S 16 AS 517/07 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 517/07 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 421/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Der am 2. Oktober 2007 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Antrag, mit dem der Antragsteller zu 1) sinngemäß begehrt

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, ein für die Mietkaution gewährtes Darlehen durch Aufrechnung zu tilgen, und insoweit den Bewilligungsbescheid vom 5. Juli 2007 aufzuheben,

ist als Antrag nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nur teilweise zulässig. Der Antrag wurde zunächst als Antrag der Bedarfsgemeinschaft ausgelegt, da alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft – auch Ehefrau und Kind – von der Aufrechnung betroffen sind.

Unzulässig ist das ausdrücklich als Eilantrag bezeichnete Anfechtungsbegehren. Vorläufiger Rechtsschutz nach § 86b SGG kann nur im Wege der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage (Abs. 1) oder im Wege der einstweiligen Anordnung (Abs. 2) gewährt werden. Die Aufhebung kann nur nach Durchführung des Vorverfahrens als Anfechtungsklage in der Hauptsache begehrt werden. Ein gerichtliches Vorgehen gegen den Bewilligungsbescheid vom 5. Juli 2007 ist vorliegend zudem unzulässig, weil der Bescheid bestandskräftig ist. Ein Widerspruch wurde nicht erhoben. Es scheidet daher auch eine Umdeutung in einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs aus.

Zulässig ist hingegen der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Überprüfungsantrages vom 17. September 2007. Nach diesem Antrag nach § 44 SGB X auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes besteht ein streitiges Rechtsverhältnis, dass der Regelung eines vorläufigen Zustandes i. S. d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zugänglich ist.

Der insoweit zulässige Antrag ist jedoch unbegründet. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG – der hier allein in Betracht kommt – kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs bzw. des Rechtsverhältnisses und der Grund für eine notwendige vorläufige Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. mit § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG).

Zwar spricht Einiges dafür, dass die Aufrechnung im Bescheid vom 5. Juli 2007 ohne Rechtsgrundlage erfolgt ist und der Überprüfungsantrag des Antragstellers zum Erfolg führt. Entgegen der Bescheidbegründung kann das Darlehen zur Abdeckung einer Mietkaution wohl nicht auf § 23 Abs. 1 SGB II zur Deckung eines unabweisbaren Mehrbedarfes gestützt werden. § 22 Abs. 3 SGB II dürfte insoweit lex specialis sein, mit der Folge, dass eine Ermächtigungsgrundlage für die Aufrechnung fehlt. Grundsätzlich verweist Antragsteller daher zu Recht auf die Entscheidung des Hess. LSG vom 5. September 2007, Az.: L 6 AS 145/07 ER, wobei für die erkennende Kammer auch nach der o. g. Entscheidung noch nicht geklärt scheint, wie ein zulässiger Leistungsverzicht durch öffentlich-rechtlichen Vertrag von der treuwidrigen Aufrechnung abzugrenzen ist, was vorliegend aber keine Rolle spielen dürfte, da eine entsprechende vertragliche Regelung fehlt.

Indes ist kein Anordnungsgrund erkennbar, d.h. die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung ist nicht glaubhaft gemacht. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen bei der Prüfung des § 86b Abs. 2 SGG nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG – Kommentar, 8. Auflage, § 86 b Rdnrn. 27 und 29 m. w. N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund (vgl. insgesamt Hess. LSG, Beschl. v. 7. Dezember 2005, Az.: L 7 AS 81/05 ER, L 7 AS 102/05 ER). Im Rahmen dieser Abwägung ist auch das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache zu beachten. Eine Regelungsanordnung kann nach § 86b Abs. 2 SGG nur ergehen, wenn und soweit sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist. Eine Leistungsgewährung – die regelmäßig eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellt – kommt als Regelung nur dann in Betracht, wenn eine existentielle Notlage glaubhaft gemacht wurde (vgl. Grieger ZfSH/SGB 2004, 579 [584]).

Die durchaus vorhandene Erfolgsaussicht des Überprüfungsantrages vermag sich an diesem Maßstab nicht gegen das geringe Gewicht der Beeinträchtigung der Interessen der Antragsteller einerseits und der Interessen der Antragsgegnerin andererseits durchzusetzen: Die Antragsteller sind durch die Aufrechnung insgesamt nur mit 8 Prozent des Regelsatzes belastet (75,- EUR zu 972,- EUR). Die Beeinträchtigung kann auch subjektiv nicht von hohem Gewicht sein, wenn der Antragsteller zu 1) die Aufrechnung zunächst hinnahm und offenbar erst nach Bekanntwerden der Entscheidung des Hess. LSG den Überprüfungsantrag gestellt hat. Auf Seiten der Antragsgegnerin war zu berücksichtigen, dass der Bescheid vom 5. Juli 2007 nicht nur eine möglicherweise rechtswidrige Aufrechnungsregelung, sondern auch konkludent eine Regelung der Fälligkeit der Tilgungsverpflichtung enthält. Insoweit spricht Einiges dafür, dass auch im Falle der Rechtswidrigkeit der Aufrechnung für die Vergangenheit dem Antragsteller kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zur Seite steht, wenn die Antragsgegnerin ihrerseits einen fälligen Tilgungsanspruch hat. Zumindest wäre ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch wohl einredebehaftet (dolo agit).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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