L 20 SO 431/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 263/17 WA
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 431/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.
Hat das Sozialgericht entschieden, ein Rechtsstreit sei wegen sog. fiktiver Klagerücknahme (§ 102 Abs. 2 SGG) erledigt, so ist Gegenstand des dagegen geführten Berufungsverfahrens allein die Frage, ob der Rechtsstreit erledigt ist. Eine Entscheidung über den geltend gemachten materiellen Anspruch ist in diesem Berufungsverfahren nicht möglich.
2.
Zu den Voraussetzungen einer fiktiven Klagerücknahme i.S.v. § 102 Abs. 2 SGG.
3.
Die zuzustellende Betreibensaufforderung ist nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu beglaubigen. Fehlt die Beglaubigung, handelt es sich nicht um eine wirksame Aufforderung i.S.v. § 102 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGG, und die Fiktion einer Klagerücknahme tritt nicht ein.
4.
Ist der Rechtsstreit bei nicht wirksamer Betreibensaufforderung nicht wegen fiktiver Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGG erledigt, so ist das erstinstanzliche Verfahren beim Sozialgericht fortzusetzen, ohne dass es im Urteil des Landessozialgerichts einer Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG bedarf. Im Berufungsverfahren als bloßem Zwischenstreit ist keine eigene Kostenentscheidung zu treffen; vielmehr entscheidet das Sozialgericht auch über die dortigen Kosten.
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 29.08.2017 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das ursprünglich bei dem Sozialgericht Duisburg unter dem Aktenzeichen S 2 SO 497/14 geführte Verfahren nicht durch Klagerücknahme beendet wurde und daher fortzuführen ist. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des Sozialgerichts vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um die Frage, ob die Klage erstinstanzlich (fiktiv) zurückgenommen wurde. Im zugrunde liegenden Klageverfahren begehrt die Klägerin im Rahmen der Eingliederungshilfe Leistungen der Studienbegleitung.

Die 1988 geborene Klägerin ist österreichische Staatsangehörige. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und einer dissoziativen Störung. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Ihre Eltern waren beide drogenabhängig. Der Vater starb an einer Überdosis, als die Klägerin vier Jahre alt war. Die Mutter litt zudem an einer bipolaren Störung. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte die Klägerin in unterschiedlichen Heimen, teilweise auch bei der Mutter und in einer Pflegefamilie sowie schließlich in verschiedenen Jugendwohngruppen. Die Schule verließ sie nach der 9. Klasse mit dem Hauptschulabschluss. Im Jahr 2013 erlangte sie die Fachhochschulreife. Ab dem 15.06.2011 bis zum 10.10.2011 erhielt sie durch den Beklagten Leistungen des Ambulant-betreuten Wohnens.

Am 16.09.2013 nahm die Klägerin an der Evangelischen Fachhochschule in C ein Studium der Sozialen Arbeit auf. Seit Studienbeginn traten bei ihr bis zu dreimal wöchentlich dissoziative Krampfanfälle auf. Während dieser Anfälle ist die Klägerin in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Es kommt zu einem "Neben-sich-Stehen" und "black-out-artigen Absencen". Die Klägerin beantragte daher am 20.12.2013 - noch unter ihrem damaligen Namen K I - bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Studienassistenz im Umfang von bis zu 26 Stunden pro Woche sowie für Blockseminare am Wochenende. Sie benötige Unterstützung während der dissoziativen Krampfanfälle, bei einem Anfall Begleitung an einen ruhigen Ort, emotionale Stabilisierung im Anschluss an die Krampfsituation sowie ggf. Begleitung nach Hause oder in eine Klinik.

Mit Bescheid vom 28.04.2014 lehnte der Beklagte die Kostenübernahme für eine Studienassistenz ab, weil eine ständige Begleitung für das etwaige Auftreten eines Anfalles nicht erforderlich sei. Den hiergegen von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies der Beklagte nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2014 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 19.11.2014 vor dem Sozialgericht Duisburg Klage (S 2 SO 497/14) erhoben, die sie erst nach mehrmaliger Erinnerung und einer ersten Betreibensaufforderung begründet hat. Nach Eingang der Klagebegründung am 26.08.2015 und Erwiderung des Beklagten forderte das Gericht die Klägerin am 08.02.2016 erneut zum Betreiben des Verfahrens auf. Der Bevollmächtigte der Klägerin teilte daraufhin am 09.05.2016 mit, dass diese ihren Namen in "G I" abgeändert habe. Das Gericht forderte mit Verfügung vom 10.05.2016 eine Liste der behandelnden Ärzte der Klägerin sowie eine Schweigepflichtsentbindungserklärung an. Unter dem 28.07.2016 und 30.08.2016 wurde die Klägerin an die Übersendung der angeforderten Unterlagen erinnert. Der Bevollmächtigte teilte daraufhin mit Schreiben vom 30.08.2016 mit, dass er in den letzten Wochen vergeblich versucht habe, die Klägerin zu erreichen. Mit Verfügung vom 29.09.2016 erinnerte das Gericht nochmals an die Übersendung der Schweigepflichtsentbindungserklärung.

Mit Verfügung vom 23.12.2016 forderte das Gericht die Klägerin schließlich abermals zum Betreiben des Verfahrens auf und erinnerte an die noch immer fehlenden angeforderten Unterlagen. Es wies darauf hin, dass die Klage als zurückgenommen gelte, wenn die Klägerin das Verfahren länger als drei Monate nicht betreibe. Der Klägerin wurde letztmalig die Gelegenheit gegeben, die angeforderten Unterlagen zu übersenden. Die Verfügung wurde mit vollem Namen durch die Kammervorsitzende unterschrieben. Ausweislich des Übertragungsprotokolls ging das einzig per Telefax gegen Empfangsbekenntnis übersandte, nicht mit einem Gerichtssiegel oder Beglaubigungsvermerk versehene Schreiben dem Bevollmächtigten der Klägerin am 23.12.2016 um 15.24 Uhr zu. Dieser unterzeichnete das Empfangsbekenntnis am 28.12.2016.

Mit Schreiben vom 29.03.2017, bei dem Sozialgericht Duisburg eingegangen am 31.03.2017, beantragte der Bevollmächtigte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Am 28.03.2017 sei eine Telefaxübertragung ausweislich des beigefügten Übertragungsprotokolls nicht möglich gewesen. Die technischen Einrichtungen des Bevollmächtigten zur Übersendung von Telefaxen seien einwandfrei funktionsfähig gewesen, wie das Übertragungsprotokoll, das (neben vergeblichen Übersendungsversuchen an das Sozialgericht) auch Telefaxe an andere Stellen ausweise, belege. Seinem Schreiben fügte der Bevollmächtigte einen Schriftsatz vom 28.03.2017 bei, in dem er erklärte, dass die Klägerin das Verfahren unbedingt fortführen wolle. Auf Grund der zwischenzeitlichen Niederkunft der Klägerin sei es bei ihr zu einer Überforderung gekommen. Die Schweigepflichtsentbindungserklärung und die Liste der behandelnden Ärzte habe er - der Bevollmächtigte - mehrfach als der Klägerin unzustellbar zurückerhalten. Zwischenzeitlich sei eine Übermittlung an die Klägerin per E-Mail erfolgt, und er gehe davon aus, dass die Erklärungen nun zeitnah überreicht werden könnten.

Die Kammervorsitzende stellte in einem Vermerk vom 31.03.2017 fest, dass sowohl am 28. als auch am 29.03.2017 bei dem Sozialgericht Duisburg Telefaxe ordnungsgemäß eingegangen seien und daher eine Störung am Gerät des Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegen haben müsse. Zudem sei das vom Bevollmächtigten angegebene Datum des Empfangsbekenntnisses falsch; denn laut Übertragungsprotokoll sei der Schriftsatz vom 23.12.2016 am selben Tag per Telefax übermittelt worden. Mit Abschlussverfügung vom 03.04.2017 wurde die Streitsache als zurückgenommen ausgetragen.

