Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 50 KN 409/16 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 783/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 13/18 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.11.2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligen streiten um das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld für die Zeit vom 17.5. bis 29.5.2016.
Die 1966 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin war bis April 2015 als Haushaltshilfe beschäftigt. Am 2.1.2015 stellte Dr. L auf M Arbeitsunfähigkeit wegen F 48.0 G und F 32.9 G fest (Erstbescheinigung). Danach wurden die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (fortan: AU-Bescheinigungen) von dem Hausarzt und Knappschaftsarzt Dr. H in N ausgestellt, bei dem sich die Klägerin schon seit Jahren in hausärztlicher Behandlung befand. AU-Bescheinigungen hatte die Klägerin in der Vergangenheit immer persönlich bei der Beklagten abgegeben. Dr. H erklärte ihr dann Anfang 2016, seine Praxis werde die AU-Bescheinigungen nun an die Beklagte senden. Er bestätigte auf Nachfrage der Klägerin, dass dies seine gute Ordnung habe. Dr. H attestierte am 18.4.2016 Arbeitsunfähigkeit bis zum 16.5.2016 und am 17.5.2016 Arbeitsunfähigkeit bis zum 30.6.2016. Er verschickte die AU-Bescheinigung vom 17.5.2016 zusammen mit AU-Bescheinigungen anderer Patienten in einem ihm von der Beklagten zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten voradressierten Freiumschlag.
Die AU-Bescheinigung vom 17.5.2016 wurde am 30.5.2016 im Kompetenz-Center Digitalisierung (KCD) der Beklagten in F gescannt. Die Adresse des KCD stimmt mit der auf den Freiumschlägen genannten Adresse überein. Für jede gescannte AU-Bescheinigung wird eine digitale Akte angelegt, in der das Scan-Datum gespeichert wird. Dies ermöglicht z.B. eine spätere Reproduktion der AU-Bescheinigung mit oder ohne den Aufdruck des Scan-Datums.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 10.6.2016 das Ruhen des Krankengeldanspruchs vom 17.5. bis 29.5.2016 fest, da die Arbeitsunfähigkeit erst am 30.5.2016 angezeigt worden sei. Mit ihrem am 15.6.2016 eingegangenen Widerspruch trug die Klägerin vor, Dr. H habe ihr versichert, dass die AU-Bescheinigung rechtzeitig versandt worden sei. Sie sei sich keiner Schuld bewusst. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.7.2016 als unbegründet zurück. Die AU-Bescheinigung sei erst am 30.5.2016 bei der Geschäftsstelle eingegangen. Die Klägerin habe die Folgen des verspäteten Zugangs zu tragen.
Mit ihrer am 11.8.2016 erhobenen Klage hat die Klägerin erklärt, Dr. H habe ihr zugesichert, die AU-Bescheinigungen zweimal wöchentlich direkt an die Hauptgeschäftsstelle der Beklagten zu senden. Anhand des Scan-Stempels der Beklagten sei nicht ersichtlich, wann das gescannte Originaldokument tatsächlich bei der Beklagten eingegangen sei. Sie habe nach dem hier streitgegenständlichen Zeitraum die AU-Bescheinigungen wieder selbst bei der Beklagten abgegeben.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.6.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.7.2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 17.5.2016 bis 29.5.2016 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erläutert, sukzessive das Dokumentenmanagementsystem (DMS) einzuführen. Eine Komponente dessen sei der virtuelle Postkorb, dem die Eingangspost zugeführt werde, indem sie im KCD eingescannt werde. Die Vertragsärzte seien grundsätzlich darüber informiert, dass die AU-Bescheinigungen an das KCD zu senden seien. Die dort eingehenden Bescheinigungen scanne man am Tag des Eingangs. Um dies sicherzustellen habe sie mit der Deutschen Post AG vereinbart, dass diese die beim Briefzentrum eingehenden Briefe am selben Tag ausliefere, ohne einen Briefträger zwischenzuschalten. Im KCD werde die Post maschinell geöffnet und dann händisch sortiert. Die AU-Bescheinigungen stapele man getrennt von der anderen Post und bearbeite sie vorrangig, an jedem Tag bis spätestens um 9:30 Uhr. Parallel zur Sortierung scanne ein Hochleistungsscanner die AU-Bescheinigungen und bringe eine Paginierung an. Aus ihrer Sicht sei ein gesonderter Eingangsstempel nicht erforderlich, da der Scan taggenau zum Eingang der Bescheinigung erfolge. Die tägliche Anlieferung durch die Deutsche Post sei mit der Ausnahme von Arbeitskampfmaßnahmen immer zuverlässig und taggenau erfolgt. Im vorliegenden Fall sei die AU-Bescheinigung der Klägerin (Paginiernummer 2237) zusammen mit anderen AU-Bescheinigungen der Praxis H (Paginiernummern 2238-2243) eingegangen, gescannt und paginiert worden. Da die AU-Bescheinigung 2241 am 13.5.2016 und die AU-Bescheinigung 2243 am 24.5.2016 ausgestellt worden sei, sei davon auszugehen, dass alle AU-Bescheinigungen in einem Brief bei ihr eingegangen und nicht vor dem 24.5.2016 losgeschickt worden seien. Das System der Freiumschläge habe sie Ende der 90-iger Jahre vor dem Hintergrund des § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) als Service für die Ärzte eingeführt, aber im Juni 2016 aufgegeben. Eine Vereinbarung, die den Ärzten die - grundsätzlich den Versicherten obliegende - Pflicht zur Übersendung der AU-Bescheinigungen auferlege, habe es nie gegeben. Der Service der Ärzte erfolge also weder in ihrem Auftrag noch auf ihre Veranlassung. Auch sei nie vereinbart worden, dass man AU-Bescheinigungen sammeln und gebündelt versenden könne, was in der Praxis aber häufig geschehen sei. Das Verschulden der Ärzte sei ihr nicht anzulasten.
