L 8 KN 13/04

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 KN 5/04
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KN 13/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 KN 1/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 25. Mai 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Berechnung einer Witwenrente nach dem Fremdrentengesetz (FRG) ohne eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte.

Die 1932 geborene Klägerin lebte bis zum 10. März 2000 in Kasachstan. Ihr Ehemann war am xx. xxx 1998 verstorben. Die Klägerin bezieht von der LVA Hessen eine Versichertenrente mit dem Rentenfaktor 1,0, der 25 Entgeltpunkte aus Zeiten nach dem FRG zu Grunde liegen. Am 13. April 2000 beantragte die Klägerin Witwenrente bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 13. September 2000 erkannte die Beklagte einen Anspruch auf kleine Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehegatten an. Ein Zahlbetrag ergebe sich jedoch nicht, weil nach § 22 b FRG die Gesamtheit der Renten auf 25 Entgeltpunkte begrenzt sei. Der Bescheid erreichte die Klägerin zunächst nicht und wurde ihr dann mit Schreiben vom 16. Juli 2003 bekannt gegeben. Am 11. August 2003 erhob die Klägerin unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 30. August 2001 (B 4 RA 118/00 R) Widerspruch. Aus diesem Urteil ergebe sich, dass sie neben ihrer normalen gesetzlichen Rente auch Anspruch auf Witwenrente habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2003, zugestellt am 31. Dezember 2003, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach § 22 b Abs. 1 FRG würden für anrechenbare Zeiten nach dem Fremdrentengesetz für einen Berechtigten höchstens 25 Entgeltpunkte zu Grunde gelegt. Soweit ein Berechtigter eine Rentenleistung beziehe, die bereits auf der Basis von angerechneten 25 Entgeltpunkten ermittelt worden sei, bliebe für die Auszahlung einer weiteren Rentenleistung kein Raum mehr. Soweit das Bundessozialgericht entschieden habe, dass diese Begrenzung nur beim Zusammentreffen mehrerer Renten eines Berechtigten, nicht aber beim Zusammentreffen einer Versichertenrente mit einer Hinterbliebenenrente anwendbar sei, könne dieser Auslegung nicht gefolgt werden.

Dagegen hat die Klägerin am 15. Januar 2004 Klage vor dem Sozialgericht in Gießen erhoben, das diese mit Urteil vom 25. Mai 2004 aus den Gründen des Widerspruchsbescheides abgewiesen hat. Gegen das am 2. Juni 2004 zur Post aufgelieferte Urteil hat die Klägerin am 28. Juni 2004 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass der bis 21. Juli 2004 gültige Wortlaut des § 22 b FRG so auszulegen sei, dass die Begrenzung von Renten nach dem FRG auf 25 Entgeltpunkte nicht für Witwenrenten gelten würde. Der durch Art. 9 des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21. Juli 2004 geänderte Wortlaut des § 22 b FRG sei verfassungswidrig, weil ihm eine Rückwirkung bis zum 7. Mai 1996 beigelegt werde.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 25. Mai 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2003 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihre Witwenrente ohne die Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte nach § 22 b FRG neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Gesetzesänderung habe ihre Rechtsmeinung bestätigt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetztes –SGG) ist sachlich unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind auch unter der veränderten Rechtslage zutreffend. Das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

§ 22 b Abs. 1 Satz 1 lautet in der Fassung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes: "Für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz werden für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu Grunde gelegt." Zuvor hieß es: "Für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz werden für einen Berechtigten höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zu Grunde gelegt."

Die Neuformulierung des Gesetzeswortlautes ist nunmehr eindeutig: Die Summe der für die Versichertenrente und Hinterbliebenenrenten eines Berechtigten zu Grunde zu legenden Entgeltpunkte darf 25 nicht überschreiten. Die Änderung des § 22 b FRG tritt mit Wirkung vom 7. Mai 1996 nach Art. 15 Abs. 3 des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes vom 21. Juli 2004 in Kraft. Die Ausnahmevorschrift des § 300 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI), nach der aufgehobene Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird, ist nicht anwendbar, denn der Rentenantrag ist nicht innerhalb von drei Monaten nach dem 7. Mai 1996 gestellt.

Die Klägerin rügt die Verfassungsmäßigkeit des neu formulierten § 22 b FRG. Sie ist der Ansicht, die dem Gesetz beigelegte Rückwirkung von annähernd acht Jahren verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG). Diese Ansicht setzt jedoch voraus, dass § 22 b FRG in der vormaligen Formulierung entsprechend der Auslegung des Bundessozialgerichtes (vgl. Urteil vom 30. August 2001 – B 4 RA 118/00 R und Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/04 R) keine Anwendung fände, wenn ein Begünstigter neben einem Recht aus eigener Versicherung ein abgeleitetes Recht auf Hinterbliebenenrente hat. Nur dann würde man bei einer Ungültigkeit der Rückwirkungsklausel des neuen § 22 b FRG zu einer abweichenden Entscheidung kommen. Würde man jedoch der Ansicht der Beklagten folgen, so ergäbe sich auch bei Aufhebung der Rückwirkungsklausel durch das Verfassungsgericht kein anderes als das oben begründete Ergebnis.

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war in der Vergangenheit umstritten, sie wurde von den Versicherungsträgern nicht anerkannt und stieß bei den Instanzgerichten auf Widerstand. Das Landessozialgericht Essen hat im Urteil vom 30. Juli 2003 (L 8 RJ 64/03) entgegen der Ansicht des Bundessozialgerichtes seine abweichende Meinung damit begründet, dass der durch das "Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (WFG)" eingeführt § 22 b FRG eine Umstellung vom Eingliederungsprinzip des FRG zum Bedürftigkeitsprinzip bewirke. Der an der Bedürftigkeit orientierten Leistungsgewährung widerspreche es, wenn der Hinterbliebene ohne die Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte für Versicherten- und Hinterbliebenenrente besser gestellt werde als ein Alleinstehender. Im Urteil vom 26. Februar 2004 (L 2 KN 42/03) hat das LSG Essen seine Rechtsmeinung nochmals ausführlich begründet und dazu die Entstehungsgeschichte, die systematisch Stellung der Norm im Rentenrecht, den Sinn und Zweck der Regelung sowie den Wortlaut der Vorschrift herangezogen.

Das Bundessozialgericht hingegen hat im Urteil vom 11. März 2004 diese Ansicht verworfen. Dabei stützt es sich ebenfalls im Wesentlichen auf die Entstehungsgeschichte und den Sinn und Zweck der Vorschrift des § 22 b FRG. Es führt aus, der Gesetzgeber habe sich in der Vergangenheit zunehmend von dem dem Fremdrentenrecht zu Grunde liegenden Eingliederungsgedanken entfernt. Dieser Prozess der Ersetzung des Eingliederungsprinzips durch ein Prinzip der "Grundsicherung" oder des "sozialen Ausgleichs" sei mit der Rechtsänderung in § 22 b FRG fortgeführt worden. Aus den in der Vorschrift verwendeten Begriffen "anrechenbare Zeiten" und "Berechtigten" schließt das Bundessozialgericht jedoch, dass die Ersetzung des Eingliederungsprinzips nicht soweit gehen sollte, dass sich auch die Begrenzung der Hinterbliebenenrente auf 25 Entgeltpunkte beabsichtigte. Die Ersetzung durch das Prinzip der Grundsicherung oder des sozialen Ausgleichs sei insoweit offenbar noch nicht abgeschlossen. Die Darlegungen des Bundessozialgerichtes sind schon deshalb angreifbar, weil die Begriffe des Berechtigten und der anrechenbaren Zeiten, wie das LSG Essen im Urteil vom 26. Februar 2004 überzeugend ausgeführt hat, beide Auslegungen zulassen.

Vor allem sieht der Senat die Ansicht des LSG Essen durch die Neuformulierung des § 22 b FRG durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz bestätigt. Der Gesetzgeber hat in der Begründung zu Art. 8 Nr. 2 (Umformulierung des § 22 b FRG) ausgeführt, dass lediglich klargestellt werden solle, dass entgegen der Auffassung des Bundessozialgerichtes auch für einen einzelnen Berechtigten mit Anspruch auf eine eigene Versichertenrente und auf eine Hinterbliebenenrente der Höchstwert für alle seine Renten insgesamt auf 25 Entgeltpunkte begrenzt werden soll (BT-Drucksache 15/2149 S. 31/32 zu Art. 7 Nr. 2 und Art. 13 Abs. 6). Der Senat hält diese Gesetzesbegründung zwar nicht für eine authentische Interpretation des bisherigen Gesetzestextes, wohl aber für eine gewichtige Stimme zu dessen Auslegung.

Nachdem das Gesetz am 21. Juli 2004 ausgefertigt wurde und am 1. August 2004 in Kraft getreten ist, ist auch im Hinblick auf die Auslegung des vormaligen Gesetzestextes eine neue Situation eingetreten. Das Bundessozialgericht hat zwar zu der beabsichtigten Gesetzesänderung in den Urteilen vom 11. März 2004 (a.a.O.) und vom 7. Juli 2004 (B 8 KN 10/03 R) vorauseilend Stellung genommen, für die Zeit nach dem tatsächlichen In-Kraft-Treten fehlt aber eine Entscheidung. Der Senat sieht sich deshalb nicht gehindert, entgegen der bisherigen Ansicht des Bundessozialgerichtes an der Auslegung festzuhalten, dass auch nach dem vorherigen Wortlaut des § 22 b FRG der Höchstwert aller Renten eines Berechtigten insgesamt auf 25 Entgeltpunkte begrenzt wird. Eine Verfassungswidrigkeit und Aufhebung der Rückwirkungsklausel für den neuen § 22 b FRG hätte deshalb keinen Einfluss auf die hier zu treffende Entscheidung. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erübrigt sich.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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