Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 VE 12/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Regelung zur Erhöhung der Pflegezulage in § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG ist eng auszulegen und erfasst nur Fälle der Verhinderung, die in der Person der Pflegeperson begründet sind und wertungsmäßig dem ausdrücklich genannten Fall der Krankheit gleichkommen. Nicht erfasst ist der Fall einer Klassenfahrt und der dadurch notwendigen Inanspruchnahme fremder Hilfe.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von anteiligen Kosten für eine Klassenfahrt.
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 30.6.2006 einen Grad der Schädigung von 100 bei der Klägerin festgestellt. Es wird eine Versorgung in Form einer Grundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) gewährt sowie eine Pflegezulage der Stufe 5 nach § 35 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe 6 nach § 31 BVG. Da die Mutter der Klägerin die Pflege selbst übernimmt, wird die Pflegezulage als frei verfügbare Pauschale gezahlt.
Am 9.6.2015 hat die Klägerin einen Antrag auf Kostenerstattung für Verhinderungspflege i.H.v. 723,92 EUR beim Beklagten gestellt. Der Betrag ist für eine Klassenfahrt angefallen, die vom 14.7.2014 bis 18.7.2014 stattgefunden hat. Hierfür hat der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen Kosten für eine Assistenzkraft und Fahrbegleitung für insgesamt 51,5 Stunden als Eingliederungshilfe auf Grundlage der §§ 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG i.V.m. 53 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) übernommen. Hinsichtlich des verbleibenden Restbetrags in Höhe der Klageforderung hat der LWV darauf verwiesen, dass diese aus eigenen Mitteln zu bestreiten seien. Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr der die Eingliederungshilfe übersteigende Teil der Kosten als Verhinderungspflege vom Beklagten erstattet werden müsste.
Diesen Antrag hat der Beklagte mit Bescheid vom 8.3.2016 abgelehnt. Ein Anspruch auf Verhinderungspflege sei diesbezüglich nicht gegeben. Zwar müsse die Durchführung der Verhinderungspflege nicht zwingend im Haushalt des Pflegebedürftigen erfolgen, sondern könne z.B. auch in einem Ferienheim erfolgen. Voraussetzung sei jedoch auch hier, dass überhaupt eine Verhinderungssituation vorliege. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Bei der Klassenfahrt handele sich ausdrücklich um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe. Eine Verhinderung der Pflegeperson habe nicht vorgelegen. Für die Kostenübernahme der Eingliederungsmaßnahme sei daher nach §§ 25-28 BVG, hier aber insbesondere nach § 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG, ausschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge, (in Hessen der LWV Hessen), zuständig. Dieser habe die Kosten der Klassenfahrt i.H.v. 1053,18 EUR bereits übernommen und hinsichtlich des Restbetrags auf die Eigenmittel verwiesen.
Auch eine Erhöhung der Pflegezulage komme nicht in Betracht. Nach § 35 Abs. 2 S. 4 BVG sei die Pflegezulage für jeweils höchstens 6 Wochen so zu erhöhen, dass die Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Entstehung der Kosten verbleibe, wenn vorübergehend Kosten für fremde Hilfe, insbesondere infolge Krankheit der Pflegeperson, entstünden. Auch hier fehle es bereits an der Voraussetzung, dass gerade durch Gründe, die in der Person des Pflegenden liegen, zusätzliche Kosten für fremde Pflege entstehen würden.
Dem Widerspruch vom 24. 3. 2016 half der Beklagte nicht ab und erließ unter dem 20.4.2016 einen Widerspruchsbescheid.
Hiergegen hat die Klägerin am 20.5.2016 die hier vorliegende Klage erhoben. Im Widerspruchsverfahren gegen den LWV hat dieser mit Schreiben vom 28. 9. 2016 ein Vergleichsangebot unterbreitet, wonach er bereit wäre, einen Teil der Pflegezulage noch zu übernehmen, so dass eine Kostenbeteiligung für die Klassenfahrt nur noch i.H.v. 154,80 EUR für die Klägerin anfallen würde (vergleiche Bl. 46 der Gerichtsakte).
Das Vergleichsangebot hat die Klägerin wegen des Interesses an einer verbindlichen Klärung der aufgeworfenen rechtlichen Fragen abgelehnt (vergleiche Schriftsatz vom 8.11.2016, Bl. 52 der Gerichtsakte). In dieser Sache hat der LWV am 11.11.2016 einen Widerspruchsbescheid erlassen (vergleiche Bl. 55 ff. der Gerichtsakte). Hiergegen hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Kassel erhoben (Bl. 62 der Gerichtsakte), über die noch nicht entschieden wurde.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 8.3.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.4.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten in Höhe von 723,92 Euro für die Klassenfahrt vom 14. bis 18.7.2014 als Verhinderungspflege zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs. 2 S. 4 BVG, noch auf Kostenerstattung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) gegen den Beklagten.
a)
§ 35 Abs. 2 S. 4 BVG in der Fassung vom 12.6.2018 lautet: [ ]
"Entstehen vorübergehend Kosten für fremde Hilfe, insbesondere infolge Krankheit der Pflegeperson, ist die Pflegezulage für jeweils höchstens sechs Wochen über Satz 2 hinaus so zu erhöhen, dass den Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Entstehung der Kosten verbleibt".
Ausdrücklich erwähnt als Fall der zu einer Erhöhung der Pflegezulage führen soll, ist in Satz 4 der Vorschrift lediglich der der Krankheit. Auch folgt aus der Formulierung "insbesondere", dass der Gesetzgeber auch in anderen Fällen, als den der Krankheit der Pflegeperson, eine "Verhinderungspflege" angenommen hat. Der Formulierung kann aber nicht entnommen werden, welche Fälle im Einzelnen der "Verhinderung" der Pflegeperson zu einer Erhöhung der Pflegezulage führen sollen bzw. welche Kategorien von Fällen denen der Krankheit wertungsmäßig gleichzusetzen sein sollen.
Eine Auslegung der Norm nach den juristisch allgemein anerkannten Auslegungsregeln, hier insbesondere nach der Systematik der Norm, führt nach Ansicht der Kammer zu einer restriktiven Auslegung.
Vergleichend kann das Regelungsregime der die in § 39 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) geregelten Verhinderungspflege vergleichend herangezogen werden.
§ 39 Abs. 1 SGB XI lautet:
"Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegekasse die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr; § 34 Absatz 2 Satz 1 gilt nicht. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat und der Pflegebedürftige zum Zeitpunkt der Verhinderung mindestens in Pflegegrad 2 eingestuft ist. Die Aufwendungen der Pflegekasse können sich im Kalenderjahr auf bis zu 1. 612 Euro belaufen, wenn die Ersatzpflege durch andere Pflegepersonen sichergestellt wird als solche, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind und mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben."
Nach § 37 SGB XI wird für bis zu 6 Wochen im Kalenderjahr das hälftige Pflegegeld auch bei Verhinderungspflege weitergezahlt.
§ 39 Abs. 1 SGB XI gewährt einen Anspruch auf Verhinderungspflege in den ausdrücklich genannten Fällen des Erholungsurlaubs, der Krankheit oder "aus anderen Gründen" und ist damit sehr weit gefasst. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist entscheidend im Fall der Urlaubsverhinderungspflege allein, dass die Pflegeperson urlaubsbedingt die Pflege nicht durchführen kann (vgl. BSG, Urteil vom 17.5.2000, B 3 P 9/99 R, juris.de). Im Rahmen des § 39 Abs. 1 SGB XI ist anerkannt, dass jede Art von Hinderungsgrund in Betracht kommt, also nicht nur eine auf äußeren Zwängen beruhende Verhinderung (vgl. Reimer, in: Hauck/Noftz, SGB 02/18, Rn. 3 zu § 39).
Auf der anderen Seite enthält die Leistung in § 39 SGB XI mehrfache Begrenzungen. Die Kosten der notwendigen Ersatzkraft werden nur bis zu 6 Wochen und nur bis zu einem Höchstbetrag von 1.612 Euro pro Kalenderjahr erbracht. Für die Zeit der Zahlung der Verhinderungspflege wird bis zu 6 Wochen im Kalenderjahr das hälftige Pflegegeld
Die Leistung nach § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG enthält eine Begrenzung nur im Hinblick auf die jeweilige Dauer der Verhinderung (für jeweils sechs Wochen), aber keine Begrenzung der Verhinderungsfälle pro Kalenderjahr und auch keine summenmäßige Höchstbegrenzung. Die Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG kommt also in (theoretisch) unbegrenzter Häufigkeit von jeweils sechs Wochen Dauer in Betracht und ist nicht auf einen Höchstbetrag begrenzt.
Der Vergleich des § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG spricht daher dafür, dass die Fälle der "Verhinderungspflege" auf solche begrenzt sein sollen, in denen ein der Krankheit vergleichbarer Verhinderungsfall der Pflegeperson eintritt. Dabei ist der Erkrankungsfall dadurch gekennzeichnet – und unterscheidet sich damit maßgeblich von dem in § 39 Abs. 1 SGB XI genannten Fall des Erholungsurlaubs - dass eine unfreiwillige und ungeplante Verhinderung eintritt, die in der Person der Pflegeperson begründet ist.
Diese Auslegung wird gestützt durch die Gesetzeshistorie des § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG. Mit Wirkung zum 1.4.1990 (§ 35 BVG in der Fassung des KOV-Strukturgesetzes vom 23.3.1990) wurde folgende Regelung als Abs. 2 Satz 4 neu eingefügt:
"Kann der Ehegatte oder Elternteil den Beschädigten nur vorübergehend nicht pflegen, ist die Pflegezulage für jeweils höchstens sechs Wochen über Satz 2 hinaus so zu erhöhen, daß dem Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Verhinderung der Pflegeperson verbleibt."
Abs. 2 Satz 4 BVG wurde durch den – rückwirkend zum 1.4.1990 in Kraft getretenen - Art. 1 Nr. 11b) des KOV-Anpassungsgesetzes 1991 vom 21.6.1990 durch die nunmehr gültige Formulierung ersetzt; die Fassung geht zurück auf den Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (vgl. BT Drs. 12/452).
Der zunächst sehr weit gefasste Tatbestand ("kann" "nur vorübergehend nicht pflegen" ) wurde ersetzt durch die immer noch gültige Formulierung der Entstehung von Kosten wegen "insbesondere Krankheit".
Folgt man der hier vertretenen engen Auslegung des § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG, so kann – neben der Krankheit – nur ein hiermit vergleichbarer unfreiwilliger und ungeplanter Verhinderungsgrund, der in der Person des Pflegenden begründet ist, einen Anspruch auf Erhöhung der Pflegezulage gewähren.
Dies ist vorliegend nicht gegeben. Die freiwillige Entscheidung, dass die Klägerin an einer Klassenfahrt teilnimmt, stellt mithin keinen von § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG erfassten Fall der "Verhinderungspflege" dar.
b)
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten als Verhinderungspflege gem. § 39 Abs. 1 SGB XI gegen den Beklagten, da der Anspruch auf Pflegeleistungen nach dem SGB XI wegen des Leistungsbezugs nach § 35 BVG ruht nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI.
2. Die Kostenscheidung folgt aus § 193 SGG.
3. Die Berufung bedarf der Zulassung, da die Beschwer eine Geldleistung betrifft, die 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und die Klage keine laufende Leistung für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Da es zu der Frage der möglichen "Verhinderungsgründe" bzw. der Auslegung des § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG soweit erkennbar keine obergerichtliche Rechtsprechung gibt, hält die Kammer die Rechtssache für grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von anteiligen Kosten für eine Klassenfahrt.
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 30.6.2006 einen Grad der Schädigung von 100 bei der Klägerin festgestellt. Es wird eine Versorgung in Form einer Grundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) gewährt sowie eine Pflegezulage der Stufe 5 nach § 35 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe 6 nach § 31 BVG. Da die Mutter der Klägerin die Pflege selbst übernimmt, wird die Pflegezulage als frei verfügbare Pauschale gezahlt.
Am 9.6.2015 hat die Klägerin einen Antrag auf Kostenerstattung für Verhinderungspflege i.H.v. 723,92 EUR beim Beklagten gestellt. Der Betrag ist für eine Klassenfahrt angefallen, die vom 14.7.2014 bis 18.7.2014 stattgefunden hat. Hierfür hat der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen Kosten für eine Assistenzkraft und Fahrbegleitung für insgesamt 51,5 Stunden als Eingliederungshilfe auf Grundlage der §§ 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG i.V.m. 53 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) übernommen. Hinsichtlich des verbleibenden Restbetrags in Höhe der Klageforderung hat der LWV darauf verwiesen, dass diese aus eigenen Mitteln zu bestreiten seien. Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr der die Eingliederungshilfe übersteigende Teil der Kosten als Verhinderungspflege vom Beklagten erstattet werden müsste.
Diesen Antrag hat der Beklagte mit Bescheid vom 8.3.2016 abgelehnt. Ein Anspruch auf Verhinderungspflege sei diesbezüglich nicht gegeben. Zwar müsse die Durchführung der Verhinderungspflege nicht zwingend im Haushalt des Pflegebedürftigen erfolgen, sondern könne z.B. auch in einem Ferienheim erfolgen. Voraussetzung sei jedoch auch hier, dass überhaupt eine Verhinderungssituation vorliege. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Bei der Klassenfahrt handele sich ausdrücklich um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe. Eine Verhinderung der Pflegeperson habe nicht vorgelegen. Für die Kostenübernahme der Eingliederungsmaßnahme sei daher nach §§ 25-28 BVG, hier aber insbesondere nach § 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG, ausschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge, (in Hessen der LWV Hessen), zuständig. Dieser habe die Kosten der Klassenfahrt i.H.v. 1053,18 EUR bereits übernommen und hinsichtlich des Restbetrags auf die Eigenmittel verwiesen.
Auch eine Erhöhung der Pflegezulage komme nicht in Betracht. Nach § 35 Abs. 2 S. 4 BVG sei die Pflegezulage für jeweils höchstens 6 Wochen so zu erhöhen, dass die Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Entstehung der Kosten verbleibe, wenn vorübergehend Kosten für fremde Hilfe, insbesondere infolge Krankheit der Pflegeperson, entstünden. Auch hier fehle es bereits an der Voraussetzung, dass gerade durch Gründe, die in der Person des Pflegenden liegen, zusätzliche Kosten für fremde Pflege entstehen würden.
Dem Widerspruch vom 24. 3. 2016 half der Beklagte nicht ab und erließ unter dem 20.4.2016 einen Widerspruchsbescheid.
Hiergegen hat die Klägerin am 20.5.2016 die hier vorliegende Klage erhoben. Im Widerspruchsverfahren gegen den LWV hat dieser mit Schreiben vom 28. 9. 2016 ein Vergleichsangebot unterbreitet, wonach er bereit wäre, einen Teil der Pflegezulage noch zu übernehmen, so dass eine Kostenbeteiligung für die Klassenfahrt nur noch i.H.v. 154,80 EUR für die Klägerin anfallen würde (vergleiche Bl. 46 der Gerichtsakte).
Das Vergleichsangebot hat die Klägerin wegen des Interesses an einer verbindlichen Klärung der aufgeworfenen rechtlichen Fragen abgelehnt (vergleiche Schriftsatz vom 8.11.2016, Bl. 52 der Gerichtsakte). In dieser Sache hat der LWV am 11.11.2016 einen Widerspruchsbescheid erlassen (vergleiche Bl. 55 ff. der Gerichtsakte). Hiergegen hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Kassel erhoben (Bl. 62 der Gerichtsakte), über die noch nicht entschieden wurde.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 8.3.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.4.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten in Höhe von 723,92 Euro für die Klassenfahrt vom 14. bis 18.7.2014 als Verhinderungspflege zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs. 2 S. 4 BVG, noch auf Kostenerstattung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) gegen den Beklagten.
a)
§ 35 Abs. 2 S. 4 BVG in der Fassung vom 12.6.2018 lautet: [ ]
"Entstehen vorübergehend Kosten für fremde Hilfe, insbesondere infolge Krankheit der Pflegeperson, ist die Pflegezulage für jeweils höchstens sechs Wochen über Satz 2 hinaus so zu erhöhen, dass den Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Entstehung der Kosten verbleibt".
Ausdrücklich erwähnt als Fall der zu einer Erhöhung der Pflegezulage führen soll, ist in Satz 4 der Vorschrift lediglich der der Krankheit. Auch folgt aus der Formulierung "insbesondere", dass der Gesetzgeber auch in anderen Fällen, als den der Krankheit der Pflegeperson, eine "Verhinderungspflege" angenommen hat. Der Formulierung kann aber nicht entnommen werden, welche Fälle im Einzelnen der "Verhinderung" der Pflegeperson zu einer Erhöhung der Pflegezulage führen sollen bzw. welche Kategorien von Fällen denen der Krankheit wertungsmäßig gleichzusetzen sein sollen.
Eine Auslegung der Norm nach den juristisch allgemein anerkannten Auslegungsregeln, hier insbesondere nach der Systematik der Norm, führt nach Ansicht der Kammer zu einer restriktiven Auslegung.
Vergleichend kann das Regelungsregime der die in § 39 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) geregelten Verhinderungspflege vergleichend herangezogen werden.
§ 39 Abs. 1 SGB XI lautet:
"Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegekasse die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr; § 34 Absatz 2 Satz 1 gilt nicht. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat und der Pflegebedürftige zum Zeitpunkt der Verhinderung mindestens in Pflegegrad 2 eingestuft ist. Die Aufwendungen der Pflegekasse können sich im Kalenderjahr auf bis zu 1. 612 Euro belaufen, wenn die Ersatzpflege durch andere Pflegepersonen sichergestellt wird als solche, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind und mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben."
Nach § 37 SGB XI wird für bis zu 6 Wochen im Kalenderjahr das hälftige Pflegegeld auch bei Verhinderungspflege weitergezahlt.
§ 39 Abs. 1 SGB XI gewährt einen Anspruch auf Verhinderungspflege in den ausdrücklich genannten Fällen des Erholungsurlaubs, der Krankheit oder "aus anderen Gründen" und ist damit sehr weit gefasst. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist entscheidend im Fall der Urlaubsverhinderungspflege allein, dass die Pflegeperson urlaubsbedingt die Pflege nicht durchführen kann (vgl. BSG, Urteil vom 17.5.2000, B 3 P 9/99 R, juris.de). Im Rahmen des § 39 Abs. 1 SGB XI ist anerkannt, dass jede Art von Hinderungsgrund in Betracht kommt, also nicht nur eine auf äußeren Zwängen beruhende Verhinderung (vgl. Reimer, in: Hauck/Noftz, SGB 02/18, Rn. 3 zu § 39).
Auf der anderen Seite enthält die Leistung in § 39 SGB XI mehrfache Begrenzungen. Die Kosten der notwendigen Ersatzkraft werden nur bis zu 6 Wochen und nur bis zu einem Höchstbetrag von 1.612 Euro pro Kalenderjahr erbracht. Für die Zeit der Zahlung der Verhinderungspflege wird bis zu 6 Wochen im Kalenderjahr das hälftige Pflegegeld
Die Leistung nach § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG enthält eine Begrenzung nur im Hinblick auf die jeweilige Dauer der Verhinderung (für jeweils sechs Wochen), aber keine Begrenzung der Verhinderungsfälle pro Kalenderjahr und auch keine summenmäßige Höchstbegrenzung. Die Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG kommt also in (theoretisch) unbegrenzter Häufigkeit von jeweils sechs Wochen Dauer in Betracht und ist nicht auf einen Höchstbetrag begrenzt.
Der Vergleich des § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG spricht daher dafür, dass die Fälle der "Verhinderungspflege" auf solche begrenzt sein sollen, in denen ein der Krankheit vergleichbarer Verhinderungsfall der Pflegeperson eintritt. Dabei ist der Erkrankungsfall dadurch gekennzeichnet – und unterscheidet sich damit maßgeblich von dem in § 39 Abs. 1 SGB XI genannten Fall des Erholungsurlaubs - dass eine unfreiwillige und ungeplante Verhinderung eintritt, die in der Person der Pflegeperson begründet ist.
Diese Auslegung wird gestützt durch die Gesetzeshistorie des § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG. Mit Wirkung zum 1.4.1990 (§ 35 BVG in der Fassung des KOV-Strukturgesetzes vom 23.3.1990) wurde folgende Regelung als Abs. 2 Satz 4 neu eingefügt:
"Kann der Ehegatte oder Elternteil den Beschädigten nur vorübergehend nicht pflegen, ist die Pflegezulage für jeweils höchstens sechs Wochen über Satz 2 hinaus so zu erhöhen, daß dem Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Verhinderung der Pflegeperson verbleibt."
Abs. 2 Satz 4 BVG wurde durch den – rückwirkend zum 1.4.1990 in Kraft getretenen - Art. 1 Nr. 11b) des KOV-Anpassungsgesetzes 1991 vom 21.6.1990 durch die nunmehr gültige Formulierung ersetzt; die Fassung geht zurück auf den Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (vgl. BT Drs. 12/452).
Der zunächst sehr weit gefasste Tatbestand ("kann" "nur vorübergehend nicht pflegen" ) wurde ersetzt durch die immer noch gültige Formulierung der Entstehung von Kosten wegen "insbesondere Krankheit".
Folgt man der hier vertretenen engen Auslegung des § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG, so kann – neben der Krankheit – nur ein hiermit vergleichbarer unfreiwilliger und ungeplanter Verhinderungsgrund, der in der Person des Pflegenden begründet ist, einen Anspruch auf Erhöhung der Pflegezulage gewähren.
Dies ist vorliegend nicht gegeben. Die freiwillige Entscheidung, dass die Klägerin an einer Klassenfahrt teilnimmt, stellt mithin keinen von § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG erfassten Fall der "Verhinderungspflege" dar.
b)
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten als Verhinderungspflege gem. § 39 Abs. 1 SGB XI gegen den Beklagten, da der Anspruch auf Pflegeleistungen nach dem SGB XI wegen des Leistungsbezugs nach § 35 BVG ruht nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI.
2. Die Kostenscheidung folgt aus § 193 SGG.
3. Die Berufung bedarf der Zulassung, da die Beschwer eine Geldleistung betrifft, die 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und die Klage keine laufende Leistung für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Da es zu der Frage der möglichen "Verhinderungsgründe" bzw. der Auslegung des § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG soweit erkennbar keine obergerichtliche Rechtsprechung gibt, hält die Kammer die Rechtssache für grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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