Dr. H hat auf Nachfrage des SG angegeben, die fragliche AU-Bescheinigung mit einem Freiumschlag der Beklagten an diese geschickt zu haben. Dies sei damals so üblich gewesen, schließlich sei er Knappschaftsarzt. Zwar sei es denkbar, dass er sie frühestens am 24.5.2016 an die Beklagte gesandt habe. Dies sei aber unwahrscheinlich, da er die AU-Bescheinigungen i.d.R. 3mal wöchentlich verschickt habe.
Im Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht der Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung antragsgemäß stattgegeben und die Berufung zugelassen: Zwar sei davon auszugehen, dass die AU-Bescheinigung vom 17.5.2016 nicht innerhalb der Wochenfrist bei der Beklagten eingegangen sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe Krankengeldansprüche in Fällen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aber in Ausnahmefällen anerkannt, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und Zumutbare getan habe, um seine Ansprüche zu wahren, er daran durch eine Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert worden sei und der Versicherte zusätzlich seine Rechte spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend gemacht habe. Bereits mit Urteil vom 28.10.1981 (3 RK 59/80) habe das BSG festgestellt, dass sich die Krankenkasse dann nicht auf den verspäteten Zugang der AU-Bescheinigung berufen könne, wenn dies auf Umständen beruhe, die in ihren Verantwortungsbereich fielen. Die Klägerin habe hier alles in ihrer Macht stehende zur Sicherung ihres Anspruchs getan und angesichts der Ausführungen des Dr. H auch darauf vertrauen dürfen, dass dieser die AU-Bescheinigung rechtzeitig an die Beklagte schicken werde. Die Übersendung durch den Vertragsarzt sei von der Beklagten durch das Zurverfügungstellen der Freiumschläge veranlasst worden. Da diese anhand der in Freiumschlägen eingehenden AU-Bescheinigungen auch erkannt habe, dass das von ihr initiierte Verfahren genutzt werde, habe sie gewusst, dass der Versicherte keinen Einfluss auf den Prozess habe und müsse sich mögliche Probleme zuzurechnen lassen.
Mit ihrer Berufung vom 7.12.2017 hat die Beklagte ihr Vorbringen wiederholt und vertieft.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.11.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das erstinstanzliche Urteil.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Bescheid vom 10.6.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.7.2016 zu Recht stattgegeben. Denn die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 S.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat für die Zeit vom 17.5. bis 29.5.2016 Anspruch auf Krankengeld.
Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld ergeben sich aus den Regelungen des Zweiten Titels des Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels des SGB V (§§ 44 ff. SGB V), die hier in der mit dem 23.07.2015 in Kraft getretenen Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (BGBl. I 2015, 1211-1244; BR-Drs. 641/14) zur Anwendung gelangen. Danach setzt der Anspruch auf Krankengeld zunächst voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ärztlich festgestellt wurde und sie weiterhin gegen das Risiko der Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten versichert gewesen ist (vgl. § 44 Abs. 1 SGB V). Dr. H hat am 17.5.2016 Arbeitsunfähigkeit bis zum 30.6.2016 festgestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht mit einen Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen wäre, liegen nicht vor und wurden von der Beklagten auch nicht behauptet.
Ein Ruhen des Krankengeldanspruches nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ist in der Zeit vom 17.5.2016 bis 29.5.2016 nicht eingetreten.
Gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.
Zwar kann die Klägerin den Zugang der AU-Bescheinigung innerhalb einer Woche seit dem 17.5.2016 nicht nachweisen. Auch scheidet eine Wiedereinsetzung in die Wochenfrist aus, weil es sich bei dieser um eine Ausschlussfrist handelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 22; Brinkhoff in jurisPK-SGB V, Stand: 23.02.2016, § 49 Rn. 47 m.w.N.; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Erg.-Lfg. 10/14 X/14, K § 49 Rn. 63).
Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat in diesem Zusammenhang (wie auch schon in seinem Urteil vom 2.1.2018 - L 5 KR 265/17, anhängig unter B 3 KR 6/18 R) anschließt, ist es der Beklagten hier jedoch verwehrt, sich auf den Fristablauf zu berufen.
Grundlage dafür ist das in dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurzelnde Institut der Nachsichtgewährung. Eine Nachsichtgewährung kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 20, 22 m.w.N.) in Betracht, wenn dafür besondere Gründe vorliegen und die vom Gesetzgeber mit der Ausschlussfrist verfolgten Ziele und die dabei zu berücksichtigenden Interessen nicht entgegenstehen. Denn in solchen Fällen kann sich die Berufung des Versicherungsträgers auf die Ausschlussfrist als rechtsmissbräuchlich darstellen (vgl. BSG a.a.O. Rn. 22). Sinn und Zweck des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ist es - ebenso wie des § 46 S. 1 SGB V -, Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung einer Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen können (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 R Rn. 14 f., 17).
Davon ausgehend hat das BSG (Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 23 ff.) für die Vorgängerregelung zu § 49 Nr. 5 SGB V (§ 216 Abs. 3 RVO) und in nachfolgenden Entscheidungen zu § 49 Nr. 5 SGB V (vgl. etwa BSG, Urteil vom 8.11.2005 - B 1 KR 30/04 R Rn. 15 ff.) zwar entschieden, dass die Meldeobliegenheit - ebenso wie § 46 S. 1 SGB V - stets strikt auszulegen ist (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 35/14 R m.w.N.) und sich Versicherte bei unterbliebener oder verzögerter Meldung auch nicht auf fehlendes (eigenes) Verschulden (etwa wegen unvorhersehbar langer Postlaufzeiten) berufen können (vgl. Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 23 und Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 Rn. 17 - jeweils m.w.N.).
Daraus, dass das Gesetz die Meldung der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuweist, ergibt sich jedoch nicht, dass der Krankenkasse kein eigener Verantwortungsbereich mehr verbleibt. Vielmehr kann der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes unter Umständen dem Ruhen des Krankengeldanspruches entgegenstehen. Ein Ruhen des Krankengeldanspruchs ist nicht gerechtfertigt, wenn ein Versicherter die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig "gemeldet" hat, der Zugang der Meldung aber durch Umstände verhindert oder verzögert wurde, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 24).
Die Voraussetzungen für eine Nachsichtgewährung bei Versäumung der Meldefrist hat das BSG (Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 R Rn. 22) folgendermaßen konkretisiert: Hat der Versicherte alles in seiner Macht stehende und ihm Zumutbare getan, um seine Ansprüche zu wahren, wurde er daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert und macht er seine Rechte bei der Kasse unverzüglich (spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend, kann er sich auf die Fehlentscheidung auch zu einem späteren Zeitpunkt berufen.
Diese Kriterien entsprechen im Wesentlichen auch den Grundsätzen, die in der neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 22/15 R) zu der gleich gelagerten (s.o.) Bestimmung des § 46 S. 1 SGB V entwickelt worden sind und finden auch auf den hier vorliegenden Fall Anwendung. Danach hat die Klägerin im vorliegenden Fall alles ihr Mögliche und Zumutbare getan, um ab dem 17.5.2016 wieder einen Anspruch auf Krankengeld zu haben.
Die Klägerin hat sich am 17.5.2016 in die Praxis des Dr. H begeben, wo sie weiter bis zum 30.6.2016 arbeitsunfähig geschrieben wurde. Nach den glaubhaften Aussagen der Klägerin hatte diese die AU-Bescheinigungen immer selbst bei der Beklagten abgegeben bis ihr Dr. H Ende 2015/ Anfang 2016 mitteilte, dass er die AU-Bescheinigungen von seiner Praxis aus in Freiumschlägen, die ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellt worden seien, rechtzeitig an diese schicken werde. Dr. H war der Klägerin seit Jahren als Hausarzt bekannt und ist Knappschaftsarzt. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass die Klägerin der Auskunft ihres Arztes nicht hätte vertrauen dürfen. Die Klägerin hat sogar nachgefragt, ob dieses Procedere in Ordnung sei. Dies hat Dr. H zugesichert und erklärt, er versende die AU-Bescheinigungen zweimal wöchentlich an die Beklagte. Dr. H, der die Angaben der Klägerin bestätigt, hat sogar angegeben, die AU-Bescheinigungen dreimal wöchentlich an die Beklagte zu versenden. Vor diesem Hintergrund überspannte es die an die Klägerin zu stellenden Sorgfaltsanforderungen, wenn man von ihr verlangte, sie hätte sich entgegen der bisher geübten - und zumindest nach ihrem Erkenntnishorizont von der Beklagten gebilligten - Praxis eine Kopie der AU-Bescheinigung von Dr. H bzw. dessen Mitarbeitern aushändigen lassen und diese an die Beklagte schicken müssen.
Eine (Fehl)Entscheidung der Beklagten, die die Klägerin im vorliegenden Fall daran hinderte, ihren Krankengeldanspruch zu wahren, liegt ebenfalls vor. Denn die Praxis der Beklagten, Dr. H Freiumschläge zur Übermittlung von AU-Bescheinigungen an sie zu überlassen, hinderte die Klägerin an der Wahrung ihres Krankengeldanspruches.
Die Beklagte hat mit der Überlassung der Freiumschläge an Vertrags- bzw. Knappschaftsärzte deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Erfüllung der Meldeobliegenheit für ihre Versicherten erleichtern wollte, indem sie einen kostenfreien Meldeweg über den Vertrags-/Knappschaftsarzt eröffnete. Ist dies der Fall, erscheint es unabhängig von zivilrechtlichen Zurechnungsregeln - offenbar treuwidrig, sich darauf zu berufen, wenn auf diesem von ihr (ohne Not) eröffneten besonderen Übermittlungsweg ein Fehler passiert, der zur Versäumung der Meldefrist führt.
Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu dem Grundsatz, dass das Risiko einer fehlenden oder verspäteten Übermittlung einer AU-Bescheinigung (grundsätzlich) den Versicherten zur Last fällt. Der allein maßgebende, eine abweichende Beurteilung rechtfertigende Unterschied liegt darin, dass die Beklagte einen gesonderten Übermittlungsweg für die Versicherten eröffnet hat. Auch wenn dieser nicht verpflichtend war, hat sie damit die Übermittlung und damit auch das Risiko eines Versagens aus der Sphäre der Versicherten in ihre Sphäre überführt.
Den Einwand der Beklagten, die Übersendung der Bescheinigungen für die Versicherten stelle in dem vorliegenden Zusammenhang eine reine Serviceleistung der Ärzte dar, die weder im Auftrag noch auf Veranlassung der Beklagten erfolge, sondern von den Ärzten eigenverantwortlich angeboten und durchgeführt werde, ist kaum noch nachvollziehbar. Es stellt schlichtweg ein gröblich widersprüchliches Verhalten dar, durch die Überlassung von Freiumschlägen einen gesonderten - und damit offenbar gewünschten - Übermittlungsweg zu eröffnen, gleichzeitig aber zu behaupten, dies nicht veranlasst zu haben, wenn dieser Übermittlungsweg dann beschritten wird. Von einer ärztlichen Serviceleistung könnte allenfalls dann gesprochen werden, wenn Dr. H die Übersendung der AU-Bescheinigung eigenständig initiiert und auf eigene Kosten übernommen hätte. So verhält es sich hier jedoch unstreitig gerade nicht.
Ob in der Überlassung der Freiumschläge ein Auftrag im zivilrechtlichen Sinne zu sehen oder Dr. H als Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe tätig geworden sein könnte, bedarf keiner Erörterung. Auch um die Zurechnung eines (etwaigen) vertragsärztlichen Fehlverhaltens geht es nicht. Es kommt allein darauf an, dass die Beklagte selbst rein tatsächlich eine Ursache gesetzt hat, die eine Berufung auf die Versäumung der Meldefrist treuwidrig erscheinen lässt.
Klarstellend ist mit Blick auf das Urteil des BSG vom 04.03.2014 - B 1 KR 17/13 R, wonach ein vertragsärztliches Fehlverhalten nicht ohne weiteres der Krankenkasse zugerechnet werden kann, darauf hinzuweisen, dass es sich dort um ein von der Krankenkasse nicht veranlasstes vertragsärztliches Fehlverhalten handelte. Auf (möglicherweise) parallel bestehende, unsichere Regressansprüche gegen Vertragsärzte müssen sich Versicherte - und damit hier die Klägerin - grundsätzlich nicht verweisen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 22/15 R).
Auf die Frage, ob die Klägerin die Meldung ohne schuldhaftes Zögern innerhalb der Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nachgeholt hat, kommt es entgegen der Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil nicht an, da der Beklagten bei Erteilung des Bescheids vom 10.6.2016 die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 17.5.2016 bereits vorlag.
Da sich die Beklagte nicht auf den verspäteten Zugang der AU-Bescheinigung berufen kann, kann der Senat die Frage, ob die Beklagte den Ruhenszeitraum richtig berechnet hat, dahin stehen lassen. Er geht zwar im vorliegenden Fall davon aus, dass die AU-Bescheinigung am Eingangstag auch gescannt worden ist, weist aber dennoch darauf hin, dass die Beklagte über das in der elektronischen Akte gespeicherte und nach ihren Angaben unabänderliche Scan-Datum grundsätzlich nur nachweisen kann, dass die AU-Bescheinigung am 30.5.2016 gescannt worden ist. Dies belegt aber nicht zwingend, dass die AU-Bescheinigung auch am gleichen Tag bei ihr eingegangen ist. Denn bei dem maschinellen Scannen steht zum einen nicht die Frage des Eingangs der Bescheinigung, sondern die Digitalisierung des Originals im Focus. Diese wird zum anderen durch einen Scanner vorgenommen; eine Maschine, die zur Prüfung des Eingangsdatums der AU-Bescheinigung gar nicht in der Lage ist. Schließlich erfolgt das Scannen nicht unmittelbar nach dem Eingang. Vielmehr sind dem Scannen nach dem von der Beklagten geschilderten üblichen Geschehensablauf noch das maschinelle Sortieren der Post, das händische "bevorzugte" Aussortieren sowie das Stapeln der AU-Bescheinigungen zur Vorbereitung des Scan-Vorgangs vorgelagert. Somit fehlt es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Eingang und dem Scannen der AU-Bescheinigungen, der zu bejahen wäre, wenn man unmittelbar nach dem Öffnen der Post einen Eingangsstempel anbrächte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1 S. 1, 183 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen; § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligen streiten um das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld für die Zeit vom 17.5. bis 29.5.2016.
