L 4 AS 130/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 44 AS 57/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 130/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen für Unterkunftskosten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die der Klägerin für die Zeiträume vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2009 und vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. Juni 2011 gewährt worden waren.

Die 1951 geborene, im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige Klägerin bezog seit dem 4. Dezember 2007 in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem 1963 geborenen Ehemann, Herrn M., Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. In dem bei der Erstantragstellung verwendeten Formular war ausdrücklich danach gefragt worden, ob in dem Haushalt Angehörige lebten, die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörten, dabei waren als Beispiel genannt "Verwandte, wie z.B. Großelternteile, Geschwister, Onkel, Tante, Neffe und/oder Verschwägerte". Diese Frage war nicht beantwortet worden. Auch auf dem Zusatzblatt 1 zum Antrag zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung war die Frage danach, ob in der Wohnung neben den im Antrag genannten Personen weitere Personen lebten, nicht ausgefüllt worden. Antrag und Zusatzblatt waren vom Ehemann der Klägerin unterschrieben worden.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin und ihrem Ehemann als Bedarfsgemeinschaft für den streitgegenständlichen Zeitraum durch diverse Bescheide und Änderungsbescheide Leistungen nach dem SGB II (für den Zeitraum Oktober bis November 2008 Bescheid vom 14.5.2008 und Änderungsbescheid vom 18.5.2008; für den Zeitraum Dezember 2008 bis Mai 2009 Bescheid vom 29.10.2008; für den Zeitraum Dezember 2009 bis Mai 2010 Bescheid vom 22.10.2008 und Änderungsbescheid vom 18.12.2009; für den Zeitraum Juni bis August 2010 vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 19. Juli 2010 und Änderungsbescheid/endgültiger Bewilligungsbeschied vom 1.3.2011; für den Zeitraum September bis November 2010 vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 24.8.2010, Änderungsbescheide bzw. endgültige Bewilligungsbescheide vom 3.9.2010, 15.9.2010, 29.9.2010 und 1.3.2011; für den Zeitraum Dezember 2010 bis Februar 2011 vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 29.11.2010 und Änderungsbescheid/endgültiger Bewilligungsbescheid vom 25.5.2011; für den Zeitraum März bis Mai 2011 vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 1.3.2011 und Änderungsbescheid/endgültiger Bewilligungsbescheid vom 26.3.2011; für den Monat Juni 2011 Bewilligungsbescheid vom 27.4.2011 und Änderungsbescheid vom 25.5.2011). Dabei legte er entsprechend den Angaben der Klägerin und ihres Ehemanns und den vorgelegten Nachweisen im Zeitraum Oktober 2008 bis Mai 2009 einen Bedarf an Unterkunftskosten i.H.v. insgesamt 771,10 EUR, im Zeitraum Dezember 2009 bis Mai 2010 i.H.v. 767,21 EUR, im Zeitraum Juni 2010 bis Mai 2011 i.H.v. 778,92 EUR und im Juni 2011 i.H.v. 791,14 EUR zu Grunde.

Nach Ermittlungen des Hauptzollamts zu einer nicht mitgeteilten selbständigen Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin als Kameramann bzw. Inhaber eines Film- und Fotostudios und Anhörung des Ehemanns der Klägerin erließ der Beklagte am 6. April 2011 diverse Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann, mit denen er die gewährten Leistungen für die Zeiträume vom 4. Dezember 2007 bis zum 30. September 2008 und vom 1. Juni 2009 bis zum 30. November 2009 ganz und für den Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2009 teilweise aufhob. Die Klägerin und ihr Ehemann erhoben gegen diese Bescheide am 5. Mai 2011 Widerspruch.

Im Rahmen eines Gesprächs zur Senkung der Unterkunftskosten teilte der Ehemann der Klägerin dem Beklagten am 6. Juni 2011 mit, dass in seiner Wohnung eine dritte Person, der Neffe der Klägerin, Herr T., mietfrei lebe. In der Folgezeit reichte der Ehemann der Klägerin beim Beklagten eine Meldebestätigung mit Datum 18. September 2009 ein, nach der der am 16. November 1985 geborene T. bereits seit 1. März 2002 bei der Klägerin und ihrem Ehemann gemeldet war. Vorgelegt wurden ferner Bescheide des Bezirksamts Hamburg W., mit denen dem Neffen der Klägerin in den Jahren 2007 (ab Dezember) bis 2011 Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) i.H.v. 191,40 EUR monatlich ohne Einbeziehung von Unterkunftskosten gewährt worden waren; in den Leistungsbescheiden hieß es, er wohne mietfrei. Das Bezirksamt W. bestätigte ferner unter dem 19. Juli 2011, das für den gesamten Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2011 keine Mietkosten für Herrn T. gezahlt worden seien.

Mit Schreiben vom 12. August 2011 teilte der Ehemann der Klägerin dem Beklagten mit, der Neffe wohne nicht mehr bei ihm und der Klägerin. Soweit ihm bekannt, sei er zurück in den I. gezogen. Da der Neffe der Klägerin dies nicht selbst veranlasst habe, habe er, der Ehemann der Klägerin, ihn abgemeldet. Laut Melderegisterauskunft vom 8. September 2011 ist Herr H. am 1. Juli 2011 aus der Wohnung der Klägerin und ihres Ehemanns ausgezogen. Ein vom Betreuungsdienst des Beklagten am 20. September 2011 durchgeführter Hausbesuch ergab keine Hinweise darauf, dass neben der Klägerin und ihrem Ehemann eine weitere Person in der Wohnung wohnte.

Mit neun Änderungsbescheiden vom 11. Oktober 2011 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligungen für die Klägerin und ihren Ehemann für die Zeiträume vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. Dezember 2008, vom 1. Februar 2009 bis zum 31. Mai 2009 und vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. Juni 2011 und erkannte jeweils nur noch 2/3 der Unterkunftskosten als Bedarf der Klägerin und ihres Ehemanns an. Gegen die Änderungsbescheide erhoben die Klägerin und ihr Ehemann keinen Widerspruch. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 31. Dezember 2013 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Änderungsbescheide nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X); über diesen Antrag hat der Beklagte bislang noch nicht entschieden.

Ebenfalls am 11. Oktober 2011 sandte der Beklagte ein Anhörungsschreiben an den Ehemann der Klägerin. Er teilte mit, seinen Erkenntnissen nach seien im Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis zum 30. Juni 2011 Leistungen in Höhe von insgesamt 6.693,87 Euro zu Unrecht bezogen worden. Wegen der Aufnahme einer zusätzlichen Person in den Haushalt würden die Mietkosten anteilsmäßig nur in Höhe von 2/3 übernommen, 1/3 wäre durch die zusätzliche Person zu zahlen gewesen. Nach den vorliegenden Unterlagen habe der Ehemann der Klägerin die Überzahlung verursacht, weil er eine für den Leistungsanspruch erhebliche Änderung in den Verhältnissen nicht angezeigt habe. Der Ehemann der Klägerin antwortete mit Schreiben vom 19. Oktober 2011 und führte aus, der Neffe der Klägerin habe kein Drittel der Mietkosten übernommen. Ihm seinen keinerlei Unterkunftskosten bewilligt worden. Mit der Aufnahme in ihren Haushalt hätten die Klägerin und ihr Ehemann verhindern wollen, dass er in ein Jugendheim komme.

Am 8. November 2011 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin insgesamt acht Bescheide über die Aufhebung und Erstattung von Leistungen für die Zeiträume vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2009 und vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. Juni 2011, mit denen er die Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung jeweils teilweise aufhob. Für den Monat Juni 2011 wurde daneben auch die Regelleistung teilweise aufgehoben. Insgesamt machte der Beklagte eine Erstattungsforderung gegenüber der Klägerin in Höhe von 3.346,94 Euro geltend. Zur Begründung führte er aus, da eine zusätzliche Person in die Haushaltsgemeinschaft aufgenommen worden sei, würden die Mietkosten nur anteilig zu 2/3 übernommen. 1/3 der Mietkosten wäre durch die zusätzliche Person zu zahlen gewesen. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass die Bewilligung fehlerhaft war, die Aufhebung werde auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gestützt. Die genannten Beträge seien nach § 50 SGB X zu erstatten. Mit gleichem Datum ergingen entsprechende Aufhebungs- und Erstattungsbescheide auch an den Ehemann der Klägerin.

Mit Schreiben vom 28. November 2011, beim Beklagten eingegangen am 1. Dezember 2011, erhoben die Klägerin und ihr Ehemann Widerspruch gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide. Sie trugen erneut vor, dass für den Neffen der Klägerin vom Bezirksamt W. keine Mietkosten gezahlt worden seien. Sie hätten kein Geld von ihm oder für ihn bekommen und seien deshalb davon ausgegangen, dass sie ihn auch nicht hätten angeben müssen.

Der Beklagte wies die Widersprüche der Klägerin mit acht Widerspruchsbescheiden vom 2. Dezember 2013 zurück. Eine Änderung der angefochtenen Bescheide vom 8. November 2011 erfolgte darin nur teilweise und nur insoweit, als dass nunmehr nicht nur die Erstbewilligungsbescheide, sondern auch diverse Änderungsbescheide für die Monate Oktober und November 2008 sowie für Dezember 2009 bis Juni 2011 zurückgenommen wurden. Lediglich für den Monat Juni 2011 wurden die Aufhebungsbeträge geändert: waren mit dem Bescheid vom 8. November 2011 Unterkunftskosten in Höhe von 42,29 Euro und Regelleistung in Höhe von 89,57 Euro aufgehoben worden, so bezifferte der Widerspruchsbescheid die aufgehobenen Unterkunftskosten mit 89,58 Euro und die aufgehobene Regelleistung mit 42,28 Euro.

Zur Begründung der Zurückweisung der Widersprüche führte der Beklagte aus, die Rücknahme der Bewilligungsentscheidungen stütze sich auf § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden dürfe, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe bzw. soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der rechtswidrigen Bewilligungsentscheidungen sei nicht schutzwürdig. Sie habe erkennen können, dass sie Leistungen zu Unrecht erhalten habe und die Bewilligungs- und Änderungsbescheide rechtswidrig gewesen seien. Soweit die Rechtswidrigkeit der Bescheide auf falschen Angaben ihres Ehemannes beruhten, seien diese der Klägerin nach § 38 Abs. 1 SGB II zurechenbar. Der Ehemann der Klägerin habe anhand der Antragsformulare auf Leistungen nach dem SGB II – hier insbesondere im Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung – erkennen können, dass er umfassende Angaben über die Zahl der Personen im Haushalt zu leisten habe. Gleichwohl habe er im Antrag vom 4. Dezember 2007 sowie in den nachfolgenden Anträgen auf Weiterbewilligung der Leistungen falsche Angaben gemacht, indem er den Neffen der Klägerin nicht als Mitbewohner aufgeführt habe. Die Leistungsbewilligung habe somit auf Angaben beruht, die der Ehemann der Klägerin zumindest fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt hätte damit auch die Klägerin erkennen können, dass ihnen aufgrund des Mitbewohners ein geringerer Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zugestanden hätte. Von den geltend gemachten Unterkunftskosten im zu entscheidenden Zeitraum stünde der Bedarfsgemeinschaft nach Berücksichtigung des Mitbewohners nur ein Anteil von 2/3 zu. Insoweit komme es nicht darauf an, ob der Mitbewohner von anderen Leistungsträgern Mietzuschüsse erhalten habe. Nach dem im Sozialrecht herrschenden Individualprinzip seien die Leistungen nach dem SGB II als individuelle Ansprüche ausgestaltet, sodass die Rückabwicklung gegenüber jedem einzelnen Betroffenen zu erfolgen habe. Soweit Unterkunftskosten zu Unrecht ausgezahlt worden seien diese zu erstatten, dabei entfalle auf die Klägerin ein Anteil von 50 % der insgesamt zu erstattenden Unterkunftskosten.

Ebenfalls am 2. Dezember 2013 erließ der Beklagte Widerspruchsbescheide an den Ehemann der Klägerin bezüglich der Aufhebung und Erstattung wegen des Mietanteils des Neffen der Klägerin. Ferner ergingen am 2. Dezember 2013 an die Klägerin und an ihren Ehemann jeweils mehrere Widerspruchsbescheide betreffend die Änderungsbescheide vom 6. April 2011, u.a. auch betreffend den Zeitraum Oktober bis November 2008 und Dezember 2008 bis Mai 2009. Diesbezüglich hat die Klägerin keine Klage erhoben

Am 6. Januar 2014 hat die Klägerin insgesamt acht Klagen zum Sozialgericht Hamburg bezüglich der acht Bescheide vom 8. November 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. Dezember 2013 erhoben. Diese wurden vom Sozialgericht zunächst unter den Aktenzeichen S 44 AS 57/14 bis 64/14 geführt. In der mündlichen Verhandlung am 5. April 2017 hat das Sozialgericht die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des Aktenzeichens S 44 AS 57/14 verbunden.

Zur Begründung der Klagen hat die Klägerin vorgetragen, die angefochtenen Bescheide seien rechtsfehlerhaft, weil der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe entgegenstehe. Hiernach seien zunächst andere Behörden, bei denen ein Leistungsanspruch bestünde, heranzuziehen. Dies sei die Grundsicherungs- und Sozialabteilung des Bezirksamts Hamburg-W ... Der Neffe der Klägerin sei als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling im Jahr 2001 aus dem I. nach Deutschland geflüchtet, um hier einen Asylantrag zu stellen. Im Heimatkulturkreis der Klägerin wäre es inakzeptabel gewesen, ihn nicht zumindest vorübergehend aufzunehmen. Es sei dem Ehemann der Klägerin mitgeteilt worden, dass keine Ansprüche hinsichtlich der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung bestünden. Es werde jedoch davon ausgegangen, dass tatsächlich ein Anspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestanden habe, weswegen der Beklagte seine Ansprüche nach § 104 SGB X gegen das zuständige Bezirksamt geltend machen müsse. Weiterhin gehe der Beklagte fehlerhaft von einem kopfteiligen Individualanspruch hinsichtlich der Gesamtunterbringungskosten aus. Dies sei bei einer Bedarfsgemeinschaft eine angemessene Aufteilung, aber nicht bei einer Haus- oder Wohngemeinschaft. Gehe man von einer Wohngemeinschaft aus, wäre bei der Bemessung der Kosten der Unterkunft gleichfalls allein auf die Leistungsberechtigten abzustellen. Auch die gemeinsame Nutzung von Gemeinschaftsräumen würde nach dem Bundessozialgericht keinen Abschlag von der angemessenen Quadratmeterzahl rechtfertigen. Diese Grundsätze seien hier anzulegen. Der Neffe der Klägerin sei lediglich ein Verwandter, sodass nicht ohne weiteres die Regelungen einer Bedarfsgemeinschaft nach Kopfteilen angewandt werden könnten. Das Zimmer, in welchem der Neffe der Klägerin zeitweilig gewohnt habe, habe eine Größe von 12 m² bei einer Gesamtgröße der Wohnung von 81 m², der prozentuale Anteil betrage also lediglich 14,81 %. Auch wenn der Neffe der Klägerin das Wohnzimmer gelegentlich mitbenutzt habe, rechtfertige dies bei der Klägerin keinen Abschlag von den Kosten der Unterkunft. Der Neffe habe zumindest seit 2007 das kleine Zimmer regelmäßig nur zum Schlafen genutzt und den Großteil der Zeit bei seiner Tante, Frau G., verbracht, zu der ein besonderes Näheverhältnis bestanden habe.

Der Beklagte hat hingegen vorgetragen, er sehe keine Veranlassung, im Fall der Klägerin von dem grundsätzlich stets geltenden Kopfteilprinzip abzuweichen. Ein Rückgriff gegenüber dem Bezirksamt W. nach § 104 SGB X komme nicht in Betracht. Es sei nicht seine, des Beklagten, Aufgabe, etwaige Ansprüche des Neffen der Klägerin nach dem AsylbLG zu prüfen bzw. im Nachhinein geltend zu machen.

Mit Urteil vom 5. April 2017 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, die Bescheide vom 8. November 2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 2. Dezember 2013 aufzuheben.

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien formell rechtmäßig. Zwar fehle es an einer vorherigen Anhörung der Klägerin, doch sei dieser Fehler mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt worden. Die Bescheide seien aber materiell rechtswidrig, denn die ursprünglichen Bewilligungsbescheide seien hinsichtlich der Höhe der berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht rechtswidrig gewesen. Zwar seien Unterkunftskosten grundsätzlich nach Kopfteilen auf die Bewohner aufzuteilen, doch seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in bestimmten Fallkonstellationen Abweichungen möglich bzw. notwendig. Um einen solchen Fall handele es sich hier, da die Anwendung des Kopfteilprinzips zu Wertungswidersprüchen führen würde. Der Neffe der Klägerin habe nämlich lediglich Leistungen nach dem AsylbLG in Höhe von monatlich 191,40 Euro ohne Berücksichtigung von Unterkunftskosten erhalten, sodass eine Aufteilung nach Kopfteilen zu einer Bedarfsunterdeckung bei der Klägerin und ihrem Ehemann geführt hätte. Die Klägerin habe zudem keine Möglichkeiten gehabt, ihren Neffen dazu zu bewegen, seinen Anteil der Unterkunftskosten entweder selbst zu tragen oder gegenüber dem Bezirksamt W. einzufordern. Anhaltspunkte dafür, dass der Neffe der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum über Einkommen oder Vermögen verfügt habe, bestünden nicht und seien auch nicht geltend gemacht worden. Dass weder die Klägerin noch ihr Ehemann dem Beklagten den Einzug des Neffen mitgeteilt hätten und hierdurch eine mögliche Unterstützung durch den Beklagten, z.B. durch entsprechende Hinweise, von vornherein verhindert hätten, führe zu keiner anderen Einschätzung. Denn diese Pflichtwidrigkeit ändere nichts daran, dass der Klägerin keine bereiten Mittel zur Bestreitung der Kosten der Unterkunft für ihren Neffen zur Verfügung gestanden hätten.

Das Urteil ist dem Beklagten am 13. April 2017 zugestellt worden. Am 24. April 2017 hat er Berufung eingelegt. Zur Begründung führt der Beklagte aus, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Abweichung vom Kopfteilprinzips gelte nur für den Fall, dass ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft eine Sanktion erhalten habe und nicht über Einkommen oder Vermögen verfüge, aus dem es seinen Anteil an den Unterkunftskosten tragen könne. Hingegen habe das Bundessozialgericht das Kopfteilprinzip für anwendbar erklärt, wenn ein Mitbewohner als Auszubildender von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei und dies auch dann, wenn der in der Ausbildungsleistung enthaltene Betrag für Unterkunftskosten nicht bedarfsdeckend für den Kopfteil sei. Dieser Konstellation sei der Fall vergleichbar, dass ein Mitbewohner – wie hier – Leistungen nach dem AsylbLG erhalte. Zusätzlich sei zu bedenken, dass der Neffe der Klägerin grundsätzlich einen Anspruch gegen das Bezirksamt auf Übernahme der vollen auf ihn entfallenden Unterkunftskosten gehabt hätte. Aufgrund dieses Anspruchs sei der Neffe der Klägerin auch wirtschaftlich leistungsfähig gewesen. Der Umstand, dass er ggf. aus Unwissenheit den erforderlichen Antrag beim Bezirksamt nicht gestellt habe, stehe in kausalem Zusammenhang mit der pflichtwidrig unterlassenen Mitteilung des Einzugs durch die Klägerin. Bei einer entsprechenden Mitteilung wäre es dem Beklagten möglich gewesen, die Klägerin über die zu unternehmenden Schritte zu informieren.

Die Klägerin tritt dem entgegen. Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil und ihr erstinstanzliches Vorbringen. Um die Angelegenheit hätte sich damals ihr Ehemann gekümmert. Dieser habe seinerzeit beim Bezirksamt vorgesprochen, wo man ihm vermittelt habe, dass das Bezirksamt keine Unterkunftskosten für den Neffen der Klägerin übernehmen werde. Hier sei von einem Beratungsfehler des Bezirksamts auszugehen. Ein schriftlicher Antrag sei nach dieser Auskunft offenbar nicht mehr gestellt worden. Es sei zu vermuten, dass der Neffe der Klägerin kulturell nicht in der Lage gewesen sei, einen möglichen Anspruch gegen das Bezirksamt selbst durchzusetzen und/oder aus Unkenntnis über einen bestehenden Anspruch dies unterlassen habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 28. Juni 2018 hat die Klägerin auf Befragen erklärt, ihnen sei nicht klar gewesen, dass sie beim Beklagten wegen ihres Neffen Mitteilung hätten machen müssen. Es habe vorher, d.h. bei der Übernahme der Vormundschaft und auch beim Sozialamt, stets geheißen, dies habe keine Wirkung. Dass es hier anders sein könnte, hätten sie nicht gewusst.

Der Beklagte hat in der Verhandlung am 28. Juni 2018 im Wege eines Teilanerkenntnisses den den Monat Juni 2011 betreffenden Bescheid vom 8. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2013 dahingehend geändert, dass lediglich die bewilligten Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 42,29 EUR aufgehoben und zurückgefordert werden.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auf Nachfrage des Senats nach der den Neffen der Klägerin betreffenden AsylbLG-Akte des Bezirksamt W. hat dieses mitgeteilt, dass kein Datensatz im Fachverfahren ermittelt werden könne. Es müsse davon ausgegangen werden, dass im Jahr 2011, als der Neffe der Klägerin in den I. zurückgekehrt sei, eine Archivierung des Falles und sodann sechs Jahre später, also im Jahr 2017, eine automatische Löschung durch das Fachverfahren erfolgt sei. Laut Melderegisterauskunft lebt der Neffe der Klägerin derzeit nicht in Deutschland. Der Senat hat seine Ausländerakte beigezogen. Aus dieser ergibt sich, dass der Neffe der Klägerin sich am 7. September 2001 erstmalig bei der Ausländerbehörde meldete und zu diesem Zeitpunkt schon bei der Klägerin wohnte. Er teilte dort mit, er sei am 30. August 2001 auf dem Luftwege eingereist und habe sich in Begleitung eines Fluchthelfers befunden, als dessen Kind er gereist sei und der für ihn sämtliche Aus- und Einreiseformalitäten erledigt habe. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 1. Oktober 2001 wurde die Klägerin zum Vormund ihres Neffen bestellt. Der Neffe der Klägerin erhielt in der Folgezeit Duldungen; seine Asylanträge wurden abgelehnt. Im Juni 2011 wurde – anlässlich der Vorlage eines neuen Passes – festgestellt, dass Vorname und Geburtsdatum abweichen und der Neffe der Klägerin nach dem neu vorliegenden Geburtsdatum schon im August 1981 (statt im November 1985) geboren wurde. Hinweise darauf, dass die Gewährung einer mietfreien Unterkunft seitens der Klägerin ausländerrechtlich motiviert war, finden sich in der Ausländerakte nicht.

Der Ehemann der Klägerin hat gegen die ihn betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 8. November 2011 ebenfalls Klagen erhoben, diese sind noch beim Sozialgericht anhängig.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

I. Gegenstand des Verfahrens sind die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 8. November 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. Dezember 2013.

Hingegen sind die Änderungsbescheide vom 11. Oktober 2011, gegen die die Klägerin keinen Widerspruch erhoben hat, nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Sie sind zeitlich vor den hier streitgegenständlichen Bescheiden vom 8. November 2011 erlassen worden, sodass eine Einbeziehung in das hiesige Verfahren nach § 86 oder § 96 SGG nicht in Betracht kommt. Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 8. November 2011 können auch nicht so ausgelegt werden, dass sie sich auch gegen diese Änderungsbescheide richten sollten: Zum einen wurden diese Bescheide nicht genannt, zum anderen war bei Erhebung des Widerspruchs am 1. Dezember 2011 die für sie geltende Widerspruchsfrist bereits abgelaufen. II. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

III. Die Berufung ist auch begründet. Nach Abgabe des Teilanerkenntnisses in der mündlichen Verhandlung am 28. Juni 2018 war die Klage vollständig abzuweisen.

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die hier streitgegenständlichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 8. November 2011 betreffend den Zeitraum von Oktober 2008 bis Mai 2009 nicht bereits gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen die diesen Zeitraum betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 6. April 2011 geworden. Zwar sind die Bescheide vom 8. November 2011 während des laufenden Vorverfahrens gegen die Bescheide vom 6. April 2011 erlassen worden. Weitere Voraussetzung für eine Einbeziehung ist aber, dass sie die Bescheide vom 6. April 2011 ändern oder ersetzen (letzteres in Ausdehnung des Wortlauts und in Anlehnung an die Regelung in § 96 SGG, vgl. hierzu Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86 Rn. 3). Aus dem Gesamtzusammenhang der Bescheide wird deutlich, dass dies nicht der Fall ist. Die am 8. November 2011 verfügte Aufhebung und Erstattung sollte vielmehr zu der bereits zuvor am 6. April 2011 verfügten Aufhebung und Erstattung hinzutreten, diese also ergänzen und den Leistungsanspruch noch weiter reduzieren. Die Bescheide sollten jeweils kumulativ wirken, was ein Vergleich der jeweiligen Aufhebungsbeträge deutlich macht. Es handelt sich damit um gesonderte, nebeneinander stehende Teilaufhebungen der ursprünglichen Leistungsbewilligungen, eine aufgrund der Höhe des Bedarfs für Unterkunftskosten, eine weitere aufgrund des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin.

2. Die Klage ist aber nicht begründet. Die Bescheide vom 8. November 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. Dezember 2013 und des Teilanerkenntnisses vom 28. Juni 2018 sind rechtmäßig.

a. Die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidungen für den streitgegenständlichen Zeitraum findet ihre Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 45 SGB X und i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Danach ist ein bei seinem Erlass rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, soweit dieser auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

aa. Einer rückwirkenden Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen steht zunächst nicht entgegen, dass der Beklagte – wie die Klägerin meint – vorrangig Ansprüche gem. § 104 SGB X gegenüber dem Leistungsträger nach dem AsylbLG, hier dem Bezirksamt Hamburg-W., geltend zu machen hätte. Derartige Ansprüche gegen das Bezirksamt sind nämlich nicht gegeben. Es fehlt hier schon an einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen Beklagtem und Bezirksamt. Ferner hat der Beklagte keine Leistungen an den Neffen der Klägerin erbracht, sondern allein an die Klägerin und deren Ehemann. Auch § 104 Abs. 2 SGB X, der einen Erstattungsanspruch für Leistungen vorsieht, die ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger für einen Angehörigen erbracht hat, obwohl ein anderer in Bezug auf diesen Angehörigen einen Anspruch gegenüber einem anderen, vorrangig verpflichteten Träger hat, erfasst die vorliegende Konstellation nicht. Ein Erstattungsanspruch des Beklagten nach § 105 SGB X, der Ansprüche des unzuständigen Leistungsträgers regelt, scheitert ebenfalls daran, dass der Beklagte gerade keine Leistungen an den Neffen der Klägerin erbracht hat.

bb. Die Aufhebung ist formell rechtmäßig. Zwar ist die Klägerin vor dem Erlass der angefochtenen Bescheide nicht nach § 24 SGB X angehört worden, das Anhörungsschreiben vom 11. Oktober 2011 richtete sich nur an ihren Ehemann. Der Anhörungsmangel ist jedoch durch Nachholung im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Das von der Klägerin und ihrem Ehemann unterzeichneten Widerspruchsschreiben vom 28. November 2011 geht insbesondere sowohl auf den Vorwurf der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligung als auch auf den Vorwurf der Falschangaben ein. U.a. wird dargelegt, dass sie davon ausgegangen seien, den Einzug des Neffen nicht angeben zu müssen. Der Klägerin waren damit alle für die Entscheidung des Beklagten maßgeblichen Tatsachen bekannt und sie hat sich auch zu ihnen geäußert.

cc. Jedenfalls die Widerspruchsbescheide nennen – neben den bereits in den Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden aufgeführten ersten Bewilligungbescheiden – auch die Änderungsbescheide, sodass insbesondere unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 25.10.2017 – B 14 AS 9/17 R) alle den streitgegenständlichen Zeitraum betreffenden Bescheide aufgehoben wurden.

dd. Die aufgehobenen Bewilligungsentscheidungen waren hinsichtlich der Höhe der berücksichtigten Unterkunftskosten bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, gilt im Rahmen des § 22 SGB II grundsätzlich das so genannte Kopfteilprinzip. Das Bundessozialgericht hat sich in seinem Urteil vom 14. Februar 2018 (B 14 AS 17/17 R, Rn. 13 ff.) dazu wie folgt geäußert: "Das Kopfteilprinzip zielt bei der gemeinsamen Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen auf die grundsicherungsrechtliche Zuweisung individueller Bedarfe für alle Personen. Danach werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht nur für Personen anerkannt, soweit diese zu Zahlungen für Unterkunft und Heizung schuldrechtlich gegenüber Dritten verpflichtet sind, während für rechtlich hierzu nicht Verpflichtete keine Bedarfe anerkannt werden. Vielmehr soll durch die Aufteilung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen für alle gemeinsam eine Wohnung nutzenden Personen die Zuweisung eines individuellen Bedarfs für Unterkunft und Heizung in grundsätzlich gleicher Höhe erreicht werden. [ ]

Diese bedarfsbezogene Herleitung ist prägend für die Rechtsprechung des BSG zur Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II wie auch zu dessen Ausnahmen (zur Rechtsprechung des BVerwG, an die das BSG anknüpfte, vgl BVerwG vom 21.1.1988 - 5 C 68.85 - BVerwGE 79, 17). Nach dieser sind die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ohne Rücksicht darauf, wen insoweit die vertraglichen Zahlungsverpflichtungen treffen, im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn die leistungsberechtigte Person eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere mit anderen Familienangehörigen, nutzt, und es gilt dies unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht. Die individuelle Bedarfszuweisung nach Kopfteilen ist verwaltungspraktikabel und folgt der Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt."

Bei Anwendung des Kopfteilprinzips wären die Kosten der Unterkunft und Heizung auf drei Personen aufzuteilen gewesen, bei der Klägerin wäre nur 1/3 dieser Kosten als Bedarf zu berücksichtigen gewesen. Unerheblich ist dabei entsprechend der obigen Ausführungen, dass der Neffe der Klägerin nicht zu deren Bedarfsgemeinschaft gehörte. Auch der Umstand, dass er nach den Angaben der Klägerin lediglich ein kleines Zimmer bewohnt und sich überwiegend nur zum Schlafen in der Wohnung aufgehalten habe, rechtfertigt als solcher keine abweichende Aufteilung der Unterkunftskosten. Geht man davon aus, dass die Wohnung den Unterkunftsbedarf aller Mitbewohner insgesamt abdeckt, so ist eine Aufteilung der Kosten nach Kopfteilen unabhängig von der Nutzungsintensität gerechtfertigt. Etwas anderes hat lediglich dann zu gelten, wenn spezielle vertragliche Regelungen über die Aufteilung zur Nutzung und die Kostenverteilung vorliegen – was hier nicht der Fall war.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil liegen auch keine Besonderheiten vor, die ein Abweichen vom Kopfteilprinzip erfordern bzw. auch nur nahelegen. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist anerkannt, dass (weil es sich um eine generalisierende und typisierende Annahme handelt, die jedoch nicht gesetzlich als den Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung begrenzend festgeschrieben ist) in bestimmten Konstellationen Abweichungen vom Kopfteilprinzip möglich und notwendig sind (auch dazu das Urteil vom 14.2.2018, a.a.O., m.w.N.). Insbesondere ist eine Abweichung für erforderlich erachtet worden, wenn bei einem Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft aufgrund einer Sanktion nach §§ 31 ff. SGB II die Leistungen für Unterkunft und Heizung weggefallen sind. Wie das Bundesozialgericht in der zitierten Entscheidung vom 14. Februar 2018 ausdrücklich darlegt, hat diese Abweichung bedarfsbezogene Gründe. Entscheidend ist deshalb, ob die Sicherung des Grundbedürfnisses Wohnen für die Leistungsberechtigten nur über eine Abweichung vom Kopfteilprinzip hergestellt werden kann. Das ist dann der Fall, wenn ein Mitbewohner wegen des mit einer Sanktion verbundenen vollständigen Wegfalls der Leistungen für Unterkunft und Heizung und mangels eigenen Einkommens und Vermögens seinen Anteil nicht selbst bestreiten kann. In dieser Konstellation können die Leistungsberechtigten nicht darauf verwiesen werden, von dem Mitbewohner einen Anteil zu verlangen, denn diesem ist es schlicht unmöglich, einen Anteil aufzubringen. Verfügt der Mitbewohner hingegen über Einkommen oder Vermögen, aus dem er seinen Kopfteil – oder ggf Teile davon – bestreiten könnte, ist insoweit eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen nicht geboten, denn es ist nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wirtschaftlich leistungsfähigen Dritten ein kostenfreies Wohnen zu ermöglichen. Dementsprechend hat das Bundessozialgericht (im Urteil vom 14.2.2018, a.a.O.) das Kopfteilprinzip auch dann angewandt, wenn der Mitbewohner an der Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit nicht mitwirkt und ihm deshalb Leistungen nach dem SGB II versagt wurden – denn der Mitbewohner verfügt dann entweder über Einkommen oder Vermögen, aus dem er seinen Anteil tragen kann, oder er kann durch (Nachholung der) Mitwirkung seine Hilfebedürftigkeit belegen und einen eigenen Leistungsanspruch erhalten.

Vorliegend ist nicht erkennbar, dass im streitgegenständlichen Zeitraum eine Sicherung des Grundbedürfnisses Wohnen für die Klägerin (und ihren Ehemann) allein über einen vom Kopfteilprinzip abweichenden Anspruch sichergestellt werden konnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass – wie im Übrigen auch die Klägerin selbst annimmt – der Neffe der Klägerin Leistungen nach dem AsylbLG für seine anteiligen Unterkunftskosten vom Bezirksamt hätte erhalten können. Dem Neffen der Klägerin sind offensichtlich Leistungen nach § 3 Abs. 2 des AsylbLG in der Fassung vom 31. Oktober 2006 (a.F.) gewährt worden. § 3 Abs. 2 AsylbLG a.F. lautet insgesamt: "Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylverfahrensgesetzes können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen nach Absatz 1 Satz 1 Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen im gleichen Wert gewährt werden. Der Wert beträgt 1. für den Haushaltsvorstand 360 Deutsche Mark, 2. für Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres 220 Deutsche Mark, 3. für Haushaltsangehörige von Beginn des 8. Lebensjahres an 310 Deutsche Mark monatlich zuzüglich der notwendigen Kosten für Unterkunft, Heizung und Hausrat. Absatz 1 Satz 3 und 4 findet Anwendung."

Dem Neffen der Klägerin ist ein Regelbedarf von monatlich 191,40 Euro (199,40 Euro abzüglich eines Anteils für Energiekosten) bewilligt worden und damit Geldleistungen, keine Sachleistungen. Bei der Gewährung von Geldleistung ist auch die Übernahme der notwendigen Kosten für Unterkunft und Heizung vorgesehen.

Warum Leistungen nach dem AsylbLG dennoch nicht gewährt wurden, lässt sich nicht mehr aufklären. Dies geht zu Lasten der Klägerin. Insbesondere kann diese sich nicht auf einen möglichen Beratungsfehler oder ein rechtswidriges Verhalten des Bezirksamts berufen. Unabhängig davon, dass dieses Vorbringen rein spekulativ ist – die Nichtgewährung von Unterkunftskosten durch das Bezirksamt könnte ebenso gut auch darin begründet gewesen sein, dass bei der dortigen Antragstellung angegeben wurde, der Neffe wohne mietfrei bei der Klägerin und ihrem Ehemann –, würde dies auch nichts daran ändern, dass der Neffe der Klägerin einen Anspruch auf Leistungen gehabt hätte, aus denen er seinen Anteil an den Unterkunftskosten selbst hätte tragen können. Dass er diesen möglicherweise aus Unwissenheit nicht durchsetzen konnte, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin diese Lage selbst verursacht hat. Indem sie dem Beklagten nicht mitgeteilt hat, dass der Neffe ebenfalls in der Wohnung lebt, hat sie eine Beratung durch den Beklagten und eine Klärung möglicher Ansprüche des Neffen verhindert.

Ferner sei darauf hingewiesen, dass das Bundessozialgericht eine Abweichung vom Kopfteilprinzip auch im Falle des Zusammenlebens mit Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehenden Kindern keine Ausnahme vom Kopfteilprinzip anerkannt hat (Urteil vom 27.2.2008 – B 14/11b AS 55/06 R und Urteil vom 19.3.2008 – B 11b AS 13/06 R), obwohl der in den BAföG-Leistungen berücksichtigte Unterkunftsbedarf hinter dem auf das Kind entfallenden Kopfteil zurück blieb. Zur Begründung hat das Bundessozialgericht ausgeführt, mit der Novellierung des SGB II zum 1. Januar 2007 dahin gehend, dass die Kinder in diesem Fall einen Zuschuss zu den ungedeckten angemessen Unterkunftskosten als SGB II-Leistung erhalten können, habe der Gesetzgeber auf die hierdurch mögliche Unterdeckung der Bedarfe reagiert. Für die vor dem 1. Januar 2007 sei diese Regelung aber nicht anzuwenden, hier bleibe es bei dem Kopfteilprinzip. Würde man in diesen Fällen die gesamten Unterkunftskosten als Bedarf der Eltern übernehmen, würde dies zudem dazu führen, dass vom SGB II-Leistungsträger Kosten für den Unterhalt einer nach BAföG geförderten Person übernommen und damit der grundsätzliche Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II umgangen würde. Außerdem würde von dem Grundsatz abgewichen, dass die existenzsichernden Leistungen des SGB II nicht dazu bestimmt sind, den Empfänger in die Lage zu versetzen, Unterhaltspflichten gegenüber Dritten nachzukommen. Diese Argumentation lässt sich auf den hiesigen Fall übertragen: Bei einer Zurechnung der gesamten Unterkunftskosten zu der Klägerin und ihrem Ehemann würde der Leistungsausschluss des AsylbLG-berechtigten Neffen von Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II) umgangen.

ee. Auch die subjektiven Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligungen liegen vor. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass sie auf den Bestand der Leistungsbewilligungen vertraut habe. Zwar hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die zu viel gewährten Leistungen zur Deckung der Aufwendungen für die Unterkunft verbraucht wurden (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X), doch ist die Klägerin mit diesem Vorbringen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ausgeschlossen. Danach kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Hier basierten die fehlerhaften Bewilligungen darauf, dass die Klägerin und ihr Ehemann dem Beklagten gegenüber nicht angegeben hatten, dass der Neffe der Klägerin mit ihnen in der Wohnung lebte. Die Fragen nach weiteren Mitbewohnern im ersten Leistungsantrag wurden nicht beantwortet, die Angaben waren daher insoweit unvollständig. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass auch das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit im Sinne einer besonders schweren Verletzung der erforderlichen Sorgfalt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2) vorlag. Unerheblich ist dabei, ob der Klägerin bewusst war, dass die Aufnahme des Neffen in ihre Wohnung Auswirkungen auf ihren Leistungsanspruch haben könnte. Vielmehr genügt die Kenntnis davon, dass der Beklagte nach weiteren Mitbewohnern gefragt hat. Von dieser bzw. von diesbezüglich grob fahrlässiger Unkenntnis ist auszugehen. Es obliegt jedem Antragsteller, sich die Formulare genau durchzulesen und bei Unverständnis nachzufragen. Soweit die Klägerin selbst nicht an der Ausfüllung der – allein von ihrem Ehemann unterschriebenen – Formulare beteiligt gewesen sein sollte, muss sie sich die grob fahrlässig unvollständigen Angaben ihres Ehemanns zurechnen lassen. Dies ergibt sich zwar nicht schon aus der Regelung des § 38 SGB II (vgl. dazu LSG Hamburg, Urteil vom 20.10.2011 – L 5 AS 87/08), doch ist mindestens von einer Duldungsvollmacht auszugehen, da sie davon Kenntnis hatte, dass der Ehemann Anträge auch für sie stellt und dabei die erforderlichen Erklärungen abgibt (vgl. zur Duldungsvollmacht ebenfalls LSG Hamburg a.a.O.).

ff. Die Aufhebung erfolgte auch innerhalb der Frist von einem Jahr nach Bekanntwerden der die Rechtswidrigkeit der Bewilligung begründenden Umstände, § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Der Beklagte hatte erst am 6. Juni 2011 erfahren, dass der Neffe der Klägerin mit in der Wohnung lebte.

b. Das Erstattungsverlangen findet seine Grundlage in § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt aufgehoben worden, so sind danach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

Die Höhe der Erstattungsforderung begegnet keinen Bedenken. Sie übersteigt nicht die Differenz zwischen den der Klägerin tatsächlich bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung und dem Betrag, der ihr diesbezüglich unter Berücksichtigung eines Kopfanteils des Neffen zu bewilligen gewesen wäre. Soweit in einigen Monaten die Differenz höher ist als die Erstattungsforderung (so v.a. für die Monate Januar 2009 und Oktober 2010, in mehreren weiteren Monaten besteht ein Unterschied von 0,01 Euro) geht dies nicht zu Lasten der Klägerin.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache. Die Klägerin hatte mit ihrem Begehren lediglich zu einem ganz geringen, vom Beklagten anerkannten Teil Erfolg. Dies rechtfertigt keine (anteilige) Kostentragungspflicht des Beklagten.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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