S 49 AS 3222/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
49
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 49 AS 3222/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Verpflichtung des Beklagten zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), an den Kläger.

Der Kläger beantragte am 18.12.2015 beim Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 21.3.2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen für den Monat Dezember 2015 i.H.v. 1.000,91 EUR, für die Monate Januar und Februar 2016 i.H.v. 1.005,91 EUR, für die Monate März bis Mai 2016 hingegen i.H.v. 0,00 EUR. Zur Begründung für die lediglich vorläufige Leistungsbewilligung verwies der Beklagte auf die Frage der Einnahmen des Klägers aus selbständiger Tätigkeit. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass eine abschließende Entscheidung erst möglich wäre, wenn die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum feststünden, und dass der Kläger erneut einen Bescheid erhielte, sobald über seinen Antrag endgültig entschieden werden könnte und sein Anspruch von den vorläufig bewilligten Leistungen abwiche.

Mit Schreiben vom 20.4.2016 übersandte der Kläger dem Beklagten eine auf denselben Tag datierte Anlage EKS hinsichtlich einer Tätigkeit als Publizist.

Mit Änderungsbescheid vom 21.4.2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 21.3.2016 vorläufig für die Monate März bis Mai 2016 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. monatlich 1.005,91 EUR.

Am 28.4.2016 erhob der Kläger gegen den Bewilligungsbescheid vom 21.3.2016 Widerspruch, zu dessen Begründung er darauf verwies, dass dieser Bescheid am 29.3.2016 bei ihm eingegangen sei. Eine Begründung in der Sache trug der Kläger dem Beklagten gegenüber nicht vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.7.2016 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus, dass der Widerspruch unzulässig wäre, da es dem Kläger nach Ablauf des Bewilligungszeitraums am 31.5.2016 am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis mangele, da der Kläger sein Ziel auch auf einfachere Weise erreichen könnte, nämlich durch einen Antrag, die vorläufige Bewilligungsentscheidung für endgültig zu erklären bzw. zu ändern oder aufzuheben. Für eine Änderung der angefochtenen vorläufigen Entscheidung, die im Hinblick auf die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ungewissen Einkünfte des Klägers aus seinen selbständigen Tätigkeiten ergangen wäre, sei mit Ablauf des 31.5.2016 kein Raum mehr gewesen. Seit diesem Zeitpunkt hätte der Kläger durch einen Antrag nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III), auf abschließende Festsetzung der Leistungen für den abgelaufenen Bewilligungszeitraum sein Ziel erreichen können. Eine Aufforderung zur Einreichung der abschließenden Unterlagen durch den Beklagten vom 27.5.2016 wäre außerdem seitens des Klägers unerledigt geblieben.

Am 31.8.2016 hat der Kläger Klage erhoben. Ausweislich des Eingangsstempels der gemeinsamen Annahmestelle bei dem Amtsgericht Hamburg ist die Klageschrift dort am 31.8.2016 zwischen 10:00 Uhr und 11:00 Uhr eingegangen. Am 2.9.2016 ging sie beim Sozialgericht Hamburg ein. Zur Begründung trägt der Kläger vor, er habe den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 27.7.2016 am 30.7.2016 erhalten. Zur Begründung in der Sache werde er nach Rücksprache mit seinem Vater und einzigem Mitarbeiter, Herrn V., vortragen. Auf einen Hinweis des Gerichts, dass die Klage mangels Einhaltung der einmonatigen Klagefrist unzulässig sein könne, hat der Kläger ergänzend vorgetragen, er sei irrtümlich davon ausgegangen, dass aufgrund des Eingangs des Widerspruchsbescheids vom 27.7.2016 bei ihm am 30.7.2016 sich der Fristbeginn auf den nächsten Werktag verschoben hätte. Weiterhin hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, er habe die Einhaltung der Klagefrist aufgrund einer in den Monaten Juli und August 2016 bestehenden Krankheit versäumt, nämlich Überlastung durch einen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt seines Vaters und zeitgleiche Häufung persönlicher Probleme mit massiver Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz, also "vermutlich infolge einer depressiven Verstimmung". Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Beklagten unter entsprechender Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 21.3.2016 und vom 21.4.2016 sowie des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 27.7.2016 zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe und unter Anrechnung seines gesamten Aufwandes gemäß der vom Kläger eingereichten und überarbeiteten Anlage EKS für den Zeitraum 1.12.2015 bis 30.5.2016 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und trägt zur Begründung vor, dass die Klage mangels Einhaltung der einmonatigen Klagefrist nicht fristgerecht erhoben und damit unzulässig sei.

Mit Schreiben vom 27.10.2016 hat das Gericht die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hingewiesen und ihnen auch insofern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das gerichtliche Schreiben ist dem Kläger am 29.10.2016 und dem Beklagten am 28.10.2016 zugestellt worden. Der Beklagte hat sich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 31.10.2016 ausdrücklich einverstanden erklärt. Der Kläger hat sich zu dieser Frage nicht weiter geäußert.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vom Beklagten dem Gericht übersandte Leistungsakte verwiesen, die dem Gericht bei seiner Entscheidungsfindung jeweils vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Entscheidung kann gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ergehen, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben worden.

B.

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht erhoben worden ist. Die Einhaltung der Klagefrist ist dabei Prozessvoraussetzung, die von Amts wegen zu prüfen ist. Ist die Klage nicht fristgerecht erhoben und kommt auch keine Wiedereinsetzung des Klägers in den vorigen Stand in Betracht, muss die Klage als unzulässig abgewiesen werden (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 87, Rn. 7). So liegt der Fall auch hier.

Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben. Letzter Tag der Frist zur Klageerhebung war vorliegend der 30.8.2016.

Bekannt gegeben ist ein Verwaltungsakt, wenn er mit Willen der Behörde so in den Machtbereich des Beteiligten gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (Heße, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 42. Ed., Stand: 7/2016, § 37 SGB X, Rn. 3). Dies war vorliegend am 30.7.2016 der Fall. Der Kläger selbst trägt vor, der Widerspruchsbescheid des Beklagten sei an diesem Tag bei ihm eingegangen. Zweifel an der Richtigkeit dieser Angabe bestehen nicht, auch vor dem Hintergrund, dass in der Leistungsakte des Beklagten eine Aufgabe des Widerspruchsbescheids zur Post am 27.7.2016 vermerkt ist. Hieraus folgt, dass die Frist zur Einreichung der Klage für den Kläger am 30.8.2016 endete. Gemäß § 64 Abs. 2 SGG endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, das bzw. der den Fristbeginn auslöst. Der Fristbeginn fiel dabei – wie ausgeführt – auf den 30.7.2016, den Tag der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids. Eine Verschiebung des Fristbeginns bei Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes an einem Sonnabend, Sonntag oder Feiertag sieht das Gesetz hingegen nicht vor (vgl. § 64 Abs. 1 SGG). Eingegangen ist die Klage bei Gericht hingegen erst am 31.8.2016, was sich aus dem auf der Klageschrift angebrachten Eingangsstempel ergibt und vom Kläger auch nicht in Zweifel gezogen wird. Der 30.8.2016 fiel auch nicht auf einen Sonnabend, einen Sonntag oder einen Feiertag, sondern auf einen Dienstag.

Gründe dafür, dass vorliegend für die Erhebung der Klage nicht die Monatsfrist nach § 87 SGG, sondern die Jahresfrist gemäß § 66 Abs. 2 SGG galt, sind nicht ersichtlich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der mit der Klage angefochtene Widerspruchsbescheid keine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthalten hätte. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 27.7.2016 enthält jedoch eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung und weist insbesondere darauf hin, dass eine Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe zu erheben gewesen wäre.

Schließlich war dem Kläger auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Dies ist hinsichtlich des Klägers nicht anzunehmen. Der Kläger selbst trägt zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags vor, er habe die Einhaltung der Klagefrist krankheitsbedingt versäumt. Dies ist nicht als ausreichender Wiedereinsetzungsgrund anzuerkennen. Krankheit schließt ein Verschulden im Hinblick auf die Nichteinhaltung einer Frist nur aus, wenn der Beteiligte so schwer erkrankt ist, dass er nicht selbst handeln und auch nicht einen anderen beauftragen kann (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.7.2007, 2 BvR 1164/07, juris, BSG, Beschluss vom 25.2.1992, 9a BVg 10/91, juris), wobei an das Vorliegen solcher Gründe strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 67, Rn. 7c). Das Vorliegen solcher Gründe ist hinsichtlich des Klägers nicht erkennbar und ergibt sich auch nicht aus seinem Vortrag, wonach er aufgrund eines mehrwöchigen Krankenhausaufenthalts seines Vaters sowie einer Häufung persönlicher Probleme und daher infolge einer von ihm vermuteten depressiven Verstimmung den Ablauf der Klagefrist versäumt habe. Es ist dem Gericht nicht erklärlich, warum es dem Kläger trotz dieser Umstände zwar möglich gewesen ist, den Klageschriftsatz am 30.8.2016 – dem Tag des Fristablaufs – handschriftlich zu verfassen – auf diesen Tag datiert der Klageschriftsatz nach dem darauf vom Kläger vermerkten Datum –, es ihm aufgrund der geschilderten gesundheitlichen Probleme aber nicht möglich gewesen sein soll, die Klageschrift auch rechtzeitig bei Gericht einzureichen bzw. einen Dritten hiermit zu beauftragen. Gründe hierfür sind weder den dem Gericht vorliegenden Unterlagen zu entnehmen, noch werden sie vom Kläger vorgetragen. Zwar kann auch eine stressbedingte Arbeitsüberlastung auch ohne Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit im Ausnahmefall geeignet sein, Verschulden i.S.v. § 67 Abs. 1 SGG auszuräumen. Dies setzt jedoch voraus, dass diese plötzlich und unvorhersehbar eingetreten ist und durch sie die Fähigkeit zu konzentrierter Arbeit erheblich eingeschränkt wird (BGH, Beschluss vom 8.5.2013, XII ZB 396/12, NJW 2013, 2035). Auch dies ist hinsichtlich der Situation des Klägers nicht anzunehmen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Sorge des Klägers um die Gesundheit seines Vaters sowie die finanziellen Sorgen des Klägers für ihn nicht unerhebliche Belastungen bedeutet haben können. Dass diese plötzlich und unerwartet kurz vor Ablauf der Klagefrist aufgetreten wären, ist demgegenüber nicht erkennbar. Vielmehr dauerten diese – auch nach dem Vorbringen des Klägers – jedenfalls in den Monaten Juli und August 2016 an. Entscheidend ist ferner, ob der Betreffende zu dem konkreten Zeitpunkt, zu dem er hätte tätig werden müssen, einen sachgemäßen Entschluss fassen und/oder ausführen konnte (Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 67, Rn. 7). Dass der Kläger den Entschluss zur Klageerhebung am 30.8.2016 fassen konnte, ergibt sich dabei erneut daraus, dass es ihm trotz der geschilderten Belastungen nicht unmöglich war, den Klageschriftsatz am Tag des Fristablaufs – dem 30.8.2016 – zu verfassen.

Schließlich kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht aufgrund des Umstandes gewährt werden, dass der Kläger offenbar irrtümlich davon ausging, dass sich der Beginn der Klagefrist aufgrund des Eingangs des Widerspruchsbescheids bei ihm an einem Sonnabend auf den darauffolgenden Werktag verschieben würde. Im Falle eines Rechtsirrtums trifft den Beteiligten nur dann ausnahmsweise kein Verschulden, wenn dieser den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte. Mangelnde Rechtskenntnis kann eine Fristversäumnis in aller Regel nicht entschuldigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.9.1998, 8 B 154/98, NVwZ-RR 1999, 538). Der vom Kläger geschilderte Irrtum war indes vermeidbar. Dem Betroffenen ist in einem solchen Fall zuzumuten, insbesondere die Rechtsmittelbelehrung zu beachten und sich sachkundig beraten lassen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 67, Rn. 8a). Eine sachkundige Beratung hätte den Kläger über seinen Irrtum hinsichtlich des Beginns des Laufs der Klagefrist in Kenntnis gesetzt. Dass der Kläger eine solche Beratung in Anspruch nahm, ergibt sich aus seinem Vortrag jedoch nicht.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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