S 8 R 376/12

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 376/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 14/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Versicherungspflicht der Klägerin als selbständig tätige Lehrerin nach § 2 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung SGB VI – sowie die Rechtmäßigkeit der vor diesem Hintergrund von der Beklagten geltend gemachten Beitragsforderung streitig.

Die ... stellte im Rahmen einer Betriebsprüfung bzw. eines Clearingverfahrens fest, dass eine selbständige Tätigkeit durch die Klägerin ausgeübt werde und gab das Verfahren zur Prüfung, inwieweit Versicherungspflicht als selbständig Tätige vorliege, an die Beklagte mit Schreiben vom 28. März 2011 ab. Im Rahmen des Prüfverfahrens teilte die ... unter Bezugnahme auf ihren Bescheid vom 27. Juli 2011 mit, dass die Beklagte in eigener Zuständigkeit zu entscheiden habe. Sie habe in ihrem Bescheid vom 27. Juli 2011 festgestellt, dass die Klägerin nicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versicherungspflichtig sei. Die Klägerin sei zwar künstlerisch selbständig tätig, ihr Einkommen liege aber unter der Einkommensgrenze von 3.900,00 EUR.

Die am ... 1960 geborene Klägerin gab im Fragebogen zur Feststellung der Pflichtversicherung kraft Gesetzes als selbständig Tätiger vom 17. Juni 2011 als Tätigkeitsbeschreibung an: Unterschiedliche Projekte und Lehrveranstaltungen an den unterschiedlichsten Orten (stundenweise). Sie reichte ein: ein Schreiben des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt vom 2. August 2010 über die Bereitschaft, als Referentin im Weiterbildungskurs "Kunst an Sekundarschulen" mitzuwirken, den Honorarvertrag zwischen ihr und dem ... über die Erteilung von 2 Unterrichtsstunden im Fach bildende Kunst an der ... , Honorarverträge zwischen ihr und dem Kunstverein und Jugendkunstschule ... zur künstlerischen Begleitung laufender Projekte sowie eine Honorarvereinbarung zwischen ihr und dem Land ... über die Leitung einer Kreisarbeitsgemeinschaft im Fach Kunsterziehung der Schuljahrgänge 5-9 am Gymnasium ... Ergänzend teilte sie mit, dass sie seit 1. September 1990 selbständig tätig sei und reichte die Steuerbescheide für die einzelnen Jahre ab 2007 ein.

Mit Bescheid vom 23. November 2011 entschied die Beklagte, dass die Klägerin ab dem 1. September 1990 nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung sei und daher Pflichtbeiträge zu zahlen habe. Nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB IV seien selbständig tätige Lehrer und Erzieher rentenversicherungspflichtig, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Ab 1. Januar 2007 habe sie einen einkommensgerechten Beitrag zu zahlen. Die einkommensgerechte Beitragszahlung sei für rentenversicherungspflichtige selbständige Tätige möglich, wenn sie das beitragspflichtige Arbeitseinkommen nachweisen. Es ergäben sich noch folgende Beitragszahlungen:

vom 01.01.2007 bis 31.12.2007 = 936,36 EUR

vom 01.01.2008 bis 31.12.2008 = 982,80 EUR

vom 01.01.2009 bis 31.12.2009 = 993,24 EUR

vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 = 654,95 EUR

Der Gesamtbetrag belaufe sich auf = 3.594,35 EUR.

Mit einem weiteren Bescheid vom 23. November 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, in der Zeit vom 1. September 1990 bis 31. Dezember 2006 habe Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 2 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung bestanden, in der Zeit vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2009 Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und die Verpflichtung zur Zahlung von Pflichtbeiträgen, in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2010 habe Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung, in der Zeit vom 1. Januar 2011 bis 31. Januar 2011 habe Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung, ab dem 1. Februar 2011 habe wieder Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und die Verpflichtung zur Zahlung von Pflichtbeiträgen und ab dem 1. Juli 2011 habe Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung bestanden.

Die Klägerin erhob am 30. November 2011 Widerspruch und führte aus: Lehrer im Sinne von § 2 Satz 1 Nummer 1 seien Personen, die Wissen, Können und Fertigkeiten in Form von Einzel- oder Gruppenunterricht vermitteln. Das Lehren in einem künstlerischen Fach, zum Beispiel als Grafiklehrer, führe jedoch nicht zu Versicherungspflicht. Sie unterrichte als Grafikerin bzw. Künstlerin. Im gegenständlichen Zeitraum sei sie auch nachhaltig künstlerisch tätig gewesen. Sie habe Grafiken und Bilder veröffentlicht und sich als Grafikerin an Ausstellungen beteiligt. Sie sei deshalb Künstlerin und nicht Lehrerin. Sie habe damit erwerbsmäßig eine künstlerische Tätigkeit im Sinne von § 2 Künstlersozialversicherungsgesetz ausgeübt. Die Entscheidung über diese Versicherungspflicht treffe allerdings die ... Deshalb sei die Beklagte nicht dazu berufen, über die Versicherungspflicht und eine eventuelle Forderung zu entscheiden. Von der habe sie schon einen Bescheid vom 27. Juli 2011. Es sei entschieden, dass sie dort nicht versichert sei, weil sie versicherungsfrei sei. Die Voraussetzungen des Künstlersozialversicherungsgesetzes würden damit im Grunde bejaht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte ergänzend aus, als versicherungspflichtige selbständig tätige Lehrer seien Personen zu verstehen, die einen der geistigen Entwicklung auf dem Gebiet der Wissenschaften dienenden Unterricht erteilen, aber auch in körperliche Übungen und mechanische Tätigkeiten unterweisen. Der Lehrbegriff sei weit auszulegen und beinhalte jegliches Übermitteln von Wissen, Können und Fertigkeiten, wobei Art und Umfang der Unterweisung nur von untergeordneter Bedeutung sind. Der Unterricht bzw. die Unterweisung könne sowohl in Kursform als auch durch Einzelunterricht erfolgen. Selbst eine bestimmte pädagogische Qualifikation werde nicht vorausgesetzt. Auch wenn diese Tätigkeiten ganz oder überwiegend nach gewerblichen Grundsätzen ausgeübt werden, handele es sich um Lehrtätigkeiten. Die Versicherungspflicht knüpfe insoweit nicht an ein gesetzlich, etwa durch Ausbildungsvorschriften geregeltes Berufsbild des Lehrers an. Die Vorschrift erfasse vielmehr alle Selbständigen, soweit ihre Tätigkeit der Art nach darin bestehe, anderen Unterricht zu erteilen. Sie stelle nicht darauf ab, auf welchen Gebieten Wissen und Kenntnisse vermittelt werden, auf welche Weise der Lehrer seine Kenntnisse und die Lehrfähigkeit erworben habe und wie er den Wissensstoff anderen vermittelt. Die Klägerin sei als Referenten tätig. Sie leite in Bildungseinrichtungen künstlerische Lehrveranstaltungen und erteile Unterricht. Es bestünde deshalb grundsätzlich Versicherungspflicht. In den Zeiträumen, in denen die Geringfügigkeitsgrenze von monatlich 400 EUR überschritten werde, bestehe neben der Versicherungspflicht auch eine Beitragspflicht nach § 165 Abs. 1 SGB VI. Dieses sei vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2009 und 1. Februar 2011 bis 30. Juni 2011 der Fall. Gegen die Berechnung der Beiträge habe die Klägerin keine Einwände vorgetragen. Bis zur Feststellung von Versicherungspflicht in der ... bleibe die Beklagte für die Entscheidung über die Versicherungspflicht als selbständig Tätige zuständig.

Die Klägerin hat am 17. Mai 2012. Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und noch einmal ihren Rechtsstandpunkt vertreten, dass sie ausschließlich in den künstlerischen Fächern als Dozentin tätig sein und das Lehren in einem künstlerischen Fach nicht zu einer Versicherungspflicht führe. Sie sei Künstlerin. Die Entscheidung über ihre Versicherungspflicht treffe ausschließlich die ... Die ... habe Beiträge nur deshalb nicht gefordert, weil ihr jährliches Einkommen unter 3.900 EUR liege.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 23. November 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, dass das Vorbringen bereits bei Erteilung des angefochtenen Widerspruchsbescheides bekannt und berücksichtigt gewesen sei.

Im Erörterungstermin am 14. Juni 2013 wurde die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erörtert. Die Klägerin hat der Vorsitzenden ihre Tätigkeit geschildert.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Beiladung der ... hatte nicht zu erfolgen, da hier ausschließlich Zeiten im Streit stehen, für die die ... bindend keine Versicherungspflicht der Klägerin in der Künstlersozialversicherung festgestellt hat (Bescheid vom 27. Juli 2011)

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 23. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie ist als selbstständig tätige Lehrerin, die im Zusammenhang mit ihrer ausgeübten Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt und aus ihrer Tätigkeit Einkommen auch oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze erzielte, versicherungspflichtig nach § 2 Satz 1 Nummer 1 SGB VI. Die Beklagte hat die Höhe der Beiträge zutreffend festgesetzt.

Nach § 2 Satz 1 Nummer 1 SGB VI sind versicherungspflichtig Lehrer und Erzieher, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, ist eine weite Auslegung des Begriffes "Lehrer" geboten, um die typisierte Schutzbedürftigkeit dieses Personenkreises zu berücksichtigen. Unter den Begriff der selbständig tätigen Lehrer fallen alle Personen, die im Rahmen einer Aus- oder Fortbildung durch theoretischen oder praktischen Unterricht Kenntnisse, Fähigkeiten oder Erfahrungen vermitteln. Der "in langer Tradition entwickelte sozialversicherungsrechtliche Begriff des Lehrers" ist ein weiterer, als der im allgemeinen Sprachgebrauch verwendete.

Als Lehrtätigkeit sind das Übermitteln von Wissen und die Unterweisung von praktischen bzw. körperlichen Tätigkeiten zu verstehen. Unerheblich ist, auf welchen Gebieten die Wissensvermittlung erfolgt und auf welche Weise die zur Ermittlung erforderlichen fachlichen oder pädagogischen Kenntnisse erworben wurden. Eine besondere pädagogische Ausbildung ist nicht erforderlich. Unerheblich ist auch, ob es ein etwa durch Ausbildungsordnungen geregeltes Berufsbild des selbständigen Lehrers gibt. Eine verpflichtende Teilnahme am Unterricht, die Abnahme von Prüfungen oder das Ausstellen von Zeugnissen ist nicht erforderlich. Es gibt keine Vorgaben zu den Lehrinhalten, der Form des Unterrichts, der Qualifikation des Lehrers und einer Leistungskontrolle der Teilnehmer. Es ist auch nicht erheblich, welche berufliche Eigenbezeichnung vom Versicherten angegeben wurde. Es spielt keine Rolle, welches Niveau die ausgeübte Tätigkeit hat und ob sich der Unterricht an Laien wendet. Die der Tätigkeit zu Grunde liegenden Methode der Wissensvermittlung ist für die Beurteilung nicht entscheidend, es kommt auf das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit an. Unter dem Begriff des Lehrers fallen nicht nur Lehrer (z.B. für Sprachen oder Mathematik, sondern auch Tennis-, Golf oder Musiklehrer. Einen Hinweis darauf, dass der Kreis der von der Vorschrift erfassten Lehrer eingeschränkt ist und Kunstlehrer ausschließt, enthält die Regelung nicht.

Die Anwendung des § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil Kunstlehrer - auch - Künstler sind, auf die das Künstlersozialversicherungsgesetz ausschließlich und abschließend anzuwenden wäre. Die Annahme der Klägerin, dass Künstlern, die die Voraussetzungen nach § 2 Satz 1 Nummer 1 SGB VI erfüllen, ohne nach § 1 Künstlersozialversicherungsgesetz der Versicherungspflicht zu unterliegen, gegenüber den übrigen von § 2 Satz 1 Nummer 1 SGB VI erfassten Personen eine Sonderstellung zukommt, lässt sich weder den maßgeblichen Regelungen noch den entsprechenden Gesetzesbegründungen entnehmen und erscheint auch im Hinblick darauf, dass lehrende Künstler, solange sie nicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz pflichtversichert sind, genauso schutzbedürftig sind wie künstlerisch tätige Lehrer, nicht gerechtfertigt. Selbständig tätige Lehrer sind nach dem § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der Rentenversicherung solange versicherungspflichtig, solange eine Versicherungspflicht nach dem KSVG nicht begonnen hat. Hintergrund ist die soziale Schutzbedürftigkeit. Sie sollen von der Versicherungspflicht nach der Nr. 1 nicht generell ausgeschlossen sein. Es gibt auch keine irgendwie geartete Vorrangregelung des § 2 Satz 1 Nr. 1 gegenüber der Nr. 5 oder umgekehrt. Für die streitgegenständliche Zeit bestand auch kein Zusammentreffen beider Versicherungspflichttatbestände, so dass nicht entschieden werden muss, welcher der an den jeweiligen Versicherungspflichttatbestand geknüpften Rechtsfolgen der Vorrang einzuräumen ist, denn im Bescheid vom 27. Juli 2011 wurde durch die gerade nicht die Feststellung getroffen, dass die Klägerin zum Personenkreis der selbstständigen Künstler im Sinne des KSVG gehört und dieser Rentenversicherung versicherungspflichtig ist und ihrerseits Beiträge fordert.

Die Klägerin unterrichtet in den Fächern bild. Kunst, Malerei/Grafik bzw. Zeichnen. Dies lassen die Honorarverträge und Abrechnungen erkennen. In Bildungseinrichtungen werden künstlerische Unterrichtsstunden und Projekte durchgeführt und Zeichenunterricht erteilt. Es liegen praktisch nur Abrechnungen über Unterrichtsstunden im Fach bild. Kunst, Weiterbildungskurse für Kunsterziehungslehrer an Sekundarschulen, Vergütungsnachweise für Unterrichtsstunden im Fach Kunsterziehung am Gymnasium sowie Honorare für Kursstunden Malerei/Grafik vor. Deshalb geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin im Rahmen ihrer selbständigen Tätigkeit ganz überwiegend als Lehrerin tätig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved