S 22 AL 927/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AL 927/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Berufsausbildungsbeihilfe ab dem 01.08.2016 bis zum 10.12.2017.

Der am XX.XX.XXXX geborene Kläger ist gambischer Staatsangehöriger. Seine Eltern sind in den Jahren 2001 bzw. 2006 verstorben. Der Kläger hält sich seit September oder No-vember 2014 in Deutschland auf und erhielt auf seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zunächst eine Aufenthaltsgestattung, die ihm die Absolvierung einer Ausbil-dung ab dem 01.08.2016 erlaubte.

Zum 01.08.2016 nahm der Kläger eine dreijährige Ausbildung zum Mediengestalter bei der U in X auf. Im ersten Lehrjahr erhielt er eine monatliche Ausbildungsvergütung i.H.v. 250,- EUR brutto und im zweiten Lehrjahr i.H.v. 328,- EUR brutto. Der Kläger bewohnte eine Einzimmerwohnung in U und zahlte Miete i.H.v. 250,- EUR monatlich. Für die Pendelfahrten zur Aus-bildungsstätte entstanden ihm Fahrtkosten i.H.v. 114,- EUR monatlich.

Nach einem ersten erfolglosen Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe im Juni 2016 stellte er am 12.08.2016 erneut einen Antrag. Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.09.2016 mit der Begründung ab, dass der Kläger nicht zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 04.10.2016 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2016 als unbegründet zurück und führte im Wesentlichen aus, dass der Kläger nicht zum förderungsfähigen Personenkreis gehöre, da er weder über eine Duldung verfüge noch sich seit mindestens fünf Jahren in Deutschland aufhalte. Auch bestehe kein Anspruch aufgrund des seit dem 06.08.2016 neu geltenden § 132 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), da er nicht aus einem Land mit guter Bleibeperspektive stamme. Die Gesamtschutzquote für Gambia liege nicht bei über 50 Prozent.

Mit Bescheid vom 16.11.2017 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihm die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Asylgesetz (AsylG) zu. Am 11.12.2017 erteilte ihm die zuständige Ausländerbehörde die Aufenthaltsgenehmigung nach § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Bereits am 09.11.2016 hat der Kläger Klage erhoben und begründet diese im Wesentlichen damit, dass er die Voraussetzungen für Berufsausbildungsbeihilfe direkt oder analog erfülle. Wäre sein Asylantrag von Anfang an abgelehnt worden, hätte man ihm eine Duldung erteilt, mit der er zum förderungsfähigen Personenkreis gehört hätte. Darüber hinaus bestehe eine gute Bleibeperspektive. Dies habe ihm Herr L von der Ausländerbehörde des Kreises U in einer E-Mail bestätigt. Danach habe er schon aufgrund der Ausbildung eine sehr gute Blei-beperspektive, unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens. Im Übrigen sei es Ziel des Integrationsgesetzes, dass die Bleibeperspektive vorwiegend anhand von individuellen As-pekten geprüft und nicht abstrakt auf die vom BAMF ermittelte Schutzquote abgestellt wer-de. Seine gute Bleibeperspektive sei durch die spätere Erteilung der Aufenthaltsgenehmi-gung bestätigt worden.

Mit Änderungsbescheid vom 21.03.2018 hat die Beklagte dem Kläger Berufsausbildungs-beihilfe ab dem 11.12.2017 bis zum 31.07.2019 i.H.v. 460,- EUR monatlich bewilligt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.09.2016 in Gestalt des Wider-spruchbescheides vom 10.10.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.03.2018 zu verurteilen, ihm Berufsausbildungsbeihilfe auch für den Zeitraum vom 01.08.2016 bis 10.12.2017 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und führt ergän-zend aus, dass sie für die Erteilung einer Duldung nicht zuständig sei, sondern nur prüfen könne, ob eine vorliege, was bei dem Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung nicht der Fall gewesen sei. Nach den Maßgaben des BAMF gehöre Gambia auch nicht zu den Ländern mit guter Bleibeperspektive.

Wegen der weiteren Einzelheiten betreffend den Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genom-men. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene kombinierte Anfech-tungs- und Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger ist durch den Be-scheid vom 08.09.2016 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 10.10.2016 in der Fas-sung des Änderungsbescheides vom 21.03.2018 nicht beschwert, da dieser nicht rechts-widrig ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe für den Zeitraum vom 01.08.2016 bis zum 10.12.2017.

Gemäß § 56 Abs. 1 SGB III haben Auszubildende Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe während einer Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung förderungsfähig ist, sie zum förderungsfähigen Personenkreis gehören und die sonstigen persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt sind und ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrtkosten und die sonstigen Aufwendungen (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen.

Zwar absolvierte der Kläger im streitigen Zeitraum eine förderungsfähige Ausbildung zum Mediengestalter (§ 57 SGB III) und auch seinen Gesamtbedarf für den Lebensunterhalt, die Fahrtkosten und sonstige Aufwendungen i.H.v. insg. ca. 749,- EUR monatlich (§§ 61, 63, 64 SGB III) konnte er nicht durch die Ausbildungsvergütung i.H.v. 250,- EUR brutto im ersten Lehrjahr bzw. 328,- EUR im zweiten Lehrjahr decken (§ 67 SGB III).

Allerdings gehörte der Kläger nicht zum förderungsfähigen Personenkreis für die Berufs-ausbildungsbeihilfe i.S.d. § 59 SGB III. Insbesondere ist er im streitigen Zeitraum nicht nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 2 und 3 SGB III als Flüchtling anerkannt gewesen, ver-fügte nicht über eine Duldung i.S.d. § 60a AufenthG und hielt sich im Inland auch noch kei-ne fünf Jahre auf. Dabei kann es dahinstehen, ob er im Falle einer Ablehnung seines Asyl-antrags die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 60a AufenthG erfüllt hätte und diese ihm erteilt worden wäre, da er tatsächlich nicht über eine solche verfügte.

Auch aus der befristet anwendbaren und seit dem 06.08.2016 gültigen Sonderregelung des § 132 SGB III ergibt sich keine persönliche Berechtigung des Klägers zum Bezug von Be-rufsausbildungsbeihilfe, wobei ohnehin nur die Regelung in § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 SGB III in Betracht käme. Danach gehören zum förderungsfähigen Personenkreis mit Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe gem. §§ 56, 59 und 122 SGB III auch Auslän-derinnen und Ausländer, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwar-ten ist, wenn ihr Aufenthalt seit mindestens 15 Monaten gestattet ist. Bei einer Asylbewer-berin oder einem Asylbewerber, die oder der aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a AsylG stammt, wird vermutet, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwarten ist. Die oder der Auszubildende wird bei einer Berufsausbildung ergänzend zu § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nur mit Berufsausbildungsbeihilfe gefördert, wenn sie oder er nicht in einer Aufnahmeeinrichtung wohnt.

Zwar war der Aufenthalt des Klägers zu Beginn der Ausbildung mindestens seit 15 Mona-ten gestattet und er wohnte auch nicht in einer Aufnahmeeinrichtung. Dennoch ist bei ihm zur Überzeugung des Gerichts ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwar-ten gewesen, auch wenn der Herkunftsstaat des Klägers Gambia nicht zu den vom Ge-setzgeber gem. Art. 16a Abs. 3 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 29a Abs. 2, Anlage II AsylG normierten sicheren Herkunftsstaaten zählt, da für Gambia die Gesamtschutzquote nicht bei mindestens 50 Prozent liegt. Auch in den persönlichen Umständen des Klägers lagen keine Anhaltspunkte vor, die die Annahme eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts gerechtfertigt hätten.

Zwar fordern weder der Gesetzeswortlaut des § 132 Abs. 1 SGB III noch die diesbezügli-che Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8615, S. 31f.), das Abstellen auf eine Gesamt-schutzquote von mindestens 50 Prozent. Allerdings erschöpft sich die Gesetzesbegrün-dung in einer allgemeinen Darlegung des Zieles der Regelung und nimmt nur an einer Stelle Bezug darauf, dass Gestattete mit einer "guten Bleibeperspektive" von der Norm erfasst sein sollen. Was sich der Gesetzgeber hierunter genau vorstellt, lässt er jedoch offen.

Zur weiteren Ausfüllung dieser Kriterien ist daher die ausführlichere Gesetzesbegründung zum wortgleichen § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG heranzuziehen, in dem es um die Be-rechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs geht. Nach dieser Gesetzesbegrün-dung (BT-Drs. 18/6185, S. 48f.) ist ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nur bei den Asylbewerberinnen und Asylbewerbern zu erwarten, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgrei-chen Asylantrag besteht.

Dabei stellt die für die Anwendung des § 44 Abs. 4 AufenthG i.d.R. zuständige Verwal-tungsgerichtsbarkeit hinsichtlich der Frage der hohen Anerkennungsquote auf die Gesamt-schutzquote eines Landes ab und erachtet dies als ein taugliches Kriterium (vgl. u.a. BayVGH, Beschluss vom 21.02.2017, Az. 19 C 16.2204). Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer an (so auch SG Karlsruhe, Urteil vom 16.05.2018, Az. S 2 AL 715/18). Die Gesamtschutzquote eines Landes wird vom BAMF berechnet. Sie besteht u.a. aus der Anzahl der Asylanerkennungen, der Gewährung von Flüchtlingsschutz und der Feststellun-gen von Abschiebeverboten bezogen auf die Gesamtzahl der Entscheidungen in einem bestimmten Zeitraum. Ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfra-ge von Bundestagsabgeordneten lag im 2. bzw. 3. Quartal 2016 – also zum Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns des Klägers – die Gesamtschutzquote für Gambia bei nur 10 bis 20 Prozent (vgl. BT-Drs. 18/10575, S. 4-6). Eine hohe Anerkennungsquote, wie sie der Ge-setzgeber fordert, lag damit nicht vor, weshalb anhand dieses abstrakten Kriteriums seitens der Beklagten kein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt des Klägers zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Berufsausbildungsbeihilfe anzunehmen war.

Auch in der Person des Klägers liegende Gründe, die einen rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt erwarten ließen, waren bei Antragstellung für die Beklagte nicht erkennbar. In-soweit kann ausweislich der o.g. Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 Auf-enthG ein solcher Aufenthalt auch dann angenommen werden, wenn eine belastbare Prog-nose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht. Dabei muss der positive Ausgang des Asylverfahrens für die Beklagte jedoch offensichtlich, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, zu erwarten sein, da sie gerade nicht die Behörde ist, die das Bestehen eines tatsächlichen Aufenthaltsrechts zu prüfen hat. Würde sich, etwa weil der Sachverhalt feststeht und keinerlei differenzierende Würdigung erforderlich ist, der Erfolg konkret ab-zeichnen, mithin eine belastbare Prognose bestehen, müsste ein rechtmäßiger und dauer-hafter Aufenthalt angenommen werden. Eine solche sichere Prognose lag im Fall des Klä-gers jedoch bis zur Entscheidung des BAMF am 16.11.2017 für die Beklagte nicht vor. Die vom Kläger vorgelegte E-Mail von Herrn L, Abteilungsleiter für Migration und Aufenthalt des Kreises U, bescheinigt dem Kläger zwar eine gute Bleibeperspektive, stellt jedoch allein auf das konkrete Absolvieren der Ausbildung ab. Auf etwaige Fluchtgründe des Klägers wird nicht Bezug genommen und solche wurden vom Kläger auch der Beklagten gegenüber nicht vorgetragen und nachgewiesen. Dem Kläger wurde zwar am 16.11.2017 die Flücht-lingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuerkannt und am 11.12.2017 gem. § 25 Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, d.h. seine Flucht erfolgte aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Allerdings war dies für die Be-klagte zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also dem Erlass des Wider-spruchsbescheides, nicht erkennbar, so dass keine offensichtlichen Anhaltspunkte für ein erfolgreiches Asylverfahren bestanden.

Soweit der Kläger vorträgt, dass er nur aufgrund der verspäteten Bearbeitung seines Asyl-antrags durch das BAMF nicht früher zum förderungsfähigen Personenkreis für die Berufs-ausbildungsbeihilfe gehörte, mag das stimmen. Hätte man seinen Asylantrag zu Beginn der Ausbildung negativ beschieden, wäre ihm wohl eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erteilt worden und er wäre dem förderungsfähigen Personenkreis für Berufsaus-bildungsbeihilfe nach § 59 Abs. 2 SGB III unterfallen. Hätte er dagegen eine positive Be-scheidung zu Beginn der Ausbildung erhalten, wäre er nach § 59 Abs. 1 Nr. 6 SGB III dem förderungsfähigen Personenkreis für Berufsausbildungsbeihilfe unterfallen. Durch die Aner-kennung der Flüchtlingseigenschaft erst mit Bescheid vom 16.11.2017 und Ausstellung der Aufenthaltsgenehmigung am 11.12.2017 geschah dies verzögert. Dennoch sieht das Ge-richt hierin keinen Wertungswiderspruch. Der Gesetzgeber wollte mit der vorübergehend anwendbaren Regelung in § 132 SGB III im Rahmen der Flüchtlingskrise den anspruchsbe-rechtigten Personenkreis für Berufsausbildungsbeihilfe kurzfristig erweitern, ohne dabei jedoch jede Asylbewerberin und jeden Asylbewerber aufzunehmen. Dass der Gesetzgeber dabei die Asylbewerberinnen und -bewerber übersehen hat, die noch auf eine Entscheidung des BAMF warten, ist nicht ersichtlich. Es stand dem Kläger frei, die Ausbildung ohne Be-willigung der Berufsausbildungsbeihilfe aufzunehmen oder zunächst eine Entscheidung des BAMF abzuwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und trägt dem Unterliegen des Klä-gers Rechnung.

Die Berufung gegen dieses Urteil ist zulässig, da Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr begehrt werden (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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