L 3 AS 907/16

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 32 AS 5214/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 907/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage einer Hinweis- und Beratungspflicht eines Jobcenters bei einer unzulässigen Aufrechnung eines Betriebskostenguthabens mit Mietschulden durch den Vermieter (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung: vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 21. September 2017 – L 3 AS 480/12 –).
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wehren sich gegen Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Beklagten, mit denen für Unterkunft und Heizung gezahlte Leistungen zurückgefordert werden.

Die miteinander verheirateten Kläger beziehen als Bedarfsgemeinschaft seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Im streitgegenständlichen Zeitraum zahlten sie für ihre Wohnung eine Grundmiete in Höhe von monatlich 336,60 EUR zuzüglich einer Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von monatlich 198,00 EUR.

Nachdem zuvor wegen schwankenden Einkommens der Klägerin zu 1, die als Selbständige ein Schreib- und Spielwarengeschäft betrieb, lediglich vorläufige Bewilligungen vorgenommen worden waren, nahm der Beklagte mit zwei Bescheiden vom 12. Januar 2010 die endgültige Festsetzung der Leistungen im Zeitraum Februar bis September 2008 vor. Für den Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis zum 10. April 2008 bewilligte er monatlich 474,21 EUR, davon für Unterkunft und Heizung monatlich jeweils 205,80 EUR und für den Zeitraum ab dem 11. April 2008 monatlich 671,47 EUR, davon wiederum 205,80 EUR für Unterkunft und Heizung.

In einem anderen Zusammenhang forderte der Beklagte die Kläger unter dem 3. August 2011 auf, die Betriebskostenabrechnungen der Jahre 2005 bis 2010 vorzulegen. Am 31. August 2011 legten die Kläger die Betriebskostenabrechnung vom 17. März 2008 für den Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum 17. März 2007 vor, die ein Guthaben von 754,87 EUR ergab, das der Vermieter mit Mietschulden der Kläger verrechnet hatte.

Mit Schreiben jeweils vom 7. November 2011 hörte der Beklagte die Kläger zur möglichen (Teil-)Aufhebung der bewilligten Leistungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) an. Eine Stellungnahme der Kläger erfolgte nicht.

Mit Bescheiden vom 19. Januar 2012 hob der Beklagte die Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung für den Monat April 2008 hinsichtlich der Klägerin zu 1 und des Klägers zu 2 in Höhe von jeweils 205,80 EUR sowie für den Monat Mai 2008 hinsichtlich der Klägerin zu 1 in Höhe von 171,62 EUR und hinsichtlich des Klägers zu 2 in Höhe von 171,65 EUR auf und forderte die Leistungen zurück. Die Widersprüche vom 23. Februar 2012 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 3. Juli 2012 zurück.

Die beiden Klagen vom 2. August 2012 (Az. S 32 AS 5214/12 und S 32 AS 5216/12) hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 21. Juni 2016 verbunden. Mit Urteil vom 14. Juli 2016 hat es die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 19. Januar 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3. Juli 2012 abgeändert und die Erstattungsforderung gegen die Klägerin zu 1 auf 265,69 EUR und die Forderung gegen den Kläger zu 2 auf 265,70 EUR reduziert. Rechtsgrundlage der angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide seien die Regelungen in § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X sowie § 50 SGB X, § 330 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Mit den Bescheiden vom 12. Januar 2010 seien die den Kläger zustehenden Leistungen endgültig festgesetzt worden. Sie seien von Anfang an rechtswidrig, soweit das Betriebskostenguthaben in Höhe von 754,87 EUR aus der Betriebskostenabrechnung vom 17. März 2008 in den Leistungsmonaten April und Mai 2008 nicht nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a. F.) bedarfsmindernd berücksichtigt worden sei. Die Rücknahme- und Erstattungsbescheide seien formell rechtmäßig; insbesondere seien die Kläger vor Erlass der Bescheide ordnungsgemäß angehört worden. In materieller Hinsicht seien sie teil-weise rechtswidrig. Zwar sei das Betriebskostenguthaben in den Leistungsmonaten April und Mai 2008 nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. bedarfsmindernd zu berücksichtigen gewesen. Dabei habe allerdings die Anrechnung auf den tatsächlichen Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung und nicht, wie vom Beklagten vorgenommen, auf den als angemessen angesehenen Bedarf erfolgen müssen. Es ergebe sich insoweit eine Reduzierung der Erstattungsforderungen gegen die Kläger. Die Leistungsberechnung im Übrigen, insbesondere die Anrechnung erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit, sei rechtsfehlerfrei erfolgt. Auch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes stünden der teilweisen Rücknahme der gewährten Leistungen nicht entgegen. Trotz der vom Vermieter vorgenommenen "Verrechnung" mit Mietschulden handele es sich bei dem Betriebskostenguthaben um Einkommen, das nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. bedarfsmindernd zu berücksichtigen gewesen sei. Unter Berücksichtigung des Guthabens sei der Bedarf der Kläger für die Kosten der Unterkunft und Heizung im April 2008 gedeckt und im Mai 2008 auf 145,91 EUR (Kläger zu 2) und 145,90 EUR (Klägerin zu 1) reduziert gewesen. Die vom Vermieter vorgenommene "Verrechnung" des Guthabens mit offenen Mietforderungen habe die Kläger von Verbindlichkeiten befreit und sei daher nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 132/11 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 60 = juris, jeweils Rdnr. 20 f.) ein wertmäßiger Zuwachs in Form eines entsprechend in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Werts. Die Frage, ob in dieser Konstellation ein Betriebskostenguthaben ohne weiteres in rechtlicher Hinsicht realisierbar sei und damit "bereite Mittel" vorliegen, sei in Erstattungskonstellationen nicht erheblich. Die Sicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Existenzminimums spiele in Erstattungskonstellationen keine Rolle. Die Sicherung des Existenzminimums im betreffenden Zeitraum werde nicht tangiert, vielmehr hätten die Leistungen seinerzeit tatsächlich zur Verfügung gestanden. Es werde lediglich für die Zukunft eine Verbindlichkeit gegenüber dem Beklagten begründet, die bei wirtschaftlicher Betrachtung an die Stelle der Mietschulden trete, mit denen der Vermieter die Verrechnung vorgenommen habe. Auf Vertrauensschutz könnten sich die Kläger nicht berufen. Das Betriebskostenguthaben aus der Abrechnung vom 17. März 2008 sei nur deshalb nicht bei der endgültigen Festsetzung der Leistungen für den Zeitraum April und Mai 2008 berücksichtigt worden, weil die Kläger es pflichtwidrig unterlassen hätten, die Betriebskostenabrechnung nach Erhalt dem Beklagten vorzulegen. Den Klägern habe sich zumindest aufdrängen müssen, dass es sich bei der Betriebskostenabrechnung um einen Umstand handelt, der für die Feststellung der ihnen zustehenden Leistungen von Belang und daher dem Beklagten mitzuteilen sei.

Mit ihrer gegen das ihnen am 20. Juli 2016 zugestellte Urteil gerichteten, vom Sozialgericht zugelassenen Berufung vom 22. August 2016, einem Montag, begehren die Kläger die Aufhebung der Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 19. Januar 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbe-scheide vom 3. Juli 2012 insgesamt. Eine Berufungsbegründung haben sie nicht zur Akte gereicht. In der mündlichen Verhandlung am 22. März 2018 haben die Kläger auf Frage des Senats nach den Überlegungen, die sie nach Erhalt der Nebenkostenabrechnungen angestellt hätten, erklärt: "Wenn wir die Nebenkostenabrechnung mit der Aufrechnung angegeben hätten, wäre das abgezogen worden. Wir hätten dann zweimal zahlen müssen."

Die Kläger beantragen, sachgerecht gefasst,

das Urteil des Sozialgerichtes Dresden vom 14. Juli 2016 sowie die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 19. Januar 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3. Juli 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Der Berufungsantrag bedarf der Auslegung (vgl. § 123 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Zwar haben die Kläger in Bezug auf das angefochtene Urteil vom 14. Juli 2016 beantragt, dieses aufzuheben. Da das Sozialgericht mit diesem Antrag aber den Klagen der Kläger zum Teil stattgegeben hat, ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass nur der die Klagen abweisende Teil des Urteils aufgehoben werden soll.

II. Die Berufung der Kläger ist zulässig aber unbegründet.

Die Bescheide des Beklagten vom 19. Januar 2012 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3. Juli 2012 sind in ihrem nach dem Urteil des Sozialgerichts vom 14. Juli 2016 verbliebenen Regelungsgehalt rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

Der Senat sieht, vorbehaltlich der nachfolgenden Ergänzungen und Klarstellungen zum Berufungsverfahren, von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die Ausführungen in der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung (vgl. § 152 Abs. 2 SGG).

1. Zu Recht hat das Sozialgericht die Betriebskostenerstattung trotz der vom Vermieter vorgenommenen Aufrechnung mit Mietschulden als zu berücksichtigendes Einkommen angesehen.

Als Einkommen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge und mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Dabei ist Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II nach der ständigen Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichtes grundsätzlich alles das, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was der Leistungsberechtigte vor der Antragstellung bereits hatte (modifizierte Zuflusstheorie, vgl. BSG Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14/11b AS 17/07 R – juris Rdnr. 20 ff.; siehe auch BSG, Urteil vom 30. September 2008 – B 4 AS 29/07 RBSGE 101, 291 ff. = SozR 4-4200 § 11 Nr. 15 = juris Rdnr. 18; BSG, Urteil vom 6. Oktober 2011 – B 14 AS 94/10 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 46 = juris Rdnr. 18). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (st. Rspr. seit BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 RSozR 4-4200 § 11 Nr. 17 = juris Rdnr. 23; zuletzt etwa BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017 – B 14 AS 35/16 R – juris Rdnr. 22, m. w. N.).

Zutreffend sind demnach der Beklagte und das Sozialgericht davon ausgegangen, dass die auf Mietschulden einbehaltenen Beträge den Klägern als Einkommen zugeflossen sind. Die Verbindlichkeiten der Kläger gegenüber dem Vermieter sind durch den Einbehalt des Guthabens, dem die Kläger zumindest nicht entgegengetreten sind, um einen entsprechenden Betrag reduziert worden, die Kläger haben einen wertmäßigen Zuwachs um diesen Betrag erzielt.

Diese Vorgehensweise widerspricht nicht dem Prinzip der Berücksichtigung von Einkommen als "bereiten Mitteln". Mit dem vom Sozialgericht bereits zitierten Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. November 2012 (Az. B 14 AS 33/12 RBSGE 112, 229 ff. = SozR 4-4200 § 11 Nr. 57 = juris) ist hinreichend geklärt, dass in der vorliegenden Konstellation dieses Prinzip nicht von Bedeutung ist. Zwar hat das Bundessozialgericht mit dieser Entscheidung dahin erkannt, dass eine einmalige Einnahme auch über einen Verteilzeitraum hinweg nur bedarfsmindernd berücksichtigt werden darf, soweit sie als bereites Mittel geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012, a. a. O., Leitsatz). Es wird aber darüber hinaus ausgeführt, dass bei Regelungen mit Wirkung für die Vergangenheit eine andere Sichtweise geboten ist. Weil bei Berücksichtigung eines Einkommenszuflusses mit Wirkung für die Vergangenheit nicht eine aktuelle Bedarfslage ungedeckt bleibt, sondern nach Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung (nur) künftig eine Verbindlichkeit gegenüber dem Träger der Grundsicherung entsteht, entsteht kein Widerspruch zum Prinzip der Berücksichtigung von Einkommen als "bereites Mittel" (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012, a. a. O., Rdnr. 15).

Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Nach den durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen vom "bereiten Mittel" ist nämlich darauf abzustellen, ob das zugeflossene Einkommen als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 43/14 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 74 = juris, jeweils Rdnr. 16, m. w. N.). Die Grundsätze zum bereiten Mittel stehen damit jedenfalls dann der Berücksichtigung eines von dritter Seite mit schuldbefreiender Wirkung einbehaltenen Betrages nicht entgegen, wenn dem Leistungsberechtigten ausreichend Mittel zur Deckung des Existenzminimums verbleiben (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 32/16 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 80 = juris, jeweils Rdnr. 23).

Für Fälle wie den vorliegenden, wenn nämlich die Erzielung zu berücksichtigenden Einkommens oder die Befreiung von einer Verbindlichkeit zeitlich deutlich nach dem Verteilzeitraum bekannt wird, hat dies zur Folge, dass sich die Frage nach der Geeignetheit zugeflossenen Einkommens zur Deckung des konkreten Bedarfs im jeweiligen Monat schon deshalb nicht stellt, weil der über die Ereignisse unzureichend informierte Leistungsträger bedarfsdeckend Mittel zur Verfügung gestellt hat. Unabhängig von den durch den Leistungsträger gezahlten Mitteln kann der notwendige Bedarf aber auch auf andere Art und Weise gedeckt gewesen sein. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2017, a. a. O., Rdnr. 26) kommt insoweit insbesondere ein Erwerbstätigenfreibetrag in Betracht. Solche Freibeträge wurden vorliegend zu Gunsten der Kläger berücksichtigt. Im April 2008 wurden bei der Klägerin zu 1 über den Grundfreibetrag von 100,00 EUR hinaus weitere 125,15 EUR als Erwerbstätigenfreibetrag berücksichtigt. Bei dem Kläger zu 2 wurde im gleichen Monat über den Grundfreibetrag hinaus ein Betrag in Höhe von 15,20 EUR als Erwerbstätigenfreibetrag berücksichtigt. Im Mai 2008 beliefen sich die insoweit berücksichtigten Beträge bei der Klägerin zu 1 auf 175,83 EUR und bei dem Kläger zu 2 wiederum auf 15,20 EUR. Würde man, entgegen der dargestellten Auffassung, die Grundsätze zum bereiten Mittel in der vorliegenden Fallkonstellation anwenden, wäre nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedenfalls der durch den Erwerbstätigenfreibetrag gedeckte Teil der einbehaltenen Betriebskostenabrechnung zur Deckung des Existenzminimums einzusetzen.

Sind nach alldem die Grundsätze zum bereiten Mittel bei Aufhebung der Leistungsbewilligung und Rückforderung außerhalb des Bewilligungszeitraums und des Verteilzeitraums nicht einschlägig, kann offen bleiben, ob es sich bei dem Betriebskostenguthaben aus der Abrechnung vom 17. März 2008 schon deshalb um bereite Mittel gehandelt hat, weil die vom Vermieter vorgenommene Aufrechnung nach § 394 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht möglich und dieses Vorgehen damit rechtswidrig war (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – IX ZR 310/12NJW 2013, 2819 = juris Rdnr. 8). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 KG 1/10 RBSGE 108, 144 ff. = SozR 4-5870 § 6a Nr. 2 = juris, jeweils Rdnr. 23) ist es einem Leistungsempfänger zumutbar, auf die Rückgängigmachung einer rechtswidrigen Aufrechnung hinzuwirken und unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung die Forderung zu realisieren.

Hier ist aber zu berücksichtigen, dass der vorliegend zur Beurteilung anstehende Sachverhalt den Zeitraum April und Mai 2008 betrifft, zu dem die vorgenannte höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht bestand. Von daher erscheint fraglich, ob die Kläger die Forderung aus dem Betriebskostenguthaben gegenüber dem Vermieter erfolgreich vor Gericht hätten geltend machen können (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 21. September 2017 – L 3 AS 480/12 – juris Rdnr. 26 ff.).

Soweit der erkennende Senat im Urteil vom 21. September 2017 die Auffassung vertreten hat, dass ein Jobcenter, wenn es für einen rechtsunkundigen Kläger nicht ersichtlich ist, dass die Aufrechnungserklärung des Vermieters rechtswidrig sein könnte, auf Grund seiner Hinweis- und Beratungspflicht grundsätzlich verpflichtet ist, dem rechtsunkundigen Hilfebedürftigen das von ihm befürwortete Vorgehen gegenüber dem Vermieter aufzuzeigen und ihn in die Lage zu versetzen, seine Rechte gegenüber dem Vermieter wahrzunehmen (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 21. September 2017, a. a. O., Rdnr. 28), ist diese Entscheidung im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Denn in dem dem Urteil vom 21. September 2017 zugrunde liegenden Fall hatten die Kläger die Heiz- und Betriebskostenabrechnung innerhalb einer Woche bei der damals noch zuständigen Arbeitsgemeinschaft eingereicht. Bei einer zeitnahen Beratung hätten die dortigen Kläger noch in dem Monat, in dem das Guthaben aus der Abrechnung bei ihrem Leistungsanspruch angerechnet wurde (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F.), gegenüber ihrem Vermieter wegen der unzulässigen Aufrechnung des Erstattungsanspruches mit Mietschulden vorstellig werden können. Im vorliegenden Fall legten die Kläger die Betriebskostenabrechnung vom 17. März 2008 aber erst am 31. August 2011 vor.

2. Auch die Rechtsauffassung des Sozialgerichtes, dass sich die Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen können, ist zutreffend. Dies hat sich durch die Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 22. März 2018 bestätigt.

Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Diesbezüglich hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung eingewandt, dass in der Anfangszeit des SGB II in den Antragsformularen nicht in Bezug auf die Mitteilungspflicht bei Betriebskostenerstattungen hingewiesen worden sei. Auch in den Merkblättern sei dies ursprünglich nicht enthalten gewesen. Änderungen in diesen Punkten habe es erst im Laufe der Zeit gegeben. Diesem Versuch, die Kläger von dem Verschuldensvorwurf frei zu zeichnen, stehen jedoch deren eigene Angaben entgegen. So haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Frage, was sie sich gedacht hätten, als sie die Nebenkostenabrechnungen bekommen hätten, geantwortet, dass ihnen klar gewesen sei, dass das Guthaben mit den Mietschulden verrechnet werde. Die Verrechnung sei vom Vermieter gekommen. Sie seien damit einverstanden gewesen, weil ihnen klar gewesen sei, dass das ohnehin so gehen müsse. Sie hätten sich das auch später schriftlich vom Vermieter geben lassen, weil sie es für das Jobcenter benötigt hätte. Der Kläger zu 2 hat dann ohne weitere Nachfrage ergänzt, dass ihnen die Erstattung, wenn sie die Nebenkostenabrechnung mit der Aufrechnung angegeben hätten, abgezogen worden wäre; sie hätten dann zweimal zahlen müssen. Dies verdeutlicht, dass zum einen den Klägern die Mitteilungspflicht bewusst gewesen ist, und dass zum anderen sie bewusst und zielgerichtet die Nebenkostenabrechnungen nicht aus eigenem Antrieb, sondern erst nach Aufforderung durch den Beklagten eingereicht haben.

Bezüglich der Angaben der Kläger hat der Klägerbevollmächtigte zu bedenken gegeben, dass sich die Kläger wegen der inzwischen verstrichenen Zeit möglicherweise nicht mehr so genau daran erinnern könnten, welche Überlegungen sie zum damaligen Zeitpunkt angestellt hätten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass mittlerweile auch ein Strafverfahren durchgeführt worden sei und auch Gespräche mit ihm und seinem Mitarbeiter stattgefunden hätten. Im Rahmen dieser Gespräche sei sicherlich auch angesprochen worden, dass Betriebskostenerstattungen angerechnet würden. Dieser Versuch, die klaren Angaben der Kläger zu relativieren oder in Zweifel zu ziehen, überzeugt den Senat nicht. Vielmehr waren sich die Kläger nach dem Gesamteindruck, den sich der Senat von ihnen nicht nur auf Grund des Akteninhaltes, sondern auch auf Grund der mündlichen Verhandlung verschaffen konnte, der rechtlichen und finanziellen Konsequenzen der ihnen zustehenden Betriebskostenerstattungen und der diesbezüglichen Anrechnung auf ihre Leistungsansprüche nach dem SGB II von Anfang an bewusst.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung bleibt unberührt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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