Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 182 BA 37/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 BA 29/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Schutz der Finanzierungsfähigkeit der gesetzlichen Sozialversicherung ist bei Entscheidungen über die Versicherungs- und Beitragspflicht nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG deren sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Kann der Arbeitgeber seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch Stundung oder Erlass der Beitragsnachforderung nicht sichern, so ist dessen Insolvenz die angemessene rechtliche Konsequenz und nicht ein Aufschub der Beitragspflicht.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2018 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird für das gesamte Eilverfahren auf 26.499,66 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Antragstellerin wendet sich im Eilverfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheides der Antragsgegnerin vom 1. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2018. Streitgegenständlich ist eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit des Herrn D J als Geschäftsführer der Antragstellerin im Zeitraum 1. Januar 2009 bis 31. August 2016 in Höhe von 52.999,32 Euro.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Zutreffend hat das Sozialgericht maßgeblich auf § 1 Abs. 1 des Geschäftsführer-Anstellungsvertrags und den Grundsatz der Beschlussfassung durch einfache Stimmenmehrheit (jeweils § 8 Abs. 7 Satz 2 der Gesellschaftsverträge) abgestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann der Senat weitgehend Bezug auf den erstinstanzlichen Beschluss des Sozialgerichts nehmen, der den im Eilverfahren anzulegenden Entscheidungsmaßstab zutreffend darstellt und die Sach- und Rechtslage im Ergebnis zutreffend würdigt (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
In Würdigung des Beschwerdevorbringens bleibt zu ergänzen: Zwar räumte der Gesellschaftsvertrag dem über 40 Prozent der Geschäftsanteile verfügenden Geschäftsführer J eine nennenswerte Machtposition ein, indem etwa in § 5 Abs. 6 und § 8 Abs. 7 Satz 3 des Gesellschaftsvertrages vom Juli 2014 für bestimmte Geschäfte eine Mehrheit von 75 Prozent der Stimmen in der Gesellschafterversammlung vorgesehen war. Der höheren Einflussnahmemöglichkeit des Geschäftsführers durch seine insoweit bestehende Sperrminorität dürfte jedoch die durch § 5 Abs. 6 Sätze 2 und 3 bewirkte Einschränkung seines Handlungsspielraums als Geschäftsführer gegenüberstehen. Unabhängig hiervon konnte der Geschäftsführer J im Regelfall von der Mehrheitsgesellschafterin W überstimmt werden (§ 8 Abs. 7 Satz 2 der Gesellschaftsverträge vom Dezember 2008 und Juli 2014). In "Schönwetter-Zeiten" (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. Juli 2015, B 12 KR 23/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 30) mag Herr J die von der Antragstellerin beschriebene Machtposition ausgeübt haben; gleichwohl hätte die Mehrheitsgesellschafterin grundsätzlich stets die rechtliche Möglichkeit besessen, den Minderheitsgeschäftsführer seiner Stellung als Geschäftsführer zu entheben. Denn die Abberufung eines Geschäftsführers bzw. die Kündigung seines Anstellungsvertrags bedurfte nach § 8 Abs. 7 der Gesellschaftsverträge nicht einer Mehrheit von 75 %. Entgegen der Auffassung der Antragsstellerin lassen sich solche personellen Entscheidungen nicht der "Organisation der Betriebsstruktur" zuordnen. Außerdem hätte Herr J seine außerordentliche Abberufung als Geschäftsführer bzw. die außerordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags im Konfliktfall nicht verhindern können, weil er nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG kein Stimmrecht besessen hätte (BGH NJW 1987, 1889; Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 6 Die Organe der GmbH, Rd. 11). Zu Recht haben daher die Antragsgegnerin und das Sozialgericht eine abhängige Beschäftigung angenommen. Dass die Antragstellerin und Herr J eine solche nicht entstehen lassen wollten, ist ohne rechtlichen Belang, weil die Anwendung öffentlichen Rechts – hier § 7 SGB IV – nicht zur Disposition der Vertragsparteien steht.
Letztlich kann der Senat offen lassen, ob angesichts dieser Aspekte auch gewichtige Umstände für eine selbständige Tätigkeit des Geschäftsführers sprechen. Denn selbst wenn die mit der Beschwerde vorgebrachten Umständen gewichtige Indizien für eine selbständige Tätigkeit darstellten, wären die Erfolgsaussichten der Klage allenfalls als offen zu bezeichnen.
Dass die Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG), ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Beitragsbescheid nicht etwa deswegen anzuordnen ist, weil die Tilgung der geforderten rückständigen Beiträge wegen ihrer Höhe unmöglich ist oder die Insolvenz des betroffenen Adressaten herbeiführen könnte (vgl. Beschluss vom 26. August 2014, L 9 KR 120/13 B ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 6). Darin mag eine Härte im Sinne des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG liegen. Diese ist aber nicht unbillig, sondern durch öffentliche Interessen geboten. Der Gesetzgeber hat in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG zum Schutze der Finanzierungsfähigkeit der gesetzlichen Sozialversicherung bei Entscheidungen über die Versicherungs- und Beitragspflicht deren sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Stellt ein Versicherungsträger Versicherungs- und Beitragspflicht sowie nachzuzahlende Beiträge – nach dem Ergebnis der rechtlichen Prüfung in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren rechtsfehlerfrei – fest, kommt eine vorübergehende Freistellung von der gesetzlich auferlegten Pflicht, die Beiträge sofort zahlen zu müssen, auch nach § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG grundsätzlich nicht in Betracht, weil die Versicherungsträger dann auf ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgaben unzweifelhaft zustehende Beiträge möglicherweise auf Jahre verzichten müssten, ohne dass sich dafür aus dem Gesetz eine hinreichende Rechtfertigung erkennen ließe. Außerdem soll verhindert werden, dass sich ein Arbeitgeber illegitime Wettbewerbsvorteile verschafft, in dem er Beiträge nicht rechtzeitig zahlt (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. Oktober 2014, L 5 R 868/14 B ER; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Mai 2010, L 11 KR 1125/10 ER-B; jeweils juris). In Fällen wie dem vorliegenden muss ein Antragsteller versuchen, eine seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (zeitweise) übersteigende Zahlungspflicht durch eine (ggf. teilweise) Stundung oder einen Erlass der gegen ihn gerichteten Forderungen so zu gestalten, dass er den Beitragsforderungen nachkommen kann, ohne in die Insolvenz zu geraten. Erweist sich das als unmöglich und ist ein Unternehmen nicht imstande, seinen öffentlich-rechtlichen Pflichten nachzukommen, ist eine Insolvenz und nicht ein Aufschub der Beitragspflicht die angemessene rechtliche Konsequenz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung, die Wertfestsetzung auf § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 4, 63 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz: Der Senat setzt in Verfahren der vorliegenden Art weiterhin die Hälfte der streitgegenständlichen Beiträge als Wert des Verfahrensgegenstandes an.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Gründe:
Die Antragstellerin wendet sich im Eilverfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheides der Antragsgegnerin vom 1. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2018. Streitgegenständlich ist eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit des Herrn D J als Geschäftsführer der Antragstellerin im Zeitraum 1. Januar 2009 bis 31. August 2016 in Höhe von 52.999,32 Euro.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Zutreffend hat das Sozialgericht maßgeblich auf § 1 Abs. 1 des Geschäftsführer-Anstellungsvertrags und den Grundsatz der Beschlussfassung durch einfache Stimmenmehrheit (jeweils § 8 Abs. 7 Satz 2 der Gesellschaftsverträge) abgestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann der Senat weitgehend Bezug auf den erstinstanzlichen Beschluss des Sozialgerichts nehmen, der den im Eilverfahren anzulegenden Entscheidungsmaßstab zutreffend darstellt und die Sach- und Rechtslage im Ergebnis zutreffend würdigt (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
In Würdigung des Beschwerdevorbringens bleibt zu ergänzen: Zwar räumte der Gesellschaftsvertrag dem über 40 Prozent der Geschäftsanteile verfügenden Geschäftsführer J eine nennenswerte Machtposition ein, indem etwa in § 5 Abs. 6 und § 8 Abs. 7 Satz 3 des Gesellschaftsvertrages vom Juli 2014 für bestimmte Geschäfte eine Mehrheit von 75 Prozent der Stimmen in der Gesellschafterversammlung vorgesehen war. Der höheren Einflussnahmemöglichkeit des Geschäftsführers durch seine insoweit bestehende Sperrminorität dürfte jedoch die durch § 5 Abs. 6 Sätze 2 und 3 bewirkte Einschränkung seines Handlungsspielraums als Geschäftsführer gegenüberstehen. Unabhängig hiervon konnte der Geschäftsführer J im Regelfall von der Mehrheitsgesellschafterin W überstimmt werden (§ 8 Abs. 7 Satz 2 der Gesellschaftsverträge vom Dezember 