbeiträgen in dem Zehnjahreszeitraum nicht möglich machten, die Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes erhalten, damit dort vorliegende Pflichtbeitragszeiten für die Prüfung der 96 Kalendermonate Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit mit hinzugenommen werden könnten. Diese durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführte Regelung zu § 25 AVG sei durch das Rentenreformgesetz 1992 in § 38 SGB VI (BGBl. I Seite 2261 vom 18. Dezember 1989) in Übereinstimmung mit dem alten Recht übernommen worden (Gesetzesbegründung zu § 38 SGB VI, BT-Drucksache 11/4124) und nach Aufhebung des § 38 SGB VI für eine Übergangszeit in § 237 SGB VI in der Fassung des RRG 1999 – inhaltsgleich – geregelt worden (Art. 1 Nr. 76 des RRG 1999). Daraus sei der Wille des Gesetzgebers zu erkennen, dass nur in dem Zehnjahresraum liegende Anrechnungszeiten und Rentenbezugszeiten aus eigener Versicherung für die Verlängerung des Zehnjahreszeitraumes heranzuziehen seien. Im Übrigen sei nicht nachvollziehbar, warum nach dem Tenor des angefochtenen Gerichtsbescheides dem Kläger Rente wegen Arbeitslosigkeit erst ab 5. März 2002 zugebilligt werde, obwohl er im Antrag vom 7. Februar 2002 einen Rentenbeginn am 1. März 2002 angekreuzt habe.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2003 – S 31 RA 332/03 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid. Auf die Berufungserwiderung vom 14. April 2004 wird wegen der Einzelheiten des Vorbringens Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte, die vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§§ 153, 124 Sozialgerichtsgesetz - SGG -)
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Der angefochtene Gerichtsbescheid kann nicht aufrechterhalten bleiben, denn er ist rechtswidrig und daher aufzuheben. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers vom 16. Oktober 2001 auf Rente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres (§ 237 SGB VI) zutreffend mit Bescheid vom 10. Juni 2002 und Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2003 abgelehnt, denn die gesetzlichen Voraussetzungen der Vorschrift lagen nicht sämtlich vor. Der Kläger hatte vor Rentenbeginn in den letzten 10 Jahren keine 8 Jahre Pflichtbeiträge aufzuweisen (§ 237 Abs.1 Nr. 4 SGB VI). Im maßgeblichen 10-Jahreszeitraum vom 1. März 1992 bis 28. Februar 2002 (zur Berechnung der Rahmenfrist: Niesel in Kasseler Kommentar § 237 RdNr. 22, Stand November 2001) sind nach den bindenden Feststellungen im Versicherungsverlauf vom 10. Juni 2002 keine 96 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Der maßgebliche 10-Jahreszeitraum, in dem die 8 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit enthalten sein müssen, umfasst 120 Kalendermonate und endet mit Ablauf des Kalendermonats vor Beginn der Altersrente (Klattendorf in Hauck/Haines, Kommentar zur Gesetzlichen Rentenversicherung, § 237 RdNr. 61).
Entgegen der Auffassung des Klägers und des Sozialgerichts wird der 10-Jahreszeitraum nicht durch Ausbildungszeiten des Klägers soweit verlängert, dass 96 Kalendermonate Pflichtbeiträge vorliegen. Im 10-Jahreszeitraum vom 1. Dezember 1991 bis 28. Februar 2002 hat der Kläger 93 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt, was nicht ausreichend ist. Eine Verlängerung der 10-Jahresfrist um die Zeit der Hochschulausbildung des Klägers (55 Monate) aus den Jahren 1962 bis 1966 als Anrechnungszeit (§ 58 Abs.1 Nr. 4 SGB VI) ist nach Auffassung des Senats rechtlich nicht möglich, denn sie liegt weit außerhalb des 10-Jahreszeitraumes. Auch auf die noch weiter zurückliegende Schulzeit als Anrechnungszeit kann ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Zwar ist gegenüber dem Kläger und dem Sozialgericht einzuräumen, dass der Wortlaut des § 237 Abs. 1. Nr. 4 SGB VI der von ihnen vertretenen Rechtsauffassung nicht unmittelbar entgegensteht, dass sich die Rahmenfrist von 10 Jahren um Anrechnungszeiten als Streckungstatbestände verlängert, soweit diese nicht auch Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sind. Solche Anrechnungszeiten sind die in den §§ 58, 252, 252a SGB VI, §§ 21, 29 FRG genannten Zeiten; nach Abs. 2 Satz 2 wird der 10-Jahreseitraum noch um Zeiten der Arbeitslosigkeit i.S. von Abs. 2 Satz 1 und um Ersatzzeiten erweitert. Aber auch wenn das Gesetz keinen ausdrücklichen Hinweis zur Berechnung enthält, sind für die Berechnung der Verlängerungszeit der 10-jährigen Rahmenfrist nicht alle Anrechnungszeiten eines Versicherten gemeint, die er jemals in seinem Versicherungsleben zurückgelegt hat. Dies folgt aus dem Normzweck der Vorschrift, der darin besteht, längere Zeit nicht zum Kreis der Arbeitnehmer zählende Versicherte vom Rentenbezug auszuschließen (Niesel a.a.O § 237 RdNr. 20). Deshalb sind als Streckungstatbestände der Rahmenfrist auch nur Anrechnungszeiten geeignet, die in zeitlichem Bezug zur Rahmenfrist stehen bzw. daran anschließen. Dies führt zwar zu einer weiteren Begrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises, ist aber gesetzgeberische Absicht und rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn die Altersrente damit nur bestimmten Pflichtversicherten zusteht, ist dies als eine zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums zu bewerten (BSG in SozR 3-2200 § 1248 Nr. 7). Vom Normzweck werden nicht nur Hausfrauen, Beamte und Selbständige betroffen, sondern alle Versicherte ohne eine ausreichende zeitliche Nähe zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dabei wird für § 237 Abs. 1 SGB VI die Grenze durch die 10-jährige Rahmenfrist gezogen, innerhalb derer eine 8-jährige Pflichtbeitragszeit liegen muss, die sich um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezuges einer Rente aus eigener Versicherung (Erweiterungstatbestände) verlängert, soweit diese Zeiten nicht auch Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sind. Fallen in den erweiterten Rahmenzeitraum wiederum Erweiterungstatbestände, so ist der Rahmenzeitraum erneut zu verlängern (Klattenhoff a.a.O. RdNr. 62, siehe auch das Berechnungsbeispiel in Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 2000 S. 232, 242). Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbegründung vom 22. März 2004 die Rechtsentwicklung seit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 (BGBl. I S. 1532 vom 22. Dezember 1983, Art. 39) aufgezeigt, die den Willen des Gesetzgebers belegt, dass einschränkend - nur in dem 10-Jahreszeitraum des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI liegende Anrechnungszeiten und Rentenbezugszeiten aus eigener Versicherung für die Verlängerung der Rahmenfrist in Betracht kommen. Darauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (vgl. auch Brettschneider in Jahn, § 237 Rechtsentwicklung und Allgemeines; Störmann in Gesamtkommentar a.a.O. § 237 Anm. 1 und 2). Die dem gegenüber in Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift erfolgte Erweiterung der Rahmenfrist auch für Ersatzzeiten hat der Gesetzgeber denn auch ausdrücklich geregelt.
Der angefochtene Gerichtsbescheid konnte keinen Bestand haben und war aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Auf Anregung der Beklagten hat der Senat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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