L 10 SF 398/18 E-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SF 911/17 E
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 SF 398/18 E-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Nehmen die Beteiligten ein in Form eines Beschlusses nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG unterbreitetes Vergleichsangebot schriftlich gegenüber dem Gericht an, liegt ein schriftlicher Vergleich vor, der eine (fiktive) Terminsgebühr entstehen lässt. Dass die Initiative für den Abschluss des Vergleichs vom Gericht ausgeht oder dieser inhaltlich zumindest teilweise auf einem Vorschlag des Gerichts beruht, ist nicht erforderlich.
Die Beschwerde des Erinnerungsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 29.12.2017 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Erinnerungsgegner gegen die Gewährung einer sog. fiktiven Terminsgebühr im Rahmen der Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) für die Tätigkeit als beigeordneter Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe.

In dem zu Grunde liegenden Klageverfahren S 2 SB 2751/14 war streitig, ob der Grad der Behinderung (GdB) beim Kläger statt mit 40 mit 60 festzustellen war. Mit Beschluss vom 03.03.2015 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger unter Beiordnung des Erinnerungsführers Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung.

Nach Durchführung medizinscher Ermittlungen unterbreitete der Beklagte ein Vergleichsangebot, wonach der GdB 50 ab 15.06.2016 betrage, außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden und die Beteiligten den Rechtstreit für erledigt erklären. Auf die Anfrage des Sozialgerichts, ob das Vergleichsangebot angenommen werde, teilte der Erinnerungsführer mit, er benötige ein Vergleichsangebot in der Form des § 101 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Mit Beschluss vom 01.03.2017 schlug das Sozialgericht den Beteiligten zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits unter Hinweis darauf, dass der Vergleichsvorschlag nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG als gerichtlicher Vergleich wirksam werde, wenn ihn die Beteiligten gegenüber dem Gericht schriftlich annehmen, folgenden Vergleich vor:

1. Der Grad der Behinderung (GdB) beträgt 50 (i.W. fünfzig) ab 15.06.2016. 2. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet. 3. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit für erledigt.

Mit Schriftsätzen vom 07.03.2017 und 08.03.2017 nahmen der Erinnerungsführer und der Beklagte den Vergleich an.

Der Erinnerungsführer beantragte die Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung wie folgt:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV 300,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV 280,00 EUR Einigungsgebühr Nr. 1006 VV 300,00 EUR Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV 20,00 EUR Dokumentationspauschale Nr. 7000 (81 Seiten) 29,65 EUR 19,00 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV 176,63 EUR Summe 1.106,28 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle teilte dem Erinnerungsführer mit Schreiben vom 22.03.2017 mit, dass eine fiktive Terminsgebühr nicht entstanden sei, da das Verfahren durch außergerichtlichen Vergleich erledigt worden sei. Entsprechend betrage die der Landeskasse zu zahlende Vergütung lediglich 773,08 EUR. Im Hinblick auf die erfolgte Absetzung der Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG führte sie unter Bezugnahme auf Entscheidungen von Landessozialgerichten (u.a. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22.05.2015, L 15 SF 115/14 E) aus, unter einem "schriftlichen Vergleich" im Sinne der Anmerkung S. 1 Nr. 1 2. Alt. zu VV 3106 RVG sei nur ein unter Mitwirkung oder auf Veranlassung des Gerichts geschlossener Vergleich nach § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO und ab 25.10.2013 nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG zu verstehen.

Mit seiner Erinnerung machte der Erinnerungsführer geltend, die fiktive Termisgebühr sei angefallen, da das Verfahren durch die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags vom 01.03.2017 beendet worden sei.

Mit Beschluss vom 29.12.2017 hat das Sozialgericht die Entscheidung der Urkundsbeamtin unter Zurückweisung der Erinnerung im Übrigen abgeändert und dem Erinnerungsführer eine Vergütung in Höhe von 1.094,38 EUR gewährt. Die fiktive Terminsgebühr sei angefallen, da das Verfahren eindeutig durch gerichtlichen Vergleich gemäß § 101 SGG geendet habe. Die Auffassung des Bayerischen Landessozialgerichts in dem erwähnten Beschluss vom 22.05.2015 (a.a.O) sowie im Beschluss vom 29.11.2016, L 15 SF 97/16 E, wonach die Initiative des Vergleichsvorschlags und auch der formulierte Inhalt originär vom Gericht ausgehen müsse, damit eine fiktive Terminsgebühr entstehe, werde nicht geteilt. Das Gesetz kenne eine solche Einschränkung nicht. Vom Erinnerungsführer sei die Gebühr allerdings überhöht angesetzt worden, da sie 90 % der Verfahrensgebühr von 300,00 EUR betrage, mithin nicht 280,00 EUR, sondern lediglich 270,00 EUR.

Gegen den am 22.01.2018 zugestellten Beschluss hat der Erinnerungsgegner am 23.01.2018 beim Sozialgericht Beschwerde eingelegt und Bezug genommen auf die Stellungnahme im Erinnerungsverfahren, wonach die Terminsgebühr nicht angefallen sei, weil der Vergleichsvorschlag nicht auf Initiative des Gerichts unterbreitet worden sei; so habe es auch das Bayerische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 22.05.2015 (a.a.O.) formuliert. Vorliegend habe das Gericht den Vergleichsvorschlag der Beklagten lediglich auf Antrag des Erinnerungsführers wiederholt und in Beschlussform gefasst. Damit seien die Voraussetzungen für einen Abschluss des Vergleichs gemäß § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht erfüllt.

II.

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG durch die Einzelrichterin entscheidet, ist statthaft und zulässig. Der Beschwerdewert übersteigt den Betrag von 200,00 EUR.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Dem Erinnerungsführer steht die zuletzt festgesetzte Vergütung unter Berücksichtigung der Terminsgebühr zu.

Gemäß § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt in Verfahren vor den Gerichten eines Landes die gesetzliche Vergütung aus der Landeskasse. In den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Da der Kläger des Ausgangsverfahrens kostenprivilegierter Beteiligter im Sinne des § 183 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) war, scheidet die Anwendung des GKG aus.

Gemäß § 2 Abs. 2 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1. Nach Nr. 3106 Nr. 1 VV RVG entsteht die Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird.

In dem Verfahren S 2 SB 2751/14 wurde zwischen den Beteiligten ein schriftlicher Vergleich geschlossen. Es handelte sich hierbei um einen Vergleich im Sinne des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn die Beteiligten haben den in Form des (schriftlichen) Beschlusses vom 01.03.2017 ergangenen Vorschlag des Gerichts mit Schriftsätzen vom 07.03.2017 und 08.03.2017 schriftlich gegenüber dem Gericht angenommen. Damit liegt ein im schriftlichen Verfahren geschlossener Vergleich vor, der einen Vollstreckungstitel darstellt (vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Dass das Sozialgericht in seinem Beschluss das zuvor von dem Beklagten unterbreitete Vergleichsangebot aufgriff, steht dem nicht entgegen. Insbesondere bietet die Regelung des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG keine Anhaltspunkte dafür, dass die Initiative für den Abschluss des Vergleichs vom Gericht auszugehen hat oder dieser inhaltlich zumindest teilweise auf einem Vorschlag des Gerichts beruhen muss. Dies lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass in der Form eines Beschlusses ein "Vorschlag des Gerichts" ergeht. Denn Anforderungen an das Zustandekommen dieses Vorschlags enthält die Regelung gerade nicht. Vor diesem Hintergrund ist auch kein Grund für die Annahme ersichtlich, bei dem abgeschlossenen Vergleich gemäß § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG handele es sich nicht um einen schriftlichen Vergleich im Sinne der Nr. 3106 Nr. 1 VV RVG, der zum Entstehen einer Terminsgebühr führt. Insoweit hat das Sozialgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser Gebührentatbestand zur Entlastung der Gerichte Einigungen ohne mündliche Verhandlung fördern soll. Der in einem obiter dictum geäußerten Rechtsansicht des Bayerischen Landessozialgerichts im Beschluss vom 22.05.2015 (a.a.O.) folgt der Senat nicht; Entsprechendes gilt für die im Beschluss vom 29.11.2016 (a.a.O.) vertretene Auffassung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 RVG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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