2008 und Juli 2014). In "Schönwetter-Zeiten" (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. Juli 2015, B 12 KR 23/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 30) mag Herr J die von der Antragstellerin beschriebene Machtposition ausgeübt haben; gleichwohl hätte die Mehrheitsgesellschafterin grundsätzlich stets die rechtliche Möglichkeit besessen, den Minderheitsgeschäftsführer seiner Stellung als Geschäftsführer zu entheben. Denn die Abberufung eines Geschäftsführers bzw. die Kündigung seines Anstellungsvertrags bedurfte nach § 8 Abs. 7 der Gesellschaftsverträge nicht einer Mehrheit von 75 %. Entgegen der Auffassung der Antragsstellerin lassen sich solche personellen Entscheidungen nicht der "Organisation der Betriebsstruktur" zuordnen. Außerdem hätte Herr J seine außerordentliche Abberufung als Geschäftsführer bzw. die außerordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags im Konfliktfall nicht verhindern können, weil er nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG kein Stimmrecht besessen hätte (BGH NJW 1987, 1889; Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 6 Die Organe der GmbH, Rd. 11). Zu Recht haben daher die Antragsgegnerin und das Sozialgericht eine abhängige Beschäftigung angenommen. Dass die Antragstellerin und Herr J eine solche nicht entstehen lassen wollten, ist ohne rechtlichen Belang, weil die Anwendung öffentlichen Rechts – hier § 7 SGB IV – nicht zur Disposition der Vertragsparteien steht.
Letztlich kann der Senat offen lassen, ob angesichts dieser Aspekte auch gewichtige Umstände für eine selbständige Tätigkeit des Geschäftsführers sprechen. Denn selbst wenn die mit der Beschwerde vorgebrachten Umständen gewichtige Indizien für eine selbständige Tätigkeit darstellten, wären die Erfolgsaussichten der Klage allenfalls als offen zu bezeichnen.
Dass die Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG), ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Beitragsbescheid nicht etwa deswegen anzuordnen ist, weil die Tilgung der geforderten rückständigen Beiträge wegen ihrer Höhe unmöglich ist oder die Insolvenz des betroffenen Adressaten herbeiführen könnte (vgl. Beschluss vom 26. August 2014, L 9 KR 120/13 B ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 6). Darin mag eine Härte im Sinne des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG liegen. Diese ist aber nicht unbillig, sondern durch öffentliche Interessen geboten. Der Gesetzgeber hat in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG zum Schutze der Finanzierungsfähigkeit der gesetzlichen Sozialversicherung bei Entscheidungen über die Versicherungs- und Beitragspflicht deren sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Stellt ein Versicherungsträger Versicherungs- und Beitragspflicht sowie nachzuzahlende Beiträge – nach dem Ergebnis der rechtlichen Prüfung in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren rechtsfehlerfrei – fest, kommt eine vorübergehende Freistellung von der gesetzlich auferlegten Pflicht, die Beiträge sofort zahlen zu müssen, auch nach § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG grundsätzlich nicht in Betracht, weil die Versicherungsträger dann auf ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgaben unzweifelhaft zustehende Beiträge möglicherweise auf Jahre verzichten müssten, ohne dass sich dafür aus dem Gesetz eine hinreichende Rechtfertigung erkennen ließe. Außerdem soll verhindert werden, dass sich ein Arbeitgeber illegitime Wettbewerbsvorteile verschafft, in dem er Beiträge nicht rechtzeitig zahlt (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. Oktober 2014, L 5 R 868/14 B ER; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Mai 2010, L 11 KR 1125/10 ER-B; jeweils juris). In Fällen wie dem vorliegenden muss ein Antragsteller versuchen, eine seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (zeitweise) übersteigende Zahlungspflicht durch eine (ggf. teilweise) Stundung oder einen Erlass der gegen ihn gerichteten Forderungen so zu gestalten, dass er den Beitragsforderungen nachkommen kann, ohne in die Insolvenz zu geraten. Erweist sich das als unmöglich und ist ein Unternehmen nicht imstande, seinen öffentlich-rechtlichen Pflichten nachzukommen, ist eine Insolvenz und nicht ein Aufschub der Beitragspflicht die angemessene rechtliche Konsequenz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung, die Wertfestsetzung auf § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 4, 63 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz: Der Senat setzt in Verfahren der vorliegenden Art weiterhin die Hälfte der streitgegenständlichen Beiträge als Wert des Verfahrensgegenstandes an.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved