L 4 AS 97/18 B ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 AS 1018/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 97/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 16. April 2018 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

1. Die am 30. April 2018 eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Hamburg vom 16. April 2018, der ihnen am 18. April 2018 zugestellt wurde, ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Sie ist jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht den nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaften Antrag auf einstweilige Anordnung, mit dem die Antragsteller begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren, abgelehnt. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches der Antragsteller vom 20. März 2018 gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners vom 7. März 2018 nach § 86b Abs. 1 SGG, wie er sich aus der Beschwerdeschrift vom 30. April 2018 ergibt, ist von vornherein nicht statthaft, weil die Anordnung der aufschiebenden Wirkung mangels eines vorangegangenen ggf. wiederauflebenden Bewilligungsbescheides nicht zu einer Leistungsgewährung führen würde.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Das Beschwerdevorbringen der Antragsteller gibt keinen Anlass zu einer von der rechtlichen Würdigung des Sozialgerichtes abweichenden Betrachtung.

Die Antragsteller insgesamt sind gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a) SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ausgenommen, da sie keine materiellen Aufenthaltsrechte mehr für sich in Anspruch nehmen können. Der Senat nimmt zur Begründung Bezug auf seinen Beschluss vom 7. Mai 2018 im vorangegangenen Beschwerdeverfahren der Antragsteller (Az.: L 4 AS 18 B ER). An den Grundlagen für den Leistungsausschluss der Antragsteller hat sich durch das Vorbringen im Beschwerdeverfahren nichts geändert. Der Beschluss vom 7. Mai 2018 erging insbesondere bereits in Kenntnis der Beschwerdeschrift vom 30. April 2018.

Der Antragsteller zu 1 ist zudem gegenwärtig nach § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Danach erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist dabei gem. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2018 hat der Bevollmächtigte der Antragsteller mitgeteilt, dass sich der Antragsteller zu 1 seit 20. April 2018 in Untersuchungshaft befindet. Bei dem Vollzug von Untersuchungshaft handelt es sich um den Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung. Der Leistungsausschluss greift vom ersten Tag der Aufnahme in die Einrichtung (vgl. G. Becker, in: Eicher/Luik, SGB II – Kommentar, 4. Aufl. 2017, § 7 Rn. 147).

Die Antragsteller haben ebenfalls nicht glaubhaft gemacht hat, dass ihnen ein Anspruch auf Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gegen die Beigeladene zustehen. Da die Antragsteller als p. Staatsangehörige Ausländer und nicht im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind, richten sich ihre möglichen sozialhilferechtlichen Ansprüche allein nach § 23 Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB XII. Gem. § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist.

Ein Ausschluss des Anspruches auf Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII folgt nicht von vornherein nach § 21 Satz 1 SGB XII. Nach dieser Regelung erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII. Die Antragsteller sind, wie dargestellt, nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, so dass die Ausschlussnorm des § 21 Satz 1 SGB XII nicht greift. Diese stellt nämlich nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Für die Systemzuweisung SGB II einerseits und SGB XII andererseits gilt aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen wird, dann grundsätzlich dem System des SGB XII zugewiesen ist (st. Rspr. des Senates, Beschluss vom 14.4.2016 – L 4 AS 76/16 B ER, Beschluss vom 14.12.2015 – L 4 AS 475/15 B ER; Beschluss vom 14.1.2013 – L 4 AS 332/12 B ER; BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, juris).

Die Antragsteller sind jedoch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen nach § 23 Abs. 1 oder nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes liegen nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens vor. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) oder ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) können sich die Antragsteller weiterhin nicht berufen. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 7. Mai 2018 bereits ausgeführt, dass die nicht mehr freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Antragsteller vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a) SGB II erfasst werden. Der Senat nimmt auf diese Entscheidung auch insofern Bezug. Damit sind sie auch nach dem gleichlautenden § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen. Der Senat hat bereits entschieden, dass er keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität der Regelung des § 23 SGB XII hat (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 28.9.2017 – L 4 SO 55/17 B ER).

Über eine Pflicht der Beigeladenen zur Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB XII musste der Senat nicht entscheiden. Hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 Satz 1 unterfallen, werden nach dieser Regelung bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII. Der Bevollmächtigte der Antragsteller hat nach Aufforderung des Gerichtes vom 15. Mai 2018, sich zur Frage der Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII und der Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 6 SGB XII zu äußern, mit Schriftsatz vom 25. Mai 2018 erklärt, dass die Antragsteller die Überbrückungsleistungen nach § 23 aufgrund des Härtefalles begehren. Einfache Überbrückungsleistungen gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII werden danach von den Antragstellern nicht gewollt. Die Beigeladene hat entsprechend über die Gewährung entsprechender Leistungen an die Antragsteller noch keine Entscheidung getroffen. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladene über diese Leistungen auf einen ausdrücklichen Antrag hin nicht entscheiden würde. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass nach der Rechtsprechung des Senates nicht Voraussetzung eines derartigen Anspruches ist, dass sich ein Ausreisewille positiv feststellen lässt (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 21.2.2018 – L 4 SO 10/18 B ER).

Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf die nach ihrem Vortrag im Beschwerdeverfahren allein begehrten höheren oder längeren Überbrückungsleistungen aus Härtefallgründen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII glaubhaft gemacht. Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach § 23 Abs. 3 Satz 3 gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von § 23 Abs. 1 SGB XII gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

Die Härtefallregelung stellt sicher, dass innerhalb der Leistungsfrist von einem Monat - des Zeitraums der Gewährung von Überbrückungsleistungen - auch über das gewährte Niveau der vorgesehenen Überbrückungsleistungen hinausgehende Bedarfe wie zum Beispiel für Kleidung gedeckt werden können, soweit dies im Einzelfall zur Überwindung einer besonderen Härte erforderlich ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 13.10.2016, Drs. 587/16, S. 11). Ebenso können bei Vorliegen besonderer Umstände Bedarfe, die entstehen, soweit im Einzelfall eine Ausreise binnen eines Monats nicht möglich oder zumutbar ist (z. B. krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit), gedeckt werden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, a. a. O., S. 11). Es handelt sich bei der Härtefallregelung mithin um eine Bestimmung, die lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände eingreift, um im Einzelfall für einen begrenzten Zeitraum unzumutbare Härten zu vermeiden, nicht um eine Regelung, mit der ein dauerhafter Leistungsbezug ermöglicht wird (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, a. a. O., S. 11).

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Härtefall-Überbrückungsleistungen liegen nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens nicht vor. Es ist hier bereits das Vorliegen besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte nicht glaubhaft gemacht.

Ein solcher Härtefall für den Antragsteller zu 1 ist nicht ersichtlich. Er befindet sich derzeit in Untersuchungshaft, so dass sein Lebensunterhalt durch die Versorgung und Unterbringung in der Haftanstalt sichergestellt ist. Auch ist es dem Antragsteller zu 1 nach einer Entlassung aus der Untersuchungs- und ggf. nachfolgenden Strafhaft möglich und zumutbar, nach P. auszureisen. Er besitzt die p. Staatsangehörigkeit, seine Reisefähigkeit steht außer Zweifel und er hat sich bereits früher nach seiner Abschiebung am 8. Februar 2007 dort aufgehalten. Dort sind die Antragstellerinnen zu 2 und 3 am 25. September 2008 und am 4. März 2010 geboren. Die Notwendigkeit, sich in einem Land wieder einzugewöhnen, in dem man zuvor längere Zeit nicht gewohnt hat, stellt allenfalls eine gewöhnliche und keine besondere Härte dar, welche eine Ausreise unzumutbar machen würde. Den jetzt neun und acht Jahre alten Antragstellerinnen zu 2 und 3 ist es bereits gegenwärtig möglich, in Begleitung ihrer Mutter, Frau S.R., nach P. auszureisen. Die Antragstellerinnen sind p. Staatsangehörige, sie sind dort geboren und haben zusammen mit ihrer Mutter, welche die u. Staatsangehörigkeit hat, längere Zeit dort gelebt. Nach dem Vortrag der Antragsteller im hiesigen Verfahren lebten die Antragstellerinnen zusammen mit ihrer Mutter jedenfalls im Zeitraum von 2008 bis 2010 in P ... Auch sonst haben die Antragstellerinnen zu 2 und 3 vielfach Aufenthaltszeiten in P. verbracht. Nach den Entscheidungsgründen des Urteils des Amtsgerichtes Hamburg Altona (Az. 327b Ds 3411 Js 165/11 (56/11)) vom 17. August 2012 wurde in der Hauptverhandlung in dem gegen den Antragsteller zu 1 gerichteten Strafverfahren noch im September 2011 angegeben, dass die Kinder des Antragstellers in P. bei ihrer Mutter lebten. Auch befand sich der Antragsteller zu 1 vom 10. Juli 2012 bis 25. Oktober 2013 in Untersuchungs- und nachfolgender Strafhaft in Deutschland, so dass seine Kinder nicht bei ihm in Deutschland sein konnten. Frau E.G., bei welcher der Antragsteller zu 1 nach seiner Haftentlassung in der Wohnung L. wohnte, erklärte aus Anlass eines Hausbesuches am 20. Januar 2014 den Mitarbeitern des Antragsgegners , dass die Kinder des Antragstellers zu 1 in seiner Abwesenheit bei den Großeltern in P. gewesen seien. Erst zum 30. Dezember 2013 hat der Antragsteller zu 1 sich und die Antragstellerinnen zu 2 und 3 in der Anschrift S. angemeldet. Es ist vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerinnen und ihre Mutter in P. nicht sprachlich verwurzelt sind und keinerlei Beziehungen mehr in P. hätten. Vielmehr spricht der Umstand, dass die Antragstellerinnen auch mit ihrer Mutter mehrere Jahre in P. gelebt haben, dafür, dass sie sich dort alsbald zurecht finden werden, weil sie auf Lebensstrukturen und eine landsmannschaftliche Verbundenheit zurückgreifen können, die ihnen eine Rückkehr nach P. gegenwärtig möglich und zumutbar machen. Vor diesem Hintergrund ist auch eine fortbestehende Abhängigkeit der Antragstellerinnen von hier in Deutschland lebenden Angehörigen nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens nicht glaubhaft gemacht. Eine besondere Härte ergibt sich schließlich nicht daraus, dass die Antragstellerinnen zu 2 und 3 gehalten wären, im noch lange andauernden Schuljahr die Schule zu wechseln. Das Schuljahr endet am 5. Juli 2018, so dass eine längere Leistungsgewährung zur Überbrückung auch insofern mangels besonderer Härte ausscheidet.

2. Das Sozialgericht hat zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Antragsverfahren nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter 1. ergibt.

3. Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war aus denselben Gründen nach diesen Vorschriften nicht zu entsprechen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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