S 53 AL 272/18 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
53
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 53 AL 272/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 92/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander die Kosten nicht zu erstatten. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung der Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

Der von der anwaltlich vertretenen Antragstellerin schriftsätzlich sinngemäß gestellte Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihr den begehrten Gründungszuschuss vorläufig zu gewähren,

hat keinen Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis nur zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung dient damit lediglich der Sicherung von Rechten eines Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorweg nehmen. Eine Ausnahme wird in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung für den Fall anerkannt, dass ohne einstweilige Anordnung ein wirksamer Rechtsschutz in der Hauptsache nicht erreicht werden kann und dies im Interesse des Antragstellers unzumutbar wäre (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage, 2014, § 86 b Rn. 31 m. w. N.).

Gemäß § 86 b SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) hat ein Antragsteller glaubhaft zu machen, dass ihm der umstrittene und zu sichernde Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und die Regelung eines vorläufigen Zustandes nötig erscheint (Anordnungsgrund). In den Fällen der Vorwegnahme der Hauptsache - wie hier - sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und -grund strenge Anforderungen zu stellen.

Dabei stellt Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 12.05.2005, Az: 1 BvR 569/05, veröffentlicht bei Juris).

Wird daher über einen Eilantrag anhand einer Prüfung der mutmaßlichen Erfolgsaussicht in der Hauptsache entschieden, muss das besondere Gewicht grundrechtlich geschützter Begehren der Antragsteller ausreichend gewürdigt werden.

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sie sich in einer Wechselbeziehung zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (des Anordnungsgrundes) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl., München 2014, § 86 b Rn. 29). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 29.6.2005 – L 7 AS 1/05 ER u. a., Rn. 28 zitiert nach juris).

Können ohne Gewährung vorläufigen Rechtschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht mehr summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927 ff.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ob hinsichtlich der hier in Streit stehenden Gewährung eines Gründungszuschusses die dafür erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, kann dahin stehen. Denn die Bewilligung eines Gründungszuschusses steht auf der Rechtsfolgenseite angesichts der Formulierung in § 93 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB III) "können einen Gründungszuschuss erhalten" im Ermessen des Leistungsträgers.

Bei einer vom Gesetz angeordneten Ermessensentscheidung können Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zuerkannt werden, sofern eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist. Anhaltspunkte für eine solche Ermessensreduktion auf Null sind nach dem Sach- und Streitstand aber nicht ersichtlich, insbesondere ist hier hinsichtlich der beruflichen Wiedereingliederung nicht von einer Alternativlosigkeit bezüglich anderer (denkbarer) Eingliederungsleistungen auszugehen.

Ob im Rahmen einer einstweiligen Anordnung eine Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts generell denkbar ist (vgl. Keller aaO), lässt die Kammer offen. Denn ein Anspruch auf eine Neubescheidung des Antrags der Klägerin ist nicht gegeben. Die Kammer vermochte einen Ermessensfehler nicht zu erkennen. Eine sog. Abwägungsdisproportionalität liegt nicht vor. Die Förderung der selbstständigen Tätigkeit der Antragstellerin durch Gewährung von Gründungszuschuss mag zwar vom Ermessensspielraum erfasst sein und dem Gericht vorliegend sogar als opportun erscheinen. Das Gericht hat jedoch das in Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes verankerte Gewaltenteilungsprinzip zu beachten und darf seine eigene Ermessensabwägung nicht an die Stelle der behördlichen setzen. Der Antragsgegnerin kann keine eklatante, auf sachfremden Erwägungen beruhende fehlerhafte Gewichtung der maßgeblichen Ermessensgesichtspunkte vorgeworfen werden. Die Antragsgegnerin erkannte das nachvollziehbare Interesse der Antragstellerin an der Förderung ihrer selbstständigen Tätigkeit bzw. ihr Interesse daran, für ihre Tätigkeit als Selbstständige im Ergebnis eine erheblich höhere Gegenleistung zu erhalten, und bezog dieses sachgerecht in die Abwägung ein. Die Berücksichtigung sowie höhere Gewichtung des vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 2 SGB III normierten grundsätzlichen Vorrangs der Vermittlung durch die Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden.

Gründe II:

Die von der Antragstellerin wohl – sinngemäß – vertretene Auffassung, ein Ermessensfehlgebrauch liege vor, weil die Antragsgegnerin von einem nicht zutreffenden Sachverhalt ausgehe, indem sie bei der Antragstellerin aussichtsreiche Integrationsmöglichkeiten annehme, wird von der Kammer nicht geteilt. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Vermittlungsprognose ist schlüssig. Die Antragstellerin verfügt über beachtliche Berufserfahrung als Reinigungskraft. Das Alter und fehlende gesundheitliche Beeinträchtigungen sprechen ebenfalls für eine zumindest durchschnittliche Vermittelbarkeit der Antragstellerin. Etwaige in Person der Antragstellerin wurzelnde Vermittlungshemmnisse werden weder vorgetragen noch sind sie aus sonstigen Gründen ersichtlich. Die bereits vor diesem Hintergrund als schlüssig zu wertende Prognose der Antragsgegnerin fußt letztlich auf einer hinreichenden Dokumentation. In diesem Zusammenhang wird auf Blatt 19-32 und 34-39 der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

Der Antragstellerin ist es ferner nicht gelungen, einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung geht die Kammer davon aus, dass der Antragstellerin gegenwärtig die schweren und unzumutbaren Beeinträchtigungen, die eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung begehrter Leistungen rechtfertigen würden, nicht drohen. Dem Verfahren kann derzeit nach Würdigung der Gesamtumstände des vorliegenden Falls keine Eilbedürftigkeit zuerkannt werden. Die Zweifel an der Eilbedürftigkeit sind in erster Linie auf das Verhalten der Antragstellerin im Prozess zurückzuführen. Durch ihr Verhalten bringt sie zum Ausdruck, dass sie – jedenfalls derzeit – auch ohne begehrte Leistungen auskommen kann. Denn sie verzögert selbst eine zeitnahe, evtl. für sie günstige Entscheidung, indem sie ohne eine nachvollziehbare Begründung auf die der Verfahrensbeschleunigung dienenden Verfügungen des Gerichts nicht reagiert hat. Das Gericht hat die Antragstellerin mit der Verfügung vom 11.04.2018 aufgefordert, bis zum 19.04.2018 zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes diverse Unterlagen beizubringen sowie weitere Angaben zu machen. Die Antragstellerin hat diese Frist fruchtlos verstreichen lassen. Eine Mitteilung der anwaltlich vertretenen Antragstellerin dahingehend, die Erfüllung der Auflagen sei nicht bzw. nicht bis zum Fristablauf möglich, ist bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Gericht ebenfalls nicht erfolgt. Aufgrund dieses Verhaltens drängt sich zur freien Überzeugung des Gerichts die Schlussfolgerung auf, dass die behauptete Notlage nicht (mehr) besteht. Ob die Antragstellerin die behauptete Notlage zwischenzeitlich mit eigenen bzw. Drittmitteln abgewendet oder anderweitig Abhilfe geschaffen hat, kann mangels Vorlage der angeforderten Darlegungen und Nachweise, insbesondere der Kontoauszüge nicht beurteilt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil aus den oben genannten Gründen eine hinreichende Erfolgsaussicht für das Verfahren im Sinne des § 114 Abs. 1 ZPO nicht gegeben ist.
Rechtskraft
Aus
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