Mit Verfügung vom selben Tage wies die Kammervorsitzende den Bevollmächtigten der Klägerin darauf hin, dass bereits die Übermittlungsversuche vom 28. und 29.03.2017 verspätet gewesen seien, weil die Betreibensaufforderung dem Bevollmächtigten schon am 23.12.2016 zugegangen sei. Die am 31.03.2017 beim Gericht eingegangen Schreiben seien nicht geeignet, den Fristablauf zu verhindern. Denn die Schweigepflichtsentbindungserklärung sei nach wie vor nicht übersandt worden.

Der Bevollmächtigte der Klägerin trat mit Schreiben vom 04.04.2017 der vom Gericht geäußerten Rechtsauffassung entgegen. Zum Zeitpunkt der Übersendung der Betreibensaufforderung am 23.12.2016 habe er die Kanzleiräume bereits verlassen gehabt. Es komme nicht auf den Zugang, sondern auf seine Kenntnisnahme an. Diese sei am 28.12.2016 nach Beendigung des Weihnachtsurlaubes erfolgt.

Nach einem erfolglosen Ablehnungsgesuch gegen die Kammervorsitzende ließ diese das Verfahren am 24.05.2017 unter dem Aktenzeichen S 2 SO 263/17 WA neu eintragen. Mit Schreiben vom 14.07.2017 hörte sie die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid unter Setzung einer Stellungnahmefrist bis zum 07.08.2017 an.

Anträge haben die Beteiligten in dem wiederaufgenommenen Verfahren nicht gestellt.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.08.2017 hat das Sozialgericht festgestellt, dass die Klage mit dem Aktenzeichen S 2 SO 497/14 erledigt sei. Der Schriftsatz vom 28.03.2017 sei am 31.03.2017 und damit verspätet eingegangen. Bei der dreimonatigen Frist zum Betreiben des Verfahrens handele es sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht gewährt werden könne. Zudem seien am 28.03.2017 bei dem Sozialgericht problemlos Schriftsätze per Telefax eingegangen. Schließlich sei der Schriftsatz vom 28.03.2017 auch nicht geeignet, die Wirkung des Fristablaufs zu beseitigen; denn auch damit habe die Klägerin die Auflage zur Übersendung einer Schweigepflichtsentbindungserklärung nebst Liste ihrer behandelnden Ärzte nicht erfüllt. Die Klagerücknahmefiktion sei daher eingetreten.

Hiergegen hat die Klägerin am 26.09.2017 Berufung eingelegt und zur Begründung auf das erstinstanzliche Vorbringen verwiesen.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 29.08.2017 aufzuheben und festzustellen, dass das Klageverfahren mit dem Aktenzeichen S 2 SO 497/14 nicht erledigt ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Auf Aufforderung des Senats hat der Bevollmächtigte der Klägerin eine Kopie des Original-Telefaxes vom 23.12.2016 an das Gericht übersandt; hierauf wird Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet.

A. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Frage, ob der Rechtsstreit S 2 SO 497/14 durch Klagerücknahme erledigt ist. Denn nur über diese Frage hat das Sozialgericht in seinem Gerichtsbescheid vom 29.08.2017 entschieden. Das Landessozialgericht prüft nach § 157 S. 1 SGG den Streitfall im gleichen Umfang wie das Sozialgericht. Eine Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Studienbegleitung ist daher im jetzigen Berufungsverfahren von vornherein nicht möglich (so auch LSG NRW, Urteil vom 19.05.2017 - L 17 U 315/16; Burkiczak in jurisPK-SGG, § 102, Rn. 100, Stand: 30.04.2018).

B. Mit dem so verstandenen Berufungsbegehren ist die Klägerin erfolgreich. Das erstinstanzliche Klageverfahren wurde nicht durch eine fiktive Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG beendet. Denn zwar lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Fiktion einer Klagerücknahe vor (dazu unter I.). Jedoch erfüllte die Betreibensaufforderung des Sozialgerichts nicht die notwendigen formellen Voraussetzungen, um eine Frist für die Klagerücknahmefiktion wirksam in Gang zu setzen. (dazu unter II.).

I. Nach § 102 Abs. 2 SGG gilt eine Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt (Satz 1). Eine solche fiktive Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (Satz 2 i.V.m. Abs. 1 S. 2 der Vorschrift). Der Kläger ist in der Betreibensaufforderung auf die sich nach Satz 1 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen (Satz 3).

1. Die Klägerin hat das Klageverfahren S 2 SO 497/14 länger als drei Monate nicht betrieben. Sie wurde mit gerichtlichen Verfügungen vom 10.05.2016, 28.07.2016, 30.08.2016 und 29.09.2016 aufgefordert bzw. erinnert, eine Schweigepflichtentbindungserklärung sowie eine Liste der sie behandelnden Ärzte vorzulegen. Dieser Aufforderung ist sie nicht nachgekommen. Das Gericht hat sie daher schließlich - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG - mit Betreibensaufforderung vom 23.12.2016 letztmalig zum Übersenden der genannten Unterlagen aufgefordert und ihr eine Frist von drei Monaten gesetzt. Diese Frist ist verstrichen, ohne dass die angeforderten Unterlagen vorgelegt wurden.

2. Dabei kann dahinstehen, ob die Frist bereits am 23.12.2016 (mit Eingang der Betreibensaufforderung in den Kanzleiräumen des Bevollmächtigten der Klägerin) oder erst am 28.12.2016 (mit der tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Bevollmächtigen) zu laufen begann. Ebenso mag offen bleiben, ob am 28.03.2017 ein Telefax des Bevollmächtigten der Klägerin aus Gründen nicht übermittelt werden konnte, die nicht der Klägerin, sondern allein dem Sozialgericht zuzurechnen waren, und ob in einem solchen Fall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist.

Denn bei Zugrundelegung sämtlicher denkbaren Fristabläufe (zwischen dem 23. und dem 28.03.2017) lag in jedem Fall ein Nichtbetreiben des Verfahrens i.S.d. § 102 Abs. 2 S. 1 SGG vor. Ein solches Nichtbetreiben ist anzunehmen, wenn ein Kläger sich auf eine deutliche und in den Handlungsaufträgen konkrete Aufforderung innerhalb von drei Monaten nicht oder nur unzureichend äußert und deshalb hinreichende Indizien dafür bestehen, dass sein Rechtsschutzbedürfnis wegen Interesselosigkeit am Verfahren weggefallen ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 102 Rn. 8a, unter Verweis auf BT-Drs. 16/7716 S. 19). Die Klägerin hat trotz mehrfacher und hinreichend klarer Aufforderung des Sozialgerichts, eine Schweigepflichtsentbindungserklärung nebst Liste der sie behandelnden Ärzte vorzulegen, die angeforderten Unterlagen nicht übersandt. Diese wären aber notwendig gewesen, damit das Gericht die erforderlichen (medizinischen) Ermittlungen hätte vornehmen können, um in dem Verfahren zu einer sachgerechten Entscheidung zu gelangen. Das Sozialgericht durfte daher vom Wegfall des Rechtschutzinteresses der Klägerin ausgehen.

3. Daran ändert insbesondere auch die Erklärung des Bevollmächtigten, die Klägerin wolle das Verfahren unbedingt fortführen, nichts. Ein Fortbestehen des Rechtschutzinteresses wird dem Gericht gegenüber dadurch nicht hinreichend dokumentiert. Das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 04.04.2017 - B 4 AS 2/16 R Rn. 32 f.) hat zwar offen gelassen, ob die Äußerung eines Klägers, er wolle das Verfahren weiter betreiben, wolle und könne sich zur Sache aber nicht weiter äußern, grundsätzlich geeignet sei, ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse darzulegen. Jedenfalls aber reiche es nicht aus, wenn ein Kläger seiner Ankündigung, sich weiter äußern zu wollen, keine Taten folgen lässt.

So aber liegt der Fall hier. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat im Schriftsatz vom 28.03.2017 zwar angekündigt, die angeforderten Unterlagen nunmehr zeitnah zu übersenden. Indes ist eine Übersendung bis zum heutigen Tag nicht erfolgt. Damit liegen die Voraussetzungen für die Annahme des Sozialgerichts vor, dass das Rechtschutzinteresse der Klägerin (i.S.v. 102 Abs. 2 Satz 1 SGG) entfallen sei.

4. Im Übrigen scheidet bereits aus diesem Grund auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs. 1 SGG) aus. Sofern man bei Versäumung der Ausschlussfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG eine Wiedereinsetzung überhaupt für möglich hält (str.; bejahend - nur - für enge Ausnahmefällen (höhere Gewalt) Burkiczak in jurisPK-SGG, § 102 Rn. 82, Stand: 30.04.2018; ferner Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 102 Rn. 8a), hat die Klägerin jedenfalls die versäumte Rechtshandlung noch gar nicht und damit auch nicht innerhalb der Frist des § 67 Abs. 2 SGG nachgeholt.

II. Die Betreibensaufforderung entsprach jedoch nicht den für sie zwingend geltenden Formerfordernissen.

Eine Betreibensaufforderung erzeugt nur dann Wirkungen für die Beteiligten, wenn sie vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet wurde. Ein den Namen abkürzendes Handzeichen (Paraphe) genügt als Unterschrift schon wegen der sich ggf. ergebenden, einschneidenden Rechtsfolgen nicht. Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf handelt, und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht. Hierüber muss bei einer Betreibensaufforderung auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Deshalb muss nicht nur die Aufforderung vom zuständigen Richter verfügt und (im in der Akte verbleibenden Original) unterschrieben sein; auch die dem Betroffenen übermittelte Ausfertigung/beglaubigte Abschrift muss den vollen Namen des Richters wiedergeben und damit ausweisen, dass sie von dem Richter stammt. Im Übrigen ist die Aufforderung - als eine Anordnung, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird - gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 SGG zuzustellen (vgl. zu diesen Voraussetzungen BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R Rn. 49 m.w.N.; daran anschließend auch BSG, Urteil vom 04.04.2017 - B 4 AS 2/16 R Rn. 23).

1. Die Kammervorsitzende des Sozialgerichts hat die Betreibensaufforderung vom 23.12.2016 zwar mit vollem Namen unterzeichnet, und auch die an den Bevollmächtigten der Klägerin übermittelte Abschrift hiervon gab diesen vollen Namen wieder.

2. Es fehlt jedoch an einer ordnungsgemäßen, formgerechten Zustellung der Betreibensaufforderung.

Gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 SGG erfolgt die Zustellung nach den Vorschriften der ZPO. Dem Bevollmächtigten der Klägerin wurde die Betreibensaufforderung vom 23.12.2016 ausweislich der in den Akten befindlichen Leseabschrift (einzig) per Telefax gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Eine solche Art der Zustellung ist grundsätzlich möglich. Denn nach § 174 Abs. 1 ZPO kann ein Schriftstück an einen Rechtsanwalt gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Nach Abs. 2 der Vorschrift ist dies auch durch Telekopie möglich (Satz 1); die Übermittlung soll mit dem Hinweis "Zustellung gegen Empfangsbekenntnis" eingeleitet werden und die absendende Stelle, den Namen und die Anschrift des Zustellungsadressaten sowie den Namen des Justizbediensteten erkennen lassen, der das Dokument zur Übermittlung aufgegeben hat.

Zwar enthielt das übermittelte Schreiben vom 23.12.2016 (das im Übrigen die absendende Stelle, die Angaben zum Zustellungsadressaten sowie den tätig gewordenen Bediensteten benannte) lediglich den Zusatz "Nur per Telefax gegen Empfangsbekenntnis", nicht zugleich jedoch das Wort "Zustellung". Als Übersendung gegen Empfangsbekenntnis an einen Rechtsanwalt reicht dies jedoch aus; dem bevollmächtigen Rechtsanwalt musste schon angesichts des erbetenen Empfangsbekenntnisses klar sein und war auch klar, dass es sich um eine (fristauslösende) Zustellung handelt.

2. Das Sozialgericht hat jedoch die Vorschrift des § 169 ZPO nicht beachtet. Nach § 169 Abs. 2 S. 1 ZPO wird die Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke von der Geschäftsstelle vorgenommen. Hieraus folgt, dass das zuzustellende Schriftstück von der Geschäftsstelle zu beglaubigen ist. Nach Abs. 3 der Vorschrift kann eine in Papierform zuzustellende Abschrift auch durch maschinelle Bearbeitung beglaubigt werden (Satz 1). Anstelle der handschriftlichen Unterzeichnung ist die Abschrift mit dem Gerichtssiegel zu versehen (Satz 2). Dasselbe gilt, wenn eine Abschrift per Telekopie zugestellt wird (Satz 3).

Das Sozialgericht hat dem Bevollmächtigten der Klägerin jedoch keine nach dieser Maßgabe beglaubigte Abschrift der Verfügung vom 23.12.2016 übermittelt. Entsprechende Vorgaben sind schon der Verfügung der Kammervorsitzenden nicht zu entnehmen; weder hat sie verfügt, das Aufforderungsschreiben zuzustellen, noch, dass dieses beglaubigt werde. Dementsprechend enthält die Kopie des Originalschreibens, das dem Bevollmächtigten der Klägerin am 23.12.2016 per Telefax zuging, weder einen handschriftlich unterzeichneten Beglaubigungsvermerk noch ein entsprechendes Gerichtssiegel.

Die Beglaubigung ist jedoch ein wesentliches Erfordernis einer Zustellung (vgl. nur BGH, Urteil vom 15.04.1957 - II ZR 23/56 Rn. 4; Urteil vom 22.12.2015 - VI ZR 79/15 Rn. 13). Fehlt sie, ist die Zustellung der dann nur "einfachen" Abschrift unwirksam (vgl. zu dieser Rechtsfolge nur Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 33. Auflage 2012, § 169 Rn. 9, sowie Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 169 Rn. 12).

3. Mangels Beglaubigung der dem Bevollmächtigten der Klägerin übermittelten Abschrift der Betreibensaufforderung vom 23.12.2016 erfüllt diese nicht die Anforderungen an eine wirksame Aufforderung nach § 102 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGG. Die tatsächlich übermittelte Aufforderung konnte deshalb die Fiktion einer Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGG von vornherein nicht auslösen.

III. War die Betreibensaufforderung vom 23.12.2016 unwirksam und wurde das erstinstanzliche Verfahren nicht durch Klagerücknahme beendet, so ist der ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 2 SO 497/14 erfasste Rechtsstreit beim Sozialgericht fortzusetzen, ohne dass es einer Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG bedarf (zu dieser Rechtsfolge vgl. LSG NRW, Urteil vom 19.05.2017 - L 17 U 315/16 Rn. 21; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.03.2017 - L 18 AS 2584/16 Rn. 18; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.04.2013 - L 5 KR 605/12 Rn. 36; LSG Sachsen, Urteil vom 28.02.2013 - L 7 AS 523/09 Rn. 27 f.; LSG Bayern, Urteil vom 12.07.2011 - L 11 AS 582/10 Rn. 21; ferner Burkiczak, a.a.O., § 102 Rn. 100, Stand: 30.04.2018; Groth in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Auflage 2016, VIII 6.1.1 Rn. 76a; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.07.2012 - L 7 AS 776/11 Rn. 28; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2011 - L 11 KR 1429/11 Rn. 28; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.06.2010 - L 5 AS 217/10 Rn. 20). Ist allein die Frage, ob das Sozialgericht zu Recht den Eintritt der Rücknahmefiktion festgestellt hat, Gegenstand der Überprüfung in der Berufungsinstanz, wird mit der Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 29.08.2017 das erstinstanzliche Verfahren unmittelbar wieder in den Stand versetzt, in dem es sich vor seiner nur vermeintlichen Erledigung (i.S.v. § 102 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 2 SGG) befand.

C. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, weil der Fortsetzungsstreit kein Rechtsmittel, sondern ein Zwischenstreit ist (vgl. LSG Sachsen, Urteil vom 28.02.2013 - L 7 AS 523/09 Rn. 30; LSG NRW, Urteil vom 19.05.2017 - L 17 U 315/16 Rn. 22).

D. Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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