S 19 SO 7/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19.
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 7/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 481/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klagen werden abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Der Streitwert wird endgültig auf 32.340,59 Euro festgesetzt

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten als Sozialhilfeträger Erstattung von Leistungen der Jugendhilfe, die sie dem Hilfebedürftigen T. L. (vormals T. N. ; im Folgenden: Hilfebedürftiger) erbracht hat sowie die Übernahme des Hilfefalles durch den Beklagten.

Der am 00.00.000 geborene Hilfebedürftige leidet an den Folgen eines frühkindlichen sexuellen Missbrauchs durch seinen leiblichen Vater. Bei ihm liegen u.a. eine paranoide Schizophrenie, eine posttraumatische Belastungsstörung (im Folgenden: PTBS) und eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vor. Bei ihm ist seit dem 00.00.0000 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt. Seit dem 00.00.0000 ist er stationär im Drimbornshof in Zülpich-Rövenich, einer Wohn- und Rehabilitationseinrichtung für psychisch kranke Menschen untergebracht. Die Unterbringung wurde vom Jugendamt der Klägerin zunächst als Leistung für seelisch behinderte Jugendliche getragen und wird seit Vollendung des 18. Lebensjahres des Hilfebedürftigen als Hilfe für junge Volljährige erbracht. Unter dem 26.11.2013 wandte sich die Klägerin an den Beklagten und führte aus, die stationäre Unterbringung des Hilfebedürftigen solle weiterhin im Drimbornshof erfolgen. Indessen werde zunehmend deutlich, dass der Hilfebedürftige den Anforderungen der Jugendhilfe nicht gewachsen sei. Die Fortführung der Hilfe müsse deshalb unter anderen Bedingungen erfolgen. Dem Hilfebedürftigen sei sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe zu bewilligen, welche sie (die Klägerin) gegenüber dem Beklagten beantrage. Überdies machte sie gegenüber dem Beklagten einen Erstattungsanspruch für zu erbringende Leistungen der Eingliederungshilfe geltend. Der Beklagte wertete Berichte der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marienborn vom 00.00. und 00.00.0000 aus, wo der Hilfebedürftige nach Dekompensation seiner psychischen Erkrankung zwischenzeitlich stationär aufgenommen und behandelt worden war. Überdies zog er ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie C. vom 00.00.0000 bei. Mit Schreiben vom 00.00.0000 lehnte er einen Erstattungsanspruch ab. Zur Begründung führte er aus, bei der Unterbringung des Hilfebedürftigen im Drimbornshof handele es sich nicht um einen Neuantrag, sondern um die Fortführung der bisherigen Maßnahme. Die Klägerin müsse die Unterbringung weiterhin als Hilfe für seelisch behinderte junge Volljährige erbringen. Nachdem zwischen dem Hilfebedürftigen und der Agentur für Arbeit Brühl am 00.00.0000 eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen worden war, erbrachte die Klägerin nach Auswertung der bisherigen Hilfepläne und Beiziehung eines Berichtes der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marienborn vom 00.00.0000 die Jugendhilfeleistungen für die weitere Unterbringung des Hilfebedürftigen im Drimbornshof ab dem 00.00.0000 nur noch vorläufig.

Am 00.00.0000 hat die Klägerin Klage erhoben und den Erstattungsanspruch für die Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 zunächst auf 32.340,59 Euro beziffert.

Sie führt aus, es bestehe eine vorrangige Leistungspflicht des Beklagten, weshalb der Hilfefall auch in dessen Zuständigkeit zu übernehmen sei. Sie sieht sich in ihrem Begehren durch einen Bericht der Alexianer Aachen GmbH vom 00.00.0000 über eine teilstationäre tagesklinische Behandlung des Hilfebedürftigen vom 00.00. bis 00.00.0000 sowie durch einen Entlassungsbericht der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marienborn vom 00.00.0000 bestätigt.

Die Klägerin beantragt zuletzt noch, den Beklagten zu verpflichten, ihr die für den Hilfeempfänger T. N., jetzt T. L., in der Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 aufgewendeten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 30.500,59 Euro zu erstatten,

sowie,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Hilfefall in seine Zuständigkeit zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen.

Er hält an seiner bisherigen Auffassung fest.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Soweit die Klägerin vom Beklagten Erstattung für in der Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 an den Hilfebedürftigen T. L. erbrachte Jugendhilfeleistungen in Höhe von 30.500,59 Euro begehrt, ist die Klage als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG) zulässig. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Denn die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch liegen nicht vor.

Grundlage für die Erstattung der im Zeitraum vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 endgültig bewilligten Jugendhilfeleistungen ist § 104 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).

Die materiellen Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage liegen jedoch nicht vor.

Zwar hat die Klägerin hat dem Hilfebedürftigen im Zeitraum vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 Leistungen der Hilfe zur Erziehung und damit Sozialleistungen (§§ 11 Satz 1, 27 Abs.1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil [SGB I]) endgültig erbracht.

Die Klägerin hat diese Leistungen indessen nicht als nachrangig verpflichteter Leistungsträger erbracht. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger nach § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Eine nachrangige Verpflichtung der Klägerin folgt nicht aus § 10 Abs. 4 Satz 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch – Jugendhilfe (SGB VIII). Nach dieser Vorschrift gehen abweichend von § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor.

Der Hilfebedürftige war im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht 27 Jahre alt und damit entsprechend der Legaldefinition in § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII ein "junger Mensch" im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII.

Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass bei dem Hilfebedürftigen neben der unstreitig vorliegenden seelischen Behinderung auch eine geistige oder körperliche Behinderung vorlag, welche einen Anspruch auf sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) hätte begründen können. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Hilfebedürftige durch eine körperliche oder geistige Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt ist oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht ist. Eine wesentliche körperliche Behinderung des Hilfebedürftigen im Sinne von § 1 Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Eingliederungshilfe-Verordnung) vermag die Kammer auszuschließen. Doch auch eine wesentliche geistige Behinderung des Hilfebedürftigen scheidet im vorliegenden Fall aus. Nach § 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung sind geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind. Aus dem im Verwaltungsverfahren beigezogenen Gutachten des Facharztes für Psychiatrie C. vom 00.00.0000 ergibt sich, dass im Wesentlichen gravierende seelische Erkrankungen des Hilfebedürftigen vorliegen, die zu einer deutlichen Einschränkung seiner Teilhabefähigkeit geführt haben. Demgegenüber hat C. lediglich eine leichtgradige Intelligenzminderung diagnostiziert und nach dem von der Alexianer Aachen GmbH am 00.00.0000 durchgeführten Testung ergab sich ein IQ des Hilfebedürftigen von 75, was jedenfalls allein nicht ausreicht, um eine wesentliche geistige Behinderung anzunehmen (allgemein etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.2014 – L 2 SO 4519/12 = juris, Rdnr. 28). Gestützt wird diese Annahme durch den Bericht der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marienborn vom 00.00.0000, der dem Hilfebedürftigen lediglich eine wesentliche seelische, nicht aber eine wesentliche geistige Behinderung attestiert. Auch die von der Alexianer GmbH in Aachen festgestellten Diagnosen einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0) sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) betreffen ausschließlich seelische Störungen im Sinne von § 3 Nr. 1 bzw. 4 Eingliederungshilfe-Verordnung.

Liegen somit die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII nicht vor, so gehen nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII Leistungen der Jugendhilfe den Leistungen der Sozialhilfe vor, so dass sich keine nachrangige, sondern eine vorrangige Verpflichtung der Klägerin ergibt. Dem lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entgegen halten, dass ein Anspruch des Hilfebedürftigen auf Hilfe für junge Volljährige nach dem SGB VIII im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr bestand, weil dessen Persönlichkeitsentwicklung stagniert.

Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe auf Grund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal jener Leistungen ist deren Eignung. Es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Volljährigen und dessen Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebensführung durch die Maßnahmen der Jugendhilfe gefördert werden können und innerhalb eines gewissen Zeitraums eine spürbare Verbesserung eintritt. Hieran fehlt es indessen erst dann, wenn nicht einmal Teilerfolge zu erwarten sind und die Persönlichkeitsentwicklung erkennbar stagniert (OVG Münster, Beschluss vom 19.12.2013 – 12 A 391/13 = juris, Rdnr. 70; OVG Münster, Urteil vom 21.03.2014 – 12 A 1845/12 = juris, Rdnr. 40; Bayerischer VGH, Beschluss vom 23.10.2001 – 12 ZB 01.2152 = juris, Rdnr. 4; ferner v. Koppenfels-Spies, in: jurisPK-SGB VIII, 1. Auflage 2014, § 41 Rdnr. 12). Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben fehlte es jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum nicht an einer Eignung der dem Hilfebedürftigen erbrachten Maßnahmen der Jugendhilfe. Denn zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass dessen eigenverantwortliche Lebensführung gefördert werden konnte und seine Persönlichkeitsentwicklung nicht erkennbar stagnierte. So wurde im Hilfeplan vom 00.00.0000 ausgeführt, der Hilfebedürftige verfolge das Ziel, in einer Werkstatt für Behinderte Menschen aufgenommen zu werden. In diesem Zusammenhang hatte der Hilfebedürftige bereits am 00.00.0000 eine Eingliederungsvereinbarung mit der Agentur für Arbeit Brühl unterzeichnet, welche Voraussetzung für die Aufnahme in der Werkstatt für Behinderte Menschen war. Auch wenn die Integration des Hilfebedürftigen innerhalb der Werkstatt für behinderte Menschen letztendlich bislang nicht erfolgt ist, so bestand jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum noch eine günstige Entwicklungsprognose. Gestützt wird diese seinerzeitige Entwicklung zu mehr Selbständigkeit des Hilfebedürftigen durch die Stellungnahme der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marienborn vom 00.00.0000. Zwar wird dort ausgeführt, der Hilfebedürftige werde mittelfristig nicht in der Lage sein, den Anforderungen des ersten Arbeitsmarkts zu genügen. Gleichwohl wird im Weiteren erläutert, dass eine strukturierte Förderung im Rahmen einer beschützenden Werkstatt indiziert sei, um ihn gemäß seines ihm möglichen Entwicklungstempos an ein weitgehend autonomes Leben und adäquate Erwerbsfähigkeit heranzuführen. Auch dies dokumentiert, dass seinerzeit im Hinblick auf die Persönlichkeit noch Entwicklungspotential gesehen wurde. Für eine jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum positive Entwicklung des Hilfebedürftigen existieren weitere Anhaltspunkte. So wird im Hilfeplan vom 00.00.0000 unter der Rubrik "Anmerkungen vorhandener Kooperationspartner" ausgeführt: "Im Vergleich zu den Anfängen hat Herr N. sich im geschützten Umfeld der Einrichtung auch an für ihn schwierige Dinge herangewagt (z.B. Vorlesen in der Gruppe), benötigt aber noch oft Motivation und Kontrolle." Überdies gelang es dem Hilfebedürftigen, sich der Thematik seines leiblichen Vaters derart zu stellen, dass er den Familiennamen seines Peinigers mittlerweile abgegeben und den Familiennamen seiner Mutter angenommen hat. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass all dies keine wesentlichen Fortschritte in der Entwicklung seiner Persönlichkeit sind. Indessen kann angesichts dieser kleinen Erfolge keine Rede davon sein, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Hilfebedürftigen im streitgegenständlichen Zeitraum erkennbar stagnierte und nicht einmal Teilerfolge zu erwarten waren. Soweit die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung weitere Umstände geschildert hat, die aus aktueller Sicht für eine Erfolglosigkeit der Maßnahmen der Jugendhilfe sprechen mögen, so erlauben diese Umstände keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die im streitgegenständlichen Zeitraum anzustellende Prognose. Selbst wenn daher bei rückschauender Betrachtung aus heutiger Sicht Zweifel im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung des Hilfebedürftigen angebracht sein sollten, so lagen diese im Rahmen der im streitgegenständlichen Zeitraum gebotenen ex ante-Betrachtung noch nicht vor. Sie vermögen daher die dargelegten, für eine positive Persönlichkeitsentwicklung sprechenden Umstände nicht gleichsam rückwirkend in Frage zu stellen. Dies gilt auch für den von der Klägerin vorgelegten aktuellen Bericht der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marienborn vom 00.00.0000, der von einer erneuten Dekompensation und stationären Behandlung des Hilfebedürftigen berichtet.

Grundlage für die Erstattung der im Zeitraum vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 vorläufig bewilligten Jugendhilfeleistungen ist § 102 Abs. 1 SGB X. Doch auch die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Zwar hat die Klägerin vorläufig Sozialleistungen an den Hilfebedürftigen erbracht. Der Beklagte war jedoch aus den oben dargelegten Gründen nicht "zur Leistung verpflichteter Leistungsträger", weil nach der Zuständigkeitsregelung in § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII die Klägerin selbst als Jugendhilfeträger vorrangig zuständig war.

Soweit die Klägerin weiter die Übernahme des Hilfefalles in die Zuständigkeit des Beklagten begehrt, so ist die Klage ebenfalls unbegründet, weil insoweit kein Anspruch besteht.

Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 97 Satz 1 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift kann der erstattungsberechtigte Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen. Zwar mag es Intention der Klägerin gewesen sein, eine solche Feststellung zu betreiben, wie ihr Schreiben vom 00.00.0000 an den Beklagten nahe legt. Abgesehen davon indessen, dass der Beklagte hierzu keine Entscheidung getroffen hat, muss im Rahmen eines Vorgehens nach § 97 Satz 1 SGB VIII ein Vorverfahren durchgeführt werden (allgemeine Auffassung, siehe statt vieler BSG, Urteil vom 15.02.2000 – B 11 AL 73/99 R = juris; Schneider, in: jurisPK-SGB VIII, 1. Auflage 2014, § 97 Rdnr. 26). Ein Vorverfahren ist jedoch im vorliegenden Fall nicht durchgeführt worden, so dass, wenn man auf § 97 Satz 1 SGB VIII abstellen wollte, die erhobene Leistungsklage bereits unstatthaft wäre und eine kombinierte Feststellungs- und Verpflichtungsklage mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig wäre. Überdies unterscheidet sich die von der Klägerin begehrte Übernahme des Hilfefalles in die eigene Zuständigkeit des Beklagten von der in § 97 Satz 1 SGB VIII geregelten Feststellung einer Sozialleistung, so dass es sich auch aus materiellen Gründen verbietet, § 97 Satz 1 SGB VIII als Anspruchsgrundlage heranzuziehen. § 97 Satz 1 SGB VIII enthält einen Fall gesetzlich geregelter Prozessstandschaft. Der Jugendhilfeträger kann unter den in jener Vorschrift genannten Voraussetzungen Rechte des Hilfebedürftigen feststellen lassen, ohne hierfür auf dessen Zustimmung angewiesen zu sein (Schneider, in: jurisPK-SGB VIII, 1. Auflage 2014, § 97 Rdnr. 23). Es handelt sich also um den materiellen Sozialleistungsanspruch des Hilfebedürftigen, der – in engen Grenzen – auch vom Jugendhilfeträger gegenüber einem anderen Träger soll geltend gemacht werden können. Schon aus diesem Grund muss das Verfahren nach § 97 Satz 1 SGB VIII durch Verwaltungsakt abgeschlossen werden. Dieser Verwaltungsakt entfaltet auch gegenüber dem Hilfebedürftigen materielle Wirkung, weshalb eine Hinzuziehung im Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X erforderlich ist. Könnte indessen der Jugendhilfeträger durch eine gerichtliche Feststellungsklage die Übernahme der Zuständigkeit erreichen, würde der Hilfebedürftige seiner Hinzuziehung im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und damit auch der Anfechtungsmöglichkeiten entsprechender Entscheidungen beraubt. Die Übernahme des Hilfefalles in die eigene Zuständigkeit eines anderen Sozialhilfeträgers kann somit lediglich als Anspruch des Berechtigten vom Jugendhilfeträger geltend gemacht werden. Im vorliegenden Fall indessen hat die Klägerin ihren eigenen Anspruch auf Übernahme des Hilfefalles geltend gemacht. Für einen solchen eigenen Anspruch existiert jedoch keine Anspruchsgrundlage (so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 29.11.2011 – 19 K 3677/11 = juris, Rdnr. 32).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt den Entscheidungen in der Sache.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat den Streitwert nach der von der Klägerin (ursprünglich) eingeklagten Erstattungssumme in Höhe von insgesamt 32.340,59 Euro festgesetzt.
Rechtskraft
Aus
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