S 16 SB 152/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
16
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 16 SB 152/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 SB 10/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 32/18 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von mehr als 50.

Der 1950 geborene Kläger ist kroatischer Staatsbürger und lebt in seinem Heimatland Kroatien. Der Kläger ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50, nachgewiesen durch Schwerbehindertenausweis des Versorgungsamtes München vom 11.03,1988, Az. xxx1. Der entsprechende Feststellungsbescheid existiert nicht mehr. Der Kläger bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd.

In 2013 wandte sich der Kläger an den Beklagten mit dem Ziel, seinen GdB höher einzustufen, da sein Zustand noch schlimmer geworden sei. Außerdem sei er auf seine Frau als Pflegeperson angewiesen, für die er Pflegegeld begehre. Mit Schreiben vom 23.05.2014 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass für die Frage, ob die Ehefrau ein Anrecht auf Pflegegeld habe, die Kranken- bzw. Pflegekasse zuständig sei. Durch Bescheid vom 20.01.2015 wies der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erhöhung des GdB zurück, da keine neuen ärztlichen Befundunterlagen vorgelegt worden seien. Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein, welcher durch Widerspruchsbescheid vom 20.04.2015 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Der Kläger hat hiergegen am 17.07.2015 vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, dass seine Behinderungen einen höheren GdB bedingten, und hat verschiedene ärztliche Unterlagen eingereicht Mit Schreiben vom 21.08.2015 hat das Gericht den Kläger unter Fristsetzung aufgefordert, konkret mitzuteilen, weshalb er einen höheren Grad der Behinderung (GdB) als 50 benötige, d. h. welche Institution oder Behörde ihm dann welchen Vorteil gewähren würde. Gleichzeitig wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch gerichtsbescheid gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Der Kläger trägt vor, er benötige einen höheren GdB, da man bestimmte Vorteile in Kroatien erst ab einem Invaliditätsgrad von 80 % in Anspruch nehmen könne, wie z. B. Geldleistungen für Ehepartner von Invaliden oder die Möglichkeit des Parkens auf Schwerbehindertenparkplätzen in Kroatien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 20.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen GdB von mehr als 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die getroffenen Feststellungen für zutreffend.

Zum Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Klägers bei dem Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist umfassend geklärt.

Die Beteiligten sind vorher zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden und haben nichts vorgetragen, was einer Entscheidung gemäß § 105 SGG entgegenstehen würde.

Die Klage ist zulässig, da sie insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben wurde.

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Der angegriffene Bescheid des Beklagten ist nicht aufzuheben, denn er ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50, weil er insoweit kein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis nachgewiesen hat. Gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch - 9. Buch - SGB IX stellen auf Antrag des Behinderten die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung (GdB) fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden auch die hierzu erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX).

Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind als GdB nach 10er Graden, abgestuft von 20 bis 100, festzustellen (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB IX). Entscheidend ist dabei das Ausmaß der objektiv messbaren Funktionsbeeinträchtigungen im Vergleich zu dem altersentsprechenden "Normalzustand", bezogen auf alle Lebensbereiche. Unmittelbare Rückschlüsse auf das Ausmaß der verbliebenen Leistungsfähigkeit in einem konkreten Beruf sind daraus nicht herzuleiten. Es ist grundsätzlich vom Ausmaß der Minderung der körperlichen Intaktheit auszugehen. Rein arbeitsmedizinische Gesichtspunkte spielen im Schwerbehindertenrecht keine unmittelbare Rolle, ebenso wie bei der gegenwärtigen Beurteilung gesundheitliche Entwicklungen, die erst in ferner Zukunft eintreten oder nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, außer Betracht zu lassen sind.

Bei dem Kläger ist bereits seit den 1980er Jahren eine Schwerbehinderung, also ein GdB von 50 festgestellt, nachgewiesen durch Ausweis des Versorgungsamtes München. Einen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50 hat der Kläger nicht, denn er gehört insoweit nicht zu dem nach dem 2. Teil des SGB IX berechtigten Personenkreis.

Der nach dem 2. Teil des SGB IX berechtigte Personenkreis umfasst alle schwerbehinderten Menschen, die rechtmäßig in Deutschland ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder ihren Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX haben. Die Staatsangehörigkeit spielt hierbei keine unmittelbare Rolle. Eine anderslautende Regelung wäre im EU-Bereich auch mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWG-VO Nr. 1612/68 unvereinbar (vgl. EuGH Urteil vom 13. Dezember 1972 - Rs 44/72 = AP Nr. 4 zu Art. 177 EWGV = DVB1. 74, 479).

Die Anknüpfung an Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigung als Arbeitnehmer in Deutschland unterstreicht aber den erforderlichen Inlandsbezug der Stellung als schwerbehinderter Mensch ("Territorialitätsprinzip"). Wer ausschließlich im Ausland wohnt und arbeitet, kann nicht als Schwerbehinderter nach dem SGB IX anerkannt werden, auch wenn vertraglich die Anwendbarkeit deutschen Arbeitsrechts vereinbart wurde (BAG Urteil vom 30. April 1997 - 2 AZR 192/86 = BAGE 55, 236 = NJW 1987, 2766 = NZA 1988, 135 = BehindertenR 1987, 137). Ein im Ausland wohnender behinderter Mensch kann das Feststellungsverfahren nach § 69 SGB IX nur zur Ermöglichung konkreter inländischer Rechtsvorteile in Anspruch nehmen.

Geht es nur um den Nachweis einer Behinderung gegenüber ausländischen Stellen, muss der behinderte Mensch auf die Möglichkeit entsprechender Feststellungen durch die für seinen Wohnort im Ausland zuständigen Stellen verwiesen werden (BSG Urteil vom 5. Juli 2007- B 9/9 a SB 2/06 R, zit. nach JURIS; SG Lüneburg Gerichtsbescheid vom 9. April 2008 - S 15 SB 105/05, zit. nach JURIS). Insoweit reicht auch eine abstrakte, also rein theoretische Möglichkeit der Inanspruchnahme rechtlicher Vorteile im Inland nicht aus. Vielmehr lässt sich eine Durchbrechung des Territorialitätsprinzips nur dann rechtfertigen, wenn dem behinderten Menschen trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können (BSG Urteil vom 5. Juli 2007 a. a. 0.; SG Lüneburg Gerichtsbescheid vom 9. April 2008 a. a. 0.) Anders ist dies, wenn Arbeitnehmer im Rahmen eines in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland entsandt werden, sofern die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. Denn nach dem "Ausstrahlungsprinzip" des § 4 SGB IV gelten auch für diesen Personenkreis die inländischen sozialrechtlichen Vorschriften (vgl. z. B. BSG Urteil vom 4. Juli 1962 -3 RK 53/58 = BSGE 17, 173 = NJVV 1962, 2124 = SozR Nr 33 zu § 165 RVO). Bei Rückkehrwillen des Arbeitnehmers wird eine Befristung von bis zu fünf Jahren regelmäßig anzuerkennen sein. Diese Grundsätze sind auch auf das Schwerbehindertenrecht anzuwenden (GK- SGB / Schimanski Rdnr. 157).

Der Kläger hat auch auf ausdrücklichen Hinweis nicht dargelegt, dass ihm durch die Feststellung eines höheren GdB als der derzeit anerkannte GdB von 50 in Deutschland also im Inland – ein konkreter Vorteil erwachsen würde. Auf eventuelle Vorteile in Kroatien kommt es nicht an.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved