Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 22 SO 151/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 413/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Ausschluss der Beschwerde in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist vom Wert des Beschwerdegegenstandes dieses Verfahrens abhängig. Dieser Wert kann damit unter dem Wert des Hauptsacheverfahrens, das einen längeren Zeitraum oder eine höhere Leistung umfasst, liegen.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin und die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.05.2018 werden zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren.
Gründe:
Die fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin vom 20.06.2018 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.05.2018, mit dem sie vorläufig verpflichtet worden ist, dem Antragsteller im Zeitraum Juni bis August 2018 die Kosten einer Haushaltshilfe in Höhe von 1,5 Stunden pro Woche zu einem Stundensatz von 16,50 EUR brutto zahlen, ist unzulässig (dazu unter 1.). Dies gilt ebenso für das als selbständige Beschwerde auszulegende Schreiben des Antragstellers vom 02.07.2018 hinsichtlich des von ihm begehrten höheren Stundensatzes von 24,50 EUR brutto (dazu unter 2.). Unabhängig davon sind die Beschwerden aber auch unbegründet (dazu unter 3.).
1.) Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist unzulässig. Gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde nämlich ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Dabei beantwortet das Gesetz nicht unmittelbar, ob sich die Voraussetzung "in der Hauptsache" generell auf die Zulässigkeit einer Berufung hinsichtlich des - wie hier - in der ersten Instanz anhängigen Streitverfahrens bezieht und bezogen auf das erstinstanzliche Verfahren die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 SGG im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung erfüllt wären. Danach bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt und die Berufung nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Erstinstanzlich verfolgt der Antragsteller mit seiner Klage laufende Leistungen der Hilfe zur Pflege jedenfalls ab 01.03.2017. Legt man diesen Zeitraum der genannten Voraussetzung in § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG zu Grunde, wäre die Beschwerde zulässig, da für diesen gesamten Zeitraum eine etwaige Berufung im Hauptsacheverfahren nicht der Zulassung bedürfte.
Eine derartige Interpretation wird jedoch der Norm nicht gerecht. Der Begriff der Hauptsache orientiert sich an der fiktiven Frage, ob in einem Verfahren zur Hauptsache des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgten Antrags eine potentielle Berufung der Zulassung bedürfte. Ebenso wie für die Zulässigkeit einer Berufung ist nämlich auch für die Zulässigkeit der Beschwerde der Wert des Beschwerdegegenstandes ausschlaggebend. Dieser hat sich daran zu orientieren, was das Sozialgericht mit der angefochtenen Entscheidung hier aus Sicht der Antragsgegnerin dem Antragsteller zugesprochen hat und wogegen sich die insoweit beschwerte Antragsgegnerin konkret wendet. Dies ist hier ausschließlich die Verpflichtung zur vorläufigen Leistung der Kosten einer Haushaltshilfe für den Zeitraum Juni bis August 2018 im Umfang von 1,5 Stunden pro Woche bei einem Stundensatz von 16,50 EUR. Die daraus gebildete Summe bildet den Beschwerdewert, der bei weitem 750 EUR nicht übersteigt. Eine gegen diese Entscheidung in einem Hauptverfahren verfolgte Berufung würde auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betreffen. Ein Abstellen auf die Beschwer durch die Entscheidung des Sozialgerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in systematischer Hinsicht auch aufgrund der Regelung des § 86b Abs. 3 SGG zwingend. Denn danach sind die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG schon vor Klageerhebung und damit bei Fehlen eines Hauptsacheverfahrens zulässig. Damit kann sich der Beschwerdewert in einer solchen Konstellation schlechterdings nicht an einem "echten" Hauptsacheverfahren orientieren. Er kann vielmehr deutlich unter dem Wert des Hauptsacheverfahrens liegen. Gleiches muss auch dann gelten, wenn - wie hier - bereits ein Klageverfahren in der Hauptsache anhängig ist, weil § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG insoweit nur einheitlich ausgelegt werden kann. Im Übrigen steht bei einem offenen Hauptsacheverfahren noch gar nicht fest, was das Sozialgericht entscheidet und ob bzw. inwieweit die Beteiligten beschwert sein werden.
