Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
26
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 26 SO 113/17 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 68/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Erledigt durch Zurücknahme des Rechtsmittels
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab Antragseingang bei Gericht bis zum Abschluss des aktuell laufenden Schuljahres 2017/2018, die Kostenerstattung für einen Integrationshelfer gestellt durch E. zu einem Stundensatz von 35,53 Euro abzüglich der durch die Antragsgegnerin gezahlten 18,25 Euro für 36 Stunden pro Schulwoche zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer, gestellt durch E. (E.) als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Der Antragsteller ist 16 Jahre alt und besucht derzeit die 10. Klasse der F. Schule in A Stadt, es handelt sich hierbei um eine Integrative Gesamtschule. Der Antragsteller leidet ausweislich der vorgelegten medizinischen Unterlagen des Epilepsiezentrums Kork unter Epilepsie. In den letzten drei Jahren traten wohl ca. 200 tonisch-klonische Anfälle und atypischen Absencen auf. Die Anfälle erfolgen plötzlich und unvorhersehbar und können zu kognitiven Stören und Desorientiertheit führen und sich in Bewusstseinsverlust sowie Sturz- und Verletzungsrisiko zuspitzen. Durch die Epilepsie leidet der Antragsteller an einer Leistungs- und Konzentrationsschwäche. Er hat ein niedriges Arbeitstempo und Schwierigkeiten mit dem Verarbeiten und Abrufen des Erlernten.
Der Antragsteller hat einen festgestellten Grad der Behinderung von 100. Es sind die Merkzeichen "G", "B" und "H" festgestellt.
Dem Antragsteller wurde erstmalig mit Bescheid vom 22.07.2015 für das Schuljahr 2015/2016 ein Integrationshelfer aufgrund Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII gewährt. Am 07.10.2015 beantragte der Antragsteller eine Schulwegbegleitung.
Zunächst stellte die gemeinnützige G. GmbH dem Antragsteller einen Integrationshelfer. Sodann übernahm die H. gemeinnützige GmbH (H.) die Leistungserbringung im Auftrag der Antragsgegnerin. Der Antragsteller wurde in dem Schuljahr 2016/2017 von einem Integrationshelfer der H., Herrn J., betreut. Herr J. war in die Erkrankung des Antragstellers eingewiesen, über die erforderlichen Handlungen in einer Notfallsituation aufgeklärt. Es zeigten sich allerdings Schwierigkeiten in Vertretungssituationen. Insbesondere im Falle ungeplanter Fehlzeiten bestand keine Sicherheit, ob und durch wen eine Vertretung gewährleistet sei. Infolgedessen wurde am 27.01.2017 eine Vertretungsregelung zwischen H., der Schule des Antragstellers und der Antragsgegnerin vereinbart. In der Folgezeit kam es dann zu weiteren Vertretungssituationen, in welchen die Vertretung nicht für die vollständige Schulzeit sicher gestellt war (31.01.2017, 24.05.2017, 13.06. / 14.06.2017).
Der Antragsteller beantragte am 31.05.2017 die Leistungserbringung durch E., da er mit der Vertretungssituation weiterhin nicht zufrieden war.
Am 25.07.2017 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrages vom 31.05.2017 gemäß § 24 SGB X angehört. Mit Schreiben vom 27.06.2017 bat die Antragsgegnerin um eine individuelle Leistungsbeschreibung durch E ... Diese legte E. mit Schreiben vom 12.07.2017 vor. Danach erbringt E. das Einleiten von Notfallmaßnahmen bei Auftreten von Anfällen, dazu zählt unter anderem die Verabreichung des Notfallmedikamentes, ggfs. Alarmierung des Rettungsdienstes, zudem erfolgen die Beaufsichtigung und der besondere Schutz während der Pausen und des Klassenraumwechsels sowie die Begleitung des Schulweges. Die Einweisung des Personals in epilepsiespezifische Erste-Hilfe-Maßnahmen wird von E. sichergestellt. Hierfür stellt E. Kosten in Höhe von 35,53 Euro pro Stunde in Rechnung. Sodann legte der Antragsteller am 13.08.2017 einen Dienstleistungsvertrag über Integrationshilfe zwischen den Eltern des Antragstellers und der E. vom 01.07.2017 vor. Gegenstand des Vertrages ist die Schul- und Schulwegsbegleitung des Antragstellers ab dem 14.08.2017.
Mit Bescheid vom 10.08.2017 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme einer Teilhabeassistenz durch E. ab. Die Antragsgegnerin habe mit E. keine Vergütungs- und Leistungsvereinbarung abgeschlossen. Die Leistungsvereinbarung mit dem Landkreis Darmstadt-Dieburg sei für die Antragsgegnerin nicht bindend. Auch der genannten Vergütungssatz könne nicht anerkannt werden. Nach § 9 SGB XII solle zwar Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, entsprochen werden. Diesen sei in der Regel aber nicht zu entsprechen, wenn deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Kosten in Höhe von 35,53 Euro pro Stunde übersteigen die Tarife, die mit A-Stadter Trägern vereinbart worden seien, deutlich. Mit diesen sei ein Stundensatz in Höhe von 18,25 Euro vereinbart.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 01.09.2017 Widerspruch ein.
Am 06.09.2017 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Wiesbaden einen Antrag auf Eilrechtsschutz gestellt mit dem er die Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer der E. sowie eine Schulwegbegleitung begehrt.
Der Antragsteller ist der Auffassung, die Leistung eines Integrationshelfers gemäß §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII sei entsprechend des Bedarfs sowie nach dem Wunsch und Wahlrecht des Leistungsberechtigten, dem zu entsprechen sei, soweit der Wunsch angemessen sei, zu erbringen, § 9 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII. Im vergangenen Schuljahr sei keine bedarfsdeckende Leistungserbringung erfolgt, da eine lückenlose Versorgung nicht sichergestellt worden sei. Die Integrationskraft müsse im Hinblick auf das Krankheitsbild des Antragstellers geschult sein, damit sie sofort reagieren könne, wenn erste Anzeichen eines epileptischen Anfalls vorlägen. Innerhalb von Minuten müssten die fachärztlich klar beschriebene Notfallmaßnahme und die Notfallkette ausgelöst werden. Der Antragsteller benötige deshalb eine kontinuierliche und lückenlose Begleitung. Der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs. 2 SGB XII komme nicht zur Anwendung, da keine Alternative zur Bedarfsdeckung angeboten worden sei.
Er beantragt zuletzt,
die Antragsgegnerin bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gegen den Bescheid vom 10.08.2017 zu verpflichten, die Kosten für einen Integrationshelfer gestellt durch E. zu einem Stundensatz von 35,53 Euro abzüglich der durch die Antragsgegnerin gezahlten 18,25 Euro für 36 Stunden pro Schulwoche sowie die Schulwegbegleitung von der A-Straße in A-Stadt bis zur F. Schule, K-Straße in A Stadt vorläufig zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, es gäbe eine Vertretungsregelung für Notfälle und verweist insoweit auf das Protokoll vom 27.01.2017. Neben der H. gäbe es Verträge mit weiteren Anbietern, der L. e.V. und der gemeinnützigen G. GmbH. Die Verträge seien nicht gekündigt, es würden auch derzeit Maßnahmen durch beide Träger durchgeführt.
Die Antragsgegnerin zahlt jedenfalls seit Antragstellung vor dem Sozialgericht dem Antragsteller Leistungen der Eingliederungshilfe für die Inanspruchnahme eines Integrationshelfers in Höhe von 18,25 Euro für 36 Stunden pro Woche.
Der Antragsgegner erklärt mit Schriftsatz vom 23.1.2017, dass die Schulwegsbegleitung vollständig gewährt werde. Der Antragsteller nahm das Anerkenntnis im Hinblick auf die Schulwegbegleitung mit Schriftsatz vom 01.12.2017 an.
Die Akte des Antraggegners lag dem Gericht vor. Auf die Gerichts- und Verwaltungsakte wird verwiesen.
II.
Soweit sich der Antrag nicht durch das Teilanerkenntnis der Antragsgegnerin, das der Antragsteller angenommen hat, erledigt hat, ist der zulässige Antrag auf Gewährung einer Kostenübernahme für einen Integrationshelfer als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII im Wege der einstweiligen Anordnung, insoweit begründet, als diese Leistung bis zum Schuljahresende 2017/2018 begehrt wird. Für Zeiten darüberhinaus ist der Antrag unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Eine solche Regelungsanordnung ergeht infolgedessen, wenn ein Antragsteller glaubhaft macht, dass ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Sache eilbedürftig ist (Anordnungsgrund).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung. Die Anforderungen an die Überzeugung vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs sinken mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung i.V.m. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung erlaubt im Eilverfahren eine reduzierte Prüfungsdichte und lässt es ausreichen, wenn das Gericht es für überwiegend wahrscheinlich (statt für erwiesen) hält, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes vorliegen.
Nach diesen Grundsätzen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, soweit der Antragsteller die Kostenerstattung auf die Erbringung der Leistungen eines Integrationshelfers gestellt durch E. bis zum Abschluss des aktuell laufenden Schuljahres 2017 / 2018 begehrt. Für die darauffolgende Zeit ist kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Als Anspruchsgrundlage kommen einerseits §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4, 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – und andererseits §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) in Betracht. Es kann jedenfalls im Eilverfahren offen bleiben, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V zusteht, denn es ist jedenfalls ein Anspruch gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 EinglHV gegeben.
Gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.
Der Antragsteller erfüllt - was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Der Antragsteller ist aufgrund seiner Erkrankung an Epilepsie wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt und bedarf dem Grunde nach eines Integrationshelfers zum Besuch der 10. Klasse an der F. Schule in A-Stadt.
Der Antragsteller hat als Leistungsberechtigter einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Dies umfasst insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, hierbei insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt. Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne dieser Vorschrift umfasst nach § 12 Satz 1 Nr. 1 EinglhV auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Mensch den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.
Der Antragsgegner erfüllt nach summarischer Prüfung diesen Anspruch des Antragstellers auf Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung mit der Beauftragung der H. zur Stellung und Durchführung der Integrationshilfe nicht.
Maßgeblich für die Beurteilung des Anspruchs ist der berechtigte Bedarf im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung des Antragstellers.
Der Antragsteller benötigt in qualitativer Hinsicht eine Assistenz, die in das Krankheitsbild des Antragstellers eingewiesen ist. Den ärztlichen Berichten zufolge ist eine stabile medikamentöse Einstellung der Epilepsie noch nicht erfolgreich abgeschlossen. Der Antragsteller muss infolgedessen stets, auch während der Schulzeit, mit einem epileptischen Anfall rechnen und befindet sich bei Eintritt in einer hilflosen Situation. Es ist gerichtsbekannt, dass ein epileptischer Anfall zu schweren und dauerhaften Schäden führen kann, weshalb der Antragsteller darauf angewiesen ist, dass im Notfall umgehend richtige Hilfemaßnahmen eingeleitet werden und Notfallmedikamente verabreicht werden. Diese Leistung benötigt er in zeitlicher Hinsicht aufgrund der Schwere der Erkrankung über den ganzen Schulalltag hinweg. Neben der Sturz- und Verletzungsgefahr und der Gefahr der Desorientierung, bedarf der Antragsteller auch der ständigen Beobachtung, um im Falle eines drohenden epileptischen Anfalls umgehend Hilfe leisten zu können. Er muss sich stets sicher sein dürfen, zu jeder Zeit eine zuverlässige Hilfe an seiner Seite zu haben.
Keine Berücksichtigung kann hingegen der seitens des Antragstellers geltend gemachte Bedarf, der Betreuung aufgrund der Leistungs- und Konzentrationsschwäche sowie des niedrigen Arbeitstempos und Schwierigkeiten mit dem Verarbeiten und Abrufen des Erlernten finden. Es handelt sich hierbei um keine primäre Aufgabe eines Integrationshelfers, vielmehr ist dies der pädagogischen Aufgabe der Schule zuzuordnen. Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung umfasst nicht den Kernbereich der pädagogischen Aufgaben, die ausschließlich von der Schule zu erbringen sind (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R).
Es ist von Antragstellerseite glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung den Anspruch gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII zu erfüllen in der Vergangenheit nicht nachgekommen ist. Die Antragsgegnerin hat eine Leistung erbracht, die dem Bedarf des Antragstellers nicht in angemessenem Umfang entsprach.
Die Leistungserbringung im Schuljahr 2016/2017 erfolgte durch die H ... In Zeiten der Anwesenheit der FSJ-Kraft J. dürfte eine Leistungserbringung wohl in angemessenem Umfang erbracht worden sein, nachdem dieser in das Krankheitsbild des Antragstellers eingewiesen wurde.
Der Antragsgegner hat allerdings glaubhaft gemacht, dass in Vertretungssituationen eine den berechtigten Bedürfnissen entsprechende Leistungserbringung von der Antragsgegnerin nicht erfüllt wurde. Diese unzureichende Vertretungssituation führt dazu, dass der Bedarf des Antragstellers nicht gedeckt wird und die Antragsgegnerin den Anspruch des Antragstellers gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII nicht hinreichend erfüllt. Die Vereinbarung über die Vertretungssituation zwischen Schule und H. vom 27.01.2017 stellt keine ausreichende Maßnahme dar, um eine Vertretungsregelung zu gewährleisten, die den dargelegten Bedürfnissen des Antragstellers Rechnung trägt.
Die Vereinbarung vom 27.01.2017 enthält keine Regelung, dass die in Vertretung eingesetzten Integrationshelfer eine Einweisung in das Krankheitsbild des Antragstellers erhalten, was jedoch zwingend erforderlich ist.
Zudem stellt das Gericht fest, dass die Vertretung nach Abschluss der Vereinbarung nicht zufriedenstellend umgesetzt wurde. Neben der zeitlich nicht vollständigen Vertretungswahrnehmung war diese auch in qualitativer Hinsicht nicht bedarfsdeckend. In qualitativer Hinsicht war keine Vertretungskraft in das Krankheitsbild des Antragstellers eingewiesen und hätte im Notfall sofortige Hilfsmaßnahmen einleiten können. In zeitlicher Hinsicht stand am 24.05.2017 (zweiter Vertretungstag) eine aushilfsweise Integrationskraft ab der fünften Stunde zur Verfügung. Am 13.06.2017 wurde dem Antragsteller eine Vertretungskraft ab 10.00 Uhr zur Verfügung gestellt. Diese war in das Erkrankungsbild des Antragstellers nicht spezifisch eingewiesen. Am 14.06.2017 stand eine Vertretung ab 9.00 Uhr zur Verfügung, auch diese war in das Krankheitsbild des Antragstellers nicht eingewiesen. Es ist allein dem Umstand der vielen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Antragstellers geschuldet, dass es nicht zu weiteren Vertretungssituationen kam.
Hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller keine bedarfsdeckende Integrationskraft als Hilfe zur angemessenen Schulbildung zur Verfügung gestellt, konnte sich der Antragsteller selbst eine solche Integrationskraft beschaffen, deren Kosten in Höhe von 35,53 Euro pro Stunde – zumindest vorläufig und vorübergehend - von der Antragsgegnerin zu tragen sind.
Der vorläufigen Leistungsgewährung steht nicht der Mehrkostenvorbehalt nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB XII entgegen, nach dem der Träger der Sozialhilfe in der Regel Wünschen nicht entsprechen soll, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Dieser Vorbehalt setzt das Vorhandensein mindestens einer Alternative zur Bedarfsdeckung voraus, die dem Hilfeberechtigten auch zumutbar sein muss (Hess. LSG, Beschluss vom 25.04.2016, Az. 4 SO 227/15 B ER). Um sich auf das Bestehen von Alternativen berufen zu können, müssen diese dem Antragsteller tatsächlich rechtzeitig angeboten worden sein, in diesem Verfahren jedenfalls zwischen Ankündigung der Eltern, eine Leistungserbringung durch E. anzustreben am 31.05.2017 und vor Abschluss des Vertrages mit E. am 01.07.2017. Eine Benennung solcher behaupteten Alternativen erfolgte nach Aktenlage erstmalig im vorliegenden gerichtlichen Verfahren und insoweit zu spät.
Die Antragsgegnerin hat unabhängig davon nicht glaubhaft gemacht, dass ihr tatsächlich weitere Leistungserbringer zur Verfügung stehen. Schriftsätzlich erklärte die Antragsgegnerin zunächst am 10.11.2017, es stehe zudem noch G. GmbH und L. A Stadt e.V. zur Verfügung. Dies nahm die Antragsgegnerin sodann mit Schriftsatz vom 23.11.2017 zurück und erklärte, dass derzeit neben der H. kein weiterer A-Stadter Anbieter schulische Eingliederungshilfen leiste. Die Antragsgegnerin könne somit keine Alternativen anbieten. Sodann erklärte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 10.01.2018 die Verträge mit G. GmbH und L. A-Stadt e.V. seien nicht gekündigt. Das Gericht hat erhebliche Bedenken, ob tatsächlich noch eine Leistungserbringung durch weitere Anbieter erfolgt. Allein der Umstand, dass Verträge mit weiteren Leistungserbringern nicht gekündigt wurden, hat nicht zwingend zur Folge, dass diese Leistungserbringer aufgrund des organisatorischen Aufwandes gewillt und in der Lage sind, für Einzelfälle Integrationshelfer zu stellen.
Der Antrag war im Übrigen abzulehnen, denn die zeitliche Begrenzung der Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin bis zum Abschluss des aktuell laufenden Schuljahres 2017/2018 ist sachgerecht. Der Antragsteller besucht die 10. Klasse. Sollte es ihm nicht möglich sein, die Schule abzuschließen, wird voraussichtlich eine Schulassistenz für ein weiteres Schuljahr erforderlich. Der Antragsgegnerin ist dann die Möglichkeit einzuräumen, dem Antragsteller einen alternativen Leistungserbringer anzubieten, der die Leistungserbringung entsprechend den dargelegten Bedürfnissen erbringen kann. Das Gericht will derzeit nicht ausschließen, dass es dem Antragsteller zumutbar sein kann, sich auf einen neuen Teilhabeassistenten einzustellen, wenn eine dauerhafte Zusammenarbeit über ein ganzes weiteres Schuljahr erforderlich wird.
Der Antragsteller hat auch den Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Da ein Anordnungsanspruch gegeben ist, sind an diesen nur noch geringe Anforderungen zu stellen. Die besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem Bedarf einer zuverlässigen Teilhabeassistenz ab Schuljahresbeginn. Zudem haben die Eltern des Antragstellers glaubhaft gemacht, dass sie nicht in der Lage sind, die Kosten für die Beauftragung von E. auf Dauer mit eigenen Mitteln zu bestreiten.
Das Gericht hat in diesem Verfahren eine Bindungswirkung der Vergütungs-Vereinbarung zwischen dem Landkreis Darmstadt-Dieburg und der E. für die Antragsgegnerin nicht geprüft und auch nicht zur Grundlage der Entscheidung gemacht. Allein aus Einzelfallerwägungen war hier im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes die vorläufige Kostenübernahme für Integrationshelfer durch die Antragsgegnerin in der tenorierten Höhe bis zum Ende des Schuljahres zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits. Indem der Antragsteller nur unwesentlich unterlegen ist, fand dies in der Kostenentscheidung keine Berücksichtigung.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer, gestellt durch E. (E.) als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Der Antragsteller ist 16 Jahre alt und besucht derzeit die 10. Klasse der F. Schule in A Stadt, es handelt sich hierbei um eine Integrative Gesamtschule. Der Antragsteller leidet ausweislich der vorgelegten medizinischen Unterlagen des Epilepsiezentrums Kork unter Epilepsie. In den letzten drei Jahren traten wohl ca. 200 tonisch-klonische Anfälle und atypischen Absencen auf. Die Anfälle erfolgen plötzlich und unvorhersehbar und können zu kognitiven Stören und Desorientiertheit führen und sich in Bewusstseinsverlust sowie Sturz- und Verletzungsrisiko zuspitzen. Durch die Epilepsie leidet der Antragsteller an einer Leistungs- und Konzentrationsschwäche. Er hat ein niedriges Arbeitstempo und Schwierigkeiten mit dem Verarbeiten und Abrufen des Erlernten.
Der Antragsteller hat einen festgestellten Grad der Behinderung von 100. Es sind die Merkzeichen "G", "B" und "H" festgestellt.
Dem Antragsteller wurde erstmalig mit Bescheid vom 22.07.2015 für das Schuljahr 2015/2016 ein Integrationshelfer aufgrund Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII gewährt. Am 07.10.2015 beantragte der Antragsteller eine Schulwegbegleitung.
Zunächst stellte die gemeinnützige G. GmbH dem Antragsteller einen Integrationshelfer. Sodann übernahm die H. gemeinnützige GmbH (H.) die Leistungserbringung im Auftrag der Antragsgegnerin. Der Antragsteller wurde in dem Schuljahr 2016/2017 von einem Integrationshelfer der H., Herrn J., betreut. Herr J. war in die Erkrankung des Antragstellers eingewiesen, über die erforderlichen Handlungen in einer Notfallsituation aufgeklärt. Es zeigten sich allerdings Schwierigkeiten in Vertretungssituationen. Insbesondere im Falle ungeplanter Fehlzeiten bestand keine Sicherheit, ob und durch wen eine Vertretung gewährleistet sei. Infolgedessen wurde am 27.01.2017 eine Vertretungsregelung zwischen H., der Schule des Antragstellers und der Antragsgegnerin vereinbart. In der Folgezeit kam es dann zu weiteren Vertretungssituationen, in welchen die Vertretung nicht für die vollständige Schulzeit sicher gestellt war (31.01.2017, 24.05.2017, 13.06. / 14.06.2017).
Der Antragsteller beantragte am 31.05.2017 die Leistungserbringung durch E., da er mit der Vertretungssituation weiterhin nicht zufrieden war.
Am 25.07.2017 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrages vom 31.05.2017 gemäß § 24 SGB X angehört. Mit Schreiben vom 27.06.2017 bat die Antragsgegnerin um eine individuelle Leistungsbeschreibung durch E ... Diese legte E. mit Schreiben vom 12.07.2017 vor. Danach erbringt E. das Einleiten von Notfallmaßnahmen bei Auftreten von Anfällen, dazu zählt unter anderem die Verabreichung des Notfallmedikamentes, ggfs. Alarmierung des Rettungsdienstes, zudem erfolgen die Beaufsichtigung und der besondere Schutz während der Pausen und des Klassenraumwechsels sowie die Begleitung des Schulweges. Die Einweisung des Personals in epilepsiespezifische Erste-Hilfe-Maßnahmen wird von E. sichergestellt. Hierfür stellt E. Kosten in Höhe von 35,53 Euro pro Stunde in Rechnung. Sodann legte der Antragsteller am 13.08.2017 einen Dienstleistungsvertrag über Integrationshilfe zwischen den Eltern des Antragstellers und der E. vom 01.07.2017 vor. Gegenstand des Vertrages ist die Schul- und Schulwegsbegleitung des Antragstellers ab dem 14.08.2017.
Mit Bescheid vom 10.08.2017 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme einer Teilhabeassistenz durch E. ab. Die Antragsgegnerin habe mit E. keine Vergütungs- und Leistungsvereinbarung abgeschlossen. Die Leistungsvereinbarung mit dem Landkreis Darmstadt-Dieburg sei für die Antragsgegnerin nicht bindend. Auch der genannten Vergütungssatz könne nicht anerkannt werden. Nach § 9 SGB XII solle zwar Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, entsprochen werden. Diesen sei in der Regel aber nicht zu entsprechen, wenn deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Kosten in Höhe von 35,53 Euro pro Stunde übersteigen die Tarife, die mit A-Stadter Trägern vereinbart worden seien, deutlich. Mit diesen sei ein Stundensatz in Höhe von 18,25 Euro vereinbart.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 01.09.2017 Widerspruch ein.
Am 06.09.2017 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Wiesbaden einen Antrag auf Eilrechtsschutz gestellt mit dem er die Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer der E. sowie eine Schulwegbegleitung begehrt.
Der Antragsteller ist der Auffassung, die Leistung eines Integrationshelfers gemäß §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII sei entsprechend des Bedarfs sowie nach dem Wunsch und Wahlrecht des Leistungsberechtigten, dem zu entsprechen sei, soweit der Wunsch angemessen sei, zu erbringen, § 9 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII. Im vergangenen Schuljahr sei keine bedarfsdeckende Leistungserbringung erfolgt, da eine lückenlose Versorgung nicht sichergestellt worden sei. Die Integrationskraft müsse im Hinblick auf das Krankheitsbild des Antragstellers geschult sein, damit sie sofort reagieren könne, wenn erste Anzeichen eines epileptischen Anfalls vorlägen. Innerhalb von Minuten müssten die fachärztlich klar beschriebene Notfallmaßnahme und die Notfallkette ausgelöst werden. Der Antragsteller benötige deshalb eine kontinuierliche und lückenlose Begleitung. Der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs. 2 SGB XII komme nicht zur Anwendung, da keine Alternative zur Bedarfsdeckung angeboten worden sei.
Er beantragt zuletzt,
die Antragsgegnerin bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gegen den Bescheid vom 10.08.2017 zu verpflichten, die Kosten für einen Integrationshelfer gestellt durch E. zu einem Stundensatz von 35,53 Euro abzüglich der durch die Antragsgegnerin gezahlten 18,25 Euro für 36 Stunden pro Schulwoche sowie die Schulwegbegleitung von der A-Straße in A-Stadt bis zur F. Schule, K-Straße in A Stadt vorläufig zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, es gäbe eine Vertretungsregelung für Notfälle und verweist insoweit auf das Protokoll vom 27.01.2017. Neben der H. gäbe es Verträge mit weiteren Anbietern, der L. e.V. und der gemeinnützigen G. GmbH. Die Verträge seien nicht gekündigt, es würden auch derzeit Maßnahmen durch beide Träger durchgeführt.
Die Antragsgegnerin zahlt jedenfalls seit Antragstellung vor dem Sozialgericht dem Antragsteller Leistungen der Eingliederungshilfe für die Inanspruchnahme eines Integrationshelfers in Höhe von 18,25 Euro für 36 Stunden pro Woche.
Der Antragsgegner erklärt mit Schriftsatz vom 23.1.2017, dass die Schulwegsbegleitung vollständig gewährt werde. Der Antragsteller nahm das Anerkenntnis im Hinblick auf die Schulwegbegleitung mit Schriftsatz vom 01.12.2017 an.
Die Akte des Antraggegners lag dem Gericht vor. Auf die Gerichts- und Verwaltungsakte wird verwiesen.
II.
Soweit sich der Antrag nicht durch das Teilanerkenntnis der Antragsgegnerin, das der Antragsteller angenommen hat, erledigt hat, ist der zulässige Antrag auf Gewährung einer Kostenübernahme für einen Integrationshelfer als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII im Wege der einstweiligen Anordnung, insoweit begründet, als diese Leistung bis zum Schuljahresende 2017/2018 begehrt wird. Für Zeiten darüberhinaus ist der Antrag unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Eine solche Regelungsanordnung ergeht infolgedessen, wenn ein Antragsteller glaubhaft macht, dass ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Sache eilbedürftig ist (Anordnungsgrund).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung. Die Anforderungen an die Überzeugung vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs sinken mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung i.V.m. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung erlaubt im Eilverfahren eine reduzierte Prüfungsdichte und lässt es ausreichen, wenn das Gericht es für überwiegend wahrscheinlich (statt für erwiesen) hält, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes vorliegen.
Nach diesen Grundsätzen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, soweit der Antragsteller die Kostenerstattung auf die Erbringung der Leistungen eines Integrationshelfers gestellt durch E. bis zum Abschluss des aktuell laufenden Schuljahres 2017 / 2018 begehrt. Für die darauffolgende Zeit ist kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Als Anspruchsgrundlage kommen einerseits §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4, 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – und andererseits §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) in Betracht. Es kann jedenfalls im Eilverfahren offen bleiben, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V zusteht, denn es ist jedenfalls ein Anspruch gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 EinglHV gegeben.
Gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.
Der Antragsteller erfüllt - was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Der Antragsteller ist aufgrund seiner Erkrankung an Epilepsie wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt und bedarf dem Grunde nach eines Integrationshelfers zum Besuch der 10. Klasse an der F. Schule in A-Stadt.
Der Antragsteller hat als Leistungsberechtigter einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Dies umfasst insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, hierbei insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt. Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne dieser Vorschrift umfasst nach § 12 Satz 1 Nr. 1 EinglhV auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Mensch den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.
Der Antragsgegner erfüllt nach summarischer Prüfung diesen Anspruch des Antragstellers auf Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung mit der Beauftragung der H. zur Stellung und Durchführung der Integrationshilfe nicht.
Maßgeblich für die Beurteilung des Anspruchs ist der berechtigte Bedarf im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung des Antragstellers.
Der Antragsteller benötigt in qualitativer Hinsicht eine Assistenz, die in das Krankheitsbild des Antragstellers eingewiesen ist. Den ärztlichen Berichten zufolge ist eine stabile medikamentöse Einstellung der Epilepsie noch nicht erfolgreich abgeschlossen. Der Antragsteller muss infolgedessen stets, auch während der Schulzeit, mit einem epileptischen Anfall rechnen und befindet sich bei Eintritt in einer hilflosen Situation. Es ist gerichtsbekannt, dass ein epileptischer Anfall zu schweren und dauerhaften Schäden führen kann, weshalb der Antragsteller darauf angewiesen ist, dass im Notfall umgehend richtige Hilfemaßnahmen eingeleitet werden und Notfallmedikamente verabreicht werden. Diese Leistung benötigt er in zeitlicher Hinsicht aufgrund der Schwere der Erkrankung über den ganzen Schulalltag hinweg. Neben der Sturz- und Verletzungsgefahr und der Gefahr der Desorientierung, bedarf der Antragsteller auch der ständigen Beobachtung, um im Falle eines drohenden epileptischen Anfalls umgehend Hilfe leisten zu können. Er muss sich stets sicher sein dürfen, zu jeder Zeit eine zuverlässige Hilfe an seiner Seite zu haben.
Keine Berücksichtigung kann hingegen der seitens des Antragstellers geltend gemachte Bedarf, der Betreuung aufgrund der Leistungs- und Konzentrationsschwäche sowie des niedrigen Arbeitstempos und Schwierigkeiten mit dem Verarbeiten und Abrufen des Erlernten finden. Es handelt sich hierbei um keine primäre Aufgabe eines Integrationshelfers, vielmehr ist dies der pädagogischen Aufgabe der Schule zuzuordnen. Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung umfasst nicht den Kernbereich der pädagogischen Aufgaben, die ausschließlich von der Schule zu erbringen sind (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R).
Es ist von Antragstellerseite glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung den Anspruch gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII zu erfüllen in der Vergangenheit nicht nachgekommen ist. Die Antragsgegnerin hat eine Leistung erbracht, die dem Bedarf des Antragstellers nicht in angemessenem Umfang entsprach.
Die Leistungserbringung im Schuljahr 2016/2017 erfolgte durch die H ... In Zeiten der Anwesenheit der FSJ-Kraft J. dürfte eine Leistungserbringung wohl in angemessenem Umfang erbracht worden sein, nachdem dieser in das Krankheitsbild des Antragstellers eingewiesen wurde.
Der Antragsgegner hat allerdings glaubhaft gemacht, dass in Vertretungssituationen eine den berechtigten Bedürfnissen entsprechende Leistungserbringung von der Antragsgegnerin nicht erfüllt wurde. Diese unzureichende Vertretungssituation führt dazu, dass der Bedarf des Antragstellers nicht gedeckt wird und die Antragsgegnerin den Anspruch des Antragstellers gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII nicht hinreichend erfüllt. Die Vereinbarung über die Vertretungssituation zwischen Schule und H. vom 27.01.2017 stellt keine ausreichende Maßnahme dar, um eine Vertretungsregelung zu gewährleisten, die den dargelegten Bedürfnissen des Antragstellers Rechnung trägt.
Die Vereinbarung vom 27.01.2017 enthält keine Regelung, dass die in Vertretung eingesetzten Integrationshelfer eine Einweisung in das Krankheitsbild des Antragstellers erhalten, was jedoch zwingend erforderlich ist.
Zudem stellt das Gericht fest, dass die Vertretung nach Abschluss der Vereinbarung nicht zufriedenstellend umgesetzt wurde. Neben der zeitlich nicht vollständigen Vertretungswahrnehmung war diese auch in qualitativer Hinsicht nicht bedarfsdeckend. In qualitativer Hinsicht war keine Vertretungskraft in das Krankheitsbild des Antragstellers eingewiesen und hätte im Notfall sofortige Hilfsmaßnahmen einleiten können. In zeitlicher Hinsicht stand am 24.05.2017 (zweiter Vertretungstag) eine aushilfsweise Integrationskraft ab der fünften Stunde zur Verfügung. Am 13.06.2017 wurde dem Antragsteller eine Vertretungskraft ab 10.00 Uhr zur Verfügung gestellt. Diese war in das Erkrankungsbild des Antragstellers nicht spezifisch eingewiesen. Am 14.06.2017 stand eine Vertretung ab 9.00 Uhr zur Verfügung, auch diese war in das Krankheitsbild des Antragstellers nicht eingewiesen. Es ist allein dem Umstand der vielen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Antragstellers geschuldet, dass es nicht zu weiteren Vertretungssituationen kam.
Hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller keine bedarfsdeckende Integrationskraft als Hilfe zur angemessenen Schulbildung zur Verfügung gestellt, konnte sich der Antragsteller selbst eine solche Integrationskraft beschaffen, deren Kosten in Höhe von 35,53 Euro pro Stunde – zumindest vorläufig und vorübergehend - von der Antragsgegnerin zu tragen sind.
Der vorläufigen Leistungsgewährung steht nicht der Mehrkostenvorbehalt nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB XII entgegen, nach dem der Träger der Sozialhilfe in der Regel Wünschen nicht entsprechen soll, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Dieser Vorbehalt setzt das Vorhandensein mindestens einer Alternative zur Bedarfsdeckung voraus, die dem Hilfeberechtigten auch zumutbar sein muss (Hess. LSG, Beschluss vom 25.04.2016, Az. 4 SO 227/15 B ER). Um sich auf das Bestehen von Alternativen berufen zu können, müssen diese dem Antragsteller tatsächlich rechtzeitig angeboten worden sein, in diesem Verfahren jedenfalls zwischen Ankündigung der Eltern, eine Leistungserbringung durch E. anzustreben am 31.05.2017 und vor Abschluss des Vertrages mit E. am 01.07.2017. Eine Benennung solcher behaupteten Alternativen erfolgte nach Aktenlage erstmalig im vorliegenden gerichtlichen Verfahren und insoweit zu spät.
Die Antragsgegnerin hat unabhängig davon nicht glaubhaft gemacht, dass ihr tatsächlich weitere Leistungserbringer zur Verfügung stehen. Schriftsätzlich erklärte die Antragsgegnerin zunächst am 10.11.2017, es stehe zudem noch G. GmbH und L. A Stadt e.V. zur Verfügung. Dies nahm die Antragsgegnerin sodann mit Schriftsatz vom 23.11.2017 zurück und erklärte, dass derzeit neben der H. kein weiterer A-Stadter Anbieter schulische Eingliederungshilfen leiste. Die Antragsgegnerin könne somit keine Alternativen anbieten. Sodann erklärte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 10.01.2018 die Verträge mit G. GmbH und L. A-Stadt e.V. seien nicht gekündigt. Das Gericht hat erhebliche Bedenken, ob tatsächlich noch eine Leistungserbringung durch weitere Anbieter erfolgt. Allein der Umstand, dass Verträge mit weiteren Leistungserbringern nicht gekündigt wurden, hat nicht zwingend zur Folge, dass diese Leistungserbringer aufgrund des organisatorischen Aufwandes gewillt und in der Lage sind, für Einzelfälle Integrationshelfer zu stellen.
Der Antrag war im Übrigen abzulehnen, denn die zeitliche Begrenzung der Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin bis zum Abschluss des aktuell laufenden Schuljahres 2017/2018 ist sachgerecht. Der Antragsteller besucht die 10. Klasse. Sollte es ihm nicht möglich sein, die Schule abzuschließen, wird voraussichtlich eine Schulassistenz für ein weiteres Schuljahr erforderlich. Der Antragsgegnerin ist dann die Möglichkeit einzuräumen, dem Antragsteller einen alternativen Leistungserbringer anzubieten, der die Leistungserbringung entsprechend den dargelegten Bedürfnissen erbringen kann. Das Gericht will derzeit nicht ausschließen, dass es dem Antragsteller zumutbar sein kann, sich auf einen neuen Teilhabeassistenten einzustellen, wenn eine dauerhafte Zusammenarbeit über ein ganzes weiteres Schuljahr erforderlich wird.
Der Antragsteller hat auch den Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Da ein Anordnungsanspruch gegeben ist, sind an diesen nur noch geringe Anforderungen zu stellen. Die besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem Bedarf einer zuverlässigen Teilhabeassistenz ab Schuljahresbeginn. Zudem haben die Eltern des Antragstellers glaubhaft gemacht, dass sie nicht in der Lage sind, die Kosten für die Beauftragung von E. auf Dauer mit eigenen Mitteln zu bestreiten.
Das Gericht hat in diesem Verfahren eine Bindungswirkung der Vergütungs-Vereinbarung zwischen dem Landkreis Darmstadt-Dieburg und der E. für die Antragsgegnerin nicht geprüft und auch nicht zur Grundlage der Entscheidung gemacht. Allein aus Einzelfallerwägungen war hier im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes die vorläufige Kostenübernahme für Integrationshelfer durch die Antragsgegnerin in der tenorierten Höhe bis zum Ende des Schuljahres zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits. Indem der Antragsteller nur unwesentlich unterlegen ist, fand dies in der Kostenentscheidung keine Berücksichtigung.
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