L 7 R 4383/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 393/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 4383/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die in 1962 in der Türkei geborene Klägerin übersiedelte 1976 in die Bundesrepublik Deutschland. Einen Beruf erlernte sie nicht. Zuletzt war sie seit 2001 versicherungspflichtig als Reinigungskraft in einem Krankenhaus tätig. Seit 21. Juni 2016 ist sie arbeitsunfähig.

Einen ersten Rentenantrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Februar 2011 ab, nachdem der Arzt für Neurologie und Psychiatrie S. in seinem Gutachten vom 14. Dezember 2010 - unter Berücksichtigung der Diagnosen Verdacht auf multiple Sklerose mit spätem Erkrankungsbeginn und bisher sehr blandem Krankheitsverlauf, Somatisierungsstörung mit Klagen über chronische Müdigkeit, brennende Kopfschmerzen am linken Hinterkopf, unklare Sehstörung beidseits und vermehrt Ängste, Wechseljahrbeschwerden, Restbeschwerden am linken Auge mit Schleiersehen (nach Glaskörper- und Netzhautablösung Dezember 2009), Klagen über Schwerhörigkeit links - zu der Einschätzung gelangt war, dass die Klägerin leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Stehen, Gehen oder Sitzen in Tages-, Früh- und Spätschicht unter Ausschluss von Arbeiten mit erhöhtem Zeitdruck, an Hitzearbeitsplätzen, mit Absturzgefahr, mit ständiger geistiger Beanspruchung sowie mit vermehrter Beanspruchung des Gehör- und Sehvermögens sechs Stunden und mehr verrichten könne.

Am 21. April 2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 22. September 2016 eine multiple Sklerose, eine Somatisierungsstörung sowie Persönlichkeitsakzentuierungen und beschrieb lediglich qualitative Leistungseinschränkungen (keine Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten, an unmittelbar gefährdenden Maschinen, mit regelmäßigem Treppensteigen, ohne besondere Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, ohne überdurchschnittlich soziale Interaktionen, ohne Nacht- oder Wechselschicht). Die Klägerin sei in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen in Tagesschicht sechs Stunden und mehr zu verrichten.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 29. September 2016 ab. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2017).

Dagegen hat die Klägerin am 9. Februar 2017 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Sie - die Klägerin - leide unter starken Ängsten, die durch ihre Persönlichkeitsstörung verstärkt würden, chronischer Müdigkeit, Schwindel, Konzentrationsschwäche, unkontrollierbarem Harndrang, Schmerzen, Kraftlosigkeit, Vergesslichkeit, einem Kopfdruck links, einem Rauschen im Kopf sowie einer Störung der Feinmotorik und des Gleichgewichtssinns. Der Betriebsarzt habe bestätigt, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, in der Bettenaufbereitung ihres Arbeitgebers (Theresienkrankenhaus M.) zu arbeiten.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Stellungnahmen des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Klinische Geriatrie Dr. E. vom 5. April 2017 (Bl. 20/23 der SG-Akten), der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 6. April 2017 (Bl. 24/30 der SG-Akten), der Augenärztin Prof. Dr. R. vom 2. Mai 2017 und 26. September 2017 (Bl. 32/39, 82 der SG-Akten) sowie des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. B. vom 25. September 2017 (Bl. 80/81 der SG-Akten) Bezug genommen.

Weiterhin hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens. Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 7. August 2017 (Bl. 45/66 der SG-Akten) eine multiple Sklerose mit schubförmigem Verlauf sowie eine Anpassungsstörung mit längerer leichter depressiver Reaktion beschrieben. Die Klägerin sei in der Lage, mittelschwere bis in Spitzen schwere körperliche Tätigkeiten sechs und mehr Stunden pro Tag zu verrichten. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht notwendig. Sowohl hinsichtlich der körperlich-neurologischen als auch psychiatrischen Untersuchung hätten sich mehrfach Hinweise für eine verfälschende Darstellung von Limitationen und Beschwerden ergeben.

Die Klägerin hat sich kritisch zum Gutachten des Dr. N. geäußert (Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 12. September 2017) und einen Befundbericht des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. B. vom 19. Juli 2017 (Bl. 72/74 der SG-Akten) vorgelegt.

In der vom SG veranlassten ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. N. vom 2. Oktober 2017 (Bl. 84/86 der SG-Akten) hat dieser an seiner Bewertung festgehalten und darauf hingewiesen, dass nach seinem Eindruck die Kenntnisse der deutschen Sprache bei der Klägerin ausreichend gewesen seien, um ein sachgerechtes Gutachten zu erstellen. Im Rahmen seiner Begutachtung habe er keine Hinweise für eine namhafte Fatigue-Symptomatik im Sinne einer raschen Ermüdbarkeit und Erschöpfbarkeit feststellen können, dagegen eine leichte dysthyme Verstimmung. Die in der gutachterlichen Untersuchung gefundenen Hinweise für eine verfälschende Darstellung von Limitationen und Beschwerden seien objektiv festzustellen gewesen. Diese seien sicherlich nicht einer potentiellen Fatigue-Symptomatik geschuldet.

Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 20. Oktober 2017 - gestützt insbesondere auf das Gutachten des Dr. N. - abgewiesen.

Gegen den ihren Bevollmächtigten am 25. Oktober 2017 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 20. November 2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie ihr Begehren auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung weiterverfolgt. Bei ihr liege eine namhafte Fatigue-Symptomatik vor. Auch habe sie - die Klägerin - im Rahmen der Untersuchung durch Dr. N. eine ausreichende Mitarbeitsbereitschaft gezeigt. Vielmehr sei die Hinzuziehung eines Dolmetschers bei der Begutachtung aufgrund fehlender Sprachkenntnisse erforderlich gewesen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Oktober 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2017 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. April 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Sie wurde gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.

2. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 29. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2017 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. April 2016 abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht sie - zu Recht - nicht geltend, weil sie am 6. Februar 1962 geboren ist und damit von vornherein nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten dieser Rente gehört (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI)).

3. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zutreffend verneint. Der Bescheid der Beklagten vom 29. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2017 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

a. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung (Gesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b. Die Klägerin hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin erwerbsgemindert ist. Bei der Beurteilung ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit stehen im Vordergrund ihre Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet, mit denen sie ihr Klage- und Berufungsbegehren auch vorrangig begründet hat. Diese sind jedoch nicht von einer solchen Schwere, dass sie das Leistungsvermögen der Klägerin in zeitlicher Hinsicht einschränken. Vielmehr genügen qualitative Einschränkungen, um deren Leiden gerecht zu werden. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf das vom SG bei Dr. N. eingeholte Gutachten sowie das im Verwaltungsverfahren erstattete Gutachten des Dr. B ...

Die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet rechtfertigen keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht. Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 7. August 2017 nebst ergänzender Stellungnahme vom 2. Oktober 2017 eine multiple Sklerose mit schubförmigen Verlauf und eine Anpassungsstörung mit längerer leichter depressiver Reaktion beschrieben. Eine wesentliche Abweichung von den durch Dr. B. erhobenen Befunden und gestellten Diagnosen hat er nicht gesehen. Dr. N. hat einen weitgehend normalen körperlich-neurologischen Befund dargestellt. So hat er u.a. einen guten Allgemein- und Ernährungszustand, einen normalen Blutdruck und Puls, eine normale Kopfbeweglichkeit, einen bei orientierender Prüfung normalen Visus, ein unauffälliges Gesichtsfeld, einen unauffälligen Augenhintergrund, eine intakte Augenbewegung, einen lebhaften Lidschlussreflex, die Angabe von Parästhesien der linken Gesichtshälfte und Hypästhesien am Unterarm und Handrücken rechts bei ansonsten regelrechter Sensibilität, ein regelrechtes Hören, einen kräftigen Musculus sternocleidmastoideus und Musculus trapezius ohne Atrophien, ein flüssiges Gangbild, ein zügiges und geschicktes An- und Auskleiden, eine mangelnde Willkürinnervation bei sämtlichen Kraftprüfungen mit abruptem Nachgeben, einen unauffälligen Zehen- und Hackengang, einen Finger-Boden-Abstand von drei Zentimetern, einen regelrechten Armhalteversuch, eine nicht beeinträchtige Fingermotorik, eine flüssige und unbeeinträchtigte Mobilität außerhalb der formellen Untersuchungssituation, eine regelrechte Koordination, einen zielsicheren Finger-Nase-Versuch, einen ungerichtet unsicheren Romberg, Unterberger und Seiltänzergang (bei entsprechender Ablenkung nachlassende Unsicherheit) sowie unauffällige Muskeleigenreflexe beschrieben und Doppelbilder, Nystagmus, Tinnitus, Schwindel, Paresen, Tonusanomalien, Muskelatrophien, einen paravertebralen Hartspann, einen Klopf- und Druckschmerz über der Wirbelsäule, eine Ataxie, eine Sprechstörung, einen Tremor sowie eine Blasen- und Mastdarmfunktionsstörung ausgeschlossen bzw. verneint. Im EEG und der Elektroneurographie haben sich unauffällige Befunde gezeigt. Dr. N. hat mithin - wie der behandelnde Facharzt Dr. E. (Befund vom 12. Dezember 2016) - keine belangvollen neurologischen Ausfallerscheinungen festgestellt. Ausweislich der Befundberichte der Neurologischen Klinik des U.- Klinik H. vom 13. Januar 2015 und 22. Juni 2016 stellt sich der Verlauf der im Mai 2010 erstmals diagnostizierten multiplen Sklerose als weitgehend stabil dar, zumal die Klägerin die ihr empfohlene Therapie nicht in Anspruch nimmt. Dr. N. hat in Auseinandersetzung mit den Vorbefunden und in Einklang mit dem durch ihn erhobenen Untersuchungsbefund zutreffend darauf hingewiesen, dass die ruhig verlaufende multiple Sklerose bisher nur geringfügige neurologische Defizite hervorgerufen hat.

Im psychischen Befund hat sich die Klägerin bei Dr. N. gepflegt, ruhig und gelassen, geordnet, freundlich offen, bewusstseinsklar, zur Person, zur Situation, zeitlich und örtlich voll orientiert, mit intaktem Lang- und Kurzzeitgedächtnis, mit unauffälliger Konzentration und Aufmerksamkeit, mit geordnetem formalen Denken, in streckenweise dysthymer Stimmung sowie mit unauffälligem Antrieb gezeigt und ihre Lebensdaten sicher referiert. Grübelneigung, inhaltliche Denkstörungen, Panikattacken, Phobien, Vermeidungsverhalten, Wahrnehmungsstörungen, Ich-Störungen, eine massive affektive Herabstimmung sowie Suizidalität hat Dr. N. nicht feststellen können. Dr. N. hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin im Rahmen der körperlich-neurologischen Untersuchung - wie bereits bei Dr. B. - eine mangelnde Mitarbeitsbereitschaft gezeigt hat. Sie hat Beschwerden und Einschränkungen demonstriert, die der Sachverständige nach entsprechender Ablenkung und außerhalb der formellen Untersuchungssituation nicht feststellen konnte. Weiterhin hat Dr. N. im Rahmen der neuropsychologischen Zusatzdiagnostik Hinweise für eine bewusstseinsnah verfälschende Darstellung von Limitationen und Beschwerden objektiviert. Auch hat die Klägerin in den kognitiven Leistungstest auffällige Werte erzielt, die üblicherweise nur bei an schwerer Alzheimer-Demenz Erkrankten zu finden sind und im Widerspruch zu dem durch Dr. N. erhobenen psychiatrischen Untersuchungsbefund stehen. Überzeugend hat Dr. N. eine schwergradige psychiatrische Störung sowie eine ausgeprägte Fatigue-Symptomatik ausgeschlossen.