2.) Die Zulässigkeit der Beschwerde des Antragstellers scheitert nicht schon daran, dass er gegen den ihm ausweislich der Postzustellungsurkunde am 02.06.2018 zugestellten Beschluss erstmals mit einem Schreiben vom 02.07.2018, das erst am 06.07.2018 beim Landessozialgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt hat. Die Versäumung der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 173 S. 1 SGG) ist nämlich unbeachtlich, weil der Beschluss des Sozialgerichts mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen ist und damit die Beschwerde gemäß § 66 Abs. 2 SGG innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Beschlusses zulässig ist. Diese Jahresfrist hat der Antragsteller gewahrt.
Die Beschwerde ist gleichwohl nicht zulässig, da auch für den Antragsteller der Ausschlussgrund des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG greift. Selbst mit dem vom Antragsteller begehrten Stundensatz von 24,50 EUR brutto bedürfte eine Berufung in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren der Zulassung.
3.) Unabhängig davon weist der Senat darauf hin, dass die Entscheidung des Sozialgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
a.) Das Sozialgericht hat nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) gegen die Antragsgegnerin im tenorierten Umfang bejaht.
Zur Begründung sowie Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angegriffenen Beschluss unter Berücksichtigung des diesem Eilverfahren vorausgegangenen Beschlusses des Gerichts vom 14.12.2017 - S 22 SO 501/17 ER - Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Das Vorbringen der Antragsgegnerin zur Beschwerde vermag keine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den Senat zu begründen.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl. v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -, juris Rn. 6; Senat, Beschl. v. 23.07.2013 - L 9 SO 225/13 B ER, L 9 SO 226/13 B -, juris Rn. 8).
Auf der Grundlage dieser Maßstäbe hat das Sozialgericht zu Recht sowohl einen Anordnungsanspruch, als auch Anordnungsgrund für die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten für eine Haushaltshilfe im tenorierten Umfang bejaht. Hierbei ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch das sozialgerichtliche Hauptsacheverfahren S 22 SO 502/17 gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 11.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2017 anhängig ist und es, wie das Sozialgericht bereits mehrfach angekündigt hat, noch weiterer medizinischer Ermittlungen zum Sachverhalt, insbesondere durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens, bedarf. Trotz des insoweit offenen Ausgangs des Klageverfahrens spricht nach gegenwärtigem Sachstand mehr dafür als dagegen, dass ein Anordnungsanspruch des Antragstellers besteht. Wie das Sozialgericht in seinen beiden Eilbeschlüssen zu Recht ausgeführt hat, kann ein auf die Gewährung einer Haushaltshilfe als Leistung der Hilfe zur Pflege gerichteter Anordnungsanspruch schon deswegen nicht verneint werden, weil der MDK Nordrhein in seinem Pflegegutachten vom 03.02.2017 einen Hilfebedarf des Antragstellers von immerhin 26 Minuten pro Tag bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bejaht hat, was 182 Minuten und damit rund 3 Stunden pro Woche entspricht. Dieser Einschätzung sind die im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren eingeschalteten Fachärzte des Gesundheitsamtes des Rhein-Kreises O in ihren an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 05.04.2017 und 24.05.2017 nicht substantiiert im Sinne einer eingehenden Auseinandersetzung mit den dortigen, wenn auch knappen Feststellungen entgegengetreten. Sie haben lediglich das Ergebnis ihrer durch einen Hausbesuch bei dem Antragsteller am 15.03.2017 gewonnenen Auffassung mitgeteilt, dass aus ärztlicher Sicht derzeit keine aktive psychiatrische Erkrankung und außerdem auch keine für die Durchführung der Hauswirtschaft bedeutsamen körperlichen Einschränkungen vorlägen. Gerade in Ansehung des Pflegegutachtens vom 03.02.2017 wäre jedoch zwecks Objektivierung dieses Ergebnisses eine eingehendere Begründung erforderlich gewesen, warum sich der Gesundheitszustand des Antragstellers entgegen auch eigener früherer gutachtlicher Äußerungen der Antragsgegnerin bzw. des Rhein-Kreises O soweit gebessert hat, dass der Einsatz einer Haushaltshilfe nicht mehr erforderlich ist. Ferner kommen die im Hauptsacheverfahren bereits eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte des Antragstellers, namentlich diejenigen des Orthopäden Dr. U vom 19.03.2018, des Facharztes für Innere Medizin Dr. L vom 27.03.2018 sowie der behandelnden Diplom-Psychologin U1 vom 20.05.2018 hinsichtlich der Frage, ob u.a. eine hauswirtschaftliche Versorgung des Antragstellers inklusive Einkaufen aus medizinischen Gründen erforderlich ist, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während der Orthopäde entsprechende Einschränkungen verneint, bejaht dies der behandelnde Hausarzt im Sinne von Einschränkungen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung unter Bezugnahme auf Wirbelsäulenschmerzen sowie einer Depression und Angststörungen. Ferner spricht sich die Diplom-Psychologin unter dem Vorbehalt der bisher wenigen Patientenkontakte (4 Sitzungen) ggf. für eine Unterstützung bei der Reinigung der Wohnung und Struktur beim Einkaufen aus. Dies zeigt, dass die medizinische Einschätzung durch die behandelnden Ärzte auch und gerade unter Berücksichtigung des o.a. MDK-Gutachtens keineswegs so eindeutig im Sinne der Interpretation der Antragsgegnerin ist, wie dies in ihrer Beschwerdebegründung zum Ausdruck gelangt. Damit ist bei Gesamtwürdigung auf der Grundlage einer summarischen Prüfung ein Anordnungsanspruch zumindest in dem Sozialgericht tenorierten zeitlichen Umfang von 1,5 Stunden pro Woche zu bejahen.
Das Sozialgericht hat auch zu Recht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes bejaht. Denn es kann nach derzeitigem Stand des Verfahrens zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass eine mangels finanzieller Mittel längere Unterbrechung der hauswirtschaftlichen Versorgung des Antragstellers einschließlich von (ggf. schweren) Einkäufen, die auch durch einen eventuellen Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht wieder kompensiert werden kann, zu einer nachhaltigen Verschlechterung seines körperlichen und geistigen Zustands führt. Bei Abwägung der Folgen einer Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnung in Ansehung eines möglichen oder sogar wahrscheinlichen (Teil-)Erfolges in der Hauptsache unter Berücksichtigung der bereits aktenkundigen medizinischen Unterlagen und des noch offenen Ergebnisses einer Begutachtung des Antragstellers, ist ein solcher Zustand auch vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 2 GG schwerlich hinnehmbar.
Der Senat geht davon aus, dass die notwendigen Ermittlungen im Klageverfahren durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nunmehr zügig durchgeführt werden, auch um weitere Eilverfahren zu vermeiden. Sollte, was wahrscheinlich ist, eine abschließende Entscheidung des Sozialgerichts bis zum 31.08.2018 nicht vorliegen, ist der Antragsgegnerin nahezulegen, dem Antragsteller die Leistungen im tenorierten Umfang jedenfalls so lange vorläufig weiter zu gewähren, soweit eine objektivierbare, d.h. durch entsprechende Funktionsbefunde gestützte, Verbesserung des Gesundheitszustandes des Antragstellers nicht ersichtlich ist.
b.) Der - unzulässigen - Beschwerde des Antragstellers, mit der er die Höhe des tenorierten Stundensatzes von 16,50 EUR brutto rügt, wäre ebenfalls der Erfolg zu versagen gewesen, weil sie unbegründet ist. So hat der Antragsteller in seinem Schreiben vom 11.06.2018 selbst ausgeführt, dass seine Haushaltshilfe "ausnahmsweise" bereit wäre, für "16,50 EUR plus Mehrwertsteuer" weiterhin bei ihm zu arbeiten. Dementsprechend steht ihm eine Haushaltshilfe in Höhe des tenorierten Stundensatzes zur Verfügung, sodass eine entsprechende Notlage, aus der die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf vorläufige Übernahme der Kosten einer Haushaltshilfe zu einem höheren Stundensatz resultiert, nicht ersichtlich ist. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob sich für den vom Sozialgericht tenorierten Stundensatz eine andere Haushaltshilfe finden lässt. Letzteres hat der Antragsteller auch nur völlig unsubstantiiert behauptet. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass es sich bei den hier streitigen Hilfen im Haushalt um vergleichsweise einfache Tätigkeiten handelt, die nicht durch eine ausgebildete Pflegefachkraft oder auch nur eine Pflegehilfskraft ausgeführt werden müssen. Dementsprechend ist nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich, warum zu dem vom Sozialgericht tenorierten Stundensatz keine - legale - Haushaltshilfe zu erlangen ist.
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
5.) Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.
Gründe:
Die fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin vom 20.06.2018 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.05.2018, mit dem sie vorläufig verpflichtet worden ist, dem Antragsteller im Zeitraum Juni bis August 2018 die Kosten einer Haushaltshilfe in Höhe von 1,5 Stunden pro Woche zu einem Stundensatz von 16,50 EUR brutto zahlen, ist unzulässig (dazu unter 1.). Dies gilt ebenso für das als selbständige Beschwerde auszulegende Schreiben des Antragstellers vom 02.07.2018 hinsichtlich des von ihm begehrten höheren Stundensatzes von 24,50 EUR brutto (dazu unter 2.). Unabhängig davon sind die Beschwerden aber auch unbegründet (dazu unter 3.).
1.) Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist unzulässig. Gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde nämlich ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Dabei beantwortet das Gesetz nicht unmittelbar, ob sich die Voraussetzung "in der Hauptsache" generell auf die Zulässigkeit einer Berufung hinsichtlich des - wie hier - in der ersten Instanz anhängigen Streitverfahrens bezieht und bezogen auf das erstinstanzliche Verfahren die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 SGG im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung erfüllt wären. Danach bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt und die Berufung nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Erstinstanzlich verfolgt der Antragsteller mit seiner Klage laufende Leistungen der Hilfe zur Pflege jedenfalls ab 01.03.2017. Legt man diesen Zeitraum der genannten Voraussetzung in § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG zu Grunde, wäre die Beschwerde zulässig, da für diesen gesamten Zeitraum eine etwaige Berufung im Hauptsacheverfahren nicht der Zulassung bedürfte.
Eine derartige Interpretation wird jedoch der Norm nicht gerecht. Der Begriff der Hauptsache orientiert sich an der fiktiven Frage, ob in einem Verfahren zur Hauptsache des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgten Antrags eine potentielle Berufung der Zulassung bedürfte. Ebenso wie für die Zulässigkeit einer Berufung ist nämlich auch für die Zulässigkeit der Beschwerde der Wert des Beschwerdegegenstandes ausschlaggebend. Dieser hat sich daran zu orientieren, was das Sozialgericht mit der angefochtenen Entscheidung hier aus Sicht der Antragsgegnerin dem Antragsteller zugesprochen hat und wogegen sich die insoweit beschwerte Antragsgegnerin konkret wendet. Dies ist hier ausschließlich die Verpflichtung zur vorläufigen Leistung der Kosten einer Haushaltshilfe für den Zeitraum Juni bis August 2018 im Umfang von 1,5 Stunden pro Woche bei einem Stundensatz von 16,50 EUR. Die daraus gebildete Summe bildet den Beschwerdewert, der bei weitem 750 EUR nicht übersteigt. Eine gegen diese Entscheidung in einem Hauptverfahren verfolgte Berufung würde auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betreffen. Ein Abstellen auf die Beschwer durch die Entscheidung des Sozialgerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in systematischer Hinsicht auch aufgrund der Regelung des § 86b Abs. 3 SGG zwingend. Denn danach sind die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG schon vor Klageerhebung und damit bei Fehlen eines Hauptsacheverfahrens zulässig. Damit kann sich der Beschwerdewert in einer solchen Konstellation schlechterdings nicht an einem "echten" Hauptsacheverfahren orientieren. Er kann vielmehr deutlich unter dem Wert des Hauptsacheverfahrens liegen. Gleiches muss auch dann gelten, wenn - wie hier - bereits ein Klageverfahren in der Hauptsache anhängig ist, weil § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG insoweit nur einheitlich ausgelegt werden kann. Im Übrigen steht bei einem offenen Hauptsacheverfahren noch gar nicht fest, was das Sozialgericht entscheidet und ob bzw. inwieweit die Beteiligten beschwert sein werden.
2.) Die Zulässigkeit der Beschwerde des Antragstellers scheitert nicht schon daran, dass er gegen den ihm ausweislich der Postzustellungsurkunde am 02.06.2018 zugestellten Beschluss erstmals mit einem Schreiben vom 02.07.2018, das erst am 06.07.2018 beim Landessozialgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt hat. Die Versäumung der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 173 S. 1 SGG) ist nämlich unbeachtlich, weil der Beschluss des Sozialgerichts mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen ist und damit die Beschwerde gemäß § 66 Abs. 2 SGG innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Beschlusses zulässig ist. Diese Jahresfrist hat der Antragsteller gewahrt.
Die Beschwerde ist gleichwohl nicht zulässig, da auch für den Antragsteller der Ausschlussgrund des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG greift. Selbst mit dem vom Antragsteller begehrten Stundensatz von 24,50 EUR brutto bedürfte eine Berufung in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren der Zulassung.
3.) Unabhängig davon weist der Senat darauf hin, dass die Entscheidung des Sozialgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
a.) Das Sozialgericht hat nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) gegen die Antragsgegnerin im tenorierten Umfang bejaht.
Zur Begründung sowie Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angegriffenen Beschluss unter Berücksichtigung des diesem Eilverfahren vorausgegangenen Beschlusses des Gerichts vom 14.12.2017 - S 22 SO 501/17 ER - Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Das Vorbringen der Antragsgegnerin zur Beschwerde vermag keine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den Senat zu begründen.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl. v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -, juris Rn. 6; Senat, Beschl. v. 23.07.2013 - L 9 SO 225/13 B ER, L 9 SO 226/13 B -, juris Rn. 8).
Auf der Grundlage dieser Maßstäbe hat das Sozialgericht zu Recht sowohl einen Anordnungsanspruch, als auch Anordnungsgrund für die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten für eine Haushaltshilfe im tenorierten Umfang bejaht. Hierbei ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch das sozialgerichtliche Hauptsacheverfahren S 22 SO 502/17 gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 11.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2017 anhängig ist und es, wie das Sozialgericht bereits mehrfach angekündigt hat, noch weiterer medizinischer Ermittlungen zum Sachverhalt, insbesondere durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens, bedarf. Trotz des insoweit offenen Ausgangs des Klageverfahrens spricht nach gegenwärtigem Sachstand mehr dafür als dagegen, dass ein Anordnungsanspruch des Antragstellers besteht. Wie das Sozialgericht in seinen beiden Eilbeschlüssen zu Recht ausgeführt hat, kann ein auf die Gewährung einer Haushaltshilfe als Leistung der Hilfe zur Pflege gerichteter Anordnungsanspruch schon deswegen nicht verneint werden, weil der MDK Nordrhein in seinem Pflegegutachten vom 03.02.2017 einen Hilfebedarf des Antragstellers von immerhin 26 Minuten pro Tag bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bejaht hat, was 182 Minuten und damit rund 3 Stunden pro Woche entspricht. Dieser Einschätzung sind die im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren eingeschalteten Fachärzte des Gesundheitsamtes des Rhein-Kreises O in ihren an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 05.04.2017 und 24.05.2017 nicht substantiiert im Sinne einer eingehenden Auseinandersetzung mit den dortigen, wenn auch knappen Feststellungen entgegengetreten. Sie haben lediglich das Ergebnis ihrer durch einen Hausbesuch bei dem Antragsteller am 15.03.2017 gewonnenen Auffassung mitgeteilt, dass aus ärztlicher Sicht derzeit keine aktive psychiatrische Erkrankung und außerdem auch keine für die Durchführung der Hauswirtschaft bedeutsamen körperlichen Einschränkungen vorlägen. Gerade in Ansehung des Pflegegutachtens vom 03.02.2017 wäre jedoch zwecks Objektivierung dieses Ergebnisses eine eingehendere Begründung erforderlich gewesen, warum sich der Gesundheitszustand des Antragstellers entgegen auch eigener früherer gutachtlicher Äußerungen der Antragsgegnerin bzw. des Rhein-Kreises O soweit gebessert hat, dass der Einsatz einer Haushaltshilfe nicht mehr erforderlich ist. Ferner kommen die im Hauptsacheverfahren bereits eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte des Antragstellers, namentlich diejenigen des Orthopäden Dr. U vom 19.03.2018, des Facharztes für Innere Medizin Dr. L vom 27.03.2018 sowie der behandelnden Diplom-Psychologin U1 vom 20.05.2018 hinsichtlich der Frage, ob u.a. eine hauswirtschaftliche Versorgung des Antragstellers inklusive Einkaufen aus medizinischen Gründen erforderlich ist, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während der Orthopäde entsprechende Einschränkungen verneint, bejaht dies der behandelnde Hausarzt im Sinne von Einschränkungen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung unter Bezugnahme auf Wirbelsäulenschmerzen sowie einer Depression und Angststörungen. Ferner spricht sich die Diplom-Psychologin unter dem Vorbehalt der bisher wenigen Patientenkontakte (4 Sitzungen) ggf. für eine Unterstützung bei der Reinigung der Wohnung und Struktur beim Einkaufen aus. Dies zeigt, dass die medizinische Einschätzung durch die behandelnden Ärzte auch und gerade unter Berücksichtigung des o.a. MDK-Gutachtens keineswegs so eindeutig im Sinne der Interpretation der Antragsgegnerin ist, wie dies in ihrer Beschwerdebegründung zum Ausdruck gelangt. Damit ist bei Gesamtwürdigung auf der Grundlage einer summarischen Prüfung ein Anordnungsanspruch zumindest in dem Sozialgericht tenorierten zeitlichen Umfang von 1,5 Stunden pro Woche zu bejahen.
Das Sozialgericht hat auch zu Recht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes bejaht. Denn es kann nach derzeitigem Stand des Verfahrens zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass eine mangels finanzieller Mittel längere Unterbrechung der hauswirtschaftlichen Versorgung des Antragstellers einschließlich von (ggf. schweren) Einkäufen, die auch durch einen eventuellen Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht wieder kompensiert werden kann, zu einer nachhaltigen Verschlechterung seines körperlichen und geistigen Zustands führt. Bei Abwägung der Folgen einer Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnung in Ansehung eines möglichen oder sogar wahrscheinlichen (Teil-)Erfolges in der Hauptsache unter Berücksichtigung der bereits aktenkundigen medizinischen Unterlagen und des noch offenen Ergebnisses einer Begutachtung des Antragstellers, ist ein solcher Zustand auch vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 2 GG schwerlich hinnehmbar.
Der Senat geht davon aus, dass die notwendigen Ermittlungen im Klageverfahren durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nunmehr zügig durchgeführt werden, auch um weitere Eilverfahren zu vermeiden. Sollte, was wahrscheinlich ist, eine abschließende Entscheidung des Sozialgerichts bis zum 31.08.2018 nicht vorliegen, ist der Antragsgegnerin nahezulegen, dem Antragsteller die Leistungen im tenorierten Umfang jedenfalls so lange vorläufig weiter zu gewähren, soweit eine objektivierbare, d.h. durch entsprechende Funktionsbefunde gestützte, Verbesserung des Gesundheitszustandes des Antragstellers nicht ersichtlich ist.
b.) Der - unzulässigen - Beschwerde des Antragstellers, mit der er die Höhe des tenorierten Stundensatzes von 16,50 EUR brutto rügt, wäre ebenfalls der Erfolg zu versagen gewesen, weil sie unbegründet ist. So hat der Antragsteller in seinem Schreiben vom 11.06.2018 selbst ausgeführt, dass seine Haushaltshilfe "ausnahmsweise" bereit wäre, für "16,50 EUR plus Mehrwertsteuer" weiterhin bei ihm zu arbeiten. Dementsprechend steht ihm eine Haushaltshilfe in Höhe des tenorierten Stundensatzes zur Verfügung, sodass eine entsprechende Notlage, aus der die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf vorläufige Übernahme der Kosten einer Haushaltshilfe zu einem höheren Stundensatz resultiert, nicht ersichtlich ist. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob sich für den vom Sozialgericht tenorierten Stundensatz eine andere Haushaltshilfe finden lässt. Letzteres hat der Antragsteller auch nur völlig unsubstantiiert behauptet. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass es sich bei den hier streitigen Hilfen im Haushalt um vergleichsweise einfache Tätigkeiten handelt, die nicht durch eine ausgebildete Pflegefachkraft oder auch nur eine Pflegehilfskraft ausgeführt werden müssen. Dementsprechend ist nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich, warum zu dem vom Sozialgericht tenorierten Stundensatz keine - legale - Haushaltshilfe zu erlangen ist.
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
5.) Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved