L 1 SF 517/16 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 10 SF 73/14 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 SF 517/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 29. Januar 2016 (S 10 SF 73/14 E) aufgehoben und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung des Beschwerdegegners für das Verfahren S 10 R 3819/11 auf 878,70 EUR festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für das beim Sozialgericht (SG) Altenburg anhängig gewesene Verfahren S 10 R 3819/11 in dem der Beschwerdegegner den Kläger vertrat.

Gegenstand der am 19. Oktober 2011 erhobenen Klage war die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, die die Beklagte mit Bescheid vom 9. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2011 abgelehnt hatte. Mit Beschluss vom 6. November 2012 bewilligte das SG dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Kostenbeteiligung unter Beiordnung des Beschwerdegegners. Unter dem 31. Mai 2013 unterbreitete die Beklagte ein Vergleichsangebot dahingehend, dass sich die Beteiligten darüber einig sind, dass bei dem Kläger seit dem 13. Februar 2012 eine volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) vorliegt und die Beklagte ihm unter Abänderung des angefochtenen Bescheides ab dem 1. März 2012 einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zahlt. Kosten würden nicht übernommen. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in vollem Umfang für erledigt. Unter dem 13. August 2013 erklärte der Beschwerdegegner die Annahme des Vergleichsangebots. Mit Beschluss vom 30. August 2013 stellte das SG fest, dass der Rechtsstreit durch vergleichsweise Einigung der Beteiligten beendet wurde. Am 14. August 2013 beantragte der Beschwerdegegner die Festsetzung folgender Gebühren aus der Staatskasse:

Erledigungsgebühr Nrn. 1006, 1005 VV RVG 290,00 EUR Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 350,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 78,40 EUR Pauschale Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme 738,40 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 140,30 EUR Summe 878,70 EUR Unter dem 9. September 2013 beantragte er unter Korrektur seines der Kostenfestsetzungsantrages die Festsetzung folgender Gebühren aus der Staatskasse: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 350,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 300,00 EUR Einigungsgebühr Nr. 1006, 1005 VV RVG 290,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 78,40 EUR Pauschale Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme 1.048,40 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 197,30 EUR Summe 1.235,70 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss (richtig: Vergütungsfestsetzungsbeschluss) vom 13. Januar 2014 die zu zahlende Vergütung auf 878,70 EUR (Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 350,00 EUR, Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 290,00 EUR, Auslagen/Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR, Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 78,40 EUR, Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 140,30 EUR) fest. Zur Begründung führte die UdG aus, für die Entstehung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG (alter Fassung (a.F.)) lägen die Voraussetzungen nicht vor. Ein Termin habe nicht stattgefunden, auch sei kein Anerkenntnis angenommen worden. Die Nr. 3106 VV RVG (a.F.) sei eine Spe-zialvorschrift zu Nr. 3104 VV RVG (a.F.). Der Abschluss eines Vergleichs sei hier ausdrücklich nicht erwähnt.

Gegen die Nichtfestsetzung einer Terminsgebühr hat der Beschwerdegegner Erinnerung eingelegt. Vorliegend handle es sich um eine Regelungslücke; es sei kein Grund zu finden, warum in Sozialgerichtsverfahren ein schriftlicher Vergleich eine Terminsgebühr auslöse, wenn sich die Gebühren nach Gegenstandswerten richteten, nicht aber bei Betragsrahmengebühren. Auf die Frage komme es jedoch nicht mehr an, wenn der Rechtsanwalt vorher mit der Gegenseite über eine Einigung gesprochen habe, da dann die 3. Alternative von VV Vorbemerkung 3 Abs. 3 vorliege. Dies sei am 24. Juli 2013 der Fall gewesen.

Auf Anfrage des SG teilte die Beklagte mit, ihr liege kein Telefonvermerk über ein Telefonat mit dem Beschwerdegegner am 24. Juli 2013 vor. Sie habe ihm jedoch mit Schriftsatz vom 29. Juli 2013 eine Rentenauskunft über die Höhe der zu erwartenden Rente des Klägers wegen Erwerbsminderung übersandt, sodass davon auszugehen sei, dass der Sachverhalt vorher telefonisch besprochen wurde.

Der Beschwerdeführer hat ausgeführt, nicht jede telefonische Besprechung mit dem Gegner lasse eine Terminsgebühr entstehen. Das Telefonat habe lediglich den Zweck gehabt, Informationen bzgl. der Höhe der zu erwartenden Erwerbsminderungsrente auf Grundlage des bereits vorliegenden Vergleichsangebots der Beklagten einzuholen. Solche Gespräche lösten keine Terminsgebühr aus. Dass die Verfahrensbeteiligten in der telefonischen Besprechung konkret über den Abschluss eines Vergleichs verhandelt haben, sei vorliegend auch nicht ersichtlich.

Mit Beschluss vom 29. Januar 2016 hat das SG auf die Erinnerung des Beschwerdegegners den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 27. Januar 2014 (richtig: vom 13. Januar 2014) geändert und die aus der Staatskasse zu gewährende anwaltliche Vergütung auf 1.235,70 EUR festgesetzt. Die Terminsgebühr sei entstanden. Zweck der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG sei es, eine Einigung ohne mündliche Verhandlung zu fördern. Das Telefonat zwischen dem Beschwerdegegner und der Beklagten sei dem Vergleichsabschluss dienlich gewesen und habe zur Beendigung des Rechtsstreits geführt. Die angefragten Informationen zur Höhe der zu erwartenden Erwerbsminderungsrente seien für den Kläger wesentlich und Grundlage für seine Entscheidung über die Annahme des Vergleichs unter gleichzeitiger Beendigung des Rechtsstreits gewesen.

Gegen den am 6. April 2016 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 11. April 2016 beim Thüringer Landessozialgericht Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde richte sich gegen die Berücksichtigung einer fiktiven Terminsgebühr in Höhe von 300,00 EUR zuzüglich anteiliger Umsatzsteuer. Das zwischen dem Beschwerdegegner und der Beklagten geführte Telefongespräch zur Einholung von Informationen löse keine Terminsgebühr aus. Der Beschwerdegegner ist dem entgegengetreten.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 20. April 2016) und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Zuständig für die Entscheidung ist nach dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan des Thüringer Landessozialgerichts i.V.m. dem Geschäftsverteilungsplan des 1. Senats die Berichterstatterin des Senats.

Anzuwenden ist das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der Fassung bis 31. Juli 2013 (a.F.), denn die Beiordnung des Beschwerdegegners ist vor diesem Zeitpunkt erfolgt (§ 60 Abs. 1 S 1 RVG). Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft (ständige Rechtsprechung des Thüringer Landessozialgerichts, vgl. u.a. Beschluss vom 15. März 2011 - L 6 SF 975/10 B) und zulässig. Der Beschwerdewert übersteigt 200,00 Euro. Zur Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass der Beschluss des SG entgegen § 33 Abs. 3 RVG keine Rechtsmittelbelehrung enthält und insoweit fehlerhaft ist.

Die Beschwerde ist begründet.

Streitig ist hier zwischen den Beteiligten lediglich die Festsetzung der Terminsgebühr in Höhe von 300,00 EUR. Die Verfahrensgebühr, die Erledigungsgebühr und die sonstigen Gebühren wurden in beantragter Höhe festgesetzt. Die Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG wurde entsprechend angepasst. Bezüglich der Höhe der festgesetzten Gebühren bestehen insoweit keine Bedenken. Eine Terminsgebühr ist entgegen den Ausführungen der Vorinstanz nicht festzusetzen. Für die Bestimmung der Terminsgebühr im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren entstehen, findet die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV-RVG Anwendung, auf die in Nr. 3104 VV-RVG verwiesen wird. Nach Nr. 3106 VV-RVG beträgt die Terminsgebühr 20,00 bis 380,00 Euro. Die Terminsgebühr entsteht nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 VV-RVG für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts, wobei dies allerdings für Besprechungen (nur) mit dem Auftraggeber nicht gilt.

Ein Termin hat in dem Verfahren S 10 R 3819/11 nicht stattgefunden. Eine Terminsgebühr ist auch nicht nach der dritten Alternative (Vorb. 3 Abs. 3) ausgelöst worden, weil der Inhalt des gerichtlichen Vergleichs nicht in entsprechenden Besprechungen zwischen dem Beschwerdegegner und der Beklagten abgestimmt worden ist. Vielmehr lag das Vergleichsangebot bereits unter dem 31. Mai 2013 - also vor dem behaupteten Telefonat am 24. Juli 2013 - vor. Der Beschwerdegegner hat das Vergleichsangebot nach Einholung von weiteren Informationen bei der Beklagten am 13. August 2013 angenommen. Der Beschwerdegegner behauptet selbst nicht, mit einem hierfür zuständigen Mitarbeiter der Beklagten über die Modalitäten des Vergleichsangebotes gesprochen zu haben. Gespräche zur Informationsbeschaffung lösen die Terminsgebühr nicht aus (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Auflage 2012, VV Vorb. 3, Rn. 85).

Aber auch die in Nr. 3106 VV-RVG aufgeführten Verfahrenskonstellationen sind nicht gegeben. Danach entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn (1.) in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, (2.) nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder (3.) das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Dies war hier nicht der Fall. Damit errechnet sich die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wie folgt: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 350,00 EUR Erledigungsgebühr Nrn. 1006, 1005 VV RVG 290,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 78,40 EUR Pauschale Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme 738,40 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 140,30 EUR Summe 878,70 EUR

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG). Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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