Die 1966 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin war bis April 2015 als Haushaltshilfe beschäftigt. Am 2.1.2015 stellte Dr. L auf M Arbeitsunfähigkeit wegen F 48.0 G und F 32.9 G fest (Erstbescheinigung). Danach wurden die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (fortan: AU-Bescheinigungen) von dem Hausarzt und Knappschaftsarzt Dr. H in N ausgestellt, bei dem sich die Klägerin schon seit Jahren in hausärztlicher Behandlung befand. AU-Bescheinigungen hatte die Klägerin in der Vergangenheit immer persönlich bei der Beklagten abgegeben. Dr. H erklärte ihr dann Anfang 2016, seine Praxis werde die AU-Bescheinigungen nun an die Beklagte senden. Er bestätigte auf Nachfrage der Klägerin, dass dies seine gute Ordnung habe. Dr. H attestierte am 18.4.2016 Arbeitsunfähigkeit bis zum 16.5.2016 und am 17.5.2016 Arbeitsunfähigkeit bis zum 30.6.2016. Er verschickte die AU-Bescheinigung vom 17.5.2016 zusammen mit AU-Bescheinigungen anderer Patienten in einem ihm von der Beklagten zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten voradressierten Freiumschlag.
Die AU-Bescheinigung vom 17.5.2016 wurde am 30.5.2016 im Kompetenz-Center Digitalisierung (KCD) der Beklagten in F gescannt. Die Adresse des KCD stimmt mit der auf den Freiumschlägen genannten Adresse überein. Für jede gescannte AU-Bescheinigung wird eine digitale Akte angelegt, in der das Scan-Datum gespeichert wird. Dies ermöglicht z.B. eine spätere Reproduktion der AU-Bescheinigung mit oder ohne den Aufdruck des Scan-Datums.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 10.6.2016 das Ruhen des Krankengeldanspruchs vom 17.5. bis 29.5.2016 fest, da die Arbeitsunfähigkeit erst am 30.5.2016 angezeigt worden sei. Mit ihrem am 15.6.2016 eingegangenen Widerspruch trug die Klägerin vor, Dr. H habe ihr versichert, dass die AU-Bescheinigung rechtzeitig versandt worden sei. Sie sei sich keiner Schuld bewusst. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.7.2016 als unbegründet zurück. Die AU-Bescheinigung sei erst am 30.5.2016 bei der Geschäftsstelle eingegangen. Die Klägerin habe die Folgen des verspäteten Zugangs zu tragen.
Mit ihrer am 11.8.2016 erhobenen Klage hat die Klägerin erklärt, Dr. H habe ihr zugesichert, die AU-Bescheinigungen zweimal wöchentlich direkt an die Hauptgeschäftsstelle der Beklagten zu senden. Anhand des Scan-Stempels der Beklagten sei nicht ersichtlich, wann das gescannte Originaldokument tatsächlich bei der Beklagten eingegangen sei. Sie habe nach dem hier streitgegenständlichen Zeitraum die AU-Bescheinigungen wieder selbst bei der Beklagten abgegeben.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.6.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.7.2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 17.5.2016 bis 29.5.2016 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erläutert, sukzessive das Dokumentenmanagementsystem (DMS) einzuführen. Eine Komponente dessen sei der virtuelle Postkorb, dem die Eingangspost zugeführt werde, indem sie im KCD eingescannt werde. Die Vertragsärzte seien grundsätzlich darüber informiert, dass die AU-Bescheinigungen an das KCD zu senden seien. Die dort eingehenden Bescheinigungen scanne man am Tag des Eingangs. Um dies sicherzustellen habe sie mit der Deutschen Post AG vereinbart, dass diese die beim Briefzentrum eingehenden Briefe am selben Tag ausliefere, ohne einen Briefträger zwischenzuschalten. Im KCD werde die Post maschinell geöffnet und dann händisch sortiert. Die AU-Bescheinigungen stapele man getrennt von der anderen Post und bearbeite sie vorrangig, an jedem Tag bis spätestens um 9:30 Uhr. Parallel zur Sortierung scanne ein Hochleistungsscanner die AU-Bescheinigungen und bringe eine Paginierung an. Aus ihrer Sicht sei ein gesonderter Eingangsstempel nicht erforderlich, da der Scan taggenau zum Eingang der Bescheinigung erfolge. Die tägliche Anlieferung durch die Deutsche Post sei mit der Ausnahme von Arbeitskampfmaßnahmen immer zuverlässig und taggenau erfolgt. Im vorliegenden Fall sei die AU-Bescheinigung der Klägerin (Paginiernummer 2237) zusammen mit anderen AU-Bescheinigungen der Praxis H (Paginiernummern 2238-2243) eingegangen, gescannt und paginiert worden. Da die AU-Bescheinigung 2241 am 13.5.2016 und die AU-Bescheinigung 2243 am 24.5.2016 ausgestellt worden sei, sei davon auszugehen, dass alle AU-Bescheinigungen in einem Brief bei ihr eingegangen und nicht vor dem 24.5.2016 losgeschickt worden seien. Das System der Freiumschläge habe sie Ende der 90-iger Jahre vor dem Hintergrund des § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) als Service für die Ärzte eingeführt, aber im Juni 2016 aufgegeben. Eine Vereinbarung, die den Ärzten die - grundsätzlich den Versicherten obliegende - Pflicht zur Übersendung der AU-Bescheinigungen auferlege, habe es nie gegeben. Der Service der Ärzte erfolge also weder in ihrem Auftrag noch auf ihre Veranlassung. Auch sei nie vereinbart worden, dass man AU-Bescheinigungen sammeln und gebündelt versenden könne, was in der Praxis aber häufig geschehen sei. Das Verschulden der Ärzte sei ihr nicht anzulasten.
Dr. H hat auf Nachfrage des SG angegeben, die fragliche AU-Bescheinigung mit einem Freiumschlag der Beklagten an diese geschickt zu haben. Dies sei damals so üblich gewesen, schließlich sei er Knappschaftsarzt. Zwar sei es denkbar, dass er sie frühestens am 24.5.2016 an die Beklagte gesandt habe. Dies sei aber unwahrscheinlich, da er die AU-Bescheinigungen i.d.R. 3mal wöchentlich verschickt habe.
Im Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht der Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung antragsgemäß stattgegeben und die Berufung zugelassen: Zwar sei davon auszugehen, dass die AU-Bescheinigung vom 17.5.2016 nicht innerhalb der Wochenfrist bei der Beklagten eingegangen sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe Krankengeldansprüche in Fällen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aber in Ausnahmefällen anerkannt, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und Zumutbare getan habe, um seine Ansprüche zu wahren, er daran durch eine Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert worden sei und der Versicherte zusätzlich seine Rechte spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend gemacht habe. Bereits mit Urteil vom 28.10.1981 (3 RK 59/80) habe das BSG festgestellt, dass sich die Krankenkasse dann nicht auf den verspäteten Zugang der AU-Bescheinigung berufen könne, wenn dies auf Umständen beruhe, die in ihren Verantwortungsbereich fielen. Die Klägerin habe hier alles in ihrer Macht stehende zur Sicherung ihres Anspruchs getan und angesichts der Ausführungen des Dr. H auch darauf vertrauen dürfen, dass dieser die AU-Bescheinigung rechtzeitig an die Beklagte schicken werde. Die Übersendung durch den Vertragsarzt sei von der Beklagten durch das Zurverfügungstellen der Freiumschläge veranlasst worden. Da diese anhand der in Freiumschlägen eingehenden AU-Bescheinigungen auch erkannt habe, dass das von ihr initiierte Verfahren genutzt werde, habe sie gewusst, dass der Versicherte keinen Einfluss auf den Prozess habe und müsse sich mögliche Probleme zuzurechnen lassen.
Mit ihrer Berufung vom 7.12.2017 hat die Beklagte ihr Vorbringen wiederholt und vertieft.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.11.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das erstinstanzliche Urteil.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Bescheid vom 10.6.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.7.2016 zu Recht stattgegeben. Denn die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 S.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat für die Zeit vom 17.5. bis 29.5.2016 Anspruch auf Krankengeld.
Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld ergeben sich aus den Regelungen des Zweiten Titels des Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels des SGB V (§§ 44 ff. SGB V), die hier in der mit dem 23.07.2015 in Kraft getretenen Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (BGBl. I 2015, 1211-1244; BR-Drs. 641/14) zur Anwendung gelangen. Danach setzt der Anspruch auf Krankengeld zunächst voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ärztlich festgestellt wurde und sie weiterhin gegen das Risiko der Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten versichert gewesen ist (vgl. § 44 Abs. 1 SGB V). Dr. H hat am 17.5.2016 Arbeitsunfähigkeit bis zum 30.6.2016 festgestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht mit einen Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen wäre, liegen nicht vor und wurden von der Beklagten auch nicht behauptet.
Ein Ruhen des Krankengeldanspruches nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ist in der Zeit vom 17.5.2016 bis 29.5.2016 nicht eingetreten.
Gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.
Zwar kann die Klägerin den Zugang der AU-Bescheinigung innerhalb einer Woche seit dem 17.5.2016 nicht nachweisen. Auch scheidet eine Wiedereinsetzung in die Wochenfrist aus, weil es sich bei dieser um eine Ausschlussfrist handelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 22; Brinkhoff in jurisPK-SGB V, Stand: 23.02.2016, § 49 Rn. 47 m.w.N.; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Erg.-Lfg. 10/14 X/14, K § 49 Rn. 63).
Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat in diesem Zusammenhang (wie auch schon in seinem Urteil vom 2.1.2018 - L 5 KR 265/17, anhängig unter B 3 KR 6/18 R) anschließt, ist es der Beklagten hier jedoch verwehrt, sich auf den Fristablauf zu berufen.
Grundlage dafür ist das in dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurzelnde Institut der Nachsichtgewährung. Eine Nachsichtgewährung kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 20, 22 m.w.N.) in Betracht, wenn dafür besondere Gründe vorliegen und die vom Gesetzgeber mit der Ausschlussfrist verfolgten Ziele und die dabei zu berücksichtigenden Interessen nicht entgegenstehen. Denn in solchen Fällen kann sich die Berufung des Versicherungsträgers auf die Ausschlussfrist als rechtsmissbräuchlich darstellen (vgl. BSG a.a.O. Rn. 22). Sinn und Zweck des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ist es - ebenso wie des § 46 S. 1 SGB V -, Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung einer Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen können (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 R Rn. 14 f., 17).
Davon ausgehend hat das BSG (Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 23 ff.) für die Vorgängerregelung zu § 49 Nr. 5 SGB V (§ 216 Abs. 3 RVO) und in nachfolgenden Entscheidungen zu § 49 Nr. 5 SGB V (vgl. etwa BSG, Urteil vom 8.11.2005 - B 1 KR 30/04 R Rn. 15 ff.) zwar entschieden, dass die Meldeobliegenheit - ebenso wie § 46 S. 1 SGB V - stets strikt auszulegen ist (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 35/14 R m.w.N.) und sich Versicherte bei unterbliebener oder verzögerter Meldung auch nicht auf fehlendes (eigenes) Verschulden (etwa wegen unvorhersehbar langer Postlaufzeiten) berufen können (vgl. Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 23 und Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 Rn. 17 - jeweils m.w.N.).
Daraus, dass das Gesetz die Meldung der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuweist, ergibt sich jedoch nicht, dass der Krankenkasse kein eigener Verantwortungsbereich mehr verbleibt. Vielmehr kann der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes unter Umständen dem Ruhen des Krankengeldanspruches entgegenstehen. Ein Ruhen des Krankengeldanspruchs ist nicht gerechtfertigt, wenn ein Versicherter die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig "gemeldet" hat, der Zugang der Meldung aber durch Umstände verhindert oder verzögert wurde, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 Rn. 24).
Die Voraussetzungen für eine Nachsichtgewährung bei Versäumung der Meldefrist hat das BSG (Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 R Rn. 22) folgendermaßen konkretisiert: Hat der Versicherte alles in seiner Macht stehende und ihm Zumutbare getan, um seine Ansprüche zu wahren, wurde er daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert und macht er seine Rechte bei der Kasse unverzüglich (spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend, kann er sich auf die Fehlentscheidung auch zu einem späteren Zeitpunkt berufen.
Diese Kriterien entsprechen im Wesentlichen auch den Grundsätzen, die in der neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 22/15 R) zu der gleich gelagerten (s.o.) Bestimmung des § 46 S. 1 SGB V entwickelt worden sind und finden auch auf den hier vorliegenden Fall Anwendung. Danach hat die Klägerin im vorliegenden Fall alles ihr Mögliche und Zumutbare getan, um ab dem 17.5.2016 wieder einen Anspruch auf Krankengeld zu haben.
Die Klägerin hat sich am 17.5.2016 in die Praxis des Dr. H begeben, wo sie weiter bis zum 30.6.2016 arbeitsunfähig geschrieben wurde. Nach den glaubhaften Aussagen der Klägerin hatte diese die AU-Bescheinigungen immer selbst bei der Beklagten abgegeben bis ihr Dr. H Ende 2015/ Anfang 2016 mitteilte, dass er die AU-Bescheinigungen von seiner Praxis aus in Freiumschlägen, die ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellt worden seien, rechtzeitig an diese schicken werde. Dr. H war der Klägerin seit Jahren als Hausarzt bekannt und ist Knappschaftsarzt. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass die Klägerin der Auskunft ihres Arztes nicht hätte vertrauen dürfen. Die Klägerin hat sogar nachgefragt, ob dieses Procedere in Ordnung sei. Dies hat Dr. H zugesichert und erklärt, er versende die AU-Bescheinigungen zweimal wöchentlich an die Beklagte. Dr. H, der die Angaben der Klägerin bestätigt, hat sogar angegeben, die AU-Bescheinigungen dreimal wöchentlich an die Beklagte zu versenden. Vor diesem Hintergrund überspannte es die an die Klägerin zu stellenden Sorgfaltsanforderungen, wenn man von ihr verlangte, sie hätte sich entgegen der bisher geübten - und zumindest nach ihrem Erkenntnishorizont von der Beklagten gebilligten - Praxis eine Kopie der AU-Bescheinigung von Dr. H bzw. dessen Mitarbeitern aushändigen lassen und diese an die Beklagte schicken müssen.
Eine (Fehl)Entscheidung der Beklagten, die die Klägerin im vorliegenden Fall daran hinderte, ihren Krankengeldanspruch zu wahren, liegt ebenfalls vor. Denn die Praxis der Beklagten, Dr. H Freiumschläge zur Übermittlung von AU-Bescheinigungen an sie zu überlassen, hinderte die Klägerin an der Wahrung ihres Krankengeldanspruches.
Die Beklagte hat mit der Überlassung der Freiumschläge an Vertrags- bzw. Knappschaftsärzte deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Erfüllung der Meldeobliegenheit für ihre Versicherten erleichtern wollte, indem sie einen kostenfreien Meldeweg über den Vertrags-/Knappschaftsarzt eröffnete. Ist dies der Fall, erscheint es unabhängig von zivilrechtlichen Zurechnungsregeln - offenbar treuwidrig, sich darauf zu berufen, wenn auf diesem von ihr (ohne Not) eröffneten besonderen Übermittlungsweg ein Fehler passiert, der zur Versäumung der Meldefrist führt.
Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu dem Grundsatz, dass das Risiko einer fehlenden oder verspäteten Übermittlung einer AU-Bescheinigung (grundsätzlich) den Versicherten zur Last fällt. Der allein maßgebende, eine abweichende Beurteilung rechtfertigende Unterschied liegt darin, dass die Beklagte einen gesonderten Übermittlungsweg für die Versicherten eröffnet hat. Auch wenn dieser nicht verpflichtend war, hat sie damit die Übermittlung und damit auch das Risiko eines Versagens aus der Sphäre der Versicherten in ihre Sphäre überführt.
Den Einwand der Beklagten, die Übersendung der Bescheinigungen für die Versicherten stelle in dem vorliegenden Zusammenhang eine reine Serviceleistung der Ärzte dar, die weder im Auftrag noch auf Veranlassung der Beklagten erfolge, sondern von den Ärzten eigenverantwortlich angeboten und durchgeführt werde, ist kaum noch nachvollziehbar. Es stellt schlichtweg ein gröblich widersprüchliches Verhalten dar, durch die Überlassung von Freiumschlägen einen gesonderten - und damit offenbar gewünschten - Übermittlungsweg zu eröffnen, gleichzeitig aber zu behaupten, dies nicht veranlasst zu haben, wenn dieser Übermittlungsweg dann beschritten wird. Von einer ärztlichen Serviceleistung könnte allenfalls dann gesprochen werden, wenn Dr. H die Übersendung der AU-Bescheinigung eigenständig initiiert und auf eigene Kosten übernommen hätte. So verhält es sich hier jedoch unstreitig gerade nicht.
Ob in der Überlassung der Freiumschläge ein Auftrag im zivilrechtlichen Sinne zu sehen oder Dr. H als Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe tätig geworden sein könnte, bedarf keiner Erörterung. Auch um die Zurechnung eines (etwaigen) vertragsärztlichen Fehlverhaltens geht es nicht. Es kommt allein darauf an, dass die Beklagte selbst rein tatsächlich eine Ursache gesetzt hat, die eine Berufung auf die Versäumung der Meldefrist treuwidrig erscheinen lässt.
Klarstellend ist mit Blick auf das Urteil des BSG vom 04.03.2014 - B 1 KR 17/13 R, wonach ein vertragsärztliches Fehlverhalten nicht ohne weiteres der Krankenkasse zugerechnet werden kann, darauf hinzuweisen, dass es sich dort um ein von der Krankenkasse nicht veranlasstes vertragsärztliches Fehlverhalten handelte. Auf (möglicherweise) parallel bestehende, unsichere Regressansprüche gegen Vertragsärzte müssen sich Versicherte - und damit hier die Klägerin - grundsätzlich nicht verweisen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 22/15 R).
Auf die Frage, ob die Klägerin die Meldung ohne schuldhaftes Zögern innerhalb der Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nachgeholt hat, kommt es entgegen der Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil nicht an, da der Beklagten bei Erteilung des Bescheids vom 10.6.2016 die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 17.5.2016 bereits vorlag.
Da sich die Beklagte nicht auf den verspäteten Zugang der AU-Bescheinigung berufen kann, kann der Senat die Frage, ob die Beklagte den Ruhenszeitraum richtig berechnet hat, dahin stehen lassen. Er geht zwar im vorliegenden Fall davon aus, dass die AU-Bescheinigung am Eingangstag auch gescannt worden ist, weist aber dennoch darauf hin, dass die Beklagte über das in der elektronischen Akte gespeicherte und nach ihren Angaben unabänderliche Scan-Datum grundsätzlich nur nachweisen kann, dass die AU-Bescheinigung am 30.5.2016 gescannt worden ist. Dies belegt aber nicht zwingend, dass die AU-Bescheinigung auch am gleichen Tag bei ihr eingegangen ist. Denn bei dem maschinellen Scannen steht zum einen nicht die Frage des Eingangs der Bescheinigung, sondern die Digitalisierung des Originals im Focus. Diese wird zum anderen durch einen Scanner vorgenommen; eine Maschine, die zur Prüfung des Eingangsdatums der AU-Bescheinigung gar nicht in der Lage ist. Schließlich erfolgt das Scannen nicht unmittelbar nach dem Eingang. Vielmehr sind dem Scannen nach dem von der Beklagten geschilderten üblichen Geschehensablauf noch das maschinelle Sortieren der Post, das händische "bevorzugte" Aussortieren sowie das Stapeln der AU-Bescheinigungen zur Vorbereitung des Scan-Vorgangs vorgelagert. Somit fehlt es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Eingang und dem Scannen der AU-Bescheinigungen, der zu bejahen wäre, wenn man unmittelbar nach dem Öffnen der Post einen Eingangsstempel anbrächte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1 S. 1, 183 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen; § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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