Die Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten des Dr. N. überzeugen nicht. Soweit sie geltend macht, dass bei der Anamnese und Untersuchung die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache erforderlich gewesen sei, übersieht sie, dass ihre Kenntnisse der deutschen Sprache ausreichend sind, um ein sachgerechtes psychiatrisches Gutachten zu erstellen. So hat bereits der Arzt für Neurologie und Psychiatrie S. in seinem Gutachten vom 14. Dezember 2010 festgehalten, dass mit der Klägerin, die im Übrigen über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt, eine gute Verständigung in deutscher Sprache ohne Hilfe eines Dolmetschers möglich gewesen ist. Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 22. September 2016 darauf hingewiesen, dass die schwierige Anamneseerhebung nicht auf unzureichende deutsche Sprachkenntnisse der Klägerin zurückzuführen war, sondern auf ihr auffälliges Kommunikationsverhalten. Schließlich hat der behandelnde Nervenarzt Dr. E. in seinen Befundberichten vom 17. November 2016 und 20. Dezember 2016 ausdrücklich ausgeführt, dass mit der Klägerin eine Verständigung in deutscher Sprache für eine erfolgreiche (psychiatrische) Rehabilitation, die u.a. eine ausführliche Anamnese und psychiatrische Untersuchung umfasst, möglich ist. Soweit die Klägerin moniert, Dr. N. habe die von Dr. E. beschriebene Fatigue-Symptomatik nicht ausreichend gewürdigt, so übersieht sie, dass Dr. E. seine Annahme einer Fatigue-Symptomatik auf ihre Angaben über Kraftlosigkeit, rasche Erschöpfbarkeit, mangelnde Ausdauer und Konzentrationsstörungen gestützt hat, nicht jedoch auf klinische Untersuchungsbefunde. Denn die durch Dr. E. dokumentierten Untersuchungsbefunde vom 4. April 2016, 21. Juni 2016, 12. Dezember 2016 und 3. April 2017 enthalten gerade keine Feststellungen zur Konzentration, Aufmerksamkeit, Ausdauer etc. Auch ist nicht ersichtlich, dass Dr. E. die Angaben der Klägerin im Hinblick auf die objektiv feststellbaren Hinweise auf ihre verfälschende Darstellung von Limitationen und Beschwerden der erforderlichen Konsistenzprüfung unterzogen hat. Unter diesen Umständen ist die Leistungseinschätzung des Dr. E., der die Klägerin nur noch in der Lage sieht, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter drei Stunden werktäglich zu verrichten, nicht nachvollziehbar. Der Senat folgt den überzeugenden Leistungseinschätzungen der Gutachter Dr. B. und Dr. N., nach denen die Klägerin jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (ausgeschlossen sind Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, auf Leitern oder Gerüsten, mit regelmäßigem Treppensteigen, mit besonderer psychischer Belastung (besondere Anforderungen an Konfliktfähigkeit, überdurchschnittliche soziale Interaktionen), an gefährdenden Maschinen, mit Nacht- oder Wechselschicht) ausüben kann.

