L 7 SO 3797/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 AS 4169/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3797/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufungen der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. August 2017 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018; vornehmlich zu klären sind Fragen des Prozessrechts.

Der in 1958 geborene Kläger Ziff. 1 und die in 1960 geborene Klägerin Ziff. 2 sind verheiratet. Sie bewohnen gemeinsam eine Fünf-Zimmer-Wohnung (Wohnfläche 153 Quadratmeter) in der B. Straße 13 in N., für die eine monatliche Gesamtmiete in Höhe von 1.650,00 EUR (monatliche Kaltmiete 1.550,00 EUR + Betriebskostenvorauszahlung 100,00 EUR) zuzüglich Heizkosten zu entrichten ist. Die Kläger beziehen ab 1. Januar 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Bescheid vom 12. Dezember 2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 13. März 2017 und 30. März 2017 für den Bewilligungsabschnitt vom 1. Januar 2017 bis zum 30. Juni 2017). Auf den Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte für die Zeit vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018 den Klägern monatliche Leistungen in Höhe von jeweils 660,00 EUR (zusammen 1.320,00 EUR) und berücksichtigte dabei lediglich Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 584,00 EUR (Bescheid vom 29. Mai 2017). Den Widerspruch der Kläger (Schreiben vom 31. Mai 2017) wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 zurück.

Am 21. Juni 2017 haben die Kläger gegen den Bescheid vom 29. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2017 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) mit dem Ziel erhoben, dass der Beklagte für die Zeit ab 1. Juli 2017 die Kaltmiete in vollständiger Höhe übernimmt (S 19 AS 3415/17). Gleichzeitig haben sie um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (S 19 AS 3416/17 ER).

Das SG hat mit den Beteiligten am 7. Juli 2017 sowohl im Klageverfahren als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem die Beteiligten folgenden Vergleich geschlossen haben:

"1. Der Beklagte zahlt den Klägern Kosten für die Unterkunft in Höhe von 642,40 EUR zuzüglich Heizkosten ab Juli 2017. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Damit werden die Rechtsstreitigkeiten S 19 AS 3416/17 ER sowie S 19 AS 3415/17 übereinstimmend für erledigt erklärt."

Ausweislich der Niederschrift des SG über den Erörterungstermin ist dieser Vergleichstext den Beteiligten vorgespielt und anschließend durch diese genehmigt worden.

Die Niederschrift über den Erörterungstermin ist den Klägern am 12. Juli 2017 zugestellt worden.

Am 20. Juli 2017 haben die Kläger "Beschwerde" gegen den gerichtlichen Vergleich vom 7. Juli 2017 eingelegt. Sie seien mit dem gerichtlichen Vergleich nicht einverstanden. Sie seien unter Druck gesetzt worden, ihnen sei nichts Anderes übriggeblieben, als ja zu sagen. Das SG hat daraufhin die beiden Verfahren fortgeführt (S 19 AS 4170/17 ER und S 19 AS 4169/17). Es hat durch Beschluss vom 21. August 2017 festgestellt, dass das einstweilige Rechtsschutzverfahren S 19 AS 3416/17 ER durch den Abschluss des Vergleichs der Beteiligten am 7. Juli 2017 erledigt ist (S 19 AS 4170/17 ER).

Das SG hat durch Gerichtsbescheid vom 21. August 2017 festgestellt, dass das Verfahren S 19 AS 3415/17 durch den Abschluss des Vergleichs der Beteiligten am 7. Juli 2017 erledigt ist. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass das Verfahren S 19 AS 3415/17 durch den in dem Erörterungstermin am 7. Juli 2017 geschlossenen Vergleich rechtswirksam beendet worden sei. Dieser Vergleich sei wirksam zustande gekommen, insbesondere ordnungsgemäß protokolliert und durch die Beteiligten nach Vorspielen genehmigt worden.

Gegen den ihnen am 22. August 2017 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 21. September 2017 beim SG Berufung eingelegt und diverse Wohnungsanzeigen vorgelegt. Auf sämtliche Wohnungsanzeigen hätten sie entweder eine Absage oder gar keine Rückmeldung erhalten. Die Dokumentationen zu den Wohnungsbewerbungen hätten sie bereits am 21. September 2017 beim SG eingereicht.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. August 2017 aufzuheben und das Verfahren S 19 AS 3415/17 fortzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG (S 19 AS 3416/17 ER, S 19 AS 3415/17, S 19 AS 4170/17 ER und S 19 AS 4169/17) sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen der Kläger haben keinen Erfolg.

1. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegten Berufungen sind zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Berufungsausschlussgründe liegen nicht vor.

2. Die Berufungen der Kläger sind unbegründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass das Klageverfahren S 19 AS 3415/17 durch den zwischen den Beteiligten vor dem SG geschlossenen Vergleich vom 7. Juli 2017 beendet worden ist.

Mit dem vor dem SG in der nichtöffentlichen Sitzung am 7. Juli 2017 geschlossenen Vergleich haben die Beteiligten u.a. das Klageverfahren S 19 AS 3415/17 beendet. Der Vergleich ist ordnungsgemäß und wirksam zustande gekommen. Der Vergleich verstößt nicht gegen § 101 Abs. 1 Satz 1 SGG, denn die Beteiligten konnten über den Gegenstand der Klage, nämlich höhere Leistungen der Sicherung zum Lebensunterhalt nach dem SGB II für Bedarfe der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018, verfügen. Die Beteiligten haben durch gegenseitiges Nachgeben das genannte Verfahren vergleichsweise beendet, weil der Beklagte höhere als die im angefochten Bescheid vom 29. Mai 2017 bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung (624,40 EUR nebst Heizkosten anstatt 584,00 EUR) gewährt hat und die Kläger auf die Gewährung weiterer Leistungen für Unterkunft und Heizung bis zur Höhe ihrer tatsächlichen Aufwendungen (1.650,00 EUR) nebst Heizkosten verzichtet haben. Ausweislich der Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des SG am 7. Juli 2017 hat die Vorsitzende den Vergleichswortlaut (zur vorläufigen Aufzeichnung auf einem Ton- bzw. Datenträger vgl. §§ 122 SGG, 160a Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)) laut diktiert und anschließend den Beteiligten vorgespielt. Die Beteiligten, u.a. die beiden in dem Erörterungstermin persönlich anwesenden Kläger, haben den Vergleich ausdrücklich genehmigt und keinerlei Einwendungen dagegen erhoben (§§ 122 SGG, 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ZPO; vgl. ferner z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 28. November 2002 - B 7 AL 26/02 - juris Rdnr. 23). Eine Widerrufsmöglichkeit ist in dem Vergleich nicht vorgesehen. Die Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und von der Vorsitzenden sowie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§§ 122 SGG, 160a, 163 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Der Prozessvergleich ist auch materiell-rechtlich wirksam. Wegen seiner Doppelnatur entfaltet der Prozessvergleich keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen der Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist; das Gleiche gilt, wenn nach dem Inhalt des Vergleichs der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Gewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (§ 779 Abs. 1 BGB; vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1991 - 2 RU 51/90 - juris Rdnr. 22; Urteil vom 17. Mai 1989 - 10 RKg 16/88 - juris Rdnr. 19). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleiches - etwa nach den Bestimmungen der §§ 116 ff. BGB - oder für seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Insbesondere können die Kläger den Vergleich nicht nach § 123 BGB anfechten. Zwar machen die Kläger geltend, sie seien "unter Druck gesetzt" worden. Jedoch bietet dieses pauschale und völlig unsubstantiierte Vorbringen keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie (im Übrigen durch wen?) zur Abgabe der prozessbeendenden Erklärungen durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden wären. Wie sich aus der Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des SG ergibt, hat die Vorsitzende das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert. Sie hat darauf hingewiesen, dass das Konzept des Beklagten zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten möglicherweise nicht der Rechtsprechung des BSG entspreche. Daraufhin haben die Beteiligten in dem Erörterungstermin einen gerichtlichen Vergleich geschlossen. Eine Verpflichtung zum Abschluss des Vergleichs hat für die Kläger nicht bestanden. Die von den Klägern vorgelegten Wohnungsanzeigen datieren allesamt auf die Zeit nach Abschluss des gerichtlichen Vergleichs am 7. Juli 2017, sodass diese die Willensbildung der Kläger im Rahmen des Erörterungstermins am 7. Juli 2017 von vornherein nicht beeinflusst haben können.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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