L 6 VK 4874/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 VK 2181/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VK 4874/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts S. vom 1. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist zum wiederholten Male die Gewährung einer BVG streitig.

Am 16. Juli 1944 wurde die elterliche Wohnung des 1939 geborenen Klägers ausgebombt (Ausweis für Fliegergeschädigte der Stadt S. vom 17. Juli 1944, Bl. 88 V-Akte). Nach dem Krieg durchlief er von 1955 bis 1958 eine Lehre als Dekorateur bei der Firma N ... Vom 2. Mai 1960 bis 30. September 1962 studierte er Malerei in B. (West). Danach war er vom 23. Oktober 1969 bis 17. November 1969 als Requisiteur beim W. angestellt. Vom 24. November bis 19. Dezember 1969 war er als freier Mitarbeiter als Requisiteur beim S. beschäftigt. Seine am 6. November 1967 geschlossene Ehe, aus der zwei 1968 und 1969 geborene Töchter hervorgingen, wurde am 14. August 1970 rechtskräftig geschieden (Kopie aus dem Familienbuch, Bl. 36 f. V-Akte).

Seit dem 1. September 1972 bezog er aufgrund eines Versicherungsfalls vom 10. Mai 1972 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Mitteilung der L. vom 7. Oktober 1974, Bl. 26 V-Akte). Dem lag das Gutachten des Nervenarztes Dr. W. vom 18. April 1972 zugrunde, dem der Kläger berichtet hatte, bereits seit dem 18. Lebensjahr Alkoholiker gewesen zu sein, dann mit 28 Jahren eigener Entzug von LSD über Kaffee, anschließend langjähriger - kostenloser - Haschischkonsum. Die Familie wohne nach der Scheidung wieder im gleichen Haus. Da weder er noch seine Ehefrau arbeiteten, sei ihm der Reisepass entzogen worden, obwohl er dringend eine Luftveränderung brauche. Der Sachverständige diagnostizierte eine willensschwache stimmungslabile psychasthenische psychopathische Persönlichkeit mit Verdacht auf einen blanden schizophrenen Defektzustand (Bl. 41 ff. V-Akte), wobei er insofern Bezug nahm auf das Kurzgutachten der Obermedizinalrätin Dr. S. vom 24. März 1971, die dem Kläger eine schwere psychische Störung, vermutlich aus dem schizophrenen Formenkreis, attestiert hatte (Bl. 38 ff. V-Akte). Diese Einschätzung wurde durch das weitere Rentengutachten von Dr. S., Psychiatrisches Landeskrankenhaus W., bestätigt, der den Kläger wegen einer schweren krankheitswertigen neurotischen Persönlichkeitsveränderung ebenfalls für erwerbsunfähig erachtete (Bl. 51 ff. V-Akte).

Seit dem 9. Mai 1974 beantragte der Kläger mit der Begründung, seine psychischen Beschwerden beruhten auf dem Bombenangriff 1944, er habe deswegen sogar zeitweise das Gedächtnis verloren, wiederholt die Gewährung von Versorgungsleistungen.

Erstmalig mit Bescheid vom 17. Februar 1975 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, nach den vorhandenen medizinischen Gutachten sei es völlig unwahrscheinlich, dass sein heutiges Leiden, welches er bei der Antragstellung angegeben habe, auf einen eventuellen Fliegerangriff zurückgeführt werden könne, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Beschädigtenversorgung nicht vorlägen (Bl. 70 V-Akte). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 1975), ebenso das Klageverfahren beim Sozialgericht S. (SG, Urteil vom 28. Juli 1977), gleichfalls das Berufungsverfahren beim Landessozialgericht B. (Urteil vom 5. September 1978) wie die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (Az.: 9 BV 350/78).

Sein erster Überprüfungsantrag datierte vom 24. April 1979 (Bl. 86 V-Akte), zu dem der Beklagte ausführte, es sei völlig unwahrscheinlich, dass das bestehende Nervenleiden durch den Fliegerangriff im Juli 1944 hervorgerufen oder verschlimmert worden sei. Das sich anschließende Gerichtsverfahren beim SG blieb wegen Unzulässigkeit der Klage ebenfalls erfolglos, wie dies auch bei späteren Überprüfungsanträgen vom 28. Januar 1980, 22. Dezember 1980, 27. November 1995 und 19. April 2002 der Fall war.

Auf den weiteren Antrag vom 17. Januar 2003 lehnte der Beklagte zusätzlich mit Bescheid vom 12. Januar 2004 die Gewährung einer Kann-Versorgung ab (Bl. 160 V-Akte). Auch insoweit blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. März 2006), ebenso wie das Klageverfahren beim SG (Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2007 – S 6 V 2179/06). Die Entscheidung wurde rechtskräftig.

Zuletzt stellte der Kläger am 19. April 2013 einen Antrag auf Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und bat um Nachzahlung, was mit Bescheid vom 20. Juni 2013 abgelehnt wurde. Die dagegen erhobenen Widersprüche nahm der Kläger zurück.

Auf seine Anträge vom 12. Juli 2013 und 16. Juli 2013 teilte ihm der Beklagte mit Schreiben vom 7. August 2013 mit, nachdem er keine neuen Gerichtspunkte oder rechtserhebliche Tatsachen vorgebracht habe, verbleibe es bei den bisher ergangenen Bescheiden, eine weitere Bescheiderteilung sei nicht notwendig, der Kläger solle sich bei finanziellen Problemen an das Sozialamt der Stadt S. wenden (Bl. 215 V-Akte).

Zwischenzeitlich war bei ihm mit Bescheid vom 18. Februar 2003 der Grad der Behinderung (GdB) seit 17. Oktober 2002 aufgrund der Funktionsbeeinträchtigungen einer seelischen Krankheit, einer Abhängigkeitserkrankung, einer chronischen Bronchitis, eines Leberschadens, einer Taubheit links, eines Schwindels, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, eines verheilten Wirbelbruchs und degenerativer Veränderungen mit 100 bewertet worden (Bl. 179 f. SG-Akte).

Am 8. Juli 2015 wandte er sich an den Vertrauensarzt der ärztlichen Abteilung des Landratsamtes B. und teilte mit, dass er dringend die Anerkennung als Kriegsopfer benötige, damit er etwas bekomme. Hierauf antwortete der Beklagte mit Schreiben vom 12. August 2015, das sämtliche von ihm gestellten Anträge auf Anerkennung als Kriegsbeschädigter hätten abgelehnt werden müssen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Deswegen könne auch nicht seinem Antrag auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X entsprochen werden. Die letzte ablehnende Entscheidung vom 20. Juli 2013 sei bestandskräftig geworden. Eine weitere Bescheiderteilung sei nicht erforderlich. Die dagegen erhobene Klage beim SG wurde mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2015 abgewiesen (S 13 VK 5311/15).

Am 24. April 2017 hat der Kläger direkt beim SG Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei nach Angaben seiner Mutter mit 5 1/2 Jahren bewusstlos durch das Kellerfenster getragen worden und habe Splitter in den Beinen gehabt, die mittlerweile entfernt worden seien. Als Folgeerkrankungen habe er die Englische Krankheit 30 Jahre nach Kriegsende eine Knochenerweichung und auch Kinderlähmung bekommen.

Er hat hierzu das Antwortschreiben des B. vom 18. April 2017 auf seine Eingabe vom 16. März 2017 vorgelegt, wonach für sein Anliegen ausschließlich die entsprechenden Landesversorgungsbehörden zuständig seien. Die Gerichte seien unabhängig und nicht weisungsgebunden, so dass aus verfassungsrechtlichen Gründen das Bundesministerium nicht auf gerichtliche Verfahren, in denen es nicht Beteiligter sei, Einfluss nehmen könne. Schwierigkeiten in der Führung des Nachweises tatbestandsausführender Tatsachen, die den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch begründeten, könnten nicht ausgeglichen werden (Bl. 8 f. SG-Akte).

Der Beklagte ist der Klage mit der Begründung entgegengetreten, diese sei bereits unzulässig, da es am erforderlichen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren fehle.

Mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 1. Dezember 2017, dem Kläger zugestellt am 7. Dezember 2017, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klage könne unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Erfolg haben. Der Klageantrag auf Anerkennung als Kriegsopfer sei bereits unzulässig, da es am erforderlichen Antrag bei dem Beklagten fehle, sodass auch kein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden sei. Alle zuvor erlassenen Bescheide seien bestandskräftig und eine isolierte Leistungsklage nicht zulässig. Sollte in dem Schreiben des Beklagten vom 7. August 2013 eine Ablehnung des Antrags nach § 44 SGB X zu sehen sein, so sei dieser Bescheid ebenfalls bestandskräftig geworden, da seit seinem Erlass mehr als ein Jahr vergangen sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne dem Kläger daher nicht gewährt werden. Das Schreiben vom 12. August 2015 habe lediglich informatischen Charakter und enthalte keine auf Rechtswirkung nach außen gerichtete Einzelfallentscheidung. Die isolierte Leistungsklage sei deswegen unzulässig, da Leistungen nach dem BVG nicht ohne den Erlass eines Verwaltungsaktes gewährt werden könnten. Er könne auch keinen Auszahlungsanspruch aus einer Entscheidung herleiten.

Hiergegen hat der Kläger am 20. Dezember 2017 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat.

Er hat zuletzt nochmals die Antwort des B. vom 18. April 2017 zu seiner Eingabe auf Versorgung als Kriegsopfer vorgelegt, wonach dieses nach wie vor auf die Zuständigkeit der Landesversorgungsbehörden verweist.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts S. vom 1. Dezember 2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn als Kriegsopfer anzuerkennen und ihm Beschädigtenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend, da ein anfechtbarer Verwaltungsakt nicht existiere und auch eine isolierte Leistungsklage unzulässig sei. Sämtliche bisher ergangene Verwaltungsentscheidungen und Urteile hätten Bestands- oder Rechtskraft erlangt. Beide Beteiligte haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten zweiter Instanz sowie die von dem Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 153 Abs. 1 i.V.m. 124 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.

Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens ist der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 1. Dezember 2017, mit dem die als isolierte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger sinngemäß begehrt hat ihn als Kriegsopfer anzuerkennen und ihm Beschädigtenversorgung zu gewähren, abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei einer Leistungsklage wie hier der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rz. 34), mangels Durchführung einer solchen indes derjenige der Entscheidung, hier also am 19. April 2018.

Die Berufung des Klägers ist bereits mangels Zulässigkeit der Klage unbegründet, denn die Sachentscheidungsvoraussetzungen für diese Klageziele liegen nicht vor.

Der Kläger hat vor dem SG ausdrücklich eine isolierte Leistungsklage erhoben, über die allein das SG auch entschieden hat. Diese war nach § 54 Abs. 5 SGG unzulässig, da Leistungen nach dem BVG nicht ohne Erlass eines Verwaltungsakts gewährt werden können. Auch in der Berufungsinstanz hat der Kläger keine zusätzliche Anfechtungsklage erhoben. Eine echte, isolierte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG auf Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, scheidet aus, weil das klägerische Begehren auf Anerkennung als Kriegsopfer und Gewährung von Beschädigtenversorgung einer Behördenentscheidung bedurfte, also ein Verwaltungsakt hätte erlassen werden müssen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 54 Rz. 4a, 41), was dem prozesserfahrenen Kläger bekannt ist.

Selbst wenn er dies getan hätte, wäre seine Klage, wie auch das SG ausgeführt hat, gleichwohl unzulässig. In Bezug auf die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG fehlt es an der Klagebefugnis im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Es reicht zwar aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist und Rechtsschutzsuchende die Beseitigung einer in ihre Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstreben, von der sie behaupten, sie sei nicht rechtmäßig (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2007 - B 9/9a SB 2/06 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 5, Rz. 18). An der Klagebefugnis fehlt es demgegenüber, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 19/01 R -, BSGE 90, 127 (130)), weil hinsichtlich des Klagebegehrens keine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung vorliegt (BSG, Urteil vom 21. September 2010 - B 2 U 25/09 R -, juris, Rz. 12).

So ist es im Falle des Klägers, denn sämtliche vom Beklagten erlassenen Bescheide sind nach § 77 SGG bestandskräftig geworden; es gibt keine offenen Verfahren mehr. Gegen den Bescheid vom 12. Januar 2004 hat der Kläger ein erfolgloses Widerspruchs- (Widerspruchsbescheid vom 21- März 2006) und Klageverfahren mit rechtskräftigem Urteil vom 14. Juni 2007 durchgeführt (S 6 V 2179/06). Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. Juni 2013 hat der Kläger zurückgenommen. Auch nach dem Schreiben des Beklagten vom 7. August 2013, so es denn überhaupt als Verwaltungsakt mit Regelung im Einzelfall mit Außenwirkung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X eingestuft werden kann, ist nach Ablauf eines Jahres bei Klageerhebung die Widerspruchsfrist nach §§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3, 66 Abs. 2 SGG abgelaufen. Der Antrag vom 8. Juli 2015 an den Vertrauensarzt der ärztlichen Abteilung des Landratsamtes B. ist mit Schreiben vom 12. August 2015 abgelehnt worden. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2015 abgewiesen (S 13 VK 5311/15). Die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage zieht diejenige der mit ihr kombinierten Leistungsklage nach sich.

Schließlich kommt auch eine Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 Satz1 SGG nicht in Betracht, nachdem der Kläger direkt Klage beim SG erhoben hat, es also dem erforderlichen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes fehlt.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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