Auch die übrigen Gesundheitsstörungen begründen keine Leistungseinschränkungen in quantitativer Hinsicht. Bei der Klägerin liegen ausweislich der Stellungnahme der Augenärztin Prof. Dr. R. vom 2. Mai 2017 eine eingeschränkte Sehschärfe (rechts 70%, links 50%) und eine leichte konzentrische Einengung des rechten Gesichtsfelds vor, die jedoch lediglich zum (qualitativen) Ausschluss ganztägiger Bildschirmtätigkeiten führen. Prof. Dr. R. hat mit Schreiben vom 26. September 2017 über eine unveränderte zentrale Sehschärfe sowie eine erhöhte Licht- und Blendempfindlichkeit berichtet, sodass aus dieser Erkrankung weiterhin keine zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens folgt. Schließlich liegt bei ihr eine Schallempfindungsstörung beidseits vor (vgl. zuletzt Stellungnahme des Dr. B. vom 25. September 2017), ohne dass diese Erkrankung das berufliche Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht einschränkt (qualitativer Leistungsausschluss für "Lärmarbeit").

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats - in Übereinstimmung mit der Einschätzung aller Gutachter (Dr. B., Dr. N.) und der behandelnden Ärzte Prof. Dr. R. und Dr. B. - fest, dass die Klägerin in der Lage ist, noch mindestens sechs Stunden täglich jedenfalls eine körperlich leichte Tätigkeit zu verrichten. Die gesundheitlichen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte Tätigkeiten (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen; vorliegend für Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, mit besonderer psychischer Belastung, auf Leitern oder Gerüsten, mit regelmäßigem Treppensteigen, an gefährdenden Maschinen, mit Nach- oder Wechselschicht, mit Bildschirmtätigkeiten sowie mit Lärm) in wechselnder Körperhaltung mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z.B. Urteile vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 79/09 R - BSGE 109, 189 - und 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris Rdnr. 26 ff.). In der Rechtsprechung des BSG werden hierbei als Fallgruppen Einschränkungen genannt aufgrund schwerer spezifischer Leistungsbehinderung wie z. B. Einarmigkeit bei gleichzeitiger Einäugigkeit (SozR 2200 § 1246 Nr. 30), der Notwendigkeit von zwei zusätzlich erforderlichen Arbeitspausen von je 15 Minuten (SozR 2200 § 1246 Nr. 136) oder von drei zusätzlich erforderlichen Arbeitspausen von zehn Minuten je Arbeitstag (BSG, Urteil vom 20. August 1997 - 13 RJ 39/96 -), Einschränkungen bei Arm- und Handbewegungen, Erforderlichkeit eines halbstündigen Wechsels vom Sitzen zum Gehen (SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8) oder Einschränkungen aufgrund regelmäßig einmal in der Woche auftretender Fieberschübe (SozR 3-2200 § 1247 Nr. 14). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist dagegen insbesondere nicht erforderlich im Falle des Ausschlusses von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder ständiges Sitzen erfordern, in Nässe oder Kälte oder mit häufigem Bücken zu leisten sind, besondere Fingerfertigkeiten erfordern oder mit besonderen Unfallgefahren verbunden sind, bei Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst, an laufenden Maschinen, bei Ausschluss von Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- oder Konzentrationsvermögen stellen, sowie bei Ausschluss von Tätigkeiten, die häufiges Bücken erfordern (vgl. zu allem BSG Großer Senat SozR 3–2600 § 44 Nr. 8 m.w.N.; vgl. weiter Senatsurteil vom 23. April 2011 - L 7 R 5711/11 -). Der Senat ist der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen der Klägerin es dieser erlaubt, die oben genannten Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sie über die für die Ausübung einer ungelernten Tätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz nicht verfügt (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R -BSGE 109, 189 - juris Rdnr. 29).

Der Senat ist mit den Sachverständigen Dr. B. und Dr. N. weiter davon überzeugt, dass bei der Klägerin die erforderliche Wegefähigkeit (vgl. dazu bspw. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 79/11 R - BSGE 110, 1 -) vorliegt und sie keiner betriebsunüblichen Pausen bedarf. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI. Unbeachtlich ist, ob die Klägerin noch einen ihrem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz erhalten kann. Denn das Risiko, keinen Arbeitsplatz erhalten, ist nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen und vermag einen Rentenanspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht zu begründen.

Somit hat die Berufung keinen Erfolg.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved