L 4 KA 8/15

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 16 KA 227/11
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 8/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 15/18 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 und der Bescheid vom 19. Mai 2011 aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 849.039,72 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Regress wegen der Arzneimittelverordnungen der Klägerin im Jahr 2007, den der Beklagte im Wege der Richtgrößenprüfung festgesetzt hatte.

Die Klägerin ist eine seit dem Quartal I/2007 bestehende überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft zweier Orthopäden. Ihr Mitglied Dr. Z war von 2002 bis September 2007 im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung für orthopädische Rheumatologie mit der Zusatzbezeichnung für Osteologie tätig, vor Gründung der Klägerin in einer Einzelpraxis.

Die Prüfungsstelle der Vertragsärzte und Krankenkassen in Schleswig-Holstein (Prüfungsstelle) teilte der Klägerin mit Schreiben vom 8. September 2009 mit, dass ihre Verordnungen von Arznei- und Verbandmitteln im Jahr 2007 das Richtgrößenvolumen um 603,86 % überschritten habe. Sie bat hierzu um Stellungnahme. Die Klägerin rügte den Umfang des Verordnungsvolumens, das Auswahlverfahren für die Richtgrößenprüfung, die verspätete Festlegung der Richtgrößen, die Zuordnung der Verordnungsdaten und angesichts erfolgter Einzelfallprüfungen für das Jahr 2007 die Durchführung von Doppelprüfungen. Ferner machte sie die Behandlungen von Rheuma- und Osteoporosepatienten als Praxisbesonderheiten geltend. Die Prüfungsstelle bot der Klägerin am 16. November 2009 eine individuelle Richtgrößenvereinbarung für Arznei- und Verbandmittel an (Mitglieder: 10,22 EUR, Familienangehörige: 3,92 EUR, Rentner: 19,11 EUR). Das Angebot nahm die Klägerin nicht an. Mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 setzte die Prüfungsstelle für den Mehraufwand an Verordnungen einen Regress in Höhe von 1.117.102,58 EUR netto fest. Für die Quartale des Jahres 2007 wurden daneben Einzelfallprüfungen wegen der Arzneimittelverordnungen durchgeführt.

Dagegen legte die Klägerin am 17. Dezember 2009 Widerspruch ein. Sie verwies darauf, dass die Richtgrößenprüfung für das Jahr 2006 gegenüber Dr. Z keine Unwirtschaftlichkeit der Arzneimittelverordnungen ergeben habe. Die mehrfache Überprüfung derselben Quartale auf unwirtschaftliche Verordnungen sei unzulässig. Sie machte die Behandlung von Rheumapatienten mit TNF-Alpha-Inhibitoren und die Behandlung von Osteoporosepatienten mit dem Medikament Forsteo als Praxisbesonderheiten geltend. Hierzu machte sie Ausführungen zu der Anwendung der Medikamente. Insbesondere bei den TNF-alpha-Inhibitoren handle es sich um eine neue Arzneimittelgruppe, die auf molekularbiologischer Grundlage unter Nutzung der Gentechnologie hergestellt werde. Sie stellten seither eine wichtige Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten bei chronisch-entzündlichen Gelenkerkrankungen dar.

Mit Bescheid vom 19. Mai 2011 reduzierte der Beklagte den Regress auf 849.039,72 EUR. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Aufgreifkriterien für eine Richtgrößenprüfung seien erfüllt. Der Praxisschwerpunkt Rheumatologie der Klägerin könne nur bedingt als Praxisbesonderheit anerkannt werden. Dr. Z habe Patienten mit rheumatischen Erkrankungen regelmäßig mit den Medikamenten Humira (Wirkstoff Adalimimab) und Enbrel (Wirkstoff Etanercept) behandelt. Dies seien außergewöhnlich teure TNF-alpha-Inhibitoren, deren wirtschaftlicher Einsatz nach den Therapieempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) oder nach den Therapiehinweisen gemäß den Arzneimittel-Richtlinien an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft sei. Gemäß Anlage 3 zur Richtgrößenvereinbarung 2006 dürften sie nur fallbezogen und indikationsabhängig und nur unter der Voraussetzung als Praxisbesonderheit berücksichtigt werden, dass zuvor die bei der Prüfungsstelle eingerichtete paritätisch besetzte Zweitmeinungskommission den zulassungskonformen und indikationsgerechten Einsatz dieser Wirkstoffe geprüft und bestätigt habe. Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Prüfung sei für keinen der 2007 mit den Medikamenten behandelten Patienten ein Zweitmeinungsverfahren beantragt worden. Nachträglich habe die Klägerin Anträge für 30 Patienten gestellt, hiervon habe die Kommission in 23 Fällen eine positive Bewertung abgegeben. Von diesen 23 Fällen seien 2007 nur 18 durch Dr. Z medikamentös behandelt worden, davon wiederum 15 im Rahmen einer TNF-alpha-Therapie. Die Kosten hierfür seien bei dem Regress berücksichtigt worden. Ferner seien die Kosten für das Medikament Enbrel für 2 Patienten herausgerechnet worden, für die zwar kein Zweitmeinungsverfahren beantragt worden sei, bei denen jedoch auf Antrag der Krankenkasse eine Einzelfallprüfung eine wirtschaftliche Verordnungsweise ergeben habe. Unter Berücksichtigung dieser Kosten reduziere sich der Regress auf die festgesetzte Summe. Zu Unrecht verweise Dr. Z darauf, dass er selbst Zweitmeinungsarzt sei. Dies entbinde ihn nicht von der Durchführung des Zweitmeinungsverfahrens. Andere Antirheumatika seien bereits gemäß Anlage 2 der Richtgrößenvereinbarung oder in deren analoger Anwendung aus dem Verordnungsvolumen herausgerechnet worden. Auch die osteologische Tätigkeit von Dr. Z könne nur eingeschränkt als Praxisbesonderheit anerkannt werden. Die Behandlung von Osteoporose sei grundsätzlich eine originäre orthopädische Behandlung, jedoch sei ein Mehrbedarf der Praxis der Klägerin für 91 Patienten anzuerkennen. Weitere 59 Patienten, für die ein Mehrbedarf zu berücksichtigen gewesen wäre, seien bereits als außergewöhnlich kostenintensive Fälle in vollem Umfang anerkannt worden. Über diese Mehrbedarfsberechnung hinaus könnten weitere Verordnungskosten nicht als Praxisbesonderheiten anerkannt werden. Für Mittel der Osteoporosebehandlung habe die Klägerin 2007 Gesamtkosten von 383.987,69 EUR aufgewendet, von denen etwa 90 % auf den relativ teuren Wirkstoff Teriparatid (Forsteo) entfalle. Hierzu habe der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) mit Wirkung vom 24. März 2007 einen Therapiehinweis beschlossen. Danach sei Teriparatid nur ein Mittel der zweiten Wahl für die Behandlung der manifesten Osteoporose, das lediglich definierten Ausnahmefällen vorbehalten bleiben solle. Die Kosten einer Tagestherapie hierfür überschritten die Kosten herkömmlicher Bisphosphonate um das 35 -fache. Ein Großteil der Verordnungen sei daher unwirtschaftlich. Die parallel vorgenommenen Einzelfallprüfungen für Forsteo und TNF-alpha- Inhibitoren bestätigten das Bild der Unwirtschaftlichkeit. Die Richtgrößensumme sei zutreffend berechnet worden. Für die Rabatte sei der pauschale Prozentsatz nach den Rabattverträgen abgezogen worden.

Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 23. Mai 2011 beim Sozialgericht Kiel Klage erhoben. Sie hat gerügt, für 2007 seien Richtgrößen nicht rechtzeitig bekannt gegeben worden. Vielmehr hätten die Richtgrößen für das Jahr 2006 fortgegolten, obwohl diese um 9,1 % hätten angepasst werden müssen. Für spezialisierte Bereiche seien Richtgrößen überhaupt kaum darstellbar. Bundesweite Erhebungen hätten hierbei Abweichungen in den maßgeblichen Größen bis zu 100 % ergeben. Die Definition von Praxisbesonderheiten sei durch die unterschiedlichen Abweichungen gar nicht möglich. Die Klägerin hat das Verordnungsvolumen bestritten. Die Rabattverträge mit den Apotheken seien nicht offen gelegt worden. Ferner seien die Zuzahlungen und die Abzüge nach § 130 a Abs. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht herausgerechnet worden. In zahlreichen Fällen habe sie die aut-idem-Regelung angewandt. Die tatsächlichen Abzugsbeträge der Apotheken seien nicht bekannt. Die Beklagte habe die Praxisbesonderheiten, die sie selbst hätte feststellen müssen, nicht hinreichend quantifiziert und berücksichtigt. Dabei sei es fehlerhaft, die Verordnung von Medikamenten zwingend von einem Zweitmeinungsverfahren abhängig zu machen. Ein solches sei nur landesrechtlich, nicht aber bundesrechtlich vorgesehen, da auf Bundesebene rechtliche Bedenken gegen ein obligatorisches Zweitmeinungsverfahren bestanden habe. Die Anlage 3 zur Richtgrößenvereinbarung besage im Übrigen lediglich, dass Erkenntnisse aus Zweitmeinungsverfahren zu berücksichtigen seien, diese Verfahren seien jedoch nicht obligatorisch durchzuführen. Im Übrigen seien ihre Ärzte selbst Spezialisten; daher sei die Durchführung eines Zweitmeinungsverfahrens überflüssig. Da ihr die Patienten überwiesen würden, hätten sich bereits zwei Ärzte über die Arzneimittelbehandlung abgestimmt. Tatsächlich seien Zweitmeinungsverfahren durchgeführt worden, deren Ergebnisse der Beklagte jedoch nicht berücksichtigt habe. Sie behandle zwar nur wenige Fälle mit Forsteo und TNF-alpha-Inhibitoren. Diese verursachten jedoch einen sehr großen Kostenaufwand. Sogenannte Verdünnerscheine fehlten bei ihr, da sie chronische Erkrankungen behandle. 50 Patienten verursachten Kosten von über 1 Million EUR. Bezeichnenderweise sei die Richtgröße für Arzneimittel der internistischen Rheumatologen um ein Vielfaches höher als die der orthopädischen Rheumatologen. Insofern werde sie der falschen Prüfungsgruppe zugerechnet, die nicht homogen sei. Sie behandle viele chronische Patienten. In Schleswig-Holstein gebe es nur vier rheumatologisch tätige Ärzte. Es sei dabei fraglich, ob diese anderen auch Osteoporose-Patienten behandelten. Unter Anwendung der Richtgröße für die internistischen Rheumatologen ergäbe sich für sie ein Verordnungsvolumen von 1.075.038,81 EUR, tatsächlich seien nur 108.420,85 EUR als Richtgröße zu Grunde gelegt worden. In anderen KV-Bezirken seien eigene Gruppen für Rheumatologen gebildet worden. Zu Unrecht habe der Beklagte 91 Osteoporose-Patienten zwar als Praxisbesonderheit anerkannt, jedoch nur mit einem Mehranteil herausgerechnet; richtigerweise hätten diese vollständig berücksichtigt werden müssen. Sie behandele die Patienten mit Bisphosphonaten, die sehr kostenintensiv seien. Daher würden sie in anderen KV-Bezirken vollständig als Besonderheit berücksichtigt. Zu Unrecht habe der Beklagte das Medikament Forsteo nicht ebenfalls als Besonderheit anerkannt. In anderen KV-Bezirken würden TNF-alpha-Inhibitoren als Medikamente für die Behandlung rheumatischer Patienten grundsätzlich aus den Arzneimittelverordnungen herausgerechnet. Die Klägerin hat darüber hinaus gerügt, dass über eine individuelle Richtgröße nicht verhandelt worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2011 aufzuheben, soweit aufgrund der Richtgrößen-Prüfung für Arznei- und Verbandmittel für das Jahr 2007 ein Regress festgesetzt worden ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat ausgeführt, für 2007 hätten die Richtgrößen des Jahres 2006 fortgegolten. Richtgrößen gälten nach der Rechtsprechung des BSG, bis eine neue Vereinbarung in Kraft trete. Im Übrigen sei für 2007 eine Best-Regelung zugunsten der Klägerin angewandt worden. Wenn sich bei retrospektiver Betrachtung höhere Richtgrößen-Beträge als bei der prospektiven Ermittlung ergeben habe, seien die höheren Beträge für die Richtgrößenprüfung 2007 herangezogen worden. Spezialpraxen seien durch die Bildung der Richtgrößen nicht benachteiligt. Die Klägerin habe 2007 Verordnungskosten von insgesamt 2.011.972,11 EUR gehabt, von denen 1.474.166,20 EUR auf die TNF-alpha-Inhibitoren entfallen seien. Wären diese Medikamente indikationsgerecht und vereinbarungskonform verordnet worden und läge eine positive Zweitmeinung vor, wären ihre Verordnungen kostenneutral und würden als Praxisbesonderheit berücksichtigt. Dies gelte auch für eine weitere Reihe von Medikamenten, die die Klägerin verordnet habe, wie Ciclosporin, Methotrexat, Oxycodon u.a. Es verbiete sich ein Ländervergleich der Richtgrößen, da in den unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Modalitäten zur Bestimmung der Richtgrößen beständen. Praxisbesonderheiten ergäben sich nicht aus einem bestimmten Behandlungsverhalten, sondern aus den Erkrankungen der Patienten. Die Durchführung des Zweitmeinungsverfahrens beruhe auf einer Bundesempfehlung der kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zu Richtgrößen vom 21. Februar 2000. Nach der Prüfvereinbarung (PrüfV) sei es obligatorisch. Grundsätzlich sei die Teilnahme am Zweitmeinungsverfahren zwar freiwillig. Jedoch müsse jeder Vertragsarzt, der TNF-alpha-Inhibitoren verordne, wissen, dass im Fall einer Richtgrößenprüfung die Kosten für die Arzneimittel nur unter den konkret dargelegten Voraussetzungen für die Durchführung eines Zweitmeinungsverfahren anerkannt werden könnten. Angesichts einer Richtgrößensumme von 283.732,96 EUR und einem Verordnungsvolumen von 2.011.972,11 EUR habe die Klägerin erkennen können, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Richtgrößenprüfung durchgeführt werde. Das Zweitmeinungsverfahren sei auch für spezialisierte Ärzte zwingend. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Kommission für das Zweitmeinungsverfahren paritätisch besetzt sei. Das Verordnungsvolumen und der Nettoregress seien zutreffend berechnet worden. Die Abzüge nach § 106 Absatz 5c SGB V seien berücksichtigt worden. Die aut-idem-Regelung sei einem Vertragsbeitritt nach § 130 a Abs. 8 SGB V nicht gleichzusetzen. Die Datengrundlage für die Richtgrößenprüfung sei normgerecht erhoben worden. Es sei zu berücksichtigen, dass die verordneten Arzneimittel gegen Osteoporose nahezu vollständig berücksichtigt worden seien, unabhängig davon, ob ihre Verordnung wirtschaftlich sei. Dabei seien Kosten in Höhe von 383.987,69 EUR entstanden. Die besonders kostenintensiven Behandlungsfälle seien mit einem Volumen von 366.368,99 EUR pauschal berücksichtigt worden. Die Verordnungsweise von Dr. Z werde seit 2003 überprüft. Er habe am 27. November 2007 für 2003 eine individuelle Richtgrößen-Vereinbarung unterzeichnet, die in den Folgejahren mehrfach verlängert worden sei, zuletzt bis zum Quartal IV/2012. Mit Schreiben vom 16. November 2009 sei der Mehraufwand für 2007 mitgeteilt worden und der Klägerin sei zur Aussetzung der Regressfestsetzung die Verlängerung der bestehenden Richtgrößen-Vereinbarung angeboten worden. Es sei somit keine neue individuelle Richtgrößen-Vereinbarung auszuhandeln gewesen, sondern der Klägerin sei die Verlängerung der bereits bestehenden Richtgrößen-Vereinbarung vom November 2007 mit dem Ziel einer weiteren Aussetzung eines Regresses angeboten worden.

Das Sozialgericht Kiel hat mit Urteil vom 10. September 2014 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Richtgrößenvereinbarung sei wirksam zustande gekommen. Die Richtgrößen für das Jahr 2006 seien für das Jahr 2007 fortgeführt worden. Im Zuge der Neuberechnung der Richtgrößen für 2008 seien diejenigen für 2006 bzw. 2007 überprüft worden. Soweit sich bei der retrospektiven Korrektur der Richtgrößen für 2006/2007 höhere Beträge ergeben hätten, seien diese für die Richtgrößenprüfung 2007 zugunsten der Klägerin herangezogen worden. Die Anwendung der Richtgrößenvereinbarung sei nach den Darlegungen der Beklagten nicht zu beanstanden. Trotz der Spezialisierung ihrer Ärzte sei auch für die Klägerin das Zweitmeinungsverfahren durchzuführen, es sei nicht nur für Hausärzte verbindlich. Denn die Therapien mit den TNF-alpha-Inhibitoren dürften ausschließlich von entsprechend spezialisierten Fachärzten mit hinreichender Erfahrung durchgeführt werden, auf die sich folglich das Zweitmeinungsverfahren beziehe. Da Dr. Z selbst im Zweitmeinungsverfahren tätig sei, müsse ihm die Bedeutung des Verfahrens bekannt sein. Es sei für die Kammer nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin nicht für alle Patienten, denen TN F-alpha-Inhibitoren verordnet worden seien, Zweitmeinungsverfahren habe durchführen lassen.

Gegen die ihren Prozessbevollmächtigten am 12. Februar 2015 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, die am 11. März 2015 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. In Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vortrags rügt die Klägerin erneut die mehrfache Überprüfung der Arzneimittelverordnung in unterschiedlichen Prüfverfahren. Ein mehrfacher Regress sei nicht zulässig. Tatsächlich sei eine individuelle Richtgröße für das Jahr 2007 nicht ausgehandelt worden. Es sei ihr zwar der Entwurf vom 16. November 2009 übersandt worden, der sich aber nur die vorbestehende Richtgröße bezogen habe. Mit Schreiben vom 24. November 2009 sei um einen Erörterungstermin für die Richtgröße gebeten worden, die Verhandlung habe aber nicht stattgefunden. Tatsächlich sei ihr nur eine Fortführung der früheren individuellen Richtgrößenvereinbarung angeboten worden. Jedoch wäre eine echte Verhandlung hierüber erforderlich gewesen. Von Internisten würden keine Zweitmeinungsverfahren verlangt. In allen nachträglich durchgeführten Verfahren seien ihre Therapien als plausibel anerkannt und Zustimmungen für die Zukunft erteilt worden. Die Arzneimittelverordnungen für 2007 beträfen dieselben Patienten wie die der Folgejahre. Darüber hinaus seien Zweitmeinungsverfahren nicht obligatorisch, sondern lediglich optional. Der Beklagte müsse Praxisbesonderheiten eigenständig prüfen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 und den Bescheid vom 19. Mai 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er führt aus, doppelt festgesetzte Regresse seien zu berücksichtigen; das sei ständige Verfahrenspraxis. § 106 Absatz 5d Satz 1 SGB V erlaube keine individuelle Reduzierung des sich eigentlich errechnenden Regresses. Der Klägerin sei das Verfahren aus der Vergangenheit bekannt. Sie sei der richtigen Vergleichsgruppe zuordnet worden. Faktisch seien nahezu alle Arzneimittel für die Behandlung rheumatologischer Erkrankungen über die Anlagen der Richtgrößenvereinbarung entlastend berücksichtigt worden. Dadurch, dass spezifische Kosten aus dem Verordnungsvolumen herausgerechnet worden seien, sei die Vergleichbarkeit einer rheumatologisch ausgerichteten mit einer konservativ oder operativ ausgerichteten orthopädischen Praxis hergestellt. Die Einteilung der Richtgrößen beruhe auf vertraglichen Vereinbarungen und unterliege nicht dem Ermessen der Prüfgremien. Es sei daher richtig, Praxisbesonderheiten anzuerkennen, aus dem Verordnungsvolumen heraus zu rechnen und somit die Vereinbarkeit von Praxen mit unterschiedlichen Schwerpunkten herzustellen. Die Bewertung der individuellen Besonderheiten der Praxis erfolge in einem zweiten Schritt. Die Klägerin könne auch nicht mit einer internistischen rheumatologischen Praxis verglichen werden, denn die höheren Richtgrößen der Internisten seien nicht durch die kostenintensiven Rheumamedikamente, sondern durch die Kosten der grundsätzlichen internistischen Ausrichtung der Praxen begründet. Der Regress gegenüber der Klägerin beruhe im Wesentlichen darauf, dass die Verordnung von TNF-alpha-Inhibitoren an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft sei, die hier nicht erfüllt seien. Die Prüfvereinbarung und die Richtgrößenvereinbarung sähen die Durchführung von Zweitmeinungsverfahren verbindlich vor. Die Verordnung mehrerer rheumatologischer Wirkstoffe sei durch verbindliche Regelungen an eine positive Zweitmeinung geknüpft. Im Falle positiver Bewertungen im Zweitmeinungsverfahren seien die entsprechenden Verordnungen von der Verordnungssumme abgezogen worden. Über die Vertragsvereinbarungen hinaus seien dabei auch die Ergebnisse nachträglicher Zweitmeinungsverfahren berücksichtigt worden.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die Verfahrensakte und die Akte L 4 KA 9/15 ER verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz statthaft und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingegangen.

Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat der Beklagte als Ergebnis einer Richtgrößenprüfung für das Jahr 2007 einen Regress in Höhe von 849.039,72 EUR gegen die Klägerin festgesetzt. Der Bescheid vom 19. Mai 2011 ist rechtswidrig. Der Berufung war daher stattzugeben und das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 11. September 2014 sowie der angefochtene Bescheid waren aufzuheben.

Rechtsgrundlage für die Richtgrößenprüfung sind § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V i.V.m. § 7 der zwischen den Verbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein geschlossenen Prüfvereinbarung (PrüfV) 2006 sowie die zwischen ihnen geschlossenen Richtgrößenvereinbarungen vom 6. Juli 2006 und 21. November 2007. § 106 Abs. 2 Nummer 1 SGB V sieht die Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch eine arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreiten der Richtgrößenvolumina nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung) vor. Gemäß § 84 Abs. 1 SGB V schließen die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit der Kassenärztlichen Vereinigung zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung mit Arzneimitteln zum 30. November für das jeweils folgende Kalenderjahr eine Arzneimittelvereinbarung. Gemäß § 84 Abs. 6 SGB V vereinbaren die vorgenannten Vertragspartner zum 15. November für das jeweils folgende Kalenderjahr zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verordneten Leistungen nach § 31 SGB V arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Abs. 1 getroffenen Arzneimittelvereinbarung. Zusätzlich sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen. Die Richtgrößen leiten den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arzneimitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens löst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Absatz 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus.

Für das Jahr 2007 haben die Vertragspartner in Schleswig-Holstein keine Richtgrößenvereinbarung abgeschlossen. Für das Jahr 2006 galt die Richtgrößenvereinbarung vom 6. Juli 2006, für das Jahr 2008 die vom 21. November 2007. Die Anlage 4 der Richtgrößenvereinbarung vom 6. Juli 2006 sah für die Fachgruppe der Orthopäden, der die Klägerin zuzuordnen ist, für Mitglieder eine Richtgröße i.H.v. 8,46 EUR, für Familienversicherte eine Richtgröße i.H.v. 4,02 EUR und für Rentner eine Richtgröße i.H.v. 17,20 EUR vor. Die Anlage 5 der Richtgrößenvereinbarung vom 21. November 2007 sah für die Fachgruppe für Mitglieder eine Richtgröße i.H.v. 8,68 EUR, für Familienangehörigen eine Richtgröße i.H.v. 4,22 EUR und für Rentner eine Richtgröße i.H.v. 17,68 EUR vor. Die Werte der Ergänzungsvereinbarung zur Richtgrößenvereinbarung 2008 vom 21. April 2008 kommen hier nicht zur Anwendung, denn sie galten erst für das 2. Halbjahr 2008. Die Beklagte hat ausgeführt, dass sie in Ermangelung einer Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 2007 eine Günstigkeitsregelung angewandt hat, d.h. dass die jeweiligen höheren Werte aus den Vereinbarungen 2006 und 2008 herangezogen worden sind. An dieser Vorgehensweise, die von der Klägerin nicht bestritten wird, ist aus Sicht der Klägerin nichts zu beanstanden, da sie zu ihren Gunsten erfolgte.

Gemäß § 106 Abs. 5 SGB V entscheidet die Prüfungsstelle, welche Maßnahmen bei einem Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot zu treffen sind. Dabei sollen gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Gegen die Entscheidung der Prüfungsstelle können sowohl die Ärzte als auch die Verbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung den Beklagten anrufen. Die Regelungen des sozialgerichtlichen Vorverfahrens sind insoweit anzuwenden. Gemäß § 106 Absatz 5a SGB V werden Beratungen durchgeführt, wenn das Verordnungsvolumen eines Arztes das maßgebliche Richtgrößenvolumen in einem Kalenderjahr um mehr als 15 % übersteigt. Bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % hat der Vertragsarzt nach Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Die Prüfungsstelle soll vor ihren Entscheidungen und Festsetzungen auf eine entsprechende Vereinbarung mit dem Vertragsarzt hinwirken, die eine Minderung des Erstattungsbetrages um bis zu 1/5 zum Inhalt haben kann. Gemäß § 106 Absatz 5c SGB V setzt die Prüfungsstelle den den Krankenkassen zustehenden Betrag nach § 106 Absatz 5a SGB V fest. Die nach Maßgabe der Gesamtverträge zu entrichtende Vergütung verringert sich um diesen Betrag. Die Kassenärztliche Vereinigung hat in der jeweiligen Höhe Rückforderungsansprüche gegen den Vertragsarzt, die der an die Kassenärztliche Vereinigung zu entrichtenden Vergütung zugerechnet werden. Gemäß § 106 Absatz 5b SGB V wird ein zu erstattender Mehraufwand nicht festgesetzt, soweit die Prüfungsstelle mit dem Arzt eine individuelle Richtgröße vereinbart, die eine wirtschaftliche Verordnungsweise des Arztes unter Berücksichtigung der Praxisbesonderheiten gewährleistet. Die individuelle Richtgröße ist für den Zeitraum von 4 Quartalen zu vereinbaren und für den folgenden Zeitraum zu überprüfen. Gemäß § 106 Abs. 2 Satz 7, 2. Halbsatz SGB V muss die Festsetzung eines den Krankenkassen zu erstattenden Mehraufwandes nach Absatz 5a innerhalb von 2 Jahren nach Ende des geprüften Verordnungszeitraums erfolgen.

Die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Regresses wegen der Arzneimittelverordnungen der Klägerin im Jahr 2007 sind dem Grunde nach erfüllt.

Die Verordnungen der Klägerin überschritten 2007 den Fachgruppendurchschnitt um mehr als 25 %. Die Klägerin ist zu Recht der Fachgruppe der Orthopäden zugerechnet worden. Die Fachgruppeneinteilung ergibt sich jeweils aus den Anlagen 1 der Richtgrößenvereinbarungen für die Jahre 2006 und 2008. Darin ist eine Unterscheidung der Fachgruppe der Orthopäden nicht vorgenommen worden und insbesondere keine Gruppe der rheumatologisch tätigen Orthopäden vorgesehen. Eine Differenzierung und eine spezielle Fachgruppe für Rheumatologen sehen die Fachgruppeneinteilungen lediglich bei den Internisten vor. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Einteilungen in den Anlagen 1 ist diese Differenzierung für die Fachgruppe der Internisten auf Orthopäden nicht entsprechend anzuwenden. Die Fachgruppeneinteilung ist für die Klägerin verbindlich; dies ergibt sich aus § 95 Abs. 4 Satz 2 SGB V. Danach sind für die Vertragsärzte die vertraglichen Bestimmungen über die vertragsärztliche Versorgung verbindlich. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin darauf, dass infolge ihrer vornehmlich rheumatologischen und osteologischen Behandlung der Patientinnen und Patienten eine Vergleichbarkeit mit der Gruppe der übrigen Orthopäden nicht gegeben sei. Bei der Festsetzung der Fachgruppen in den Anlagen 1 zu den Prüfvereinbarungen steht den Vertragspartnern ein Ermessensspielraum zu. Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragspartner diesen Spielraum überschritten haben, sieht der Senat nicht. Es ist nicht zu beanstanden, dass die verschiedenartig tätigen Vertragsärzte zu gemeinsamen Arztgruppen zusammengefasst werden und dass die Unterschiede der Behandlungsspektren im Rahmen von Praxisbesonderheiten berücksichtigt werden (vergleiche dazu BSG vom 28. Oktober 2015 – B 6 KA 45/14 R – SozR4-2500 § 106 Nr. 53). Entsprechend wurde auch im Fall des Klägers verfahren, indem die rheumatologische Tätigkeit als Praxisbesonderheit anerkannt wurde und die dafür erfolgten Arzneiverordnungen aus dem Gesamt-Verordnungs-volumen herausgerechnet wurden. Dass es dabei zu keiner weitergehenden Berücksichtigung der Verordnungen der Arzneimittel Forsteo und TNF-alpha-Inhibitoren kam, hat nur zum Teil seine Begründung im Wirtschaftlichkeitsgebot, sondern überwiegend darin, dass nach Auffassung des Beklagten die Voraussetzungen für die Verordnungen nicht erfüllt waren. Der Beklagte oder die Prüfungsstelle haben es auch nicht fehlerhaft unterlassen, mit der Klägerin eine Vereinbarung gemäß § 106 Absatz 5a Satz 4 SGB V abzuschließen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob – wie die Klägerin vorträgt – entsprechend geführte Gespräche lediglich eine Verlängerung der vorher bereits bestehenden entsprechenden Vereinbarungen zum Gegenstand hatten. Denn § 106 Absatz 5a Satz 4 SGB V sieht lediglich eine Reduzierung des Regressbetrages um höchstens 1/5 vor. Indem der Beklagte der Klägerin eine entsprechende Reduzierung anbot, war sein gesetzlicher Entscheidungsspielraum ausgeschöpft. Weiterer Verhandlungsgespräche bedurfte es daher nicht mehr. Die Regressfestsetzung ist auch nicht nach § 106 Absatz 5a SGB V verfristet, denn die Frist von 2 Jahren des § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V ist eingehalten. Die Entscheidung der erstinstanzlichen Prüfungsstelle ist fristwahrend, es kommt nicht auf die Entscheidung des Beklagten innerhalb der gesetzlichen Frist an (BSG vom 16. Juni 1993 B 6 RKa 37/91 - juris zur vorher geltenden richterlich entwickelten 4 Jahresfrist). Für den Beginn der Ausschlussfrist hat das BSG unter Geltung der richterrechtlich entwickelten 4 Jahresfrist auf das Ende des geprüften Verordnungszeitraums abgestellt, wobei der Verordnungszeitraum im allgemeinen ein Quartal betrifft, in Sonderfällen aber mehrere Quartale umfassen kann (BSG vom 18. August 2010 - B 6 KA 14/09 und vom 14. April 2014 - B 6 KA 13/13 R - jeweils juris). Bei Richtgrößenprüfungen ist auf ein volles Kalenderjahr als Verordnungszeitraum abzustellen, denn § 106 Abs. 2 Satz 5 SGB V sieht vor, dass die Prüfung der Richtgrößenvolumina für den Zeitraum eines Jahres durchzuführen ist. Dies ist in § 7 Absatz 3 PrüfV dahingehend spezifiziert, dass auf alle 4 Quartale eines Kalenderjahres abzustellen ist. War somit eine kalenderjährliche Prüfung vorgesehen, endete der maßgebliche Zeitraum am 31. Dezember 2007 (vergleiche Urteil des Senats vom 14. Juni 2016 – L 4 KA 3/14). Der Bescheid der Prüfungsstelle vom 14. Dezember 2009 erging daher fristgerecht.

Indem der Senat trotz der gegebenen Voraussetzungen für einen Regress wegen der Verordnungen von Arznei- und Heilmitteln im Jahr 2007 die Regressfestsetzung des Beklagten als rechtswidrig ansieht, berücksichtigt er, dass der Beklagte wegen der Arzneimittelverordnungen derselben Quartale Wirtschaftlichkeitsprüfungen in Form von Einzelprüfungen vorgenommen und dabei Regresse festgesetzt hat, die sich jedenfalls zum Teil mit dem Regress im Rahmen der Richtgrößenprüfung überschneidet, ohne dass gewährleistet ist, dass die Klägerin nicht wegen der doppelten Regressfestsetzung doppelt in Anspruch genommen wird.

Dem Regress in dem Bescheid vom 19. Mai 2011 liegen die gesamten Arzneimittelverordnungen der Klägerin der Quartale des Jahres 2007 zu Grunde. Wegen derselben Quartale führte der Beklagte ferner Einzelfallprüfungen im Sinne des § 10 PrüfV 2006 durch. Die Beigeladenen hatten diese für die 4 Quartale am 7. Dezember 2007 sowie 14. März, 7. Juli und 16. September 2008 beantragt. Die Prüfungsstelle setzte mit Bescheid vom 12. September 2008 wegen der Verordnung des Arzneimittels Forsteo zulasten der AOK u.a. in den Quartalen I bis IV/2007 einen Regress fest, der Gegenstand des bei dem Senat anhängigen und am selben Tag entschiedenen Berufungsverfahrens L 4 KA 11/15 ist. Mit weiteren Bescheiden vom 12. September 2008, 21. September 2009 und 25. August 2010 setzte die Prüfungsstelle für die Verordnung von TNF-alpha-Inhibitoren u.a. in den Quartalen I bis IV/2007 zulasten der AOK einen Regress fest, der Gegenstand des beim Senat anhängigen und ebenfalls am selben Tag entschiedenen Berufungsverfahrens L 4 KA 10/15 ist. Da diese Medikamente auch Gegenstand der gesamten Verordnungsmenge der Klägerin im Jahr 2007 sind, entfällt der mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Regress auch auf sie; es liegt damit eine doppelte Regressfestsetzung für denselben eingetretenen Schaden vor.

Das BSG hat bislang offen gelassen, ob eine doppelte Regressfestsetzung im Wege der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Arzneimittelverordnungen überhaupt zulässig ist (vergleiche BSG vom 13. Mai 2015 – B 6 KA 18/14 R – SozR 4-2500 § 106 Nr. 51, Rn. 45). Es hat jedoch die Forderung aufgestellt, dass im Falle konkurrierender Prüfverfahren jedenfalls sichergestellt sein müsse, dass nicht eine doppelte Vollstreckung von Prüfbescheiden zu einer mehrfachen Durchsetzung von Forderungen wegen desselben Schadens führen dürfe (BSG vom 28. September 2016 – B 6 KA 44/15 R – juris, Rn. 24). Diese Sicherheit ist für die Klägerin nicht gegeben. In Form des angefochtenen Bescheides und der Bescheide in den vorgenannten Verfahren der Einzelfallprüfungen liegen Titel für die jeweiligen gesamten, sich betragsmäßig überschneiden Regressforderungen vor, ohne dass sie eine Einschränkung oder eine anrechnungsbeschränkende Aussage enthielten. Damit ist die Klägerin der Vollziehung dieser mehrfachen Regressforderung ausgesetzt. Die Prüfvereinbarung vom 5. Januar 2006 enthält keine Regelung, nach der Regressfestsetzungen wegen desselben Schadensbetrages aufeinander angerechnet werden müssten. § 14 enthält entsprechend § 106 Abs. 5c Satz 3 SGB V vielmehr die Regelung, dass die Beigeladene zu 6) den vollziehbar festgesetzten Regressbetrag aus verordneten Leistungen bzw. aus Schadensersatz mit den beteiligten Krankenkassen unmittelbar nach der Mitteilung durch die Geschäftsstelle verrechnet. Die Beigeladene zu 6) hat in der jeweiligen Höhe Rückforderungsansprüche gegen den Vertragsarzt. Daraus folgt, dass die Festsetzungen der Entscheidungen des Beklagten für die Beigeladene zu 6) verbindlich sind. Demgemäß hat diese mit Schriftsatz vom 14. Februar 2018 erklärt, sie sehe sich nicht für eine Verrechnung der Regresse zur Vermeidung einer etwaigen doppelten Regressierung verantwortlich. Somit steht die Klägerin einer doppelten Inanspruchnahme wegen desselben Schadens gegenüber.

Allerdings hat das BSG im Urteil vom 28. September 2016 (aaO, Rn. 23) ausgeführt, dass die Richtgrößenprüfung als statistische Vergleichsprüfung inhaltlich weitergehend ist als andere Prüfungsarten, insbesondere die Einzelfallprüfung, weil sie über das gesamte Behandlungsverhalten eine umfassendere Aussage ermöglicht. Daher sei sie vorrangig gegenüber anderen Prüfverfahren durchzuführen. Dieser Gesichtspunkt führt im Fall der Klägerin jedoch nicht dazu, dass die Richtgrößenprüfung auf der vorliegenden Grundlage des angefochtenen Bescheides durchzuführen wäre und die Einzelfallprüfungen nachrangig wären. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die Einzelfallprüfungen gemäß § 10 Absatz 2 PrüfV 2006 auf Antrag der Beigeladenen zu 1) bis 5) erfolgten und die Festsetzungen der Prüfungsstelle vor der ersten Festsetzung im Rahmen der Richtgrößenprüfung erfolgten. Der Bescheid der Prüfungsstelle hierüber erging am 14. Dezember 2009. Zu diesem Zeitpunkt waren die Einzelfallregresse bereits von der Prüfungsstelle festgesetzt. Dabei ist es ferner unerheblich, dass die (Widerspruchs-) Entscheidung des Beklagten für alle Verfahren einheitlich am 19. Mai 2011 erging. Denn bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen war es dem Beklagten nicht möglich, die Festsetzungsbescheide der Prüfungsstelle in den Einzelfallüberprüfungen angesichts der nach Auffassung des Beklagten materiell rechtmäßigen Regresse und angesichts der verfahrenseinleitenden Anträge der Beigeladenen zu 1) bis 5) aufzuheben. Es fehlte daher dem angefochtenen Bescheid eine einschränkende Regelung über die Anrechnung der bereits zuvor erfolgten Einzelfallregresse im Rahmen der Entscheidung in der Richtgrößenprüfung. Das Vorranggebot der statistisch angelegten Richtgrößenprüfung gegenüber der Einzelfallprüfung griff daher im Fall des Klägers nicht ein.

Da nicht gewährleistet ist, dass der Kläger wegen desselben Regresses doppelt in Anspruch genommen wird, war die Entscheidung des Beklagten aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, da die Frage, ob grundsätzlich mehrfache Regressverfahren wegen derselben unwirtschaftlichen Arzneiverordnungen zulässig sind, durch das BSG nicht geklärt ist.

Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Der Streitwert bestimmt sich nach dem mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzten Regressbetrag.
Rechtskraft
Aus
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