S 50 KN 409/16 KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
50
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 50 KN 409/16 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 783/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Aufhebung des Bescheides vom 10.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2016 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 17.05.2016 bis zum 29.05.2016 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 17.05.2016 bis zum 29.05.2016 in Höhe von kalendertäglich 17,89 EUR brutto.

Die am 24.01.1966 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie erkrankte am 02.01.2015 arbeitsunfähig.

Am 17.05.2016 stellte der die Klägerin behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin Dr. G. aus M. eine weitere Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum 30.06.2016 fest.

Mit Bescheid vom 10.06.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Anspruch auf Krankengeld in der Zeit vom 17.05.2016 bis zum 29.05.2016 ruhe, weil die Attestierung der weiteren Arbeitsunfähigkeit der Beklagten erst am 30.05.2016 und damit nicht innerhalb einer Woche nach ärztlicher Feststellung am 17.05.2016 angezeigt worden sei.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 14.06.2016 Widerspruch ein und begründete ihn dahingehend, dass ihr die Praxis versichert habe, dass die Krankschreibung früh genug rausgegangen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie an, dass es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei der Meldung der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich um eine Obliegenheit des Versicherten handele, der die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Meldung somit zu tragen habe. Ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 17.05.2016 bis zum 30.06.2016 festgestellt worden. Die Meldung sei jedoch erst am 30.05.2016 bei der Geschäftsstelle eingegangen und damit nicht innerhalb einer Woche nach der ärztlichen Feststellung am 17.05.2016.

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Ergänzend trägt sie vor, dass sie zunächst die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen selbst an die Beklagte weitergeleitet habe. Im Januar 2016 habe Herr Dr. G. ihr gesagt, dass diesmal die Praxis die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen direkt an die Beklagte schicken werde. Die streitgegenständliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei ebenfalls von Herrn Dr. G. an die Beklagte verschickt worden. Dr. G. habe ihr versichert, dass in der Praxis zweimal pro Woche die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen direkt an die Beklagte versandt werden. Ausweislich Blatt 4 der Verwaltungsakte der Beklagten sei die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 30.05.2016 gescannt worden. Hieraus ergebe sich jedoch nicht, wann diese tatsächlich bei der Beklagten eingegangen sei. Insofern gehe die Klägerin davon aus, dass aufgrund des eingespielten Verwaltungsweges in der Praxis des Herrn Dr. G. die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wie immer sofort zur Post aufgegeben worden und daher auch rechtzeitig bei der Beklagten eingegangen sei. Des Weiteren legte die Klägerin ein Exemplar eines Antwortumschlages vor, mit welchem die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen üblicherweise von der Praxis des Herrn Dr. G. an die Beklagte übersandt werden.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid der Beklagten vom 10.06.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 17.05.2016 bis zum 29.05.2016 Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt ebenfalls bei ihrer Auffassung.
Ergänzend trägt sie vor, dass in der knappschaftlichen Krankenversicherung sukzessive ein Dokumentenmanagementsystem (DMS) eingeführt werde. Eine Komponente des DMS sei der virtuelle Postkorb, dem die Eingangspost zugeführt werde, indem sie im Kompetenz-Center Digitalisierung (KCD) der Beklagten in Essen eingescannt werde. Die dort eingehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen würden am Tage des Eingangs gescannt. Die streitgegenständliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei am 151. Tag des Jahres 2016 (30.05.2016) am Scanner 06 unter der fortlaufenden Paginiernummer "2237" eingescannt worden. Unmittelbar danach würden unter den Paginiernummern "2238-2243" ebenfalls durch die Praxis Dr. G. ausgestellte Formulare folgen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Paginiernummer "2243" enthalte das Feststellungsdatum 24.05.2016. Somit sei davon auszugehen, dass sämtliche Bescheinigungen der Paginiernummern "2237-2243" als Bestandteile einer Briefsendung eingegangen seien, so dass die streitgegenständliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vor dem 24.05.2016 postalisch an die Beklagte versandt worden sein könne. Auf Nachfrage des Gerichts hat Dr. G. mit Schreiben vom 25.04.2017 mitgeteilt, dass unklar sei, wann die streitige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin an die Beklagte verschickt worden ist. Es sei denkbar, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung frühestens am 24.05.2016 an die Beklagte versandt worden ist, aber unwahrscheinlich, weil die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in der Regel dreimal pro Woche versandt würden. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei in einem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Freiumschlag versandt worden. Dies sei zu dem Zeitpunkt ein üblicher Vorgang bei der Beklagten gewesen. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass die Freiumschläge Ende der 90er Jahre vor dem Hintergrund des § 5 EntgFG als Service für die Ärzte eingeführt worden seien. Die Versendung der Freiumschläge an die Ärzte sei im Juni 2016 eingestellt worden. Es habe keine Vereinbarung zwischen der Beklagten und den Ärzten gegeben, dass die Ärzte den Versicherten die ihnen grundsätzlich obliegende Übersendung der Arbeitsunfähigkeits- bescheinigungen abnehmen sollten. Vielmehr habe es einen ärztlichen Service für die Patienten dargestellt. Dieser ärztliche Service sei weder im Auftrag noch auf Veranlassung der Beklagten erfolgt, sondern von den Ärzten angeboten und eigenverantwortlich durchgeführt worden. Ein etwaiges Fehlverhalten der Ärzte durch den verspäteten Versand der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei somit nicht der Beklagten anzulasten. Im Erörterungstermin am 21.09.2017 haben sich die Beteiligten mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG - ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da der von der Beklagten erlassene Bescheid vom 10.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2016 rechtswidrig ist.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 17.05.2016 bis zum 29.05.2016.

Gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.

Vorliegend hat die Klägerin ihre weitere Arbeitsunfähigkeit am 17.05.2016 von ihrem Arzt Dr. Grobe feststellen lassen. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass die Klägerin wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen ist.

Zwar ist davon auszugehen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 17.05.2016 nicht innerhalb der gesetzlichen Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V bei der Beklagten eingegangen ist. Insofern ist auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das Scandatum 30.05.2016 vermerkt (auf Bl. 4 der Verwaltungsakte der Beklagten wird verwiesen) und nach dem Vortrag der Beklagten werden die bei ihr im KCD eingehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen am Tage des Eingangs gescannt. Die Klägerin hat auch nicht nachgewiesen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung binnen einer Woche bei der Beklagten eingegangen ist. Nach den allgemeinen Grundsätzen der objektiven Beweislast obliegt der Klägerin die Beweislast für den rechtzeitigen Zugang der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Beklagten. Ein Zustellnachweis liegt jedoch nicht vor. Auch Dr. G. hat gegenüber dem Gericht angegeben, dass unklar sei, wann die streitige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin an die Beklagte verschickt worden ist.

Gleichwohl hat der Krankengeldanspruch der Klägerin nicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 1 SGB V in der streitgegenständlichen Zeit geruht, weil aufgrund der vorliegenden Umstände ein Ausnahmefall vorliegt, der einen Krankengeldanspruch auslöst, obwohl die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht innerhalb der Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V bei der Beklagten eingegangen ist. Insofern hat die Klägerin alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan, um ihren Krankengeldanspruch zu wahren. Sie durfte auch darauf vertrauen, dass die von ihrem behandelnden Arzt Dr. G. in einem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Freiumschlag an diese versandte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung binnen der gesetzlichen Wochenfrist bei der Beklagten eingeht.

Grundsätzlich handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei der Meldepflicht um eine Obliegenheit des Versicherten. Die Folgen einer nicht rechtzeitigen Meldung sind deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen. Somit ist die Gewährung von Krankengeld bei verspäteter Meldung auch dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind und den Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung trifft (BSG, Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 R – mwN, juris; BSG, Urteil vom 10.05.2012 – B 1 KR 20/11 R – juris).

Von diesem Grundsatz hat das Bundessozialgericht unter engen Voraussetzungen aber auch Ausnahmefälle anerkannt. So sind dem Versicherten Krankengeldansprüche zuerkannt worden, wenn die ärztliche Feststellung oder die rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen sind. Unter der Voraussetzung, dass keine Zweifel an der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit im maßgeblichen Zeitraum vorliegen und keinerlei Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch ersichtlich sind, hat der Versicherte demnach Anspruch auf Krankengeld, wenn er

1. alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um a) die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. anspruchserhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeldanspruch erfolgt ist,

2. der Versicherte an der Wahrung der Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (wie z. B. durch die irrtümlich nicht zeitgerecht erstellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung),

3. und der Versicherte - zusätzlich - seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht.

Einen solchen Ausnahmefall hat das Bundessozialgericht bei Fristversäumnissen wegen Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Versicherten (BSGE 25, 76, 77 f = SozR Nr. 18 zu § 182 RVO; BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr. 5, RdNr. 23), im Falle des verspäteten Zugangs der Arbeitsunfähigkeitsmeldung bei der Krankenkasse aufgrund von Organisationsmängeln, die diese selbst zu vertreten hat (BSGE 52, 254, 258 ff und LS 2 = SozR 2200 § 216 Nr. 5), für Fälle einer irrtümlichen Verneinung der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten aufgrund ärztlicher Fehlbeurteilung (BSGE 54, 62, 65 = SozR 2200 § 182 Nr. 84; BSGE 95, 219 = SozR 4-2500 § 46 Nr. 1, RdNr. 22; BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr. 5, RdNr. 23; BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr. 7, RdNr. 24 mwN), bei einem von der Krankenkasse rechtsfehlerhaft bewerteten Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach Aufgabe des letzten Arbeitsplatzes (BSGE 85, 271, 277 f = SozR 3-2500 § 49 Nr. 4) sowie zuletzt für den Fall der aus nichtmedizinischen Gründen irrtümlich nicht zeitgerecht erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris) bejaht.

Unter Berücksichtigung dieser Ausnahmefallrechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Kammer der Auffassung, dass auch im Falle der von der Krankenkasse den Ärzten zur Verfügung gestellten Freiumschläge für die Übersendung der Arbeitsunfähigkeits- bescheinigungen vom Arzt an die Krankenkasse ein Ausnahmefall vorliegt.

Bereits mit Urteil vom 28.10.1981 (BSGE 52, 254, 258 ff und LS 2 = SozR 2200 § 216 Nr. 5) hat das Bundessozialgericht festgestellt, dass sich die Krankenkasse bei einem nicht rechtzeitigen Zugang der dem Versicherten obliegenden Meldung der Arbeitsunfähigkeit dann nicht auf ein Ruhen des Krankengeldanspruchs berufen könne, wenn der nicht rechtzeitige Zugang der Meldung auf Umständen beruht, die in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse fallen. In diesem Fall stehe der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes dem Ruhen des Krankengeldanspruchs entgegen. Ein anderes Ergebnis sei mit der Zielsetzung des SGB, dem Bürger den Zugang zu den Sozialleistungen zu erleichtern, nicht in Einklang zu bringen.

Auch im vorliegenden Fall sind die vom Bundessozialgericht aufgestellten Voraussetzungen für einen Ausnahmefall nach Auffassung der Kammer erfüllt.

Zweifel an der von Dr. G. am 17.05.2016 festgestellten Arbeitsunfähigkeit sowie Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden. Die Klägerin hat alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan hat, um ihre Ansprüche zu wahren, indem sie einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt, Dr. G, persönlich am 17.05.2016 aufgesucht und ihm ihre Beschwerden geschildert hat, um die ärztliche Feststellung ihrer weiteren Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen. Die Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit ist auch rechtzeitig innerhalb der anspruchserhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeldanspruch erfolgt. Die Klägerin war an der Wahrung der Ansprüche dadurch gehindert, dass ihr Dr. G. – nachdem sie zunächst die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen selbst an die Beklagte weitergeleitet hat - im Januar 2016 gesagt hat, dass diesmal die Praxis die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen direkt an die Beklagte schicken werde. Die Klägerin durfte auch darauf vertrauen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtzeitig bei der Beklagten eingeht (ebenso SG Aachen, Urteil vom 31.01.2017 - S 13 KR 318/16 – juris). Dieser Vertrauenstatbestand wird dadurch begründet, dass regelmäßig zwischen dem Arzt und seinem Patienten ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht. Aufgrund dessen darf der Patient davon ausgehen, dass wenn er seinen Arzt aufsucht, um seine (weitere) Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen und der Arzt ihm mitteilt, dass er die Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse übernimmt, der Arzt dies auch mit der gebotenen Sorgfalt durchführt. Es ist auch davon auszugehen, dass dem Arzt die Bedeutung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und die für den Patienten bestehende Wichtigkeit einer umgehenden Übersendung an die Krankenkasse aufgrund des damit häufig verbundenen Anspruchs auf Krankengeld bewusst sind. Hier liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin hätte erkennen oder wissen können, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht binnen der gesetzlichen Wochenfrist bei der Beklagten eingeht, so dass sie die Meldung der Arbeitsunfähigkeit bzw. die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Beklagte hätte selbst vornehmen oder bei der Beklagten rechtzeitig hätte nachfragen müssen, ob die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingegangen ist. Zudem hat Herr Dr. G. sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber dem Gericht mitgeteilt, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehrmals pro Woche übersandt werden.

Die nicht rechtzeitig erfolgte Meldung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gegenüber der Beklagten geht im vorliegenden Fall nicht zu Lasten der Klägerin, weil etwaige Probleme, die im Rahmen der Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seitens des Arztes an die Krankenkasse in von der Krankenkasse den Ärzten zur Verfügung gestellten Freiumschlägen dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sind (ebenso SG Aachen, Urteil vom 31.01.2017, aaO).

Die Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch den Vertragsarzt Dr. G. ist von der Beklagten durch die Zurverfügungstellung der Freiumschläge veranlasst worden. Damit war für die Beklagte erkennbar, dass die Verfahrensweise, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vom Versicherten, sondern vom Vertragsarzt an die Beklagte geschickt wird, auch genutzt wird und somit die grundsätzlich dem Versicherten obliegende Aufgabe, der Krankenkasse seine (weitere) Arbeitsunfähigkeit zu melden, vom Arzt übernommen wird, auf die der Versicherte sodann keinen Einfluss mehr hat. Diese Verfahrensweise und damit auch etwaige Probleme im Zusammenhang mit dieser sind somit der Sphäre der Beklagten und nicht des Versicherten zuzurechnen. Auf das Vorliegen einer Vereinbarung kommt es deshalb nicht an. Nur eine solche Sichtweise kann dem Schutzbedürfnis der Versicherten in der sozialen Krankenversicherung gerecht werden, wie es auch in § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I - explizit hervorgehoben wird. Danach ist bei der Auslegung der Vorschriften des SGB sicherzustellen, dass die sozialen Rechte (hier: insbesondere dasjenige auf wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB I) "möglichst weitgehend" verwirklicht werden (BSG, Urteil vom 11.05.2017, aaO). In diese Richtung geht letztlich auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach trotz des grundsätzlich fehlenden verfassungsrechtlichen Anspruchs auf bestimmte Leistungen der GKV gesetzliche bzw. auf dem Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen ebenso wie die nachteilige Auslegung und Anwendung von Regelungen des Leistungsrechts der GKV durch die Fachgerichte stets daran gemessen werden müssen, ob sie im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz - GG - gerechtfertigt sind, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen; das gilt insbesondere für diejenigen Personen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen, die in der GKV pflichtversichert sind und denen die Möglichkeit einer davon abweichenden Absicherung nicht offen steht (BSG, Urteil vom 11.05.2017, aaO unter Verweis auf BVerfGE 115, 25, 42 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 20 ff).

Die Klägerin hat schließlich auch unverzüglich ihre Rechte bei der Beklagten nach Erlangung der Kenntnis von dem verspäteten Eingang der Arbeitsunfähigkeits- bescheinigung geltend gemacht, indem sie gegen den Bescheid vom 10.06.2016 fristgemäß Widerspruch eingelegt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG war die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil dem Gericht bekannt ist, dass sowohl in anderen KR-Kammern des Sozialgerichts Duisburg als auch an anderen Sozialgerichten in Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl gleichgelagerter Verfahren anhängig ist.
Rechtskraft
Aus
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