Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 7 AY 1/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 2/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AY 4/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 12. März 2014 und der Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 geändert und der Beklagte verpflichtet, die Bescheide vom 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 zurückzunehmen und dem Kläger Leistungen nach § 2 AsylbLG für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
Der 1976 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Im Herbst 2002 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Das entsprechende Asylverfahren blieb erfolglos. Die Ablehnung des Asylantrages und die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen, wurde mit Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Oktober 2006 rechtskräftig.
Der Beklagte gewährte dem Kläger seit November 2002 bis einschließlich September 2005 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Ab dem 1. Oktober 2005 wurden dem Kläger sodann so genannte Analogleistungen nach § 2 AsylbLG gewährt.
Nachdem die Zentrale Ausländerbehörde Gießen dem Beklagten mit Schreiben vom 12. Januar 2007 mitgeteilt hatte, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Kläger nicht vollzogen werden könnten, da sich dieser weigere, an einer Passbeschaffung mitzuwirken, beschränkte der Beklagte nach vorheriger Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 21. Februar 2007 dessen Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 1. April 2007 erneut auf die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung einer weiteren Kürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Gießen mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2007 als unbegründet zurück. In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gießen (Az. S 18 AY 9/07) wurde in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2009 ein Vergleich mit folgendem Wortlaut geschlossen:
"1. Der Beklagte ändert den Bescheid vom 27.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2007 ab und gewährt dem Kläger für den Zeitraum 01.04.2007 bis 31.08.2007 ungekürzte Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz. Ab dem 01.09.2007 bleibt es bei der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Regelung.
2. Der Beklagte wird diesen Betrag an den Kläger sobald als möglich auszahlen.
3. Der Rechtsstreit ist damit umfänglich erledigt."
Der Beklagte zahlte dem Kläger daraufhin einen Betrag in Höhe von 885,35 EUR für den Zeitraum April 2007 bis August 2007 aus und gewährte ab dem 1. September 2007 weiterhin Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung der Kürzung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG.
Bereits am 26. Mai 2008 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Januar 2009 abgelehnt wurde, woraufhin der Kläger am 23. Januar 2009 Klage zum Verwaltungsgericht Gießen erhob (Az.: 3 K 78/09. GI.A).
Mit Bescheid vom 23. November 2008 bewilligte der Beklagte ab 1. Dezember 2008 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung der Kürzung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG.
Mit Schreiben vom 1. September 2009 teilte die Zentrale Ausländerbehörde bei dem Regierungspräsidium Gießen dem Kläger mit, dass dieser geduldet werde, da er nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses oder Passersatzes sei und damit eine Ausreise zurzeit nicht möglich sei. Weiterhin forderte die Zentrale Ausländerbehörde den Kläger erneut auf, an der Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapieres mitzuwirken. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2009 bewilligte der Beklagte ab 1. März 2009 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung der Kürzung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG.
Mit Urteil vom 7. Oktober 2010 verpflichtete das Verwaltungsgericht Gießen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, festzustellen, dass in Bezug auf den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliege. Soweit der Kläger mit seiner Klage die Verpflichtung der Beklagten begehrte, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, verbunden mit einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festzustellen, wurde die Klage abgewiesen.
Nach Rechtskraft des vorgenannten Urteils stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 19. Januar 2011 das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 2 AufenthG in Bezug auf die Islamische Republik Iran fest. Seit dem 18. Januar 2011 erhielt der Kläger Leistungen nach dem SGB II.
Bereits mit Schreiben vom 20. Dezember 2010, bei dem Beklagten eingegangen am 21. Dezember 2010, stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X mit dem Begehren, die Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG ab dem 26. Mai 2008 aufzuheben und die vollen Leistungen nach § 2 AsylbLG rückwirkend auszuzahlen. Zur Begründung bezog sich der Kläger auf seinen Asylfolgeantrag vom 26. Mai 2008 und führte aus, dass mit dem vorgenannten Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 7. Oktober 2010 festgestellt worden sei, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliege und dementsprechend eine Leistungskürzung wegen nicht erfolgter Mitwirkung an der Passbeschaffung nicht gerechtfertigt gewesen sei.
Mit Bescheid vom 10. August 2011 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 26. März 2007, 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 26. Mai 2008 bis 30. September 2009 auf und bewilligte dem Kläger für diesen Zeitraum Leistungen nach § 3 AsylbLG mit der Folge, dass ein Betrag in Höhe von insgesamt 662,58 EUR an den Kläger erstattet wurde. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sich der Kläger nach Stellung seines Asylfolgeantrages am 26. Mai 2008 wiederum im September 2009 geweigert habe, bei der Passersatzpapierbeschaffung mitzuwirken, so dass es ab Oktober 2009 bei der Kürzung nach § 1a AsylbLG verbleibe. Eine Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG komme nicht in Betracht, da durch die Stellung des Asylfolgeantrages ein neues Verfahren angestrebt worden sei, so dass ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG erst wieder nach 48 Monaten bestehen könne.
Den hierauf am 9. September 2011 erhobenen Widerspruch des Klägers, mit welchem dieser vortrug, dass die Forderung der Ausländerbehörde, an der Passbeschaffung mitzuwirken, aufgrund der im Iran für ihn nachweislich bestehenden Lebensgefahr unzumutbar gewesen sei, wies das Regierungspräsidium Gießen mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2012 als unbegründet zurück. Die Widerspruchsbehörde führte hierin unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Juni 2008 zu dem Aktenzeichen B 8/9b AY 1/07 R aus, dass der Kläger ab dem 26. Mai 2008 lediglich einen Anspruch auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gehabt habe, da die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG in der Fassung vom 19. August 2007 (gültig ab 28. August 2007), also die Bezugsfrist von 48 Monaten mit Leistungen nach § 3 AsylbLG unter Einschluss von Zeiten vor dem 28. August 2007, noch nicht erfüllt gewesen seien. Eine Bezugszeit von 48 Monaten von Leistungen nach § 3 AsylbLG komme zwar ab dem 1. Juli 2009 in Betracht, allerdings nur für den Fall, dass der Kläger die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe. Insoweit sei aber durch den Vergleich vom 16. Juni 2009 vor dem Sozialgericht Gießen rechtskräftig festgestellt worden, dass bereits vor Stellung des Asylfolgeantrages eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes durch den Kläger vorgelegen habe. Da schon ein möglicherweise einmaliges Fehlverhalten die fehlende Schutzbedürftigkeit des Ausländers bewirke, solange diesem kein Aufenthaltsrecht zustehe, entfalle eine erneute Überprüfung für die Zeit ab Stellung des Asylfolgeantrages am 26. Mai 2008 bzw. ab dem 19. Februar 2008. Im Hinblick auf die Zeiten ab 1. Oktober 2009 führte die Widerspruchsbehörde aus, dass insoweit die Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG vorgelegen hätten. Der Kläger sei in diesem Zeitraum vollziehbar ausreisepflichtig gewesen und sei damit dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1a Nr. 2 AsylbLG unterfallen. Daneben habe der Kläger auch durch ein ihm vorwerfbares Verhalten die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen bewirkt. Bis zur Feststellung des Abschiebeschutzes sei der Kläger verpflichtet gewesen, sämtliche in seinem Besitz befindlichen Identitätsnachweise der Ausländerbehörde vorzulegen und an der Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapieres mitzuwirken. Durch die entsprechende Weigerung des Klägers, seinen Mitwirkungspflichten, welche während der gesamten Dauer des Asylverfahrens unabhängig von dessen Ausgang bestanden hätten, hätten durch die konsularische Vertretung des Iran letztlich keine Reisedokumente ausgestellt werden können. Weiterhin bestehe auch an der Verhältnismäßigkeit der Leistungskürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG kein Zweifel, da die Maßnahme geeignet gewesen sei, den Druck auf den Kläger zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung zu erhöhen. Die Maßnahme sei daneben auch erforderlich gewesen, da mildere, aber gleich wirksame Mittel nicht in Betracht gekommen seien.
Mit seiner am 22. Februar 2012 zum Sozialgericht Fulda erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe für die Zeit vom 1. September 2007 bis 31. August 2008 einen Anspruch auf Zahlung der Differenzbeträge zwischen den Leistungen nach § 1a AsylbLG und den Leistungen nach § 3 AsylbLG und für den Zeitraum 1. September 2008 bis 17. Januar 2011 einen Anspruch auf Zahlung der Differenzbeträge zwischen Leistungen nach § 1a AsylbLG und den Leistungen nach § 2 AsylbLG. Weiterhin hat sich der Kläger auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 zu den Aktenzeichen 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 berufen.
Der Beklagte hat sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid berufen und im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 vorgetragen, dass der Gesetzgeber durch das Gericht nicht dazu verpflichtet worden sei, die Leistungen für einen Zeitraum vor dem 1. Januar 2011 rückwirkend neu festzusetzen.
Im Hinblick auf die durch das Bundesverfassungsgericht getroffene Übergangsregelung für Zeiten ab dem 1. Januar 2011 bis zu einer Neuregelung des Gesetzgebers hat der Beklagte einen Nachzahlungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis 17. Januar 2011 in Höhe von 48,49 EUR errechnet und diesen Betrag aufgrund des Bescheids vom 8. November 2011 an den Kläger ausgezahlt.
Mit Urteil vom 12. März 2014 hat das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 abgeändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 17. Januar 2011 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu bewilligen und die Differenz zu den bislang ausgezahlten Leistungen für diesen Zeitraum auszuzahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen das ihm am 29. März 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. April 2014 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Der Kläger meint, das Sozialgericht Fulda habe zu Unrecht angenommen, dass der vor dem Sozialgericht Gießen am 16. Juni 2009 geschlossene Vergleich das Rechtsschutzbedürfnis ausschließe. Er habe sich mit seinem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X für den Zeitraum vom 01. September 2007 bis 16. Juni 2009 nicht rechtsmissbräuchlich verhalten. Ein Ausschluss des Überprüfungsverfahrens komme nur dann in Betracht, wenn in dem Vergleich ein Verzicht nach § 46 SGB l liege, der sich auf die Leistungen selbst und nicht lediglich die Geltendmachung beziehe. Gerade beim Eintritt wesentlicher Änderungen der Verhältnisse müsse eine Vertragsanpassung oder kündigung möglich sein. Er habe keinesfalls auf Ansprüche im Hinblick auf das zweite Asylverfahren verzichten wollen. Er habe den Vergleich nur deshalb abgeschlossen, weil seinerzeit angesichts der Ausführungen in dem Termin am 16. Juni 2009 keine weitergehenden Ansprüche zu realisieren gewesen seien. Gerade die im Vergleich unter Ziffer 1 getroffenen Vereinbarung, wonach es ab 1. September 2007 "bei der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen RegeIung" bleibe, spreche für eine lediglich erfolgte weitergehende Anfechtung der Bescheide. Auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche könne nicht verzichtet werden. Ob die Entscheidung des BSG vom 17. Juni 2008 (B 8/9b AY 1/07 R) noch einschlägig sei, dürfe angesichts der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und der vom Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10. Dezember 2014 (BGBl. 2014, Teil 1, Nr. 59, S. 2187 ff.) verfolgten Intention bezweifelt werden. Dem Gesetzgeber sei es nämlich erkennbar um die mit dem Leistungsbezug gemäß § 2 AsylbLG verbundenen Mehrkosten gegangen. § 3 AsylbLG-Leistungen sollten dem Regelungskonzept entsprechend lediglich kurzfristig und vorübergehend Anwendung finden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 12. März 2014 und den Bescheid vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Aufhebung der Bescheide vom 26. März 2007, 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 1. September 2008 bis 30. Juni 2009 die Differenzbeträge zwischen den Leistungen nach § 2 AsylbIG und den Leistungen nach § 3 AsylbIG zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, die erforderlichen Vorbezugszeiten von 48 Monaten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG von November 2002 bis September 2005 (35 Monate) zuzüglich der Zeit vom 28. Mai 2008 bis Juni 2009 (13 Monate) seien ab dem 1. Juli 2009 erfüllt. Erst ab diesem Zeitpunkt habe der Kläger Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG. Bei dem gerichtlichen Vergleich handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Es sei sich ausdrücklich im Einvernehmen mit dem Kläger darauf geeinigt worden, dass es für die Zeit ab dem 1. September 2007 bei der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Regelung bleibe. Hätte der Kläger weiterhin an seiner Forderung festhalten wollen, hätte er den Vergleich entsprechend abschließen müssen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Denn der Kläger hat Anspruch auf die Rücknahme der Bescheide vom 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 und Bewilligung von sog. Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG für diesen Zeitraum. Der entgegenstehende Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 und das Urteil des Sozialgerichts vom 12. März 2014 sind insoweit rechtswidrig und zu ändern, sie verletzen den Kläger in seinen Recht. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz – SGG), soweit der Beklagte die Rücknahme der Bescheides vom 26. März 2007, 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 26. Mai 2008 bis 30. Juni 2006 und die Bewilligung von Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen) für diesen Zeitraum abgelehnt hat. Soweit das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 geändert und den Beklagten zu Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 17. Januar 2011 verurteilt hat, ist der Verwaltungsakt des Beklagten bestandskräftig geworden, da der Beklagte die erstinstanzliche Entscheidung nicht mit der Berufung angegriffen hat.
Soweit der Kläger höhere Leistungen für den Zeitraum vom 1. September 2008 bis 30. November 2008 geltend macht, ist die Klage wegen der Bindungswirkung des am 16. Juni 2009 im Verfahren vor dem Sozialgericht Gießen, Az.: S 18 AY 9/07, zwischen den Beteiligten geschlossenen gerichtlichen Vergleichs (§ 101 Abs. 1 SGG) unzulässig. Dabei entzieht sich die Überprüfung des Vergleichs als solchem schon dem Anwendungsbereich von § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Der Vergleich vom 16. Juni 2009 stellt indessen schon keinen Verwaltungsakt im Sinne der Norm dar, sondern ist - neben seiner Eigenschaft als Prozesshandlung - vielmehr ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag im Sinne von § 54 SGG (BSG v 17.5.1989 – 10 RKg 16/88 – SozR 1500 § 101 Nr. 8; Engelmann, § 54 Rn 3a; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 101 Rn 3, jeweils mwN).
Allerdings steht im Rahmen der Überprüfung des (ursprünglichen) Bescheids vom 26. März 2007 der gerichtliche Vergleich der Anwendung des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R –, SozR 4-1500 § 192 Nr. 2, Rn. 21 m. w. N., a. A. LSG Baden-Württemberg vom 9. Juni 2011 – L 10 R 3494/08 – juris Rn. 3; v. Wulffen/Schütze/Schütze SGB X § 44 Rn. 3a-3, beck-online) nicht entgegen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit muss danach auch in den Fällen hinter dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten, in denen sich die Verwaltung von der Unrichtigkeit ihrer - zum Nachteil des Leistungsberechtigten ergangenen - Entscheidung überzeugt bzw. überzeugen muss (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R –, SozR 4-1500 § 192 Nr. 2, Rn. 21 unter Hinweis auf: BSG Urteil vom 15. November 1961 - 9 RV 54/59 - SozR Nr. 3 zu § 40 VerwVG, juris RdNr. 7 f; BSG Urteil vom 14. März 1967 - 10 RV 504/66 - BSGE 26, 146 = SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG, juris RdNr. 17). Ob in einem gerichtlichen Vergleich andererseits zugleich ein die erneute Überprüfung für die Vergangenheit hindernder - konkludenter - Verzicht auf Sozialleistungen iS des § 46 SGB I zu erkennen sein kann (so BSG Urteil vom 15. Oktober 1985 - 11a RA 58/84 - SozR 2200 § 1251 Nr. 115; aA für den Fall der Klagerücknahme Baumeister in: juris-PK-SGB X, 2013, § 44 RdNr. 35, 36; offen gelassen: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R –, SozR 4-1500 § 192 Nr. 2, Rn. 21), bedarf keiner Entscheidung. Ein derartiger Verzicht ist vorliegend nicht ausdrücklich erklärt worden und der "Konstruktion" des konkludenten Verzichts bedarf es hier nicht. Denn aus den Umständen des Einzelfalls ergibt sich im konkreten Fall, dass die Beteiligten mit dem Abschluss des gerichtlichen Vergleichs am 16. Juni 2009 eine endgültige Regelung in der Sache - betreffend die Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG für den Zeitraum 1. April 2007 bis 30. November 2008 - treffen und eine erneute Überprüfung ausschließen wollten. Dies ergibt sich daraus, dass in dem Vergleichsvertrag unter Ziff. 1 eine konkrete (Neu-)Regelung der Leistungshöhe für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. August 2007 getroffen wurde, es ab dem 1. September 2007 jedoch bei den im Bescheid vom 27. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2007 getroffenen Regelungen ausdrücklich bleiben sollte.
Soweit der Kläger schließlich höhere Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 begehrt, ist die Klage zulässig, da der Vergleich vom 16. Juni 2009 sich nur auf dem im Verfahren vor dem Sozialgericht Gießen mit dem Az. S 18 AY 9/07 streitgegenständlichen Bescheid vom 16. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2007 hinsichtlich der Leistungsbewilligung ab 1. April 2007 bezieht, dessen Regelungswirkung in zeitlicher Hinsicht begrenzt wird durch die Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG durch Bescheid vom 23. November 2008 (betreffend die Zeit ab 1. Dezember 2008).
Die Klage ist hinsichtlich der Bewilligung von sog. Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 auch begründet.
Rechtsgrundlage ist § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 44 Abs. 1 SGB X. Danach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Dem Anspruch des Klägers steht zunächst die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X nicht entgegen. Zu Unrecht vorenthaltene Leistungen nach dem AsylbLG werden gemäß § 9 Abs. 3 AsylbLG i. V. m. § 44 Abs. 4 SGB X längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgten Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes erbracht; dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme - wie hier - auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag. Die 4-Jahresfrist verkürzt sich aber nur für Anträge, die nach dem 31. März 2011 gestellt wurden, in entsprechender Anwendung des die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X modifizierenden § 116a SGB XII i. V. m. dem bis 31. Dezember 2012 geltenden § 136 SGB XII (jeweils in der Normfassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 - BGBl I 453) auf ein Jahr (BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 – B 7 AY 6/12 R –, BSGE 114, 20-26, SozR 4-3520 § 9 Nr. 4, Rn. 11). Für Überprüfungsanträge, die - wie hier - vor dem 1. April 2011 gestellt worden sind, gilt § 116a SGB XII in keinem Fall, weil bei Bejahung der Analogievoraussetzungen zwingend auch § 136 SGB XII a.F. analog anzuwenden ist (Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 9 AsylbLG, Rn. 44). Angesichts des am 21. Dezember 2010 gestellten Antrags wird die Frist nach § 44 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. Satz 2 SGB X vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem die Rücknahme beantragt wird, mithin ist die rückwirkende Leistungsgewährung insoweit für Leistungen vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 möglich.
Weiterhin liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Verwaltungsakts vor, weil bei Erlass der Bescheide vom 23. November 2008 und 22. Februar 2009 das Recht unrichtig angewandt worden ist und deshalb Sozialleistungen – hier Leistungen nach § 2 AsylbLG – zu Unrecht nicht gezahlt worden sind.
Materiell beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der vorgenannten Bescheide nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der Normfassung des Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 1970) mit Wirkung vom 28. August 2007. Danach ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Die 48-monatige Vorbezugszeit hat der Kläger am 1. Dezember 2008 erfüllt. Denn nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 B 7 AY 4/12 R –, BSGE 119, 99-107, SozR 4-3520 § 2 Nr. 5, Rn. 24) dürfen auf die Vorbezugszeit von 48 Monaten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a. F. auch andere Leistungen als ausschließlich Grundleistungen nach § 3 AsylbLG angerechnet werden. Unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, B 8/9b AY 1/07 R, juris Rn. 19) hat das BSG (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 7 AY 4/12 R –, BSGE 119, 99-107, SozR 4-3520 § 2 Nr. 5, Rn. 24) ausgeführt:
"Insoweit gibt der Senat seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach allein Zeiten des Bezuges von Leistungen nach § 3 AsylbLG zur Erfüllung der Vorbezugszeit dienen können. Soweit er in seiner Entscheidung vom 17.6.2008 (BSGE 101, 49 ff = SozR 4-3520 § 2 Nr 2) bei der Auslegung der Vorschrift davon ausgegangen ist, dass zu Gunsten fiskalischer Erwägungen und der Intention, höhere Anreize für eine Arbeitsaufnahme zu schaffen, der Gedanke einer Integration durch die Dauer des Aufenthalts zulässigerweise in den Hintergrund tritt, hält er hieran nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG; BVerfGE 132, 134 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2) nicht mehr fest. Bei der im Grundsatz auslegungsfähigen Vorschrift dürfen im Lichte der Entscheidung des BVerfG fiskalische Gründe, die die Entscheidung des Gesetzgebers im Wesentlichen mitgetragen haben (zu den Motiven des Gesetzgebers im Einzelnen BSG, aaO, RdNr 21 ff), nicht in den Vordergrund gestellt werden. Ein Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland (im Sinne einer abgesenkten "Grundleistung") darf nämlich abweichend von dem gesetzlich bestimmten Bedarf anderer Hilfebedürftiger überhaupt nur festgelegt werden, wenn wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können (BVerfGE 132, 134 ff RdNr 74 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2). Diese aus Art 1 Abs 1 Grundgesetz iVm dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete Vorgabe schließt aber eine Auslegung aus, die einen Bezug von höheren Leistungen als den Grundleistungen generell als Vorbezugszeit nicht ausreichen lässt; denn von einem nur vorübergehenden Aufenthalt und einer fehlenden Integration kann dann jedenfalls nicht mehr die Rede sein, wenn Leistungen bezogen werden, die der Gesetzgeber überhaupt erst im Falle eines verfestigten Aufenthalts gewährt."
Somit können als Vorbezugszeiten des Klägers neben den schon vom Sozialgericht berücksichtigten Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG vom 1. November 2002 bis 30. September 2005 (35 Monate) auch die im Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 31. August 2007 bezogenen Leistungen nach § 2 AsylbLG (23 Monate) und aufgrund des Bescheids vom 10. August 2011 gewährten Leistungen für die Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG vom 26. Mai 2008 bis 30. November 2008 (8 Monate) Berücksichtigung finden. Zum 1. Dezember 2008 hat der Kläger daher jedenfalls die 48 monatige Vorbezugszeit erfüllt.
Ferner hat der Kläger auch die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf abgestellt, dass die fehlende Mitwirkung an der Beschaffung von Passersatzpapieren durch den Kläger nicht als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer eingestuft werden kann, da das Verwaltungsgericht Gießen in seinem Urteil vom 23. September 2010, Az.: 3 K 78/09 GI.A, auf den Asylfolgeantrag des Klägers vom Mai 2008 hin entschieden hat, dass für den Kläger nach § 60 Abs. 2 AufenthG ein Abschiebeverbot besteht, weil der Kläger im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland mit einer menschenrechtswidrigen Behandlung aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten zu rechnen hätte.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
Der 1976 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Im Herbst 2002 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Das entsprechende Asylverfahren blieb erfolglos. Die Ablehnung des Asylantrages und die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen, wurde mit Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Oktober 2006 rechtskräftig.
Der Beklagte gewährte dem Kläger seit November 2002 bis einschließlich September 2005 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Ab dem 1. Oktober 2005 wurden dem Kläger sodann so genannte Analogleistungen nach § 2 AsylbLG gewährt.
Nachdem die Zentrale Ausländerbehörde Gießen dem Beklagten mit Schreiben vom 12. Januar 2007 mitgeteilt hatte, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Kläger nicht vollzogen werden könnten, da sich dieser weigere, an einer Passbeschaffung mitzuwirken, beschränkte der Beklagte nach vorheriger Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 21. Februar 2007 dessen Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 1. April 2007 erneut auf die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung einer weiteren Kürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Gießen mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2007 als unbegründet zurück. In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gießen (Az. S 18 AY 9/07) wurde in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2009 ein Vergleich mit folgendem Wortlaut geschlossen:
"1. Der Beklagte ändert den Bescheid vom 27.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2007 ab und gewährt dem Kläger für den Zeitraum 01.04.2007 bis 31.08.2007 ungekürzte Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz. Ab dem 01.09.2007 bleibt es bei der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Regelung.
2. Der Beklagte wird diesen Betrag an den Kläger sobald als möglich auszahlen.
3. Der Rechtsstreit ist damit umfänglich erledigt."
Der Beklagte zahlte dem Kläger daraufhin einen Betrag in Höhe von 885,35 EUR für den Zeitraum April 2007 bis August 2007 aus und gewährte ab dem 1. September 2007 weiterhin Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung der Kürzung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG.
Bereits am 26. Mai 2008 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Januar 2009 abgelehnt wurde, woraufhin der Kläger am 23. Januar 2009 Klage zum Verwaltungsgericht Gießen erhob (Az.: 3 K 78/09. GI.A).
Mit Bescheid vom 23. November 2008 bewilligte der Beklagte ab 1. Dezember 2008 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung der Kürzung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG.
Mit Schreiben vom 1. September 2009 teilte die Zentrale Ausländerbehörde bei dem Regierungspräsidium Gießen dem Kläger mit, dass dieser geduldet werde, da er nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses oder Passersatzes sei und damit eine Ausreise zurzeit nicht möglich sei. Weiterhin forderte die Zentrale Ausländerbehörde den Kläger erneut auf, an der Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapieres mitzuwirken. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2009 bewilligte der Beklagte ab 1. März 2009 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung der Kürzung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG.
Mit Urteil vom 7. Oktober 2010 verpflichtete das Verwaltungsgericht Gießen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, festzustellen, dass in Bezug auf den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliege. Soweit der Kläger mit seiner Klage die Verpflichtung der Beklagten begehrte, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, verbunden mit einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festzustellen, wurde die Klage abgewiesen.
Nach Rechtskraft des vorgenannten Urteils stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 19. Januar 2011 das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 2 AufenthG in Bezug auf die Islamische Republik Iran fest. Seit dem 18. Januar 2011 erhielt der Kläger Leistungen nach dem SGB II.
Bereits mit Schreiben vom 20. Dezember 2010, bei dem Beklagten eingegangen am 21. Dezember 2010, stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X mit dem Begehren, die Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG ab dem 26. Mai 2008 aufzuheben und die vollen Leistungen nach § 2 AsylbLG rückwirkend auszuzahlen. Zur Begründung bezog sich der Kläger auf seinen Asylfolgeantrag vom 26. Mai 2008 und führte aus, dass mit dem vorgenannten Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 7. Oktober 2010 festgestellt worden sei, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliege und dementsprechend eine Leistungskürzung wegen nicht erfolgter Mitwirkung an der Passbeschaffung nicht gerechtfertigt gewesen sei.
Mit Bescheid vom 10. August 2011 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 26. März 2007, 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 26. Mai 2008 bis 30. September 2009 auf und bewilligte dem Kläger für diesen Zeitraum Leistungen nach § 3 AsylbLG mit der Folge, dass ein Betrag in Höhe von insgesamt 662,58 EUR an den Kläger erstattet wurde. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sich der Kläger nach Stellung seines Asylfolgeantrages am 26. Mai 2008 wiederum im September 2009 geweigert habe, bei der Passersatzpapierbeschaffung mitzuwirken, so dass es ab Oktober 2009 bei der Kürzung nach § 1a AsylbLG verbleibe. Eine Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG komme nicht in Betracht, da durch die Stellung des Asylfolgeantrages ein neues Verfahren angestrebt worden sei, so dass ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG erst wieder nach 48 Monaten bestehen könne.
Den hierauf am 9. September 2011 erhobenen Widerspruch des Klägers, mit welchem dieser vortrug, dass die Forderung der Ausländerbehörde, an der Passbeschaffung mitzuwirken, aufgrund der im Iran für ihn nachweislich bestehenden Lebensgefahr unzumutbar gewesen sei, wies das Regierungspräsidium Gießen mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2012 als unbegründet zurück. Die Widerspruchsbehörde führte hierin unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Juni 2008 zu dem Aktenzeichen B 8/9b AY 1/07 R aus, dass der Kläger ab dem 26. Mai 2008 lediglich einen Anspruch auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gehabt habe, da die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG in der Fassung vom 19. August 2007 (gültig ab 28. August 2007), also die Bezugsfrist von 48 Monaten mit Leistungen nach § 3 AsylbLG unter Einschluss von Zeiten vor dem 28. August 2007, noch nicht erfüllt gewesen seien. Eine Bezugszeit von 48 Monaten von Leistungen nach § 3 AsylbLG komme zwar ab dem 1. Juli 2009 in Betracht, allerdings nur für den Fall, dass der Kläger die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe. Insoweit sei aber durch den Vergleich vom 16. Juni 2009 vor dem Sozialgericht Gießen rechtskräftig festgestellt worden, dass bereits vor Stellung des Asylfolgeantrages eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes durch den Kläger vorgelegen habe. Da schon ein möglicherweise einmaliges Fehlverhalten die fehlende Schutzbedürftigkeit des Ausländers bewirke, solange diesem kein Aufenthaltsrecht zustehe, entfalle eine erneute Überprüfung für die Zeit ab Stellung des Asylfolgeantrages am 26. Mai 2008 bzw. ab dem 19. Februar 2008. Im Hinblick auf die Zeiten ab 1. Oktober 2009 führte die Widerspruchsbehörde aus, dass insoweit die Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG vorgelegen hätten. Der Kläger sei in diesem Zeitraum vollziehbar ausreisepflichtig gewesen und sei damit dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1a Nr. 2 AsylbLG unterfallen. Daneben habe der Kläger auch durch ein ihm vorwerfbares Verhalten die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen bewirkt. Bis zur Feststellung des Abschiebeschutzes sei der Kläger verpflichtet gewesen, sämtliche in seinem Besitz befindlichen Identitätsnachweise der Ausländerbehörde vorzulegen und an der Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapieres mitzuwirken. Durch die entsprechende Weigerung des Klägers, seinen Mitwirkungspflichten, welche während der gesamten Dauer des Asylverfahrens unabhängig von dessen Ausgang bestanden hätten, hätten durch die konsularische Vertretung des Iran letztlich keine Reisedokumente ausgestellt werden können. Weiterhin bestehe auch an der Verhältnismäßigkeit der Leistungskürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG kein Zweifel, da die Maßnahme geeignet gewesen sei, den Druck auf den Kläger zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung zu erhöhen. Die Maßnahme sei daneben auch erforderlich gewesen, da mildere, aber gleich wirksame Mittel nicht in Betracht gekommen seien.
Mit seiner am 22. Februar 2012 zum Sozialgericht Fulda erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe für die Zeit vom 1. September 2007 bis 31. August 2008 einen Anspruch auf Zahlung der Differenzbeträge zwischen den Leistungen nach § 1a AsylbLG und den Leistungen nach § 3 AsylbLG und für den Zeitraum 1. September 2008 bis 17. Januar 2011 einen Anspruch auf Zahlung der Differenzbeträge zwischen Leistungen nach § 1a AsylbLG und den Leistungen nach § 2 AsylbLG. Weiterhin hat sich der Kläger auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 zu den Aktenzeichen 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 berufen.
Der Beklagte hat sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid berufen und im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 vorgetragen, dass der Gesetzgeber durch das Gericht nicht dazu verpflichtet worden sei, die Leistungen für einen Zeitraum vor dem 1. Januar 2011 rückwirkend neu festzusetzen.
Im Hinblick auf die durch das Bundesverfassungsgericht getroffene Übergangsregelung für Zeiten ab dem 1. Januar 2011 bis zu einer Neuregelung des Gesetzgebers hat der Beklagte einen Nachzahlungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis 17. Januar 2011 in Höhe von 48,49 EUR errechnet und diesen Betrag aufgrund des Bescheids vom 8. November 2011 an den Kläger ausgezahlt.
Mit Urteil vom 12. März 2014 hat das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 abgeändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 17. Januar 2011 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu bewilligen und die Differenz zu den bislang ausgezahlten Leistungen für diesen Zeitraum auszuzahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen das ihm am 29. März 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. April 2014 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Der Kläger meint, das Sozialgericht Fulda habe zu Unrecht angenommen, dass der vor dem Sozialgericht Gießen am 16. Juni 2009 geschlossene Vergleich das Rechtsschutzbedürfnis ausschließe. Er habe sich mit seinem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X für den Zeitraum vom 01. September 2007 bis 16. Juni 2009 nicht rechtsmissbräuchlich verhalten. Ein Ausschluss des Überprüfungsverfahrens komme nur dann in Betracht, wenn in dem Vergleich ein Verzicht nach § 46 SGB l liege, der sich auf die Leistungen selbst und nicht lediglich die Geltendmachung beziehe. Gerade beim Eintritt wesentlicher Änderungen der Verhältnisse müsse eine Vertragsanpassung oder kündigung möglich sein. Er habe keinesfalls auf Ansprüche im Hinblick auf das zweite Asylverfahren verzichten wollen. Er habe den Vergleich nur deshalb abgeschlossen, weil seinerzeit angesichts der Ausführungen in dem Termin am 16. Juni 2009 keine weitergehenden Ansprüche zu realisieren gewesen seien. Gerade die im Vergleich unter Ziffer 1 getroffenen Vereinbarung, wonach es ab 1. September 2007 "bei der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen RegeIung" bleibe, spreche für eine lediglich erfolgte weitergehende Anfechtung der Bescheide. Auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche könne nicht verzichtet werden. Ob die Entscheidung des BSG vom 17. Juni 2008 (B 8/9b AY 1/07 R) noch einschlägig sei, dürfe angesichts der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und der vom Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10. Dezember 2014 (BGBl. 2014, Teil 1, Nr. 59, S. 2187 ff.) verfolgten Intention bezweifelt werden. Dem Gesetzgeber sei es nämlich erkennbar um die mit dem Leistungsbezug gemäß § 2 AsylbLG verbundenen Mehrkosten gegangen. § 3 AsylbLG-Leistungen sollten dem Regelungskonzept entsprechend lediglich kurzfristig und vorübergehend Anwendung finden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 12. März 2014 und den Bescheid vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Aufhebung der Bescheide vom 26. März 2007, 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 1. September 2008 bis 30. Juni 2009 die Differenzbeträge zwischen den Leistungen nach § 2 AsylbIG und den Leistungen nach § 3 AsylbIG zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, die erforderlichen Vorbezugszeiten von 48 Monaten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG von November 2002 bis September 2005 (35 Monate) zuzüglich der Zeit vom 28. Mai 2008 bis Juni 2009 (13 Monate) seien ab dem 1. Juli 2009 erfüllt. Erst ab diesem Zeitpunkt habe der Kläger Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG. Bei dem gerichtlichen Vergleich handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Es sei sich ausdrücklich im Einvernehmen mit dem Kläger darauf geeinigt worden, dass es für die Zeit ab dem 1. September 2007 bei der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Regelung bleibe. Hätte der Kläger weiterhin an seiner Forderung festhalten wollen, hätte er den Vergleich entsprechend abschließen müssen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Denn der Kläger hat Anspruch auf die Rücknahme der Bescheide vom 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 und Bewilligung von sog. Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG für diesen Zeitraum. Der entgegenstehende Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 und das Urteil des Sozialgerichts vom 12. März 2014 sind insoweit rechtswidrig und zu ändern, sie verletzen den Kläger in seinen Recht. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz – SGG), soweit der Beklagte die Rücknahme der Bescheides vom 26. März 2007, 23. November 2008 und 22. Februar 2009 für die Zeit vom 26. Mai 2008 bis 30. Juni 2006 und die Bewilligung von Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen) für diesen Zeitraum abgelehnt hat. Soweit das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 geändert und den Beklagten zu Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 17. Januar 2011 verurteilt hat, ist der Verwaltungsakt des Beklagten bestandskräftig geworden, da der Beklagte die erstinstanzliche Entscheidung nicht mit der Berufung angegriffen hat.
Soweit der Kläger höhere Leistungen für den Zeitraum vom 1. September 2008 bis 30. November 2008 geltend macht, ist die Klage wegen der Bindungswirkung des am 16. Juni 2009 im Verfahren vor dem Sozialgericht Gießen, Az.: S 18 AY 9/07, zwischen den Beteiligten geschlossenen gerichtlichen Vergleichs (§ 101 Abs. 1 SGG) unzulässig. Dabei entzieht sich die Überprüfung des Vergleichs als solchem schon dem Anwendungsbereich von § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Der Vergleich vom 16. Juni 2009 stellt indessen schon keinen Verwaltungsakt im Sinne der Norm dar, sondern ist - neben seiner Eigenschaft als Prozesshandlung - vielmehr ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag im Sinne von § 54 SGG (BSG v 17.5.1989 – 10 RKg 16/88 – SozR 1500 § 101 Nr. 8; Engelmann, § 54 Rn 3a; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 101 Rn 3, jeweils mwN).
Allerdings steht im Rahmen der Überprüfung des (ursprünglichen) Bescheids vom 26. März 2007 der gerichtliche Vergleich der Anwendung des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R –, SozR 4-1500 § 192 Nr. 2, Rn. 21 m. w. N., a. A. LSG Baden-Württemberg vom 9. Juni 2011 – L 10 R 3494/08 – juris Rn. 3; v. Wulffen/Schütze/Schütze SGB X § 44 Rn. 3a-3, beck-online) nicht entgegen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit muss danach auch in den Fällen hinter dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten, in denen sich die Verwaltung von der Unrichtigkeit ihrer - zum Nachteil des Leistungsberechtigten ergangenen - Entscheidung überzeugt bzw. überzeugen muss (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R –, SozR 4-1500 § 192 Nr. 2, Rn. 21 unter Hinweis auf: BSG Urteil vom 15. November 1961 - 9 RV 54/59 - SozR Nr. 3 zu § 40 VerwVG, juris RdNr. 7 f; BSG Urteil vom 14. März 1967 - 10 RV 504/66 - BSGE 26, 146 = SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG, juris RdNr. 17). Ob in einem gerichtlichen Vergleich andererseits zugleich ein die erneute Überprüfung für die Vergangenheit hindernder - konkludenter - Verzicht auf Sozialleistungen iS des § 46 SGB I zu erkennen sein kann (so BSG Urteil vom 15. Oktober 1985 - 11a RA 58/84 - SozR 2200 § 1251 Nr. 115; aA für den Fall der Klagerücknahme Baumeister in: juris-PK-SGB X, 2013, § 44 RdNr. 35, 36; offen gelassen: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R –, SozR 4-1500 § 192 Nr. 2, Rn. 21), bedarf keiner Entscheidung. Ein derartiger Verzicht ist vorliegend nicht ausdrücklich erklärt worden und der "Konstruktion" des konkludenten Verzichts bedarf es hier nicht. Denn aus den Umständen des Einzelfalls ergibt sich im konkreten Fall, dass die Beteiligten mit dem Abschluss des gerichtlichen Vergleichs am 16. Juni 2009 eine endgültige Regelung in der Sache - betreffend die Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG für den Zeitraum 1. April 2007 bis 30. November 2008 - treffen und eine erneute Überprüfung ausschließen wollten. Dies ergibt sich daraus, dass in dem Vergleichsvertrag unter Ziff. 1 eine konkrete (Neu-)Regelung der Leistungshöhe für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. August 2007 getroffen wurde, es ab dem 1. September 2007 jedoch bei den im Bescheid vom 27. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2007 getroffenen Regelungen ausdrücklich bleiben sollte.
Soweit der Kläger schließlich höhere Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 begehrt, ist die Klage zulässig, da der Vergleich vom 16. Juni 2009 sich nur auf dem im Verfahren vor dem Sozialgericht Gießen mit dem Az. S 18 AY 9/07 streitgegenständlichen Bescheid vom 16. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2007 hinsichtlich der Leistungsbewilligung ab 1. April 2007 bezieht, dessen Regelungswirkung in zeitlicher Hinsicht begrenzt wird durch die Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG durch Bescheid vom 23. November 2008 (betreffend die Zeit ab 1. Dezember 2008).
Die Klage ist hinsichtlich der Bewilligung von sog. Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 auch begründet.
Rechtsgrundlage ist § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 44 Abs. 1 SGB X. Danach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Dem Anspruch des Klägers steht zunächst die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X nicht entgegen. Zu Unrecht vorenthaltene Leistungen nach dem AsylbLG werden gemäß § 9 Abs. 3 AsylbLG i. V. m. § 44 Abs. 4 SGB X längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgten Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes erbracht; dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme - wie hier - auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag. Die 4-Jahresfrist verkürzt sich aber nur für Anträge, die nach dem 31. März 2011 gestellt wurden, in entsprechender Anwendung des die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X modifizierenden § 116a SGB XII i. V. m. dem bis 31. Dezember 2012 geltenden § 136 SGB XII (jeweils in der Normfassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 - BGBl I 453) auf ein Jahr (BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 – B 7 AY 6/12 R –, BSGE 114, 20-26, SozR 4-3520 § 9 Nr. 4, Rn. 11). Für Überprüfungsanträge, die - wie hier - vor dem 1. April 2011 gestellt worden sind, gilt § 116a SGB XII in keinem Fall, weil bei Bejahung der Analogievoraussetzungen zwingend auch § 136 SGB XII a.F. analog anzuwenden ist (Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 9 AsylbLG, Rn. 44). Angesichts des am 21. Dezember 2010 gestellten Antrags wird die Frist nach § 44 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. Satz 2 SGB X vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem die Rücknahme beantragt wird, mithin ist die rückwirkende Leistungsgewährung insoweit für Leistungen vom 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2009 möglich.
Weiterhin liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Verwaltungsakts vor, weil bei Erlass der Bescheide vom 23. November 2008 und 22. Februar 2009 das Recht unrichtig angewandt worden ist und deshalb Sozialleistungen – hier Leistungen nach § 2 AsylbLG – zu Unrecht nicht gezahlt worden sind.
Materiell beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der vorgenannten Bescheide nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der Normfassung des Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 1970) mit Wirkung vom 28. August 2007. Danach ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Die 48-monatige Vorbezugszeit hat der Kläger am 1. Dezember 2008 erfüllt. Denn nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 B 7 AY 4/12 R –, BSGE 119, 99-107, SozR 4-3520 § 2 Nr. 5, Rn. 24) dürfen auf die Vorbezugszeit von 48 Monaten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a. F. auch andere Leistungen als ausschließlich Grundleistungen nach § 3 AsylbLG angerechnet werden. Unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, B 8/9b AY 1/07 R, juris Rn. 19) hat das BSG (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 7 AY 4/12 R –, BSGE 119, 99-107, SozR 4-3520 § 2 Nr. 5, Rn. 24) ausgeführt:
"Insoweit gibt der Senat seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach allein Zeiten des Bezuges von Leistungen nach § 3 AsylbLG zur Erfüllung der Vorbezugszeit dienen können. Soweit er in seiner Entscheidung vom 17.6.2008 (BSGE 101, 49 ff = SozR 4-3520 § 2 Nr 2) bei der Auslegung der Vorschrift davon ausgegangen ist, dass zu Gunsten fiskalischer Erwägungen und der Intention, höhere Anreize für eine Arbeitsaufnahme zu schaffen, der Gedanke einer Integration durch die Dauer des Aufenthalts zulässigerweise in den Hintergrund tritt, hält er hieran nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG; BVerfGE 132, 134 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2) nicht mehr fest. Bei der im Grundsatz auslegungsfähigen Vorschrift dürfen im Lichte der Entscheidung des BVerfG fiskalische Gründe, die die Entscheidung des Gesetzgebers im Wesentlichen mitgetragen haben (zu den Motiven des Gesetzgebers im Einzelnen BSG, aaO, RdNr 21 ff), nicht in den Vordergrund gestellt werden. Ein Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland (im Sinne einer abgesenkten "Grundleistung") darf nämlich abweichend von dem gesetzlich bestimmten Bedarf anderer Hilfebedürftiger überhaupt nur festgelegt werden, wenn wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können (BVerfGE 132, 134 ff RdNr 74 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2). Diese aus Art 1 Abs 1 Grundgesetz iVm dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete Vorgabe schließt aber eine Auslegung aus, die einen Bezug von höheren Leistungen als den Grundleistungen generell als Vorbezugszeit nicht ausreichen lässt; denn von einem nur vorübergehenden Aufenthalt und einer fehlenden Integration kann dann jedenfalls nicht mehr die Rede sein, wenn Leistungen bezogen werden, die der Gesetzgeber überhaupt erst im Falle eines verfestigten Aufenthalts gewährt."
Somit können als Vorbezugszeiten des Klägers neben den schon vom Sozialgericht berücksichtigten Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG vom 1. November 2002 bis 30. September 2005 (35 Monate) auch die im Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 31. August 2007 bezogenen Leistungen nach § 2 AsylbLG (23 Monate) und aufgrund des Bescheids vom 10. August 2011 gewährten Leistungen für die Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG vom 26. Mai 2008 bis 30. November 2008 (8 Monate) Berücksichtigung finden. Zum 1. Dezember 2008 hat der Kläger daher jedenfalls die 48 monatige Vorbezugszeit erfüllt.
Ferner hat der Kläger auch die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf abgestellt, dass die fehlende Mitwirkung an der Beschaffung von Passersatzpapieren durch den Kläger nicht als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer eingestuft werden kann, da das Verwaltungsgericht Gießen in seinem Urteil vom 23. September 2010, Az.: 3 K 78/09 GI.A, auf den Asylfolgeantrag des Klägers vom Mai 2008 hin entschieden hat, dass für den Kläger nach § 60 Abs. 2 AufenthG ein Abschiebeverbot besteht, weil der Kläger im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland mit einer menschenrechtswidrigen Behandlung aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten zu rechnen hätte.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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