L 9 U 4545/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2199/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4545/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Gesundheitsstörung im Bereich der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV – im Folgenden: BK 2108) im Wege des Zugunstenverfahrens.

Der 1964 geborene Kläger ist gelernter Maschinenschlosser (Ausbildung September 1981 bis Juli 1984) und war vor einer Tätigkeit als Zeitsoldat im Sanitätsdienst von Juli 1985 bis Mai 1989 im Jahr 1984 für zwei Monate im (Segel-)Flugzeugbau beschäftigt. Nach seiner Ausmusterung bei der Bundeswehr war der Kläger bei verschiedenen Unternehmen im Wesentlichen als Kfz-Mechaniker zum Teil mit mehrmonatigen Unterbrechungen und zuletzt seit Juni 2009 bei der Firma C. in K. beschäftigt (vgl. insoweit die Aufstellung der Beschäftigungsverhältnisse des Präventionsdienstes der Beklagten vom 20.12.2011, Bl. 1 ff. der Akten).

Das Ermittlungsverfahren in Bezug auf die Anerkennung einer beruflich bedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit leitete die Beklagte im Rahmen eines vom Kläger geltend gemachten Arbeitsunfalles vom 14.03.2011 ein. Unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 20.12.2011, welche unter Berücksichtigung einer knapp 19-jährigen Tätigkeit als Kfz-Mechaniker im Pkw- und Transporterbereich eine Gesamtbelastungsdosis von 7,3 × 106 Nh errechnete, und einer gewerbeärztlichen Feststellung der staatlichen Gewerbeärztin E. vom 01.03.2012 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.03.2012 neben einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV auch die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (BK 2108) ab. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger zunächst kein Rechtsmittel ein.

Am 30.06.2013 beantragte der Kläger die Feststellung einer Berufserkrankung der LWS und führte hierzu aus, dass er während des Krankenstandes nach dem Arbeitsunfall vom März 2011 im Jahr 2012 einen Bandscheibenvorfall im Bereich der LWS erlitten habe. Er sei der Auffassung, dass nicht alle Betriebe ermittelt worden seien und die vorliegende Berechnung nicht korrekt sei. Mit Schreiben vom 11.07.2013, dem keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 nach den durchgeführten Ermittlungen nicht vorliegen und weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht erforderlich seien.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug zu den Umständen und Anforderungen seiner Tätigkeiten weiter vor. Er wies darauf hin, dass viele Tätigkeiten in Rumpfbeuge und aus gebückter Haltung heraus hätten ausgeführt werden müssen. Die Beklagte zog ein Mitglieds- und Vorerkrankungsverzeichnis der A. P. sowie Befundberichte und Bilder vom Chirurgen Dr. S. bei (u. a. Berichte der radiologischen Gemeinschaftspraxis B. vom 21.03.2012 und 08.07.2013 über MRT der Lendenwirbelsäule vom 20.03.2012 bzw. 06.07.2013, über MRT der Halswirbelsäule vom 18.11.2011, 18.03.2013 und 21.08.2013 und über eine MRT der Brustwirbelsäule vom 30.03.2012).

Dr. H. wertete im Auftrag der Beklagten die vorliegenden MRT-Aufnahmen aus und kam in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 18.02.2014 zu dem Ergebnis, dass der Befund altersentsprechend einzustufen sei und die Veränderungen an der Halswirbelsäule gravierender seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass die Ablehnung der Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 19.03.2012 nicht zu beanstanden sei. Sie verwies auf die errechnete Gesamtbelastungsdosis von 7,3 MNh, die der Bescheiderteilung zugrunde gelegt worden seien und die deutlich unter dem vom Bundessozialgericht (BSG) festgelegten Richtwert von 12,5 MNh lägen. Selbst unter der Annahme, dass im Einzelnen auch Gewichte von mehr als 25 kg getragen worden wären, wären diese Tätigkeiten vom Zeitwert her als geringfügig und eher selten einzustufen, so dass dies keine gravierenden Auswirkungen auf die Berechnung der Gesamtbelastungsdosis haben würde. Darüber hinaus lägen auch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht vor. Als Hauptbefund im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehe ein Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 und darüber hinaus winzige Protrusionen in den übrigen Segmenten (L2/3, L3/4, L1/2). Es fänden sich keine degenerativ bedingten, morphologischen Veränderungen der Wirbelkörper im Sinne einer Begleitspondylose. Ebenfalls lasse sich keine mehrsegmentale "black disc" nachweisen. Die Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule seien wesentlich gravierender als an der Lendenwirbelsäule. Insgesamt handele sich bei der Erkrankung im Lendenwirbelsäulenbereich um einen altersentsprechenden Befund. Ein belastungskonformes Schadensbild liege nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger am 01.07.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Der Kläger hat daran festgehalten, dass die Beklagte die errechnete Gesamtbelastungsdosis nicht zutreffend ermittelt habe. Ferner erfülle er auch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108. Bei ihm sei ein Bandscheibenvorfall im Bereich L4/5 festgestellt worden. Eine Begleitspondylose könne von der Beklagten nicht für das Vorliegen eines belastungskonformen Schadensbildes gefordert werden. Bei ihm seien Protrusionen und Facettenarthrosen in den Segmenten L1/2, L2/3 und L3/4 vorhanden. Damit liege unter Berücksichtigung des Bandscheibenvorfalles in L4/5 ein von oben nach unten zunehmender Verschleiß vor.

Das SG hat Beweis erhoben durch Befragung der Fachärztin für Allgemeinmedizin F., welche unter dem 13.11.2014 u. a. Befundberichte der radiologischen Gemeinschaftspraxis B. und des Orthopäden Dr. M. vorgelegt hat. Ferner hat das SG Angaben über wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten von vier früheren Arbeitgebern des Klägers beigezogen (vgl. wegen der gemachten Angaben Bl. 80-88 der Akten) und aus dem Verfahren S 4 U 2613/12 das Gutachten des Orthopäden Dr. M. vom 04.04.2013, das Gutachten des Orthopäden Dr. C. vom 06.11.2012 und die Arztberichte des Orthopäden W. vom 22.07.2011 sowie die Berichte des Neurologen und Psychiaters Dr. W. vom 22.03.2013, 13.06.2013 und 26.07.2013 beigezogen. Schließlich hat das SG ein fachorthopädisches Zusammenhangsgutachten bei Dr. M., K., in Auftrag gegeben. Dieser hat in seinem Gutachten vom 24.03.2015 eine Funktionsstörung der Halswirbelsäule bei bildgebend sich darstellenden mehrsegmentalen, altersvorauseilenden degenerativen Veränderungen, Bandscheibenvorfälle in zwei Segmenten ohne derzeitigen Nachweis einer Wurzel-Reizsymptomatik sowie eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule L4/5 und eine ältere Läsion der Nasenwurzel L5 ohne aktuelle Reizsymptomatik festgestellt. Es ergebe sich im Segment L4/5 eine sogenannte erstgradige Chondrose, während die übrigen Segmente keine nennenswerte Chondrose aufwiesen. Eine so genannte "black disc" liege nicht vor, eine sogenannte Begleitspondylose im Lendenwirbelsäulenbereich sei nicht ersichtlich. Gemäß den Konsensempfehlungen müsse die vorliegende Erkrankung der Lendenwirbelsäule unter der Konstellation "B" eingeordnet werden. Weil wesentliche konkurrierende Ursachen nicht erkennbar seien und eine Begleitspondylose als Ausdruck eines positiven Zusatzkriteriums nicht vorliege, sei zunächst die Konstellation "B2" heranzuziehen. Hier sei als Zusatzkriterium ein Bandscheibenvorfall in mehreren Bandscheibenetagen oder aber eine sogenannte "black disc" im MRT notwendig, was aber beim Kläger nicht gegeben sei. Damit erfolge die Einordnung in Konstellation "B3", die eine klassische Manifestation lumbaler Bandscheibenerkrankungen schicksalhafter Genese darstelle. Betrachte man zusätzlich die Veränderungen der Halswirbelsäule, sei festzustellen, dass unter Bewertung der bildgebenden Befunde die Bandscheibenveränderungen der Halswirbelsäule stärker ausgeprägt seien als im Bereich der Lendenwirbelsäule. Insoweit komme Konstellation "B5" zum Tragen. Die Bandscheibenschäden der Hals- und Lendenwirbelsäule seien damit nicht auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen.

Der Kläger hat gegen das Gutachten Einwendungen erhoben, zu denen Dr. M. unter dem 01.07.2015 in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme erwidert und in der er an seiner bislang vertretenen Auffassung festgehalten hat.

Mit Urteil vom 16.10.2015 hat das SG die Klage abgewiesen und unter näherer Darlegung der rechtlichen Voraussetzungen für die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes einerseits wie auch der materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten BK andererseits ausgeführt, dass der Kläger schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK nicht erfülle. Der Präventionsdienst habe die Vorgaben des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) zugrunde gelegt, das nach der Rechtsprechung des BSG, der die Kammer folge, jedenfalls in der aufgrund der Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie 1 modifizierten Form ein geeigneter Maßstab zur Konkretisierung und Ermittlung der arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der streitigen BK sei. Darüber hinaus erfülle der Kläger auch nicht die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der streitigen BK. Das SG hat sich insoweit den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen angeschlossen, wonach eine Befundkonstellation "B1" schon deshalb nicht vorliege, weil es an der hierfür erforderlichen Begleitspondylose fehle. Für die Befundkonstellation "B2", die nach den Konsensempfehlungen ebenfalls einen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang begründen könne, sei keines der zur Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs mit berufsbedingten Belastungen erforderlichen Zusatzkriterien erfüllt. Weder fänden sich in den Kernspintomographieaufnahmen der Lendenwirbelsäule Nachweise sogenannter "black discs" noch ergebe sich aus den Bekundungen der vom Gericht gehörten ehemaligen Arbeitgeber ein Anhalt für ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen. Denn die früheren Arbeitgeber hätten überwiegend Hebe- und Tragebelastungen mit Gewichten von allenfalls 15 kg in nur geringem zeitlichen Umfang (bis etwa achtmal pro Arbeitsschicht) bestätigt. Die höheren Belastungen während der Beschäftigungszeiten bei der Firma A. erstreckten sich ersichtlich auf die zweimal jährliche Radwechselsaison und stellten deshalb ebenfalls kein besonderes Gefährdungspotenzial im Sinne der Konsensempfehlungen dar. Schließlich leide der Kläger neben den Veränderungen an der Lendenwirbelsäule auch an Gesundheitsstörungen der Halswirbelsäule im Sinne ausgeprägter degenerativer Veränderungen bei flacher linkskonvexer Skoliose und Streckfehlhaltung, Retrospondylophytenbildung in den Segmenten C4 bis C6 mit Einengung des Spinalkanals und multisegmentalen Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten C3 bis C6, schwerpunktmäßig im Segment C5/6. Diese radiologisch nachgewiesenen Veränderungen seien stärker ausgeprägt als die Bandscheibenveränderungen an der Lendenwirbelsäule. Sie führten darüber hinaus zu einer deutlichen Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule in allen Bewegungsebenen. Weil diese nicht Folge einer beruflichen Belastung und deswegen der Befundkonstellation "B5" der Konsensempfehlungen zuzuordnen seien, könne auch hier kein ursächlicher Zusammenhang mit berufsbedingten Belastungen wahrscheinlich gemacht werden. Schließlich ergebe sich aus dem beigezogenen Gutachten des Orthopäden Dr. C. vom 06.11.2012, dass der Kläger bereits seit seinem 25. Lebensjahr unter Lendenwirbelsäulenbeschwerden leide. Zu diesem Zeitpunkt, also im Jahr 1988/89, sei der Kläger noch keinen – wie erforderlich – langjährigen, wenigstens zehn Jahre andauernden beruflichen Belastungen durch schweres Heben und Tragen ausgesetzt gewesen. Gegenüber den St. R.-Kliniken, Bad S., habe der Kläger darüber hinaus im Juni 2011 angegeben, er leide seit seinem 14. Lebensjahr an rezidivierenden Beschwerden im Bereich aller Abschnitte der Wirbelsäule mit allmählicher Progredienz seit 20 Jahren. Damit erfülle der Kläger weder die arbeitstechnischen noch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die von ihm begehrte Feststellung.

Gegen das ihm am 21.10.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.10.2015 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.

Zur Begründung hat er zunächst gerügt, die Belastungen aus seinen Tätigkeiten seien nur ungenügend berücksichtigt worden. Die Zeiten aus seinem Militärdienst seien vollständig unberücksichtigt geblieben, obwohl er dort ganz erheblichen körperlichen Belastungen im Sanitätsdienst ausgesetzt gewesen sei. Er habe über einen langen Zeitraum hinweg (18,5 Jahre) in gebückter oder auch kniender Haltung mehrfach täglich Montagearbeiten durchgeführt, was insbesondere für den Lendenwirbelsäulenbereich eine starke Belastung darstelle. Diese Gegebenheiten seien von der Beklagten fehlerhaft verkannt worden. Er habe seine belastungsgefährdende Tätigkeit im Jahr 2011 auch nicht mehr wieder aufgenommen. Zur Untermauerung seines Vortrages hat er die Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin vor der medizinischen Fakultät der Universität Ulm von Jörg Peter Mertens aus dem Jahr 2007 "die Halswirbelsäule als Ein- oder Ausschlusskriterium für die Berufserkrankung 2108" vorgelegt. Ferner verweist er auf das Urteil des LSG Hessen vom 07.04.2014 (L 9 U 121/11). Der dortige Rechtsstreit führte zur Anerkennung einer BK 2108 bei einem als Kfz-Mechaniker tätigen Kläger. Darüber hinaus hat der Kläger die Berechnung im Gutachten von Dr. M. hinsichtlich der Abnutzung der Wirbelsäule für nicht nachvollziehbar gehalten und zur weiteren Begründung den Bericht des Orthopäden W. vom 22.07.2011 vorgelegt (Diagnosen: NPP C5/C6, rezidivierende Cervicalgie, Dorsalgie, Lumbalgie, Flachrücken, Epicondylitis humeri ulnaris rechts) sowie den Notfallbericht der Asklepios S.klinik G. vom 21.07.2016 (akute Lumbago, bekannter BSV LWS) vorgelegt. Ferner hat er das biomechanische Gutachten zum Arbeitsunfallereignis vom 14.03.2011 des Diplomingenieurs P. S., B. (Gutachten vom 28.09.2016) sowie das "Kurzgutachten" des Dipl.-Ing. S., D. GmbH, C. vom 30.09.2016 "zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne der BK Nr. 2108" vorgelegt. Dieser errechnete eine Belastungsdosis von 11,2 MNh für die Tätigkeit als Kfz-Mechaniker, hielt aber eine Gesamtbelastung von mehr als 12,5 MNh für sehr wahrscheinlich, weil bislang Tätigkeiten während der Militärzeit, u.a. auch durch Ganzkörperschwingungen beim Fahren von Fahrzeugen im Gelände, und während der sechs Monate in einem Getränkemarkt nicht berücksichtigt worden seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Oktober 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Rücknahme des Bescheides vom 19. März 2012 zu verurteilen, die Störung an der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und ihm die gesetzlichen Leistungen aus diesem Versicherungsfall zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat ausgeführt, der Kläger verkenne, dass allein das Heben und Tragen schwerer Lasten und das Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung entscheidend sei. Es komme daher weder auf die Summe der reparierten Kraftwagen noch auf Tätigkeiten in der Hocke, im Knien oder im Bücken an. Auf die Frage der arbeitstechnischen Voraussetzungen komme es nicht alleine an, die Anerkennung scheitere jedenfalls am Fehlen der medizinischen Voraussetzungen, die unter Würdigung des medizinischen Befundes durch die fachärztliche Beraterin Dr. H. vom 18.02.2014 und des im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachtens des Herrn Dr. M. vom 24.03.2015 nicht gegeben seien.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 07.11.2016 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückweisen könne, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Den Beteiligten ist Gelegenheit gegeben worden, sich bis 30.11.2006 zu äußern. Die Bevollmächtigte des Klägers hat hierauf noch einmal Akteneinsicht genommen, ein weiterer Sachvortrag ist nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 11.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2014, mit dem die Beklagte eine Rücknahme des Bescheides vom 19.03.2012 (Ablehnung der Anerkennung einer BK 2108 [und BK 2109]) ablehnte. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R –, juris) kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Versicherungsfalles – Arbeitsunfall oder Berufskrankheit, vgl. § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) – im Wege der Verpflichtungsklage verlangen. Einer zusätzlichen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hingegen nicht (vgl. BSG, Urteil vom 05.09. 2006 – B 2 U 24/05 R –, BSGE 97, 54-63, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18, m. w. N.). Dem entsprechend begehrt der Kläger hier zulässigerweise die Verpflichtung der Beklagten, die streitige BK anzuerkennen. Unzulässig ist hingegen die hiermit verbundene Leistungsklage, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht erhoben war und die auf die Gewährung gesetzlicher Leistungen gerichtet ist (BSG, Urteil vom 15.02.2005 – B 2 U 1/04 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12).

Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens auf Rücknahme des Bescheides vom 19.03.2012 ist § 44 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 der Regelung ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Im Übrigen – so Abs. 2 Satz 1 – ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 Satz 2), wobei eine solche Entscheidung im Ermessen der Verwaltung steht. Diese Bestimmungen ermöglichen eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Zwar wurde vorliegend nicht über Leistungen entschieden, sondern (nur) die Anerkennung der streitigen BK 2108 abgelehnt, sodass durch diesen Bescheid unmittelbar nicht "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind", wie dies § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraussetzt. Weil es bei der Anerkennung einer BK letztendlich jedoch jedenfalls mittelbar um Leistungsansprüche geht, ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X hier dennoch anzuwenden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.2014 – L 10 U 1507/12 –, Juris).

Jedoch kommt eine Rücknahme nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht in Betracht, da die Beklagte zu Recht die Anerkennung der BK abgelehnt hat. Dabei bedarf es keiner weiteren Erörterung, dass das Schreiben vom 11.07.2013 die Voraussetzungen eines Verwaltungsakts im Sinne des § 31 SGB X erfüllt, mithin eine Entscheidung einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts darstellt, auch wenn dem Bescheid keine Rechtmittelbelehrung beigefügt war. Denn in diesem Schreiben hat die Beklagte den Antrag des Klägers, eine BK 2108 anzuerkennen, mit der Begründung abgelehnt, schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK lägen nicht vor. Weder der Kläger, der hiergegen Widerspruch eingelegt hat, noch die Beklagte haben dies anders verstanden und dieses Schreiben zutreffend als Verwaltungsakt gewertet.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folgen einer BK 2108 dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein solcher Anspruch nicht besteht, weil ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang von beruflichen Einwirkungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch Arbeit in extremer Rumpfbeugung mit der festgestellten bandscheibenbedingten Erkrankung am Wirbelkörper L4/5 nicht wahrscheinlich gemacht werden kann. Insoweit hat das SG zur Beurteilung eines wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs auch die vom Senat regelmäßig herangezogenen Konsensempfehlungen zur Beurteilung eines hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs gewürdigt und ist – auch nach Prüfung durch den Senat – zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass ein wahrscheinlich ursächlicher Zusammenhang sich nicht über eine Konstellation "B1" und auch nicht über eine Konstellation "B2" begründen lässt, weil deren Voraussetzungen nicht nachgewiesen sind. Für die unter Berücksichtigung des bildgebenden Befundes erfüllten Konstellationen "B3" und "B5" ist nach den Konsensempfehlungen gerade kein ursächlicher Zusammenhang mit beruflichen Einwirkungen wahrscheinlich zu machen. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück. Ergänzend zum Vortrag im Berufungsverfahren und zu den dort vorgelegten Unterlagen ist auf Folgendes hinzuweisen:

Der Senat hat keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Konsensempfehlungen auch weiterhin den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zur Beurteilung von durch schweres Heben und Tragen bzw. durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursachten bandscheibenbedingten Erkrankungen darstellen. Die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen beruflichen Belastungen und Bandscheibenerkrankung hat auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu erfolgen; daher sind neben der Begründung des Verordnungsgebers auch die Merkblätter des zuständigen Bundesministeriums, die wissenschaftliche Begründung des ärztlichen Sachverständigenbeirates sowie die sogenannten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des Hauptverbandes der Berufsgenossenschaften (HVBG) eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe ("Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule", Bolm-Audorff, et al., Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.) zu beachten. In seinen Urteilen vom 23.04.2015 hat das BSG bestätigt, dass diese Konsensempfehlungen weiterhin den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand abbilden (vgl. hierzu ausführlich, auch zu den zwischenzeitlich erfolgten Meinungsäußerungen in der medizinischen Wissenschaft, etwa zur Deutschen Wirbelsäulenstudie: B 2 U 6/13 R, B 2 U 10/14 R und B 2 U 20/14 R, alle juris). Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 25.07.2017 – L 9 U 1561/16 –, vom 11.04.2017 – L 9 U 2420/17 – und vom 23.02.2016 – L 9 U 5101/12 –). Der vom Kläger zur Akte gereichten Dissertation, die Zweifel daran äußert, ob die HWS-Mitbeteiligung ein geeignetes Kriterium ist, welches für oder gegen das Vorliegen einer berufsbedingten LWS-Degeneration spricht, kommt insoweit keine eigenständige Bedeutung zu, weil nicht ersichtlich ist, dass es sich diesbezüglich um eine gefestigte Auffassung in der medizinischen Wissenschaft handelt, die von einer großen Zahl der mit dieser Materie befassten Ärzte geteilt wird. Im Übrigen kommt es hierauf in dem vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich an, weil auch ohne Mitberücksichtigung der Veränderungen an der Halswirbelsäule eine Wahrscheinlichkeit der Verursachung durch berufliche Einwirkungen nicht zu begründen war (vgl. insoweit die zutreffenden Ausführungen des SG zur Konstellation "B1" und "B2", für die grundsätzlich ein hinreichend wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang zwischen berufsbedingten Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung angenommen wird, hier aber nicht festgestellt werden konnte). Dies unterscheidet den Fall des Klägers vom Sachverhalt, der der Entscheidung des LSG Hessen (a.a.O.) zugrunde gelegen hat. Denn dort wurde die Konstellation "B2" bejaht. Einen von der gutachterlichen Untersuchung abweichenden Gesundheitsschaden im Bereich der Lendenwirbelsäule vermochte der Senat den vorgelegten Befundberichten (Bericht des Orthopäden W. vom 22.07.2011, dessen Diagnosen sich abgesehen von einer Lumbalgie auf die Halswirbelsäule bezogen und Notfallbericht der Asklepios S.klinik G. vom 21.07.2016 mit einer akuten Lumbago und einem "bekannten" BSV der LWS) nicht zu entnehmen.

Soweit der Kläger die Auswertung der kernspintomographischen Bilder als nicht nachvollziehbar beschreibt, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Die Beurteilung, ob und in welcher Ausprägung eine Chondrose vorliegt, beruht auf der Auswertung von zwei Bildern (vom 20.03.2012 und 06.07.2013), die übereinstimmend belegen, dass lediglich im Segment L4/5 eine Chondrose Grad I vorliegt. Dies gilt selbst dann, wenn man die vom Kläger errechneten 80,1 % bei LWK 5/S1 im MRT vom 20.03.2012 (statt der vom Sachverständigen angegebenen 82 %) als normierte relative BS-Höhe zugrunde legen wollte, weil ein Chondrose Grad I erst bei einer relativen BS-Höhe von unter 80 % anzunehmen wäre. Die unterschiedlichen Werte aus den einzelnen Kernspintomographien beruhen im Übrigen auf der unterschiedlichen Auflösung der Bilder, weswegen es auf die relativen Größenverhältnisse ankommt, wie den Konsensempfehlungen entnommen werden kann (Anhang 3, I., am Ende). Dies ist von Dr. M. in dessen Gutachten auch beachtet worden.

Unter Berücksichtigung dessen kommt es auf die Erfüllung der sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht (mehr) an. Denn selbst wenn man unterstellen wollte, eine Mindestbelastungsdosis von 12,5 MNh sei erreicht, wovon zumindest das vom Kläger vorgelegte Gutachten der D. GmbH (lediglich nur) mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ausgeht, lässt sich eine notwendige Wahrscheinlichkeit der bandscheibenbedingten Erkrankung bei L4/5 durch schweres Heben und Tragen bzw. durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung nicht begründen.

Schließlich weist der Senat mit Blick auf in einem anderen Verfahren des Klägers (L 9 U 1763/16, Ablehnung der Anerkennung von weiteren Folgen eines Arbeitsunfalles, Beschluss des Senats vom 29.01.2018)geäußerte, in dem hier anhängigen Verfahren aber nicht ausdrücklich vorgebrachte Einwendungen gegen die Verwertbarkeit der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. darauf hin, dass selbst bei einem unterstellten Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGG die Rüge der Unverwertbarkeit erstmals im Berufungsverfahren nicht rechtzeitig erhoben wäre (vgl. C. W. in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 200 SGB VII Rdnr. 14 ff. zur Rechtsprechung des BSG u. Rdnr. 143 ff. zur Rügeobliegenheit und den Rechtsfolgen einer unterlassenen/nicht rechtzeitigen Rüge, m. w. N.)

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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