L 8 SB 3517/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 23 SB 19/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3517/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 31.07.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

Der 1964 geborene Kläger beantragte am 11.09.2014 (Blatt 2 VA) beim Landratsamt B. (LRA) die Feststellung eines GdB. Das LRA zog den ärztlichen Entlassungsbericht vom 29.09.2014 (Blatt 17 VA) über die in der Zeit vom 12.08.2014 bis 02.09.2014 durchgeführte stationäre Rehabilitation bei, zu dem Dr. K. die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 03.11.2014 (Blatt 25 VA) erstattete und darlegte, dass dem Bericht nicht entnommen werden könne, welche dauerhaften Funktionseinschränkungen vorliegen würden.

Das LRA holte den Befundbescheid des Dr. S. vom 19.03.2015 (Blatt 39 VA) ein, der weitere Befundberichte vorlegte. Dr. K. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 13.04.2015 (Blatt 58 VA) und empfahl die Feststellung eines GdB von 30 unter Berücksichtigung folgender Funktionsbeeinträchtigungen: - Bandscheibenschaden, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20) - Polyarthrose, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Einzel-GdB 20) - Funktionsbehinderung der Schultergelenke (Einzel-GdB 10) Das Aneurysma der A.Communicans anterior links bedinge keinen Einzel-GdB von wenigstens 10. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme stellte das LRA mit Bescheid vom 20.04.2015 (Blatt 60 VA) einen GdB von 30 seit dem 11.09.2014 fest.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 26.05.2015 Widerspruch (Blatt 64 VA) und machte geltend, dass er durch das Aneurysma schwer beeinträchtigt sei.

Das LRA holte den Befundschein des Dr. S. vom 25.08.2015 (Blatt 74 VA) ein, zu dem die Versorgungsärztin K. die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 22.10.2015 (Blatt 76 VA) erstattete und ausführte, dass das Aneurysma subjektiv eine Belastung darstellen möge, aber keine somatischen Beschwerden gegeben seien. Es sei größenkonstant und symptomlos.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2015 (Blatt 79 VA) zurück.

Am 30.12.2015 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Das SG holte das orthopädische Sachverständigengutachten des Dr. K. vom 12.04.2016 (Blatt 19 ff. SG-Akte) ein, der den GdB auf orthopädischem Fachgebiet mit 20 einschätze. Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. K. vom 03.11.2016 (Blatt 42 SG-Akte) vor, der ausführte, dass der Gesamt-GdB auf 20 einzuschätzen sei, aber bereits ein solcher von 30 festgestellt worden sei. Die geltend gemachte deutliche psychische Belastung durch das kleine Aneurysma im Bereich der Halsgefäße sei ohne funktionelle Relevanz, sodass ein messbarer GdB hierfür nicht festgestellt werden könne. Das SG holte sodann die sachverständigen Zeugenauskünfte der Fachärztin für Chirurgie Dr. S. vom 19.01.2017 (Blatt 52 SG-Akte) sowie des Internisten Dr. S. vom 07.04.2017 (Blatt 58 SG-Akte) und das orthopädische Sachverständigengutachten des Dr. S. vom 18.05.2017 (Blatt 82 ff. SG-Akte) ein.

Die Klage wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 31.07.2017 ab und führte zur Begründung aus, dass für die Wirbelsäule ein Einzel-GdB von 20 anzunehmen sei, die Einschätzung des Dr. S. auf einen Einzel-GdB von 30 überzeuge nicht, da die Befunde identisch mit denen des Dr. K. gewesen seien und die Rotation der LWS nur eine endgradige Bewegungseinschränkung aufgewiesen habe. Für die Fingerpolyarthrose könne kein höherer Einzel-GdB als 10 berücksichtigt werden, da eine uneingeschränkte Beweglichkeit der Finger bestanden habe. Bezüglich der Schultergelenke könne bei passiver endgradiger Bewegungseinschränkung und einer Abduktion rechts von 160° und links von 180° kein Einzel-GdB anerkannt werden. Die deutliche Einschränkung der aktiven Abduktion könne nur als Simulation/Aggravation gewertet werden. Die Begutachtung Dr. S. habe keine Einschränkung der Handbeweglichkeit ergeben. Aus dem Aneurysma folge keine relevante Funktionseinschränkung, sodass ein Einzel-GdB nicht berücksichtigt werden könne.

Gegen den am 07.08.2017 (Blatt 116a SG-Akte) zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.09.2017 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er macht geltend, dass die multiplen Erkrankungen nicht entsprechend berücksichtigt worden seien. Die orthopädisch-unfallchirurgischen Beeinträchtigungen indizierten einen GdB von 50, hinzukämen die erheblichen arteriellen Probleme im Hirnbereich.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 31.07.2017 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2015 zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von wenigstens 60 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 28/29 Senatsakte).

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Absatz 1, 124 Absatz 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann die Feststellung eines höheren GdB nicht beanspruchen. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtete sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 Rdn. 34). Nachdem § 241 Absatz 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-) Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.

Nach § 152 Absatz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 1 und 3 SGB IX aF) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Geisteszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB IX. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Absatz 1 Satz 6 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).

Die Feststellung des GdB erfolgt zum Zeitpunkt der Antragstellung; auf Antrag kann, wenn ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird, festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat § 152 Abs. 1 Satz 2 SGBX; (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F.).

Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 152 Absatz 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX aF). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktions-behinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.

Ausgehend von diesen Maßstäben konnte der Senat im Bereich der Wirbelsäule des Klägers Funktionseinschränkungen feststellen, die einen Einzel-GdB von 20 bedingen.

Dem Sachverständigengutachten des Dr. K. vom 12.04.2016 entnimmt der Senat, dass die HWS im Lot war bei normaler Schwingung, die Rotation war mit 80-0-80° möglich bei endgradiger Schmerzhaftigkeit beidseits, die Seitneigung mit 30-0-30° ebenfalls mit endgradiger Schmerzhaftigkeit beidseits. Es zeigte sich ein gerader Verlauf der Rumpfwirbelsäule bei Schulter- und Beckengradstand, ein Klopfschmerz über der Wirbelsäule war nicht auslösbar, die Seitneigung mit 30-0-30° möglich bei endgradiger Schmerzhaftigkeit. Die Rotation im Sitzen war bei fixiertem Becken möglich bis 40° beidseits bei endgradiger Schmerzhaftigkeit. Das Zeichen nach Ott lag bei 30/31 cm, das Zeichen nach Schober bei 10/14 cm, der Finger-Boden-Abstand bei 20 cm.

Aus dem Sachverständigengutachten des Dr. S. vom 18.05.2017 folgt eine eingeschränkte Entfaltbarkeit von Brust- und Lendenwirbelsäule sowie eine eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule, vor allem für die Linksrotation sowie ein diffuser Druck- und Klopfschmerz im Bereich der Wirbelsäule. Die Beweglichkeit für Inklination/Reklination der HWS wird mit 40-0-30°, für Rechts-/ Linksneigung mit 30-0-30° und für Rechts-/ Linksrotation mit 70-0-50° angegeben, der Finger-Boden-Abstand lag bei 25 cm, das Zeichen nach Ott bei 30/34 cm, das Zeichen nach Schober bei 10/14 cm. Die Rechts-/ Linksneigung der BWS/LWS wird mit 30-0-30° beschrieben.

Nach den VG Teil B 18.9 ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein Teil-GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Urteil des erkennenden Senats vom 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 -, veröffentlicht in juris und im Internet sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z. B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist eine GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt, die jedoch beim Kläger nicht vorliegen und auch nicht geltend gemacht werden.

Dr. K. hat überzeugend ausgeführt, dass sich an der HWS eine Osteochondrose bei nicht eingeschränkter Beweglichkeit und ohne Klopfschmerz gezeigt hat, sodass nur von einer leichten Beeinträchtigung ausgegangen werden kann. Bei chronischem LWS-Syndrom bei Bandscheibenüberhang LWK 4/5 und LWK 5/ SWK 1 links zeigten sich keine Zeichen für eine Wurzelreizsymptomatik, sodass der Senat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen, einen Einzel-GdB für die Wirbelsäule von 20 sieht. Keine andere Beurteilung rechtfertigt sich aus dem Sachverständigengutachten des Dr. S. , der die Funktionsstörungen der Hals- und Lendenwirbelsäule als leicht bis mittelschwer beschreibt, wobei die mitgeteilten Beweglichkeiten nicht relevant von den Feststellungen des Dr. K. abweichen und keine mittel- bis schwergradigen Einschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ergeben, sodass der Einschätzung auf einen Einzel-GdB von 30 nicht gefolgt werden kann.

Hinsichtlich der Schultergelenke konnte der Senat gestützt auf das Sachverständigengutachten des Dr. K. eine freie Beweglichkeit sowohl beim Vorwärtsführen und Rückwärtsführen, als auch bei Adduktion und Abduktion sowie bei Außen- und Innenrotation feststellen. Die Konturen waren äußerlich unauffällig, ein Druckschmerz war nicht auslösbar und der Nacken- und Schürzengriff komplett ausführbar. Ein relevanter Einzel-GdB rechtfertigt sich hieraus nicht, da nach Teil B Nr. 18.13 VG Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich des Schultergürtels) mit einem GdB von 10 zu bewerten sind, wenn die Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit gelingt. Ist eine Armhebung nur bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit möglich, ist ein GdB von 20 anzunehmen. Auch wenn Dr. S. eine deutliche Einschränkung der aktiven Abduktion der rechten Schulter auf 90° beschreibt, weist er darauf hin, dass passiv eine lediglich endgradige Bewegungseinschränkung bestanden hat und teilt Beweglichkeiten von 160-0-40° rechts und 180-0-40° links mit. Zusammenfassend sieht er nur eine leichtgradige Funktionseinschränkung.

Im Bereich der unteren Extremitäten entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des Dr. K. ein unauffälliges Gangbild bei problemlos möglichem Zehen- und Hackengang und nicht auslösbaren Druckschmerz im Bereich der Hüfte beidseits. Die Extension/Flexion der Hüftgelenke lag bei 0-0-120° beidseits, sodass nicht mal eine geringgradige Einschränkung nach VG Teil B Nr. 18.14 (Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) besteht.

Die Kniegelenke werden von Dr. K. als äußerlich unauffällig beschrieben. Die Meniskuszeichen waren medialseitig rechts positiv, am linken Kniegelenk negativ, der Kapselbandapparat beidseits stabil, die Beweglichkeit für Extension/Flexion wird mit 0-0-130° beidseits angegeben, bei der Untersuchung Dr. S. ergab sich eine Beweglichkeit von 0-0-140° beidseits. Nach VG Teil B Nr. 18.14 sind Bewegungseinschränkungen in Kniegelenk geringen Grades jedoch erst bei einer nur noch möglichen Streckung/Beugung von 0-0-90° anzunehmen.

Die Sprunggelenke beschreiben beide Sachverständige als unauffällig, für Heben/Senken werden von Dr. K. 0-20-50° und von Dr. S. 0-20-40° angegeben, sodass eine Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk mittleren Grades von 0-0-30°, die nach VG Nr. 18.14 einen Einzel-GdB von 10 bedingen würde, nicht vorliegt.

Hinsichtlich der Arme entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des Dr. K. eine freie Beweglichkeit beider Ellenbogengelenke bei unauffälligen Konturen. Es bestand ein Druckschmerz im Bereich des Epicondylus humeri ulnaris rechts, die Konturen beider Handgelenke waren unauffällig, die Dorsal- und Palmarflexion ebenso frei wie die Radial- und Ulnarabduktion im Handgelenksbereich, die Funktionsprüfung verursachte keine Schmerzen. Die Hände zeigten sich äußerlich unauffällig, der Faustschluss war beidseits komplett möglich, im Mittelfinger links bestand eine endgradige Schmerzhaftigkeit.

Dr. S. beschreibt die Armachsen als beidseits physiologisch bei normentsprechendem Muskelaufbau an den Unter- und Oberarmen. Die Beschwielung der Hände war seitengleich und altersentsprechend unauffällig, Faustschluss, Spitzgriff, Schlüsselgriff, Grobgriff und Hohlhandgriff beidseits sicher möglich, Hinweise auf motorische, vaskuläre oder sensible Störungen im Bereich der Finger fanden sich nicht. Die Beweglichkeit für die Ellenbogengelenke teilt Dr. S. mit 0-0-150° beidseits, die des Unterarms mit 90-0-90° beidseits mit, die Handgelenksbeweglichkeit lag bei 70-0-80° beidseits für Extension/Flexion und 30-0-40° beidseits für Radial/Ulnarabduktion. Eine GdB-relevante Einschränkung besteht somit nicht, die diesbezüglichen Ausführungen des Dr. S. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 07.04.2017 (Blatt 58 SG-Akte, Einzel-GdB von 40) sind für den Senat nicht nachvollziehbar. Lediglich ergänzend ist festzustellen, dass auch die neurologische Untersuchung durch Dr. G. (Befundbericht vom 23.09.2016, Blatt 64 SG-Akte) für die geklagten Armschmerzen kein Korrelat ergeben hat.

Letztlich konnte der Senat, gestützt auf den Befundbericht der Neurochirurgischen Universitätsklinik F. vom 24.01.2013 (Blatt 49 VA), das Bestehen eines kleinen Aneurysma der arteria communicans anterior links (Teil des Arterienrings des Gehirns, vgl. Pschyrembel, klinisches Wörterbuch, Seite 160) feststellen, welches keine Behandlungsbedürftigkeit auslöst. Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen wurden vom Kläger verneint, Dr. S. hat in seinem Befundschein vom 25.06.2015 (Blatt 74 VA) angegeben, dass das Aneurysma größenkonstant ist und von dieser Seite keine einschränkenden Beschwerden bestehen. VG Teil B Nr. 9.2.2. bestimmt zu den Aneurysmen (je nach Sitz und Größe):

ohne lokale Funktionsstörung und ohne Einschränkung der Belastbarkeit 0 – 10 ohne oder nur mit geringer lokaler Funktionsstörung mit Einschränkung der Belastbarkeit 20 – 40 große Aneurysmen wenigstens 50 hierzu gehören immer die dissezierenden Aneurysmen der Aorta und die großen Aneurysmen der Aorta abdominalis und der großen Beckenarterien. Nachdem Funktionsstörungen und Einschränkungen der Belastbarkeit nicht festgestellt werden können, kommt ein Einzel-GdB nicht in Betracht. Soweit der Kläger zur Berufungsbegründung geltend gemacht hat, dass erhebliche arterielle Probleme im Hirnbereich bestünden, hat er auf die Verfügung des Senats vom 06.02.2018 (Blatt 21 Senatsakte) weder dargelegt, welche Probleme bestehen sollen, noch durch welchen Arzt eine Behandlung erfolgt sein soll. Weiterer Ermittlungsbedarf bestand vor diesem Hintergrund nicht, da es sich um eine Ausforschung des Sachverhaltes ohne greifbare Anhaltspunkte, mithin um Ermittlungen ins Blaue hinein handeln würde. Im Übrigen konnte der Senat gestützt auf den neurologischen Befundbericht des Dr. G. vom 23.09.2016 (Blatt 64 SG-Akte) feststellen, dass die Hirnnerven unauffällig gewesen sind und sich kein Hinweis auf manifeste Paresen bei unauffälliger Sensibilität ergab.

Unter Berücksichtigung der festzustellenden Einzel-GdB kann der Senat, ebenso wie Dr. K. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 03.11.2016, Blatt 42 SG-Akte), keinen höheren Gesamt-GdB als 20 feststellen, sodass der bereits festgestellte GdB von 30 jedenfalls nicht zu niedrig ist.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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