L 4 SO 38/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 SO 205/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 38/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Juli 2014 wie folgt geändert: Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 5. Oktober 2011 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 17. November 2011, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2012, sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 19. März 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2012 verurteilt, der Klägerin Aufwendungen für die Behandlung des Betroffenen in der Zeit vom 24. September bis zum 15. Oktober 2011, vom 30. bis zum 31. Oktober 2011 und vom 10. bis zum 12. März 2012 in Höhe von 3.256,45 Euro zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 45 %. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten, die für die Behandlung von K. (Betroffener) im September und Oktober 2011 und im März 2012 in Höhe von insgesamt 7.094,11 Euro entstanden sind.

Der am 15. Oktober 1985 geborene Betroffene ist nach eigenen Angaben p. Staatsangehöriger und lebte seit 2007 in H., zunächst bei seinem inzwischen verstorbenen Vater in H1, wo er zuletzt bis zum 30. November 2008 gemeldet war. Seinen Angaben zufolge hatte er keine Papiere, war ohne festen Wohnsitz, hielt sich im Bereich A. / R. auf und lebte vom Betteln und Flaschensammeln. Er war in den Jahren 2011 und 2012 nach eigenen Angaben weder in P. noch in Deutschland krankenversichert, hatte kein Einkommen oder Vermögen und bezog keinerlei Sozialleistungen.

Streitgegenständlich sind insgesamt drei Krankenbehandlungen des Betroffenen durch die Klägerin: Am Samstag, dem 24. September 2011, wurde der Betroffene in die Klinik der Klägerin laut Rettungsdienstprotokoll mit einer Alkoholintoxikation (laut Labor Blutalkoholkonzentration von 3,74 Promille) und drei Krampfanfällen an diesem Tag eingeliefert und um 21.47 Uhr aufgenommen. Im Aufnahmebogen ist notiert, der Betroffene sei Alkoholiker, schläfrig, verwahrlost und verlaust. Es bestünden weder Schmerzen noch Fieber. Andere Obdachlose hätten berichtet, der Betroffene habe "3 x kurz gekrampft". Im Arztbrief werden eine Vigilanzminderung, multiple juckende Hautabschürfungen, Schrunden, Erosionen und Geschwüre am ganzen Körper mit massiver Verunreinigung und unklarem Ungeziefer- und Lausbefall beschrieben. Als Diagnosen hielt die Klägerin eine makrozytäre Anämie bei chronischem Alkoholabusus, einen Verdacht auf eine äthyltoxische dilatative Kardiomyopathie, Fieber mit Bakteriämie bei Cutis vagantis, eine Pedikulose und eine Zahnextraktion von drei Zähnen fest. Die Klägerin behandelte den Betroffenen bis zum 14. Oktober 2011. Mit ihrer Rechnung machte sie für die Behandlung einen Vergütungsanspruch in Höhe von 3.761,34 Euro geltend. Der überwiegende Teil des Rechnungsbetrages entfällt auf die DRG V60B – Alkoholintoxikation und Alkoholentzug – und den Langliegerzuschlag.

Über die Behandlung des Betroffenen informierte die Klägerin die Beklagte mit Fax vom 25. September 2011 und stellte zugleich zur Fristwahrung einen Kostenübernahmeantrag gemäß § 25 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). In der Folge übersandte die Klägerin der Beklagten einen Kostenübernahmeantrag und ein Dringlichkeitsattest, in dem dem Betroffenen "nicht näher bezeichnete Krämpfe" attestiert wurden. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2011 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten ab mit der Begründung, der Betroffene sei am 30. November 2008 unbekannt verzogen. Die Klägerin erhob am 12. Oktober 2011, bei der Beklagten eingegangen am 18. Oktober 2011, Widerspruch und fügte diesem den Aufnahmebogen mit den oben genannten Angaben zur Person des Betroffenen bei.

Am Sonntag, dem 30. Oktober 2011, wurde der Betroffene erneut als Notfall in die Klinik der Klägerin gebracht und um 14.15 Uhr aufgenommen, nachdem er hilflos auf dem Gehweg liegend aufgefunden worden war. Er war ohne Abstützen nicht gehfähig und klagte über Schwäche und Schmerzen in beiden Beinen. Er habe einen cerebralen Krampfanfall erlitten. Die Blutalkoholkonzentration betrug 3,7 Promille. Die Klägerin diagnostizierte sonstige und nicht näher bezeichnete Krämpfe, nüchterte den Betroffenen unter Monitorkontrolle aus und entließ ihn am Folgetag, nachdem er stand- und gangsicher war und im EEG keine Krampfpotentiale festgestellt werden konnten sowie keine weiteren Krampfanfälle aufgetreten waren. Laut Rechnung (DRG B67G – Anfälle – abzüglich Kurzliegerabschlag) entstand ein Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 836,52 Euro.

Die Mitteilung über die Behandlung des Betroffenen und den Kostenübernahmeantrag zur Fristwahrung übersandte die Klägerin am 30. Oktober 2011 per Fax. Das Dringlichkeitsattest mit der Diagnose Prä-Delir, epileptischer Krampfanfall, Verdacht auf Polyneuropathie, Alkoholabusus, aktuell 3,7 Promille, eine Mittellosigkeitserklärung und der Aufnahmebogen mit den bekannten Angaben, ein Foto des Betroffenen und eine Einwilligungserklärung zur Verwendung des Fotos für seine Identifizierung sowie der Kostenübernahmeantrag gingen bei der Beklagten zu einem nicht eindeutig klärbaren Zeitpunkt kurze Zeit später ein. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. November 2011 ab. Mangels bekannter Anschrift des Betroffenen, sei ein Anspruch auf Krankenhilfe nach § 48 SGB XII nicht feststellbar. Den Widerspruch der Klägerin, bei der Beklagten eingegangen am 5. Dezember 2011, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2012 – zusammen mit dem Widerspruch betreffend den Bescheid zu dem ersten Aufenthalt – unter Bezugnahme auf ein Anhörungsschreiben vom 23. Februar 2012 zurück. Dort hieß es zur Begründung der ablehnenden Entscheidung, eine Leistungsberechtigung des Betroffenen nach dem SGB XII, die Voraussetzung für einen Nothelferanspruch sei, habe nicht festgestellt werden können. Es lägen hierzu keine Unterlagen vor, der aufenthaltsrechtliche Status des Betroffenen sei unklar, der Betroffene sei nicht erreichbar. Die Beweislast für die Leistungsberechtigung des Nothilfeempfängers liege aber beim Nothelfer. Der Anspruch nach § 25 SGB XII reiche auch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Beklagte zur Geltendmachung von Ansprüchen durch den Hilfeempfänger wieder dienstbereit gewesen sei, längstens also bis zum Montag nach der Aufnahme. Am Samstag, dem 10. März 2012, wurde der Betroffene erneut im Haus der Klägerin aufgenommen. Laut Aufnahmebefund befand er sich im Delir und konnte nicht laufen. Es zeigte sich ein Alkoholentzugssyndrom. Im Dringlichkeitsattest und im Arztbrief sind als Diagnosen u.a. Delir, chronischer Alkoholabusus, Verdacht auf Leberzirrhose mit Ikterus, eine makrozytäre hyperchrome Anämie sowie erneut Lausbefall und Verwahrlosung genannt. Am 12. März 2012 verließ der Betroffene gegen ärztlichen Rat vor 7.00 Uhr die Klinik. Den Vergütungsanspruch bezifferte die Klägerin auf 2.496,25 Euro (Rechnung vom 12.4.2012: DRG Q61E – Erkrankungen der Erythrozyten –).

Mit Fax vom 10. März 2012 informierte die Klägerin die Beklagte über die Behandlung und stellte einen fristwahrenden Antrag nach § 25 SGB XII. Das Dringlichkeitsattest, die Einwilligungserklärung bezüglich der Verwendung des Fotos, das Foto selbst, die Mittellosigkeitserklärung und der Aufnahmebogen gingen später bei der Beklagten ein. Mit Bescheid vom 19. März 2012 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut mangels Kenntnis des Aufenthalts des Betroffenen ab. Den Widerspruch der Klägerin, bei der Beklagten eingegangen am 11. April 2012, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2012 unter Bezugnahme auf ein Anhörungsschreiben vom 13. Juni 2012 zurück. Darin hieß es weitergehend, der Betroffene sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und habe bei der Beklagten nicht vorgesprochen oder einen Antrag gestellt. Der Vergütungsanspruch sei auch vorrangig bei der Krankenkasse geltend zu machen. P. Staatsangehörige seien in der Regel im Heimatland krankenversichert.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. April 2012 (1. und 2. Aufenthalt) hat die Klägerin am 30. April 2012 (Aktenzeichen S 52 SO 205/12), gegen den Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2012 (3. Aufenthalt) am 27. Juli 2012 (Aktenzeichen S 52 SO 333/12) Klage beim Sozialgericht erhoben. Das Sozialgericht hat die Verfahren mit Beschluss vom 11. September 2012 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 52 SO 205/12 geführt. Die Klägerin hat sich auf die offensichtliche Mittellosigkeit des Betroffenen berufen. Die Beklagte hat dagegen ausgeführt, die Klägerin habe vorrangige Ansprüche gegen eine Krankenkasse prüfen müssen. Es sei davon auszugehen, dass der Betroffene der Bürgerversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) unterliege. Die Klägerin habe daher die Pflicht gehabt, den Betroffenen zur Wahl einer Krankenkasse aufzufordern, um gegen diese den Vergütungsanspruch geltend zu machen. Nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2014 sind die Beteiligten sich über das Vorliegen eines medizinischen Notfalls und die fristgerechte Anmeldung einig gewesen. Mit Urteil vom 7. Juli 2014 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung aller angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin die Kosten für alle drei Aufenthalte in Höhe von insgesamt 7.094,11 Euro zu erstatten. Es hat einen medizinischen Notfall im Sinne dringender Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit in allen drei Fällen als unstreitig vorliegend angesehen. Der Betroffene sei auch sozialhilfebedürftig gewesen. Hierfür sprächen sowohl die Mittellosigkeitserklärung wie auch der Zustand des Betroffenen bei der Aufnahme. Bestünden an der Bedürftigkeit des Betroffenen wie hier keine ernsthaften Zweifel, sei das Krankenhaus zu eigenen Nachforschungen, zu dem ihm die Mittel des Sozialamtes fehlten, nicht verpflichtet. Anhaltspunkte für eine bestehende Krankenversicherung des Betroffenen hätten nicht vorgelegen. Eine Freizügigkeitsbescheinigung nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU habe der Betroffene bis 2013 nach den Angaben der Beklagten nicht besessen. Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. November 2014 (B 8 SO 9/13 R) habe bei der Entscheidung nicht vorgelegen.

Das abgefasste Urteil ist am 21. Juli 2015 der Geschäftsstelle des Gerichts übergeben worden. Bereits am 2. Juli 2015 hatte die Beklagte gegen das Urteil des Sozialgerichts Berufung eingelegt und einen Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung an das Sozialgericht gestellt. Das Urteil sei verkündet worden und daher existent. Es sei aber unter Verstoß gegen §§ 134 Abs. 1, 135 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vollständig abgefasst und unterschrieben an die Beteiligten zugestellt worden. Nach der Abfassung und Zustellung des Urteils begehrt die Beklagte nur noch die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg. Sie trägt unter Aufrechterhaltung der Rüge der genannten Verfahrensfehler zum Inhalt weiter vor: Ein Anspruch des Nothelfers scheide aus, wenn der Hilfebedürftige – wie der Betroffene – von seinem Recht, Leistungen der Sozialhilfe nicht in Anspruch zu nehmen, Gebrauch mache. Dass der Betroffene trotz wiederholt erklärter Mittellosigkeit keinen Antrag bei der Beklagten gestellt habe, wecke zudem Zweifel an der Bedürftigkeit. Bis zum Ende des Eilfalls habe das Krankenhaus eine umfassende Ermittlungspflicht im Hinblick auf eine mögliche Krankenversicherung, wenn es einen Nothilfebedürftigen ohne Krankenversicherungskarte aufnehme. Eine Krankenversicherung scheide auch nicht von vornherein aus, der Betroffene habe zunächst bei seinem Vater gelebt und sei möglicherweise erwerbstätig gewesen. Der Nachrang der Sozialhilfe gegenüber Krankenversicherungsansprüchen als bereiten Mitteln käme nur dann nicht zum Tragen, wenn feststehe, dass der Betroffene nicht krankenversichert sei. Für den ersten wie den dritten Aufenthalt sei die Notwendigkeit der Behandlung nachvollziehbar; dagegen sei die Dringlichkeit im Sinne eines medizinischen Notfalls für die gesamte Dauer anzuzweifeln. Bei dem ersten Aufenthalt seien neben der einen Krankenhausbehandlung dringend gebietenden Alkoholintoxikation auch solche Behandlungen durchgeführt und abgerechnet worden, die eine vorherige Klärung der Kostenfrage erlaubt hätten (Alkoholentzug, Zahnbehandlung, Kardiomyopathie, Anämie). Hierfür spreche auch die Verteilung der diagnostischen Maßnahmen auf einen Zeitraum von mehreren Tagen (nach Auskunft des Bevollmächtigen der Klägerin: Computertomographie des Schädels am 25.9.2011 zum Ausschluss eines Schlaganfalls bei Bewussteins- und Gangstörung, Röntgenuntersuchung des Thorax am 27.9.2011, EKG am 28.9.2011, Abdomensonographie am 29.9.2011). Da die Alkoholintoxikation eine dreiwöchige Krankenhausbehandlung nicht rechtfertige, sei auch der Langliegerzuschlag nicht abzurechnen. Die Behandlung wegen einer "Erkrankung der Erythrozyten" beim dritten Aufenthalt wecke diesbezüglich ebenfalls Zweifel. Insofern und wegen der Dauer des Eilfalls nur bis zur Kenntnis des Sozialhilfeträgers komme, wenn überhaupt, nur eine tageweise Abrechnung der Behandlung, nicht aber eine Erstattung der gesamten Aufwendungen in Betracht. Die Klägerin könne Rechte des Betroffenen aus § 48 SGB XII nicht selbst und nicht für den Betroffenen geltend machen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Juli 2014 aufzuheben und die Klagen vom 27. April 2012 und 20. Juli 2012 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Die Weigerung von Nothilfebedürftigen, einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen, könne dem Nothelferanspruch nicht entgegengehalten werden, weil Obdachlose eben gerade den Kontakt zu Behörden meiden würden. Sie betont die Pflicht des Sozialhilfeträgers, nach Ende des Eilfalls den Hilfebedarf des Betroffenen zu ermitteln und verweist auf ein Urteil des BSG vom 18. November 2014 (B 8 SO 9/13 R). Dieser Pflicht hätte die Beklagte durch Aufsuchen des Betroffenen in der Klinik nach dem Wochenende nachkommen können und müssen. Die Sozialhilfe sei entgegen der Auffassung der Beklagten auch nur gegenüber solchen Leistungsansprüchen (aus der Krankenversicherung) nachrangig, die der Betroffene tatsächlich erhalte, was hier nicht der Fall gewesen sei. Zum ersten Aufenthalt trägt sie ergänzend vor, es sei zu anhaltenden Fieberschüben gekommen. Im Rahmen der Suche nach dem ursächlichen Infekt sei der desolate Zustand der Zähne aufgefallen, der zum Entfernen von drei Zähnen geführt habe. Es sei eine antibiotische Behandlung notwendig gewesen. Da der Betroffene die ambulante Versorgung für Obdachlose gemieden habe, hätten die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nur unter Verletzung der ärztlichen Behandlungspflicht unterlassen werden können. Zum dritten Aufenthalt teilt sie mit, der Betroffene habe eine Transfusion von Ery-throzytenkonzentraten (Blutkonserve aus roten Blutkörperchen) benötigt. Die antibiotische Behandlung habe wiederholt werden müssen. Wegen des Verdachts auf eine Leberzirrhose sei eine Abdomensonographie durchgeführt worden, außerdem eine Röntgenaufnahme von Oberschenkel, Becken und Thorax.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. März 2017 hat die Vertreterin der Beklagten erklärt, es bestehe an Wochentagen keine Dienstbereitschaft vor 7.00 Uhr. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Berufungsfrist mit der Einlegung der Berufung am 2. Juli 2015 eingehalten worden. Die Frist des § 151 Abs. 1 SGG von einem Monat beginnt mit der Zustellung des vollständigen Urteils (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 151 Rn. 7), hier also mit Zustellung der Urteilsausfertigung am 23. Juli 2015; die Einlegung der Berufung am 2. Juli 2015 gegen das bereits verkündete Urteil war daher rechtzeitig.

Die Abfassung des Urteils über ein Jahr nach dessen Verkündung steht einer Entscheidung des Senates in der Sache nicht entgegen. Von einer Zurückverweisung an das Sozialgericht nach § 159 SGG war abzusehen. Zwar litt das Verfahren an einem wesentlichen Mangel. In Anlehnung an die Frist in § 548 Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes mit Beschluss vom 27. April 1993 (GmS-OGB 1/92) nämlich entschieden, dass für die Abfassung eines Urteils eine Frist von fünf Monaten ab dem Tag der Verkündung einzuhalten ist. Bei Überschreitung dieser Frist gilt das Urteil als nicht mit Gründen versehen, was einen absoluten Revisionsgrund darstellt (§ 202 S. 1 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO). § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG verlangt jedoch darüber hinaus, dass auf Grund des Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, also ein Kausalzusammenhang zwischen dem Mangel und der Erforderlichkeit der Beweisaufnahme besteht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 159 Rn. 4). Dies ist hier nicht ersichtlich. Gegen eine Zurückverweisung spricht im Übrigen, dass das Sozialgericht selbst bei einer absehbaren Überschreitung der Fünfmonatsfrist nicht zu einer erneuten Verhandlung mit der Folge des Erlasses eines zweiten Urteils berechtigt ist (Keller, a.a.O., § 134 Rn. 5).

Die Berufung ist nur zum Teil begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Voraussetzungen des sog. Nothelferanspruchs nach § 25 SGB XII für erfüllt gehalten; der Höhe nach ist der Anspruch aber geringer als vom Sozialgericht ausgeurteilt.

Richtige Beklagte ist die Freie und Hansestadt H ... Sie ist die örtliche Trägerin der So-zialhilfe in H. und damit sachlich zuständig. Aus der Hamburgischen Anordnung zur Durchführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Abschnitt I Abs. 4 Nr. 1 ergibt sich im Übrigen, dass für alleinstehende, wohnungslose Personen das Bezirksamt der letzten Meldeadresse zuständig ist, wonach hier das Bezirksamt H1 zu Recht gehandelt hat.

Gemäß § 25 SGB XII sind demjenigen, der in einem Eilfall einem anderen Leistungen erbracht hat, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, die Aufwendungen in gebotenem Umfang zu erstatten, wenn er sie nicht auf Grund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat. Dies gilt nur, wenn die Erstattung innerhalb angemessener Frist beim zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt wird.

Als Anspruchsberechtigte kommen nicht nur natürliche Personen in Betracht, sondern auch juristische Personen des Privatrechts wie die Klägerin (Waldhorst-Kahnau in: Schle-gel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 25 Rn. 15).

Der Nothelferanspruch setzt zunächst einen medizinischen Eilfall im Sinne von unaufschiebbarer Notwendigkeit einer Krankenbehandlung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 13 ff. und Urteil vom 23.8.2013 – B 8SO 19/12 R, Rn. 17). § 48 Satz 1 und § 52 Abs. 1 SGB XII verweisen insoweit auf den Anspruch, den Versicherte nach dem SGB V haben. Dieser beinhaltet – zur Erkennung und Heilung einer Krankheit, zur Verhütung ihrer Verschlimmerung und zur Linderung von Krankheitsbeschwerden – auch Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V), die vollstationär wie im vorliegenden Fall nur zu erbringen ist, wenn teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung (auch in einem Krankenhaus) nicht ausreicht (§ 39 Absatz 1 Satz 1 und 2 SGB V). Danach ist also zu fragen, ob der Betroffene dringend behandlungsbedürftig war und ob diese Behandlung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses und nicht anders als vollstationär hätte erbracht werden können (vgl. Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 39 Rn. 55 f.).

Diese Voraussetzungen lagen für sämtliche hier streitigen Krankenhausaufenthalte vor. Hinsichtlich des ersten Aufenthaltes (24.9. bis 14.10.2011) gilt das jedenfalls für die ersten Tage. Wie auch die Beklagte ausführt, löste die Alkoholintoxikation eine dringende stationäre Behandlungsbedürftigkeit aus. Die berichteten Krämpfe sowie die Notwendigkeit, einen Schlaganfall auszuschließen, der beschriebene Zustand der Haut und der Lausbefall waren geeignet, ein sofortiges Eingreifen zu begründen. Ob der Eilfall bis zum Ende der Behandlung angedauert hat, kann dahinstehen (siehe unten). Ein medizinscher Eilfall ist auch für den zweiten und dritten Aufenthalt uneingeschränkt zu bejahen. Die hohe Blutalkoholkonzentration, die Unfähigkeit zu gehen, das Auffinden in hilfloser Lage, die zum zweiten Aufenthalt geführt haben, sowie das Delir, die Anämie mit der Notwendigkeit der Gabe einer Blutkonserve, der Zustand der Haut und der Lausbefall, die zum dritten Aufenthalt geführt haben, lassen keinen Zweifel an einer dringenden stationären Behandlung im Krankenhaus zu; zumal der Betroffene jeweils vom Rettungsdienst in die Klinik gebracht worden war. Die in den Rechnungen genannten, zum Teil anders lautenden Diagnosen bzw. DRG (diagnosis related groups – diagnosebezogene Fallgruppen) führen zu keinem anderen Ergebnis. Die Abrechnung nach DRG-System ermöglicht nicht immer das Kodieren einer Fallpauschale, die unmittelbar auf einen Notfall schließen lässt.

Der Anspruch des Nothelfers setzt neben dem medizinischen Eilfall den Eilfall im sozialhilferechtlichen Sinne voraus, der nur dann vorliegt, wenn eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers objektiv nicht zu erlangen ist. Verbleibt Zeit zur Unterrichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers, so liegt daher kein Eilfall vor. Ein Eilfall besteht ferner nur für den Zeitraum, in dem der Sozialhilfeträger nicht erreichbar ist oder der Nothelfer ohne Verletzung eigener Obliegenheiten davon ausgehen durfte, den Sozialhilfeträger nicht einschalten zu müssen (vgl. BSG, Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 19/12 R und Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R). Denn der Nothelfer erfüllt mit seiner Hilfeleistung, wenn der Träger der Sozialhilfe erreichbar ist und unterrichtet werden könnte, (auch) eine öffentliche Aufgabe anstelle des eigentlich zuständigen Hoheitsträgers und eine Durchbrechung des öffentlich-rechtlichen Systems für die Gewährung der Sozialhilfe (insbesondere des speziell hierfür normierten Verwaltungsverfahrens und der Vergütungsstruktur) liegt regelmäßig nicht im öffentlichen Interesse (vgl. Urteil des Senats vom 24.6.2016 – L 4 SO 12/15). Der Nothelferanspruch ist also in seiner Dauer begrenzt auf die Zeit, in der der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Hilfefall erlangen kann, weil er nicht dienstbereit ist (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 16).

Hier lag beim ersten und zweiten Aufenthalt zunächst ein sozialhilferechtlicher Eilfall vor, weil die Aufnahme am Samstag bzw. Sonntag außerhalb der Dienstbereitschaft der Beklagten erfolgte. Die Entlassung erfolgte dagegen nach Eintritt der Dienstbereitschaft der Beklagten am jeweiligen Montag, so dass der Nothelferanspruch nur bis Sonntag reichen konnte. Insofern ist eine tageweise Betrachtung zu Grunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 16, 33). Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung für die gesamte Dauer des ersten Aufenthalts von drei Wochen vorgelegen hat, kommt es daher nicht an. Der dritte Aufenthalt des Betroffenen im Krankenhaus ist dagegen vollständig Gegenstand des Nothelferanspruchs, weil zu keinem Zeitpunkt – von Samstag bis Montag 7.00 Uhr – Dienstbereitschaft der Beklagten bestanden hat.

Der Anspruch nach § 25 SGB XII setzt zudem das Vorliegen aller weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs des Betroffenen, insbesondere die Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB XII, voraus. Wegen des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII liegt Hilfebedürftigkeit nicht vor, wenn der Betroffene eine Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann. Dabei ist zu beachten, dass im Grundsatz nur bereite Mittel die Bedürftigkeit beseitigen (vgl. BSG, Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 23/08 R, Rn. 20).

Die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Nothelfer (BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 17) und zwar selbst dann, wenn der Sozialhilfeträger den Sachverhalt nicht in hinreichender Weise aufklärt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.12.1996 – 5 B 202/95). Im Übrigen bestehen sowohl für den Nothelfer wie auch für den Sozialhilfeträger Ermittlungspflichten, für deren Abgrenzung wie für die Abgrenzung der Ansprüche von Nothelfer und Hilfebedürftigem die Kenntnis des Sozialhilfeträgers der entscheidende Aspekt ist. Schon nach den Vorschriften des SGB V obliegt es dem Krankenhaus bei Aufnahme eines Patienten, nicht nur die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung selbst festzustellen, sondern sich auch über den Krankenversicherungsstatus des Patienten, kurz über die Finanzierung der Behandlung, Sicherheit zu verschaffen. Kommt es zu dem Schluss, dass die Kostentragung durch eine Krankenversicherung zweifelhaft ist, obliegt es ihm, den Sozialhilfeträger entsprechend zu informieren (BSG, Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 19/12 R, Rn. 20 ff.). Verschafft aber das Krankenhaus dem Sozialhilfeträger die Kenntnis vom Eilfall, obliegt dem Sozialhilfeträger – nicht anders als im Falle der Vermittlung der Kenntnis durch den Hilfebedürftigen selbst – die weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen (BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 17; Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 19/12 R, Rn. 24). Danach ist die Klägerin nicht nur ihren Obliegenheiten in ausreichendem Maße nachgekommen. Es bestehen auch keine Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Betroffenen.

Zunächst ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene krankenversichert war. Soweit die Beklagte aus dem Umstand, dass der Betroffene bei seiner Einreise nach Deutschland zunächst bei seinem Vater gewohnt hat, einen Hinweis auf eine mögliche Erwerbstätigkeit ableitet, überzeugt dies nicht. Der Aufenthalt beim Vater allein lässt keine Rückschlüsse auf eine Berufstätigkeit des Klägers und eine damit zusammenhängende Krankenversicherung zu. Über eine schulische oder berufliche Ausbildung, die zu einer Arbeit in Deutschland hätten verhelfen können, ist nichts bekannt. Insofern ist auch denkbar, dass der bei seiner Einreise nach Deutschland 22 Jahre alte Betroffene ohne eigene finanzielle Mittel oder Pläne aus familiärer Verbundenheit zu seinem Vater (über den es keinerlei Erkenntnisse gibt) gezogen ist. Eine konkret bestehende Krankenversicherung bei einer bestimmten Krankenkasse ließ sich jedenfalls anhand dieser Information durch die Klägerin nicht ermitteln.

Eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13b SGB V ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach § 5 Abs. 11 Satz 2 SGB V (in der bis 2012 gültigen Fassung) werden von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13b SGB V Angehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union nicht erfasst, wenn die Voraussetzung der Wohnortnahme in Deutschland die Existenz eines Krankenversicherungsschutzes nach § 4 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) ist. § 4 FreizügG/EU knüpft das Recht auf Einreise und Aufenthalt für nicht erwerbstätige Unionsbürger nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU an das Bestehen eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, der als eine andere Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13b SGB V gewertet wird (vgl. Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Mai 2016, § 5 Rn. 477a; BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 21). Das bedeutet, dass die Krankenversicherungspflicht letztlich davon abhängig ist, ob der Betroffene als nicht erwerbstätiger Unionsbürger nach § 4 FreizügG/EU eingereist ist, im vorliegenden Fall z.B. seinem Familienangehörigen (Vater) nachgezogen ist, oder ob er sich auf ein anderes Freizügigkeitsrecht berufen kann (Arbeitnehmer, Berufsausbildung, Arbeitssuche etc.). Im ersten Fall müsste dann eine Krankenversicherung in P. bestanden haben, über die aber ebenfalls nichts bekannt ist. Der Betroffene hat sie ausdrücklich verneint. Im zweiten Fall könnte eine Pflichtversicherung bestehen. Eine Freizügigkeitsbescheinigung ist nach Auskunft der Beklagten aber nie ausgestellt worden.

Eine Krankenversicherung in P. schließt darüber hinaus auch einen Anspruch auf Krankenhilfe nach dem SGB XII nicht aus. § 2 Abs. 1 SGB XII verlangt für einen tatsächlichen Ausschluss nämlich nicht nur das Bestehen anderer Leistungsansprüche, sondern den Erhalt anderer Leistungen. Eine Krankenversicherung in P. bietet aber keinen Schutz durch Gewährung von Sachleistungen in Deutschland, sondern allenfalls einen Kostenerstattungsanspruch, der erst noch durchgesetzt werden müsste (vgl. auch BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13, Rn. 23).

Nach den vorliegenden Informationen ist ferner davon auszugehen, dass der Betroffene nicht über Einkommen oder Vermögen verfügte, also mittellos war (§ 19 Abs. 3 SGB XII) und für die Klinik auch kein Anlass bestand, weitergehende Ermittlungen anzustellen; dies nicht nur wegen des schlechten, verwahrlosten Allgemeinzustandes des Betroffenen bei den jeweiligen Aufnahmen in der Klinik. Der Betroffene hat wiederholt in den Aufnahmebögen der Klinik angegeben, vom Betteln und Flaschensammeln zu leben und hat eine Mittellosigkeitserklärung abgegeben. Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Wahrheit entspräche, liegen nicht vor.

Der Nothelferanspruch der Klägerin scheitert nicht an der Untätigkeit des Betroffenen. Dem Grundsatz, dass Sozialhilfe nicht aufgezwungen werden darf, folgend, scheidet ein Anspruch des Nothelfers aus, wenn der Hilfebedürftige von seinem Recht, Leistungen der Sozialhilfe nicht in Anspruch zu nehmen, Gebrauch macht. Einschränkend ist zu fordern, dass sich der Nothilfebedürftige ernstlich und in Kenntnis der ihn dann treffenden Kostenlast weigert, Hilfe in Anspruch zu nehmen (BSG, Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 19/12 R, Rn. 28). Von solchen Umständen ist hier nicht auszugehen. Zwar hat der Betroffene mit der Beklagten keinen Kontakt aufgenommen. Daraus lässt sich aber ein bewusster Willensakt, überhaupt keine Hilfe – auch keine Krankenhilfe – in Anspruch zu nehmen, nicht ableiten. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass der Betroffene angesichts seines ungeklärten Aufenthaltsstatus generell den Kontakt zu Behörden gemieden hat. Offensichtlich ist er zu einer Antragstellung beim Sozialhilfeträger weder von der Klägerin noch von der Beklagten aufgefordert worden. Die Beklagte hat soweit ersichtlich auch bei dem ersten, drei Wochen dauernden Aufenthalt nicht von sich aus in der Klinik Kontakt zum Betroffenen aufgenommen. In der Einwilligungserklärung bezüglich des Fotos, die der Betroffene im Krankenhaus unterschrieben hat, wird auf die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs durch das Krankenhaus selbst hingewiesen. Insofern ist u.a. unter Berücksichtigung der schlechten Deutschkenntnisse des Betroffenen nicht einmal sicher davon auszugehen, dass ihm bekannt war, dass er sich an die Beklagte hätte wenden können. Noch weniger musste er sich darüber im Klaren sein, dass er gegebenenfalls selbst die Kosten für die Behandlung im Krankenhaus zu tragen hätte.

Ein Ausschluss des Hilfeanspruchs nach § 23 Abs. 3 SGB XII kommt nicht Betracht. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII haben Ausländer, die zum Zweck einer Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist sind, einen auf die Behebung eines lebensbedrohlichen Zustandes oder eine unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung beschränkten Krankenhilfeanspruch. Über die Motivation des Betroffenen bei seiner Einreise nach Deutschland ist nichts bekannt. Da er sich aber schon mehrere Jahre in H. aufgehalten hat, bevor er bei der Klägerin behandelt wurde, ist von einem solchen Einreisezweck nicht auszugehen. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII haben Ausländer keinen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn sie allein zum Zweck der Arbeitssuche eingereist sind, oder um Sozialhilfe zu erlangen. Auch dies kann im Hinblick auf die ungeklärte Motivation und die ungeklärten Umstände der Einreise des Betroffen nicht unterstellt werden. Anhaltspunkte für eine solche Unterstellung liegen nicht vor.

Der Anspruch der Klägerin scheitert auch offenkundig nicht an einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung der Klägerin, die Kosten für die Behandlung selbst zu tragen (§ 25 Satz 1 SGB XII). Krankenhausträger und ihr ärztliches Personal sind nicht nur aus berufs- und zulassungsrechtlichen Gründen zur Hilfe in einem medizinischen Notfall verpflichtet. § 323c Strafgesetzbuch sanktioniert sie wie andere Personen im Falle der unterlassenen Hilfeleistung. Diese Pflichten schließen allerdings die Tragung der Kosten für die Nothilfe nicht ein (vgl. BSG, Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 19/12 R, Rn. 19).

Eine andere gesetzliche Grundlage für das Begehren der Klägerin ist ebenfalls nicht ersichtlich. § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII steht einer Übertragung, Abtretung oder Verpfändung des Rechts des Betroffenen auf oder an die Klägerin entgegen. Eine Befugnis der Krankenhäuser als Leistungserbringer, das fremde Recht des Betroffenen geltend zu machen (etwa im Sinne einer mit § 5 Abs. 3 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch vergleichbaren Regelung), ist nicht geregelt. Andere Aufwendungsersatzansprüche, insbesondere aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag, scheiden als denkbare Anspruchsgrundlage ebenfalls aus. § 25 SGB XII stellt insoweit eine abschließende Regelung dar, die den Rückgriff auf die Grundsätze der Regelungen der §§ 677 ff. Bürgerliches Gesetzbuch ausschließt (BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 8 SO 13/12 R, Rn. 22).

Die Klägerin hat die Erstattung ihrer Aufwendungen rechtzeitig im Sinne von § 25 Satz 2 SGB XII beantragt. Welche Frist angemessen ist, wird unterschiedlich beurteilt (vgl. Waldhorst-Kahnau, a.a.O., Rn. 55: zehn Tage bis mehrere Monate). Das BSG bemisst die Frist aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität auf regelmäßig einen Monat (BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 17; Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 19/12 R, Rn. 28), die hier in allen drei Fällen eingehalten worden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Nothelferanspruches wie hier vor, steht dem Nothelfer nach § 25 SGB XII die Erstattung der Aufwendungen in angemessenem Umfang zu. Dabei hat das Krankenhaus die Berechnung des Vergütungsanspruches grundsätzlich anhand der Regelungen des SGB V mit dem Fallpauschalensystem vorzunehmen. Im Sinne einer praktikablen und möglichst einfachen Handhabung im Rahmen des SGB XII ist der auf den Nothelferanspruch entfallende Teil des Vergütungsanspruchs durch eine Abrechnung "pro rata temporis", also durch eine tageweise Abrechnung zu ermitteln. Hierfür ist der gesamte Rechnungsbetrag durch die Anzahl der Behandlungstage, zu denen im Rahmen des SGB XII auch der Entlassungstag zu zählen ist, zu teilen und mit den Tagen des Eilfalls zu multiplizieren (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 33 f.). Eine Reduktion des Vergütungsanspruchs um die Kosten einzelner Behandlungsmaßnahmen kommt hier auch betreffend den ersten Klinikaufenthalt des Betroffenen nicht in Betracht, denn auch bei diesem längeren Aufenthalt dienten alle von der Klägerin ergriffenen Maßnahmen der Behandlung der Erkrankung, die die Aufnahme im Krankenhaus ausgelöst hat. Insofern ist auch die Berücksichtigung des Langliegerzuschlags nicht zu beanstanden (vgl. auch BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R, Rn. 34). Einer Differenzierung des Vergütungsanspruchs anhand einzelner Behandlungsmaßnahmen steht darüber hinaus die für das SGB XII intendierte Vereinfachung der Berechnung entgegen.

Für den ersten Aufenthalt ergibt sich unter Anrechnung von 22 Belegtagen und zwei Tagen für den Eilfall ein Aufwendungserstattungsanspruch in Höhe von 341,94 Euro. Für den zweiten Aufenthalt ist ein Tag mit 418,26 Euro zu vergüten. Der Anspruch für den dritten Aufenthalt besteht in voller Höhe von 2.496,25 Euro. Es ergibt sich ein Gesamtbetrag von 3.256,45 Euro.

Bei der Bezeichnung der Klägerin als Berufungsführerin im Tenor in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung handelt es sich um einen offensichtlichen Fehler, der zu korrigieren war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem Ausgang der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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