L 1 JVEG 364/18

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 JVEG 364/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Beim Verdienstausfall ist auch diejenige Zeit einzubeziehen, die entsteht, weil der Herangezogene vor und/oder nach dem Termin seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen kann (Anschluss an OLG Hamm, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - I-25 W 365/16; entgegen LSG München, Beschlüsse vom 4. Dezember 2013 - L 15 SF 226/11 und 13. Januar 2015 - L 15 SF 170/14).
Die Entschädigung des Erinnerungsgegners für die Teilnahme am Erörterungstermin am 27. November 2017 wird auf 198,44 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Erinnerungsgegner war Kläger im Verfahren L 1 U 506/17. Mit Ladung vom 19. September 2017 wurde er durch den Berichterstatter des Verfahrens unter Anordnung des persönlichen Erscheinens zu einem Erörterungstermin am 27. November 2017, 11:30 Uhr geladen. Der Erörterungstermin dauerte ausweislich der Niederschrift bis 12:01 Uhr.

Mit beim Landessozialgericht am 15. Dezember 2017 eingegangenem Entschädigungsantrag beantragte der Erinnerungsgegner eine Entschädigung für das Erscheinen bei dem Erörterungstermin. Er beantragte Fahrtkosten aus einer Gesamtstrecke von 230 Kilometer in Höhe von 57,50 Euro, einen Verdienstausfall gemäß Bescheinigung seines Arbeitgebers für 7,6 Stunden nach einem Stundenlohn von 18,15 Euro in Höhe von insgesamt 137,94 Euro. Des Weiteren wurden Parkkosten in Höhe von 3,00 Euro geltend gemacht. Ausweislich der beigefügten Parkquittung erfolgte die Einfahrt auf dem Parkplatz des Justizzentrums Erfurt um 09:30 Uhr und die Ausfahrt um 12:05 Uhr.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bewilligte den Entschädigungsantrag in voller Höhe.

Hiergegen hat die Erinnerungsführerin am 26. März 2018 Erinnerung eingelegt und beantragt, die Entschädigung des Erinnerungsgegners für die Teilnahme am Erörterungstermin am 27. November 2017 auf 150,25 Euro festzusetzen. Beanstandet hat sie die Entschädigung des Erinnerungsgegners hinsichtlich der Höhe des Verdienstausfalles und der Parkauslagen. Verdienstausfall nach § 22 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) werde nur für die gesamte Dauer der Heranziehung, einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt, § 19 Abs. 2 JVEG. Es komme daher nicht darauf an, ob unter Umständen ein ganzer Arbeitstag versäumt worden sei. Die einfache Entfernung von Meuselwitz nach Erfurt betrage ca. 115 Kilometer. Daher werde eine Fahrzeit von durchschnittlich 90 Minuten benötigt. Unter Berücksichtigung eines Zeitpuffers von 45 Minuten für die Hinfahrt und 14 Minuten für die Rückfahrt sei ein Reisebeginn um 08:45 Uhr und eine Beendigung der Reise um 13:45 Uhr angemessen und ausreichend. Die objektiv erforderliche Dauer der Heranziehung sei daher mit fünf Stunden festzustellen. Verdienstausfall sei in Höhe von 18,15 Euro pro Stunde entstanden. Die geltend gemachte Parkzeit in Höhe von zwei Stunden 35 Minuten sei nicht erforderlich gewesen. Ausreichend sei eine Parkzeit von einer Stunde und 35 Minuten gewesen. Der Erinnerungsgegner sei daher in Höhe von 48,19 Euro überzahlt.

Die Erinnerungsführerin beantragt,

die Entschädigung für die Teilnahme des Erinnerungsgegners am Erörterungstermin am 27. November 2017 auf 150,25 Euro festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

die Entschädigung für die Teilnahme am Erörterungstermin am 27. November 2017 auf 198,44 Euro festzusetzen.

Für die Region Erfurt/Weimar hätten am 27. November 2017 verkehrswidrige Wetterverhältnisse geherrscht. Er sei daher gehalten gewesen, besondere Vorsicht im Straßenverkehr walten zu lassen. Vor oder nach der Verhandlung sei es nicht möglich gewesen, der Tätigkeit im Betrieb nachzugehen.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

Mit Beschluss vom 21. Juni 2018 hat der Berichterstatter das Verfahren dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen (§ 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG).

II.

Auf die Erinnerung war die Entschädigung auf 198,44 Euro festzusetzen.

Nach § 4 Abs. 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Feststellung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält (Satz 1).

Nach § 191 Halbs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Zeugen erhalten nach § 19 Abs. 1 S. 1 JVEG als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Entschädigung für sonstige Aufwendungen (§ 8 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 19 Abs. 2 JVEG für die gesamte Zeit der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 – L 1 JVEG 867/15, zitiert nach Juris).

Die Entschädigung errechnet sich danach wie folgt:

Der Fahrtkostenersatz beträgt gemäß § 5 JVEG für den Hin- und Rückweg mit insgesamt 230 Kilometer 57,50 Euro. Zusätzlich zu erstatten sind die geltend gemachten Parkentgelte in Höhe von 3,00 Euro. Soweit die Erinnerungsführerin nur eine Parkzeit von einer Stunde und 35 Minuten als notwendig ansieht, folgt der Senat dem nicht. Bei einer Fahrzeit von ca. einer Stunde und 30 Minuten und insbesondere unter Einbeziehung der winterlichen Straßenverhältnisse ist der vom Erinnerungsgegner gewählte Sicherheitspuffer nicht zu beanstanden.

Des Weiteren bestehen gegen die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle festgesetzte Entschädigung für Verdienstausfall in Höhe von 137,94 Euro (7,6 Stunden zu 18,15 Euro) keine Bedenken. Nach § 191 SGG i. V. m. § 22 JVEG erhalten Beteiligte, denen ein Verdienstausfall entsteht, eine Entschädigung, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge richtet und für jede Stunde höchstens 21 Euro beträgt. Der Senat folgt nicht der Auffassung der Erinnerungsführerin, dass Verdienstausfall nach § 22 JVEG nur für die gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt wird und es unerheblich ist, ob gegebenenfalls ein ganzer Arbeitstag tatsächlich versäumt worden ist. Unter Dauer der Heranziehung im Sinne von § 19 Abs. 2 JVEG ist die gesamte aufgewendete Zeit zu verstehen. Dies bedeutet, dass im Falle von Verdienstausfall auch diejenige Zeit einzubeziehen ist, die entsteht, weil der Erinnerungsgegner vor und/oder nach dem Termin seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen kann (vgl. in diesem Sinne OLG Hamm, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - I-25 W 365/16, zitiert nach Juris). Die Gegenauffassung, wonach ein Abstellen auf die notwendige Arbeitszeitversäumnis deshalb nicht zulässig sei, weil dies vom Wortlaut des § 19 Abs. 2 JVEG nicht mehr gedeckt und mit dem vom Gesetzgeber im Rahmen der Formulierungsänderung zu § 19 JVEG verfolgtem Zweck einer Vereinfachung des Kostenrechts nicht vereinbar sei (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 4. Dezember 2013 - L 15 SF 226/11 und vom 13. Januar 2015 - L 15 SF 170/14, jeweils zitiert nach Juris), überzeugt hingegen nicht. Zunächst schließt es der Wortlaut des § 19 Abs. 2 JVEG "gesamte Dauer der Heranziehung" nicht aus, ausgefallene Arbeitszeit einzubeziehen, wenn der Zeuge aus betriebsorganisatorischen Gründen vor und/oder nach der Wahrnehmung des Gerichtstermins die Arbeit am gleichen Tag nicht mehr aufnehmen kann. Denn der Zeitraum der "Dauer der Heranziehung" erfasst nicht nur die reine Anwesenheitszeit bei Gericht, sondern auch notwendige Vor- und Nachbereitungshandlungen wie zum Beispiel An- und Abreise. Ausschließlich erforderlich ist eine kausale Verknüpfung zwischen der Terminswahrnehmung und der aufgewendeten Zeit. Daher ist auch aus betriebsorganisatorischen Gründen ausgefallene Arbeitszeit einzubeziehen.

Mit dieser Auslegung wird auch ein wesentliches Ziel der Gesetzesänderung, nämlich eine Vereinfachung des Kostenrechts herbeizuführen, nicht verfehlt. Die Klärung der Frage, ob der Betroffene vor und/oder nach dem Termin seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen konnte, kann relativ einfach durch Vorlage einer entsprechenden aussagekräftigen Verdienstausfallbescheinigung seines Arbeitgebers geführt werden. Insoweit ist auch auf das vom Arbeitgeber auszufüllende Formular zu verweisen. Dort wird ausdrücklich abgefragt, ob die Betriebsverhältnisse eine Verlegung der Schicht gestatten. Im Übrigen führt auch die Gegenauffassung nicht dazu, dass der Zeitraum der Dauer der Heranziehung ausschließlich aus Unterlagen in der Gerichtsakte ermittelt werden kann. Denn auch nach der Gegenauffassung darf der Betroffene bei der Anfahrt zum Gericht ein gewisses Zeitpolster einkalkulieren, um seine rechtzeitige Ankunft nicht zu gefährden. Je nach Länge des Weges sind auch Pausen oder sonstige spezifische Einzelfallumstände, die eine längere Zeit begründen, denkbar. Die Zeitangaben des jeweiligen Betroffenen sind, sofern sie nicht lebensfremd erscheinen, regelmäßig der Entschädigung zugrunde zu legen. Genau das Gleiche gilt auch für die Klärung der Frage, inwieweit der Betroffene aus betriebsorganisatorischen Gründen seine Arbeit nicht wiederaufnehmen konnte. Auch die weitere Argumentation, dass die Regelung des JVEG zu einer Entschädigung wegen der durch den gerichtlichen Termin beanspruchten Zeit gerade nicht Ausdruck eines Schadensersatzanspruchs, sondern einer billigen Entschädigung für die Ausübung staatsbürgerlicher Pflichten darstelle, wird damit nicht ausgehöhlt. Dass kein vollständiger Schadensersatzanspruch gewährt wird, ist unter anderem bereits durch die Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 1 JVEG sichergestellt, wonach die Entschädigung für nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt wird. Des Weiteren begrenzt § 21 JVEG die Höhe des Stundensatzes.

Die Entschädigung des Erinnerungsgegners für die Teilnahme am Erörterungstermin am 27. November 2017 ist daher wie folgt festzusetzen:

Fahrtkosten § 5 JVEG 57,50 Euro Verdienstausfall § 19 JVEG 137,94 Euro Parkentgelt 3,00 Euro - Insgesamt 198,44 Euro

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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