L 10 KO 1935/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 KO 1935/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Begriff elektrophysiologische Untersuchungen nach Nr. 305 der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) JVEG umfasst (nur) die direkte, unmittelbare Messung elektrischer Potentiale durch deren Ableitung (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.02.2017, L 2 SF 370/15 E; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2013, L 15 U 589/12 B). Untersuchungen, bei denen das Vorhandensein elektrischer Körperströme lediglich indirekt nachgewiesen wird (z.B. bei der Prüfung von Reflexen ), fallen nicht hierunter (a.A. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Dem entsprechend sind Schall messende Untersuchungen (z.B. Impedanzmessung, Messung otoakustischer Emissionen), visuelle Untersuchungen (z.B. kalorische Prüfung mittels Frenzel´scher Brille, Video-Kopf-Impuls-Test) und Untersuchungen, die eine gewillkürte Reaktion des Probanden erfassen (z.B. Tonschwellenaudiogramm, Sprachaudiogramm, Tinnitusbestimmung), nicht nach Nr. 305 der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) JVEG vergütungsfähig.
2. Die Nr. 1408 GOÄ (Hirnstammaudiometrie) ist nur einmal vergütungsfähig, auch wenn beide Ohren untersucht werden.
Die Vergütung der Antragstellerin für ihr Gutachten vom 15.08.2018 wird auf 1496,90 EUR festgesetzt.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

In dem beim Landesozialgericht Baden-Württemberg (LSG) anhängigen Berufungsverfahren L 6 U 3318/17 macht der Kläger Verletztenrente wegen seiner als Berufskrankheit anerkannten Schwerhörigkeit geltend. Im Mai 2018 hat die Antragstellerin, mit der der Antragsgegner am 22.08.2013 eine Vereinbarung über die Vergütung als Sachverständige in sozialgerichtlichen Verfahren geschlossen hat, ein hals-nasen-ohrenärztliches Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet, für das sie einen Gesamtbetrag von 3.337,71 EUR in Rechnung gestellt hat (24 Stunden zu 100,00 EUR, diverse Positionen nach dem einfachen Satz der Gebührenordnung für Ärzte - GOÄ -, Schreibgebühren und Kosten für Ausdrucke, Porto und schließlich die Umsatzsteuer). Die Kostenbeamtin hat lediglich 1.435,31 EUR vergütet, darunter die vereinbarte Pauschale für Zeitaufwand bei einem sehr schwierigen Gutachten sowie - insoweit antragsgemäß - Schreibgebühren, Kosten für Ausdrucke, Porto und die Umsatzsteuer.

Mit ihrem Antrag auf richterliche Festsetzung der Vergütung räumt die Antragstellerin eine Pauschalierung ihres Vergütungsanspruches auf Grund der getroffenen Vereinbarung ein, begehrt aber die Vergütung der abgerechneten GOÄ-Positionen als elektrophysiologische Untersuchungen. Der Antragsgegner bestreitet deren Vergütungsfähigkeit, weil es sich um keine elektrophysiologischen Untersuchungen handle.

II.

Nach der auf der Grundlage von § 14 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG) getroffenen Vereinbarung, die die Ansprüche der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Erstattung schriftlicher Gutachten auch auf Grund ambulanter Untersuchung (vgl. Vereinbarung unter I.) umfassend regelt, hat die Antragstellerin gemäß Teil V Nr. 2 der Vereinbarung einen Anspruch auf richterliche Festsetzung ihrer Vergütung unter Anwendung von § 4 JVEG. Gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG entscheidet der Senat in voller Besetzung, weil der Einzelrichter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auf den Senat übertragen hat.

Der Zeitaufwand der Antragstellerin für die Erstattung des Gutachtens ist in Höhe von 1.100,00 EUR zu vergüten. Dies ist der von den Beteiligten vereinbarte Höchstsatz. Hierin sind sich die Beteiligten auch einig und die Antragstellerin begehrt im Grunde mit ihrem Antrag auf richterliche Festsetzung auch keine höhere Vergütung für Zeitaufwand mehr. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Kostenbeamtin zu Recht und mit zutreffender Begründung eine nach der getroffenen Vereinbarung mögliche Vergütung nach tatsächlich aufgewandten und erforderlichen Stunden abgelehnt hat, weil - so die Voraussetzung nach der Vereinbarung (Teil III Nr. 1) - kein außergewöhnlicher Zeitaufwand wegen der besonderen Schwierigkeit der Gutachtenserstellung vorgelegen hat. Zwar hat die Antragstellerin 24 Stunden abgerechnet. Aus ihrer Aufstellung ergibt sich jedoch, dass dies nicht der tatsächliche Zeitaufwand war. Vielmehr hat die Antragstellerin nach eigenen Pauschalen (u.a. eine Stunde für vier Seiten für das "Abfassen" des Gutachtens sowie eine Stunde für sechs Seiten Diktat und Korrektur) abgerechnet und damit - entgegen ihrer Behauptung im Antrag auf richterliche Festsetzung - gerade nicht den tatsächlichen Zeitaufwand geltend gemacht. Diese Abrechnung entspricht im Übrigen nicht den Kriterien, die nach der Kostenrechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg für eine Abrechnung verlangt werden (vgl. Beschluss vom 22.09.2004, L 12 RJ 3868/04 KO-A, u.a. in juris und MedR 2006, 118 und Beschluss vom 14.01.2014, L 12 KO 4491/12 B, u.a. in juris und GesR 2014, 555) und wie sie der Antragstellerin bei ihrer Beauftragung mitgeteilt worden sind. Auch soweit die Antragstellerin den Zeitaufwand für Untersuchung mit vier Stunden angegeben hat, sind ihre Angaben nicht plausibel. Diese vier Stunden will sie für die Erhebung der Anamnese und die organische Untersuchung benötigt haben, hinzu kämen - so die Rechnung - der zusätzliche Zeitaufwand für die elektrophysiologischen Untersuchungen, die sie - so die Ausführungen im Antrag auf richterliche Festsetzung - durch die nach GOÄ abgerechneten Leistungen konkretisiert. Aus dem Gutachten ergeben sich aber außer der visuellen Inspektion von Ohren, Nase und Mundrachen keine Untersuchungen, die von der Antragstellerin nicht nach GOÄ - und damit zusätzlich zu den geltend gemachten vier Stunden - abgerechnet werden. Dies deutet insgesamt auf den Versuch einer deutlichen Honorarausweitung hin.

In Bezug auf die Schreibgebühren, die Aufwendungen für Ausdrucke und das Porto vergütet der Senat die Antragstellerin in Übereinstimmung mit der Kostenbeamtin antragsgemäß.

Zusätzlich hat die Antragstellerin nach Teil IV Nr. 2 Abs. 1 der Vereinbarung Anspruch auf Vergütung von Leistungen nach der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) JVEG, wenn - so die vertragliche Bestimmung - diese Leistungen notwendig waren und von ihr selbstständig erbracht worden sind.

Die von der Antragstellerin zur Vergütung begehrten elektrophysiologischen Untersuchungen sind in Nr. 305 der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) JVEG aufgeführt und damit im Rahmen der Vereinbarung zusätzlich zu dem vereinbarten Pauschbetrag für Zeitaufwand vergütungsfähig. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Kostensenats der in Anlage 2 vorgesehene Honorarrahmen (für die Nr. 305 von 15,00 bis 135,00 EUR) grundsätzlich durch den einfachen Satz der GOÄ zu konkretisieren (Beschluss vom 12.09.2011, L 12 KO 3525/08), was die Antragstellerin vorliegend auch getan hat.

Indessen handelt es sich bei den von der Antragstellerin geltend gemachten Abrechnungspositionen überwiegend nicht um elektrophysiologische Untersuchungen, so dass insoweit keine Vergütung nach Nr. 305 der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) JVEG erfolgen kann. Da auch keine andere Abrechnungsposition der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) JVEG in Betracht kommt, sind diese Leistungen im Rahmen des Zeitaufwandes zu vergüten (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.05.2017, L 12 SF 3137/15 E) und deshalb mit dem vereinbarten Pauschalbetrag für Zeitaufwand abgegolten.

Was unter elektrophysiologischer Untersuchung im Sinne der Nr. 305 der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) des JVEG zu verstehen ist, wird im JVEG nicht definiert. Auch die Entstehungsgeschichte gibt hierzu keinen Aufschluss. Die Vorgängerreglung wurde durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) sowie des Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer bei den Gerichten vom 21.09.1963 (BGBl. I, 745) als Nr. 6a in die Anlage zu § 5 ZSEG eingefügt. Eine Umschreibung des Begriffs der elektrophysiologischen Untersuchung erfolgte weder im Gesetz noch in der Begründung zum Gesetzentwurf (BTDrs. IV/875). In das JVEG wurde die Regelung inhaltlich im Wesentlichen unverändert übernommen.

Der Wortlaut der Regelung knüpft an den medizinischen Begriff der Physiologie (Wissenschaft und Lehre von den normalen Funktionsabläufen in Zelle, Geweben und Organen eines Organismus, Pschyrembel, Medizinisches Wörterbuch, 267. Auflage) mit dem Teilgebiet der Elektrophysiologie an, das sich mit der elektrischen Aktivität von Herz, Muskeln, Nerven und Sinnesorgangen befasst (Pschyrembel, a.a.O.). Elektrophysiologische Untersuchungen zielen somit auf die Erfassung elektrischer Potentiale im Körper (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.02.2017, L 2 SF 370/15 E in juris: technische Ableitung bestimmter elektrischer Potentiale; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2013, L 15 U 589/12 B in juris: Messung elektrischer Körperströme). Nicht unter den Begriff der elektrophysiologischen Untersuchung fallen dagegen Untersuchungen, bei denen das Vorhandensein elektrischer Körperströme lediglich indirekt nachgewiesen wird, wie beispielsweise bei der Untersuchung von Muskelbewegungen (z.B. Erhebung von Bewegungsmaßen im Rahmen einer orthopädischen Untersuchung), obwohl auch die Bewegung von Muskeln ohne elektrische Potentiale nicht möglich ist. Gleiches gilt - da wiederum nur indirekt die Übertragung elektrischer Reize Gegenstand der Untersuchung ist - für die Prüfung von Reflexen (z.B. des Achillessehnenreflexes im Rahmen einer orthopädischen Untersuchung) oder Sinnen (z.B. Riechprobe). Im Ergebnis definiert der Senat in Übereinstimmung mit den zitierten Entscheidungen den Begriff der elektrophysiologischen Untersuchung als direkte, unmittelbare Messung elektrischer Potentiale durch deren Ableitung.

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich für die von der Antragstellerin zur Vergütung begehrten Untersuchungen:

Die Hirnstammaudiometrie (BERA) ist grundsätzlich vergütungsfähig (GOÄ Nr. 1408). Es handelt sich um ein objektives Verfahren zur Aufdeckung von Hörstörungen, bei dem das Antwortpotential - die akustisch evozierten Potentiale - von über einen Kopfhörer abgegebenen Hörreizen im Rahmen eines Elektroenzephalogramms über Elektroden abgeleitet wird (s. die Erläuterungen der Antragstellerin auf S. 42 ihres Gutachtens). Es werden somit Hirnströme gemessen.

Die von der Antragstellerin abgerechnete (GOÄ Nr. 1413) elektronystagmografische Ableitung (Elektronystagmographie - ENG -) ist ebenfalls grundsätzlich vergütungsfähig. Sie dient der Prüfung des Gleichgewichtsorgans durch Registrierung und Bestimmung schneller, nystagmiformer Augenbewegungen mit Hilfe von aufgeklebten Elektroden. Es werden somit elektrische Signale abgeleitet. Allerdings hat die Antragstellerin diese Untersuchung - so ihre Ausführungen in der Rechnung - nicht durchgeführt, sondern stattdessen einen Video-Kopf-Impuls-Test (s. auch die Erläuterungen der Antragstellerin auf S. 44 ihres Gutachtens). Dabei misst eine vom Probanden getragene Infrarotkamera die Augenbewegungen, während der Kopf vom Untersucher rasch nach links und rechts gedreht wird und der Probant gleichzeitig versucht, einen Zielpunkt im Blick zu behalten. Dies stellt somit keine elektrophysiologische Untersuchung dar, weil nicht Strom gemessen wird, sondern Augenbewegungen analysiert werden. Eine Abrechnung nach JVEG scheidet deshalb aus.

Die übrigen, von der Antragstellerin nach GOÄ abgerechneten Positionen sind dagegen nicht vergütungsfähig, weil es sich nicht um elektrophysiologische Untersuchungen handelt:

Beim Tonschwellenaudiogramm (GOÄ Nr. 1403) wird zwar ebenfalls die elektrische Signalübertragung im Bereich des Hörsystems geprüft, allerdings nicht durch unmittelbare Ableitung elektrischer Signale, sondern durch Erfassung der Reaktion des Probanden (s. die Darstellung der Antragstellerin im Gutachten S. 25). Die Untersuchung erfolgt somit nicht elektrophysiologisch (ebenso das LSG Berlin-Brandenburg im erwähnten Beschluss vom 14.02.2017).

Gleiches gilt für das Sprachaudiogramm (vgl. die Ausführungen im Gutachten der Antragstellerin S. 28 f.; GOÄ Nr. 1404), die Tinnitusbestimmung /-verdeckung (s. die Erläuterungen der Antragstellerin auf S. 39 ihres Gutachtens; hier abgerechnet nach GOÄ Nr. 1407), den Stimmgabeltest (Strutz/Mann, Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, 3. Auflage, S. 14; hier abgerechnet nach GOÄ Nr. 1400), den SISI-Test (s. die Erläuterungen der Antragstellerin auf S. 37 ihres Gutachtens; hier abgerechnet nach GOÄ Nr. 1407), die Geräuschaudiometrie nach Langenbeck (s. die Erläuterungen der Antragstellerin auf S. 37 ihres Gutachtens; hier abgerechnet nach GOÄ Nr. 1407) und den Schwellenschwundtest nach Carhart (s. die Erläuterungen der Antragstellerin auf S. 38 ihres Gutachtens; hier abgerechnet nach GOÄ Nr. 1407). Bei all diesen Verfahren wird eine Reaktion des Probanden erfasst und keine elektrischen Potentiale.

Die Messung otoakustischer Emissionen (GOÄ Nr. 1409) ist (anders als die Ableitung akustisch evozierter Potentiale, s.o. Hirnstammaudiometrie) nicht vergütungsfähig. Dabei werden akustische Aussendungen des Ohres, genauer: der Haarzellen, durch ein hochempfindliches Mikrofon gemessen, also gerade nicht unmittelbar elektrische Potentiale abgeleitet, sondern es wird Schall gemessen (s. die Erläuterungen der Antragstellerin auf S. 32 ihres Gutachtens). Anders als das LSG Berlin-Brandenburg im erwähnten Beschluss vom 14.02.2017 ausführt, genügt es nach dem oben Dargelegten nicht, dass mittelbar, über die Erfassung von Antworten der Haarzellen, deren elektrische Aktivitäten geprüft werden. Dies träfe auf alle Erfassungen von durch elektrische Aktivitäten bedingten Funktionen zu, auch z.B. auf die Erhebung von Bewegungsmaßen, Ultraschalluntersuchungen des schlagenden Herzens (rein bildgebendes Verfahren, keine elektrophysiologische Untersuchung, LSG Nordrhein-Westfahlen, a.a.O.) sowie die oben beispielhaft erwähnten Untersuchungen etc. Auch der vom LSG Berlin-Brandenburg hervorgehobene Umstand der Erfassung von Antworten auf Reize und Signale ist kein entscheidender Gesichtspunkt, weil dies den Begriff elektrophysiologische Untersuchung nicht prägt. Denn auch Untersuchungen ohne solche Einflüsse gehören zu den elektrophysiologischen Untersuchungen, beispielsweise das Ruhe-Elektrokardiogramm (EKG), weil elektrische Potentiale abgeleitet werden.

Die Impedanzmessung (GOÄ Nr. 1407), gleich ob mit oder ohne Bestimmung des Stapediusreflexes, ist nicht vergütungsfähig. Mit dieser Untersuchung (Typanometrie) wird der mechanische Widerstand des Trommelfelles durch Druckveränderungen mittels einer Sonde, die u.a. mit einem Mikrofon ausgestattet ist, gemessen (Strutz/Mann, a.a.O., S. 13). Es wird also kein elektrisches Potential erfasst, sondern Schall. Nichts Anderes gilt, wenn (auch) der Stapediusreflex bestimmt wird. Entgegen der Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg im erwähnten Beschluss vom 14.02.2017 genügt es nicht, dass die Antwort des Nervus stapedius in Form eines Reflexes auf ein akustisches Signal (durch lauten Schall ausgelöste Kontraktion zum Schutz des Innenohres) gemessen wird. Dadurch wird zwar die durch elektrische Potentiale verursachte Kontraktion des Muskels erfasst, aber lediglich indirekt über die Messung der Schallreflektion des Trommelfells durch ein Mikrofon (Strutz/Mann, a.a.O., S. 31). Auch hier wird also Schall gemessen, nicht elektrische Aktivität.

Die kalorische Prüfung der Gleichgewichtsorgane (GOÄ Nr. 1412) ist nicht vergütungsfähig. Zur Provokation und Prüfung eines Nystagmus (die unwillkürlichen Bewegungen der Augen, Augenzittern) wird Wasser unterschiedlicher Temperatur in den äußeren Gehörgang eingebracht und die Reaktion der Augen visuell analysiert (vgl. Pschyrembel, a.a.O. Stichwort Gleichgewichtsprüfung), hier mittels Frenzel´scher Leuchtbrille (s. die Erläuterungen der Antragstellerin auf S. 44 ihres Gutachtens). Elektrische Potentiale werden in diesem Fall somit nicht (unmittelbar) erfasst. Ein ENG ist bei der kalorischen Prüfung nicht angefertigt worden. Dies hat die Antragstellerin in ihrer Rechnung ausdrücklich dargelegt (stattdessen wurde ein Video-Kopf-Impuls-Test durchgeführt, s.o.). Es bedarf deshalb mangels Vergütungsfähigkeit keiner Klärung, wie die jeweils doppelte Abrechnung der kalorischen Prüfung neben der ebenfalls jeweils doppelten Abrechnung der Frenzel-Brille (erneut GOÄ Nr. 1412) zu bewerten wäre.

Bei den abgerechneten endoskopischen Leistungen (Ohr, Rachen, Kehlkopf, GOÄ Nrn. 1415, 1418, 1530) ist ein Anknüpfungspunkt zur Ableitung elektrischer Potentiale ebenso wenig erkennbar, wie für das zur Vergütung verlangte Entfernen von Ohrenschmalz (GOÄ Nr. 1565). Diese Maßnahmen sind nicht nach Nr. 305 der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) JVEG vergütungsfähig.

Im Ergebnis ist von den 19 Abrechnungspositionen nach GOÄ lediglich die Hirnstammaudiometrie (BERA) nach Nr. 305 der Anlage 2 (zu § 10 Abs. 1) JVEG vergütungsfähig. Soweit die Antragstellerin die Gebührennummer zweimal ansetzt, ist dies indessen wiederum nicht möglich. Vielmehr ist nach der einschlägigen Kommentarliteratur (Brück/Klakow-Franck, Kommentar zur GOÄ, Loseblatt, Stand 01.12.2017; Wezel/Liebold, Kommentar zu EBM und GOÄ, Loseblatt, Stand 01.04.2013; Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar, 2. Auflage) der Ansatz dieser Abrechnungsposition nur einmal möglich, auch wenn - wie dies der Regelfall ist - beide Ohren untersucht werden. Im Ergebnis ist daher die von der Kostenbeamtin errechnete Vergütung von 1.206,14 EUR um 51,76 EUR auf 1.257,90 EUR zu erhöhen, hinzu kommt die gesetzliche Umsatzsteuer (239,00 EUR), so dass sich insgesamt ein Betrag von 1.496,90 EUR ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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