S 5 R 128/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 5 R 128/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 347/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RE 5/16 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
ZVW an LSG, neues Az.: L 1 KR 509/18 ZVW
1. Der Bescheid der Beklagten vom 29.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2014 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers für die C. GmbH seit dem 01.10.2009 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht streitig.

Der Kläger ist approbierter Apotheker und seit dem 11.12.1984 Pflichtmitglied in der Landesapothekerkammer Hessen (Beigeladene zu 1.) und deren Versorgungswerk (Beigeladene zu 3.). Der Kläger war seitdem als Apotheker im öffentlichen Dienst, in der pharmazeutischen Industrie und als angestellter und selbstständiger Apotheker in öffentlichen Apotheken tätig. Ab dem 01.01.1985 befreite die Beklagte den Kläger gem. § 7 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (Bescheid vom 21.02.1985).

Seit dem 01.10.2009 ist der Kläger bei der C. GmbH (Beigeladene zu 2.), bei der es sich um einen Hersteller von Indikatoren und Indikatorsystemen handelt, als Verantwortlicher für Medizinprodukte, Arzneibuchfragen und Fachinformationen sowie als Qualitätsmanagementbeauftragter beschäftigt (Anstellungsvertrag vom 26.09.2009).

Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 2. gem. § 28p Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) vom 30.05.2012 bis 08.08.2012 stellte die Beklagte fest, dass für den Kläger keine Rentenversicherungsbeiträge gezahlt werden.

Am 20.12.2012 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab dem 01.10.2009. Er legte die Erklärung der Beigeladenen zu 1. und 3. vom 06.06.2012 vor, wonach der Kläger Mitglied der Landesapothekerkammer sowie dessen Versorgungswerk ist. Ferner legte er eine Tätigkeitsbeschreibung der Beigeladenen zu 2. vom 08.06.2012 vor.

Nach der Tätigkeitsbeschreibung ist der Kläger tätig auf dem Gebiet der Registrierung und des Inverkehrbringens von Medizinprodukten, hat eine Funktion und Verantwortung als der beim Regierungspräsidium benannte Sicherheitsbeauftragte für Medizinprodukte gem. § 30 Medizinproduktegesetz (MPG), ist zuständig für die Sicherstellung und Konformität der Medizinprodukte mit den einschlägigen nationalen und internationalen Arzneibuchanforderungen, erstellt Fachinformationen und Fachvorträge für Fachkreise und ist Leiter des Qualitätsmanagements. Laut Stellenbeschreibung gehören zu seinen Aufgaben die Übernahme der Funktion des Sicherheitsbeauftragten für Medizinprodukte und des Medizinprodukteberaters nach §§ 30, 31 MPG, die Registrierung und das Inverkehrbringen von Medizinprodukten gemäß einschlägiger EU-Richtlinien inklusive Klassifizierung und Konformitätsbewertungsverfahren, Meldung von Vorkommnissen und Rückrufen nach Maßgabe der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung, Einbindung aller Regeln zu Medizinprodukten in das Qualitätssystem, Sicherstellung der Konformität der Indikatoren mit den Arzneibuchanforderungen, Erstellung von Fachinformationen und Produktinformationen für alle C.-Medizinprodukte sowie Beantwortung von Kundenanfragen zum Thema Aufbereitung und Sterilisationsverfahren. Als benötigte Qualifikation wurde angegeben "Apotheker oder gleichwertige Qualifikation mit langjähriger Berufserfahrung".

Mit Bescheid vom 29.08.2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab, ihn von der Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) zu befreien, weil es sich bei der Tätigkeit des Klägers um keine berufsspezifische pharmazeutische Tätigkeit handele.

Hiergegen legte der Kläger am 31.08.2013 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2014 zurückgewiesen worden ist.

Hiergegen hat der Kläger am 27.03.2014 Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben.

Der Kläger ist im Wesentlichen der Ansicht, er sei bei der Beigeladenen zu 2. berufsspezifisch als Apotheker tätig.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2014 aufzuheben und festzustellen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit bei der C. GmbH ab dem 01.10.2009 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt im Wesentlichen die Auffassung, es müsse ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer gesetzlich angeordneten Pflichtmitgliedschaft in einer Berufskammer sowie einem berufsständischen Versorgungswerk und der ausgeübten Tätigkeit bestehen. Zur Befreiung würden nur Tätigkeiten berechtigen, für deren Ausübung gesetzlich eine Mitgliedschaft in einer Apothekerkammer und in einem Versorgungswerk für Apotheker vorgeschrieben sei. Dabei handele es sich ausschließlich um Tätigkeiten, die dem Berufsbild von Apothekern, wie es in der Bundesapothekerordnung niedergelegt ist, entsprechen. Nach § 2 Abs. 1 Bundesapothekerordnung (BapO) bedürfe derjenige, der den Apothekerberuf ausüben will, der Approbation. Ausübung des Apothekerberufs wiederum sei nach § 2 Abs. 3 BapO die Ausübung einer pharmazeutischen Tätigkeit, insbesondere die Entwicklung, Herstellung, Prüfung oder Abgabe von Arzneimitteln unter der Berufsbezeichnung "Apotheker". Bei der Beschäftigung des Klägers als Verantwortlicher für Medizinprodukte, Arzneibuchfragen und Fachinformationen sowie als Qualitätsmanagementbeauftragter bei der Beigeladenen zu 2. handele es sich um keine berufsspezifische Tätigkeit, weil für diese Tätigkeit die Approbation als Apotheker keine notwendige Zugangsvoraussetzung sei. Der Aufgabenschwerpunkt liege nicht auf pharmazeutischem Gebiet, sondern im Bereich des Managements. Dementsprechend werde in der Stellenausschreibung der Beigeladenen zu 2. als Qualifikation ein erfolgreich abgeschlossenes Studium der Pharmazie oder eine gleichwertige Qualifikation mit langjähriger Berufserfahrung gefordert.

Die Beigeladene zu 3., die keinen Antrag gestellt hat, ist der Ansicht, dass eine Pflichtmitgliedschaft in der Landesapothekerkammer Hessen eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk und damit eine Befreiung durch die Deutsche Rentenversicherung nach sich ziehe. Der Landesapothekerkammer Hessen gehören gem. § 2 Abs. 1 Ziff. 4 Hessisches Heilberufsgesetz (HeilBerG) alle Apothekerinnen und Apotheker an, die ihren Beruf in Hessen ausüben. Der Kläger sei bei der Beigeladenen zu 2. auf dem Ausbildungs- und Prüfungsgegenstand des Pharmaziestudiums tätig.

Die Beigeladene zu 1., die ebenfalls keinen Antrag gestellt hat, ist der Auffassung, das Berufsbild des Apothekers sei weiter gefasst als es in der Bundesapothekerordnung geschrieben stehe. Es habe sich in den letzten Jahren weiter entwickelt. Die Weiterentwicklung des Berufsbildes werde in den Berufsordnungen der Länder Rechnung getragen. Die Vielfältigkeit des Berufsbildes "Apotheker" spiegle sich in der Vielfalt an Fachapothekerbezeichnungen wieder. Nach Anlage 1 der Approbationsordnung für Apotheker (AAppO) sei die pharmazeutische Technologie einschließlich der Medizinprodukte Teil der universitären Ausbildung. Nach § 2 Abs. 1 AAppO soll die Universitätsausbildung den Studierenden unter Berücksichtigung der Anforderungen und der Veränderungen in der Berufswelt die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden so vermitteln, dass sie zu wissenschaftlicher Arbeit, zur kritischen Einordnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und zur verantwortlichen Ausübung des Apothekerberufs befähigt werden.

Die Beigeladene zu 2., die ebenfalls keinen Antrag gestellt hat, ist der Auffassung, dass nur ein Apotheker die vielfältigen Aufgaben, die die Stelle des Klägers mit sich bringe, lösen könne. Mit der Mischung aus naturwisschenschaftlicher Ausbildung, umfassenden Kenntnissen der zahlreichen Rechtsgebiete im Medizinprodukte- und Arzneimittelrecht und der Erfahrung in deren Anwendung erfülle ein Apotheker in idealer Weise die Anforderungen dieser Position.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Beklagtenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid vom 29.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Bescheide waren daher aufzuheben. Der Kläger hat ab dem 01.10.2009 einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 SGB VI.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden Beschäftigte und selbstständig Tätige von der Versicherungspflicht für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit befreit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist. Die Befreiung ist auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI).

Streitig ist vorliegend allein, ob der Kläger eine Beschäftigung ausübt, wegen der er aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung seiner Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer ist. Die weiteren Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 1 SGB VI liegen unstreitig vor.

Ob ein Beschäftigter oder selbstständig Tätiger wegen der streitigen Beschäftigung bzw. Tätigkeit Pflichtmitglied einer Versorgungseinrichtung und einer berufsständigen Kammer ist, ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die abstrakte berufliche Qualifikation des Beschäftigten an. Maßgeblich ist vielmehr die Klassifikation der Tätigkeit, für welche die Befreiung begehrt wird (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 R).

Das Recht zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI steht zudem nur solchen Personen zu, die eine berufsspezifische, d.h. eine für den in der jeweiligen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung pflichtversicherten Personenkreis typische Berufstätigkeit im Beschäftigungsverhältnis oder selbstständig ausüben (vgl. Boecken in: Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung, hrsg. v. Ruland/Försterling, § 6 Rn. 49). Die Befreiungsmöglichkeit besteht daher nicht für Personen, die zwar Pflichtmitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, jedoch einer berufsfremden Tätigkeit nachgehen (zur Vereinbarkeit der gleichzeitigen Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung und in einem berufsständigen Versorgungswerk mit Art. 3 Abs. 1 GG s. BVerwG, Beschluss vom 23. März 2000, 1 B 15/00).

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 HeilBerG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Landesapothekerkammer Hessen gehören alle Apotheker der Landesapothekerkammer an, die ihren Beruf in Hessen ausüben; von der Mitgliedschaft ausgenommen sind die im für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerium tätigen Berufsangehörigen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung). Apothekern, die ihren Beruf nicht oder nicht mehr ausüben, können gemäß § 2 Abs. 2 der Satzung freiwillig Mitglieder werden.

Gemäß § 5a Abs. 1 HeilBerG in Verbindung mit § 12 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerkes der Landesapothekerkammer Hessen sind Pflichtmitglieder des Versorgungswerkes alle Kammerangehörigen, die ihren Beruf in Hessen ausüben.

Nach § 1 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen hat der Apotheker die Aufgabe, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Dieser Auftrag umfasst insbesondere die Information und Beratung über Arzneimittel, die Beratung in Fragen rund um die Gesundheit, die Entwicklung, Herstellung, Prüfung, Lagerung, Abgabe und Risikoerfassung von Arzneimitteln und die Suche nach neuen Arzneistoffen und Darreichungsformen. Der Apotheker übt seine Aufgabe in verschiedenen Tätigkeitsformen aus. Er kann in der öffentlichen Apotheke, in der Industrie, im Krankenhaus, in Prüfinstitutionen, bei der Bundeswehr, in Behörden und Körperschaften, an der Universität, in Lehranstalten und Berufsschulen tätig sein.

Der Kläger, der Pflichtmitglied in der hessischen Landesapothekerkammer und dem entsprechenden Versorgungswerk ist, ist für die Beigeladene zu 2. berufsspezifisch als Apotheker tätig und dementsprechend von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien.

Nach den Ausführungen des Klägers und den vorliegenden Unterlagen ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger auch ab dem 01.10.2009 eine pharmazeutische Tätigkeit ausübt. Eine für einen Apotheker berufsfremde Tätigkeit liegt nicht vor. Die Funktion eines Verantwortlichen für Medizinprodukte, Arzneibuchfragen und Fachinformationen sowie als Qualitätsmanagementbeauftragter entspricht zwar nicht dem typischen Berufsbild eines Apothekers, wie es in § 2 Abs. 3 BApO definiert ist.

Danach ist die Ausübung des Apothekerberufs die Ausübung einer pharmazeutischen Tätigkeit, insbesondere die Entwicklung, Herstellung, Prüfung oder Abgabe von Arzneimitteln unter der Berufsbezeichnung "Apotheker" oder "Apothekerin". Nach dem zuvor dargestellten Tätigkeitsbereich der Beigeladenen zu 2., der auch einen konkret beschriebenen Verantwortungsbereich umfasst, kann eine "pharmazeutische Tätigkeit" im Sinne des § 2 Abs. 3 erster Halbsatz BApO nicht verneint werden. Die Fassung der Norm ("insbesondere") zeigt, dass die von ihr erfasste Berufsausübung nicht ausschließlich unter der Bezeichnung "Apotheker" oder "Apothekerin" erfolgen muss (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17.11.2011 – L 8 KR 77/11 B ER). Der Kläger ist schwerpunktmäßig tätig als Verantwortlicher für Medizinprodukte, Arzneibuchfragen und Fachinformationen sowie als Qualitätsmanagementbeauftragter. Im Gegensatz zu Arzneimitteln gibt es bei Medizinprodukten in Europa keine staatliche Zulassung. Damit Medizinprodukte auf den europäischen Markt in den Verkehr gebracht oder In-Betrieb genommen werden können, müssen sie mit einer CE-Kennzeichnung versehen werden Die CE-Kennzeichnung darf nur angebracht werden, wenn das Produkt die in den einschlägigen Richtlinien vorgegebenen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllt hat. Zuvor muss es einer Risikobewertung, einem Verfahren des Risikomanagements (Minimierung von Risiken) und einer Risiko-Nutzen-Analyse unterzogen sowie ein dem Risiko des Produktes angemessenes Konformitätsbewertungsverfahren erfolgreich durchgeführt worden sein (http://www.bmg.bund.de). So folgt aus § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG, dass Medizinprodukte, mit Ausnahme von Sonderanfertigungen, Medizinprodukte aus Eigenherstellung, Medizinprodukte gemäß § 11 Abs. 1 sowie Medizinprodukte, die zur klinischen Prüfung oder In-vitro-Diagnostika, die für Leistungsbewertungszwecke bestimmt sind, in Deutschland nur in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung nach Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 und des Absatzes 3 Satz 1 versehen sind. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 MPG dürfen mit der CE-Kennzeichnung Medizinprodukte nur versehen werden, wenn die Grundlegenden Anforderungen nach § 7, die auf sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbar sind, erfüllt sind und ein für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 Abs. 1 durchgeführt worden ist. Weiterhin ist in § 30 Abs. 4 MPG geregelt, dass der Sicherheitsbeauftragte für Medizinprodukte bekannt gewordene Meldungen über Risiken bei Medizinprodukten zu sammeln, zu bewerten und die notwendigen Maßnahmen zu koordinieren hat. Er ist für die Erfüllung von Anzeigepflichten verantwortlich, soweit sie Medizinprodukterisiken betreffen. Der Medizinprodukteberater hat nach § 31 Abs. 4 MPG Mitteilungen von Angehörigen der Fachkreise über Nebenwirkungen, wechselseitige Beeinflussungen, Fehlfunktionen, technische Mängel, Gegenanzeigen, Verfälschungen oder sonstige Risiken bei Medizinprodukten schriftlich aufzuzeichnen und unverzüglich dem Verantwortlichen nach § 5 Satz 1 und 2 oder dessen Sicherheitsbeauftragten für Medizinprodukte schriftlich zu übermitteln.

Weiterhin ist die Arzneistoffanalytik unter besonderer Berücksichtigung der Arzneibücher (Qualitätskontrolle und -sicherung bei Arzneistoffen) und der entsprechenden Normen für Medizinprodukte nach der Anlage 1 AAppO Stoffgebiet des Studiums der Pharmazie.

Um die entsprechenden Aufgaben der beruflichen Tätigkeit des Klägers verantwortlich wahrnehmen zu können, sind entsprechende Kenntnisse erforderlich, die insbesondere im Rahmen eines Pharmazie-Studiums erworben werden. Insoweit wird auf die Einlassungen des Klägers und der Beigeladenen Bezug genommen.

Zwar entspricht die Funktion eines Verantwortlichen für Medizinprodukte, Arzneibuchfragen und Fachinformationen sowie als Qualitätsmanagementbeauftragter – anders als die Tätigkeit eines Apothekers in einer Offizin - nicht dem "typischen" oder "gängigen" Berufsbild eines Apothekers. Nach § 1 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen hat der Apotheker die Aufgabe, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Nach den oben angeführten Normen ist es allerdings ohnehin nicht erforderlich, dass es sich um die Tätigkeit eines Apothekers in einer Offizin oder eine damit vergleichbare Tätigkeit handelt. Dies folgt zum einen aus § 1 der Berufsordnung. Zum anderen wird aus der Vielzahl der Fachapothekerausbildungen die Vielfalt der Tätigkeiten von Apothekern deutlich (z.B. Klinische Pharmazie, Pharmazeutische Technologie, Pharmazeutische Analytik, Toxikologie und Ökologie, Arzneimittelinformation), die für die Tätigkeit eines Apothekers in einer Offizin weniger relevant sein dürften.

Damit liegt eine für einen Apotheker berufsfremde Tätigkeit nicht vor (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. November 2011, L 8 KR 77/11 B ER: Apothekerin, die als Marketingleiterin, Vertriebsleiterin und offizielle Stellvertreterin des Leiters Pharmakovigilanz tätig ist; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.02.2014 – L 1 KR 8/13: Tierärztin, die als Medical Evaluator der Pharmakovigilanz im Bereich Medical & Health Policy tätig ist ).

Ob auch andere naturwissenschaftliche Akademiker die Tätigkeit ausüben könnten, ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht entscheidungserheblich. Eine entsprechende Begrenzung ist den maßgeblichen Vorschriften nicht zu entnehmen. Zudem kommt es - wie oben bereits ausgeführt - nicht auf die abstrakte berufliche Qualifikation des Beschäftigten an. Maßgeblich ist vielmehr die Klassifikation der Tätigkeit, für welche die Befreiung begehrt wird (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 3/11 R).

Festzuhalten ist, dass die Tätigkeit eines Verantwortlichen für Medizinprodukte, Arzneibuchfragen und Fachinformation sowie als Qualitätsmanagementbeauftragter die Qualifikation von Hochschulabsolventen mit umfassenden pharmazeutischen Kenntnissen erfordert. Dies geht für die Kammer überzeugend aus der Bescheinigung der Beigeladenen zu 2. vom 08.06.2012, der Stellenbeschreibung sowie der Einlassung des Klägers hervor.

Auch aus der Rechtsprechung zur Befreiung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von Pharmaberatern folgt nicht, dass die entsprechende Befreiung des Klägers zu versagen wäre (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.02.2014 – L 1 KR 8/1). Die Landessozialgerichte gehen zwar überwiegend davon aus, dass die Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI bei Pharmaberatern nicht vorliegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 23.01.2009, L 4 R 738/06, 08.10.2010, L 4 KR 5196/08 und 01.03.2011, L 11 R 4872/09; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.08.2011, L 3 R 142/09; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.05.2010, L 4 R 168/09; Hessisches LSG, Urteil vom 29.03.2007, L 1 KR 344/04). Das Bundessozialgericht hat allerdings mit Urteil vom 31.10.2012 entschieden, dass bei einem als Pharmaberater beschäftigten Arzt nicht von vornherein davon auszugehen sei, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht erfüllt sein könnten. Insbesondere könne das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht allein mit dem Hinweis auf § 75 Arzneimittelgesetz (AMG) verneint werden (so aber vielfach in den o.g. Urteilen wie z.B. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.05.2010, L 4 R 168/09). Vielmehr komme es auf die konkreten Umstände der Beschäftigung an. Zudem handele es sich nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung, sondern vielmehr um eine Tätigkeitsbeschreibung (B 12 R 3/11 R - Zurückverweisung an LSG Baden-Württemberg). Bei einem Sicherheitsbeauftragten für Medizinprodukte - wie u.a. der Kläger - handelt es sich ebenfalls lediglich um eine Tätigkeitsbeschreibung.

Nach alledem war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
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