L 7 AL 21/14

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 1 AL 419/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 21/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 16. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch darum, ob die Dauer der Sperrzeit aufgrund einer besonderen Härte von zwölf Wochen auf sechs Wochen zu verkürzen ist.

Der 1960 geborene Kläger war vom 1. Dezember 2000 bis 31. März 2009 als Anwendungsadministrator bei der Fa. C. Services GmbH beschäftigt; dabei war er seit dem 5. November 2008 arbeitsunfähig und erhielt seit dem 16. Dezember 2008 Krankengeld. Das Arbeitsverhältnis endete durch einen Aufhebungsvertrag, der von Arbeitgeberseite unter dem 25. November 2008 und von Seiten des Klägers unter dem 4. Dezember 2008 gezeichnet worden war. Dieser sah ein Ausscheiden "aus zwingenden betrieblichen Gründen" zum 31. März 2009 und die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 75.900,00 Euro brutto vor. Ergänzend schlossen die Arbeitsvertragsparteien unter dem gleichen Datum eine Zusatzvereinbarung, die die Teilnahme des Klägers an einer "Outplacement-Maßnahme" vorsah. Der Kläger nahm wegen des Eintritts einer Sperrzeit in diesem Zusammenhang Kontakt mit der Beklagten auf, wobei die Einzelheiten zwischen den Beteiligten streitig sind.

Nach weiterem Bezug von Krankengeld bis zum 11. August 2009, von Übergangsgeld wegen einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vom 12. August 2009 bis 2. September 2009 und erneut von Krankengeld vom 3. September 2009 bis 4. Januar 2010 meldete sich der Kläger am 5. Januar 2010 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Die Beklagte schrieb daraufhin unter dem 28. Januar 2010 den Kläger (und dessen frühere Arbeitgeberin) wegen der Umstände der Arbeitsaufgabe und des möglichen Eintritts einer Sperrzeit (und der Höhe des Arbeitsentgelts) an. Zudem bewilligte sie mit Bescheid vom 2. Februar 2010 einen Vorschuss auf das Arbeitslosengeld ab 5. Januar 2010 in Höhe von 44,41 Euro täglich; der Bescheid wies eine Anspruchsdauer von 360 Tagen bei einem Leistungsbeginn am 5. Januar 2010 und einem Leistungsende am 3. Oktober 2010 aus. In dem auf § 42 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) Allgemeiner Teil – gestützten Bescheid führte sie einleitend aus, über den Anspruch werde vorläufig entschieden. Weiter wies sie darauf hin, dass der Kläger, sollte er nach der endgültigen Entscheidung einen geringeren Anspruch haben, verpflichtet sei, zu viel gezahlte Beträge umgehend zurückzuzahlen. Auf Blatt 3 teilte sie unter "Zeiten ohne Leistungen" mit: "Über den Auszahlungsanspruch vom 1. April 2009 bis 23. Juni 2009 wird gesondert entschieden. Hierzu erhalten Sie eine weitere Nachricht von ihrer Agentur für Arbeit. In der Zeit vom 1. April 2009 bis 23. Juni 2009 wird ihr Anspruch vorläufig um 90 Tage gemindert. Dies wird noch abschließend geprüft."

Der Kläger äußerte sich zu den für die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags maßgeblichen Umständen in einem Schreiben vom 14. Februar 2010, wobei er insbesondere geltend machte, er habe sich seit längerem auf einer Liste von Mitarbeitern befunden, die betriebsbedingt hätten gekündigt werden sollen. Zur Abwendung einer entsprechenden Kündigung, bei der nur die "gesetzliche Abfindungssumme" gezahlt worden wäre, habe er den Aufhebungsvertrag unterzeichnet.

Die Beklagte erteilte in der Folgezeit unter dem 16. Februar 2010 einen Änderungsbescheid, mit dem sie das Bemessungsentgelt und damit den Leistungsbetrag ab dem 5. Januar 2010, also dem Beginn der Leistungsgewährung auf 49,32 Euro täglich erhöhte. Dabei waren Zahlungen wiederum als Vorschuss ausgewiesen. Als Anspruchsdauer waren nunmehr eine "ursprüngliche Anspruchsdauer" von 360 Tagen und eine "Anspruchsdauer ab Änderungsdatum" von 270 Tagen sowie (weiterhin) ein Leistungsbeginn am 5. Januar 2010 und ein Leistungsende am 3. Oktober 2010 ausgewiesen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 5. März 2010 Widerspruch ein und rügte die Länge des festgesetzten Bezugszeitraums vom 5. Januar 2010 bis zum 3. Oktober 2010; dies entspreche einer Anspruchsdauer von nur neun Monaten, während er tatsächlich einen Anspruch mit einer Dauer von zwölf Monaten habe.

Die Beklagte erließ sodann am 16. März 2010 den streitigen Bescheid, mit dem sie den Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe vom 1. April 2009 bis 23. Juni 2009 und die Minderung der Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs um 90 Tage feststellte. Ergänzend bewilligte sie mit Bescheid vom 17. März 2010 endgültig Arbeitslosengeld in unveränderter Höhe für 270 Tage ab dem 5. Januar 2010.

Gegen diese Bescheide legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte am 15. April 2010 Widerspruch ein, den er mit Schriftsatz vom 27. Juli 2010 ergänzend begründen ließ. Eine Sperrzeit sei nicht eingetreten, da er, hätte er den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnet, zum gleichen Zeitpunkt gekündigt worden wäre. Auch habe er die Arbeitslosigkeit nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, da ihm bereits seit längerem – unter anderem durch eine bereits im Januar 2008 angebotene Aufhebungsvereinbarung – zu verstehen gegeben worden sei, das Arbeitsverhältnis könne nicht fortgesetzt werden. Auch der Betriebsrat habe ihm eröffnet, dass das Arbeitsverhältnis in Kürze gekündigt werde und ihm den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung nahegelegt. Jedenfalls aber könne eine Anspruchsminderung nicht eintreten, da diese entfalle, wenn das Ereignis, das die Sperrzeit begründe, bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen länger als ein Jahr zurückliege. Das sei hier der Fall, da die Unterschrift des Klägers unter den Aufhebungsvertrag bereits am 4. Dezember 2008 erfolgt sei, dieser aber bis 3. Januar 2010 nicht arbeitsfähig gewesen sei und Krankengeld bezogen habe. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, sei der Kläger zumindest auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als habe er den Antrag erst später gestellt, da die Beklagte ihn insoweit unzureichend beraten habe.

Die Beklagte wies unter dem 29. Juli 2010 zum einen den Widerspruch wegen der vorläufigen Festsetzung der Anspruchsdauer und zum anderen – mit einem weiteren Widerspruchsbescheid vom gleichen Tage – den Widerspruch wegen der Sperrzeit als unbegründet zurück. Das wegen der vorläufigen Festsetzung daraufhin eingeleitete Klageverfahren (S 1 AL 420/10) endete durch (fiktive) Klagerücknahme (§ 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG) am 17. April 2011.

Wegen der hier streitgegenständlichen Sperrzeit hat der Kläger am 3. September 2010 beim Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben und zur Begründung sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Er habe zu keinem Zeitpunkt einen Hinweis darauf erhalten, dass es Sinn machen könne, den Antrag auf Arbeitslosengeld noch nicht gleich zu Beginn des Jahres 2010 zu stellen. Insoweit habe auch eine Spontanberatungspflicht der Beklagten bestanden. Im Übrigen sei der Bewilligungsbescheid im Hinblick auf die durch den vorangegangenen Bescheid vom 16. Februar 2010 bewilligte Anspruchsdauer bereits formell rechtswidrig.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht eine Auskunft der Fa. C. Services GmbH eingeholt, die mit Schreiben vom 22. August 2011 darauf hingewiesen hat, dass maßgeblich für den Aufhebungsvertrag eine Verlagerung von Tätigkeiten an nicht deutsche Standorte gewesen sei. Hiervon sei auch der Kläger betroffen gewesen. In diesem Rahmen sei ein Interessenausgleich geschlossen worden; Beendigungskündigungen seien jedoch explizit möglich gewesen. Eine Aussage, ob und zu welchem Zeitpunkt dem Kläger betriebsbedingt gekündigt worden wäre, sei nicht möglich. Durch freiwillige Instrumente wie den Abschluss von Aufhebungsverträgen habe von der harten Maßnahme betriebsbedingter Beendigungskündigungen abgesehen werden können.

Weiter hat das Sozialgericht den Zeugen D. gehört, der im Dezember 2008 den Kläger als Mitarbeiter der Beklagten beraten hatte und Erklärungen der Mitarbeiter der Beklagten, Herrn E. und Frau F., eingeholt. Schließlich hat die Beklagte einen Ausdruck der zum Kläger gefertigten Beratungsvermerke übersandt.

Mit Urteil vom 16. Dezember 2013 hat das Sozialgericht Darmstadt sodann den Bescheid der Beklagten vom 16. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2010 teilweise aufgehoben und die festgestellte Sperrzeit auf sechs Wochen und die Anspruchsminderung auf 42 Tage reduziert. Des Weiteren hat es die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2010 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe in einem Umfang von 318 Tagen zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Die Feststellung einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe als solche sei unter Bezugnahme auf § 144 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB III in seiner noch bis 31. März 2012 geltenden Fassung (künftig: a.F.) nicht zu beanstanden. Durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages habe der Kläger sein Beschäftigungsverhältnis zum Ablauf des 31. März 2009 gelöst; dieses habe insbesondere noch nicht durch den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit geendet (Verweis auf LSG NRW, 16.11.2011 – L 9 AL 82/11 zur vergleichbaren Problematik des Eintritts einer Sperrzeit wegen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit).

Den anschließenden Eintritt der Arbeitslosigkeit habe der Kläger auch grob fahrlässig herbeigeführt. Hierfür sei – allgemein wie im konkreten Fall des Klägers – ausreichend, dass er zum Zeitpunkt der Mitwirkung an der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses keine konkrete Aussicht auf ein nahtlos beginnendes Anschlussarbeitsverhältnis gehabt habe. Dagegen führe der Umstand, dass das Vorgehen des Klägers durchaus nachvollziehbar erscheine, nicht dazu, dass die grobe Fahrlässigkeit entfallen würde, da sie sich allein auf den absehbaren Eintritt von Arbeitslosigkeit beziehe. Insbesondere ändere der Personalabbau bei der Arbeitgeberin, die damit im Raume stehende anderweitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Einbeziehung des Betriebsrates nichts daran, dass für den Kläger unschwer abzusehen gewesen sei, dass er durch den Aufhebungsvertrag arbeitslos werden würde. Nach Auffassung der Kammer führe schließlich auch die zwischenzeitliche Arbeitsunfähigkeit nicht zu einer anderen Bewertung, da dennoch für den Kläger leicht absehbar gewesen sei, dass er durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags seine Arbeitslosigkeit (wenn auch wegen der Arbeitsunfähigkeit zu einem etwas späteren Zeitpunkt) herbeiführen würde.

Schließlich liege auch ein wichtiger Grund im Sinne von § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III a.F., der den Eintritt einer Sperrzeit hindern würde, nicht vor. Ein wichtiger Grund könne sich danach in Sachverhaltskonstellationen wie der hiesigen insbesondere daraus ergeben, dass die Arbeitgeberin konkret eine rechtmäßig betriebsbedingte Kündigung zum gleichen Zeitpunkt (oder früher) in Aussicht gestellt hat (vgl. für viele nochmals BSG, 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 RBSGE 92, 74). Davon könne die Kammer sich nicht überzeugen. Es sei bereits nicht erkennbar, dass eine Kündigung (zum gleichen Zeitpunkt) tatsächlich gedroht hätte, dass die Arbeitgeberin also tatsächlich eine Kündigung ausgesprochen hätte, wenn der Kläger sich nicht auf die gewählte Lösung eingelassen hätte. Der Personalabbau bei der früheren Arbeitgeberin sei nämlich nach deren Mitteilung an das Gericht vom 22. August 2011 vollständig ohne Ausspruch betriebsbedingter Kündigung erfolgt. Es sei kein Anhaltspunkt ersichtlich, dass die Arbeitgeberin hiervon gerade im Fall des Klägers abgewichen wäre. Vor diesem Hintergrund könne offenbleiben, ob eine Kündigung zum gleichen Zeitpunkt überhaupt noch (rechtmäßig) hätte erfolgen können, konkret welche Kündigungsfrist für den Kläger maßgeblich gewesen ist. Ganz erhebliche Zweifel hieran müssten allerdings bestehen, nachdem der Kläger den Aufhebungsvertrag erst am 4. Dezember 2008 gezeichnet habe und nach seinen eigenen Angaben eine Kündigungsfrist von vier Monaten bestanden habe. Eine rechtmäßige Kündigung – einschließlich des notwendigen Vorlaufs mit einer Betriebsratsanhörung zum konkreten Kündigungsvorhaben – wäre daher zum gleichen Zeitpunkt wohl nicht denkbar gewesen. Auch sonst sei ein wichtiger Grund nicht ersichtlich. Die in Aussicht gestellte und durch den Aufhebungsvertrag realisierbare Abfindung könne zwar ein Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliege, sein, genüge alleine aber nach Auffassung der Kammer nicht (vgl. auch BSG, 17.11.2005 – B 11a/11 AL 69/04 R – BSGE 95, 232). Ein möglicher Irrtum des Klägers hinsichtlich des Eintritts einer Sperrzeit und insbesondere zum Vorliegen eines wichtigen Grundes im Hinblick auf den Personalabbau bei seiner Arbeitgeberin stelle selbst keinen wichtigen Grund dar. Ein solcher müsse vielmehr regelmäßig objektiv vorliegen (BSG, 13.03.1997 – 11 RAr 25/96SozR 3-4100 § 119 Nr. 11), was hier, wie bereits ausgeführt, nicht der Fall sei. Eine Ausnahme könne nur dann gelten, wenn der Kläger sich gezielt vor Abschluss des Aufhebungsvertrags bei einer hierfür kompetenten Stelle – in aller Regel bei der Beklagten selbst – nach den sperrzeitrechtlichen Auswirkungen des von ihm beabsichtigten Vorgehens erkundigt hätte und ihm von dort ausdrücklich und unmissverständlich bestätigt worden wäre, dass eine Sperrzeit nicht drohe. Davon könne sich die Kammer nicht überzeugen: Eine Prüfung durch die Beklagte vor Abschluss des Aufhebungsvertrags sei nicht belegt; die erste Vorsprache des Klägers bei der Beklagten sei vielmehr – nach Terminvereinbarung am 15. Dezember 2008 – für den 17. Dezember 2008 dokumentiert. Zu diesem Zeitpunkt sei der Aufhebungsvertrag aber bereits geschlossen gewesen. Auch wenn der Zeuge D. also, wie vom Kläger vorgetragen und angesichts der Beratungsvermerke und dessen eigener Aussage naheliegend, die Einschätzung abgegeben haben dürfte, eine Sperrzeit werde nicht eintreten, habe dies keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung des Klägers haben können, der die Aufhebungsvereinbarung bereits unter dem 4. Dezember 2008 gezeichnet hatte.

Allerdings liege in der Feststellung einer Sperrzeit mit der regulären Dauer von zwölf Wochen nach Auffassung der Kammer eine besondere Härte. Die Dauer der Sperrzeit sei daher auf sechs Wochen zu verkürzen (§ 144 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 lit. b SGB III a.F.). Eine besondere Härte im Sinne der genannten Vorschrift liege vor, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Regeldauer von zwölf Wochen im Hinblick auf die für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (BSG, Urt. v. 4. September 2011 – B 7 AL 4/01 RSozR 3-4100 § 119 Nr. 22). Davon sei hier unter Berücksichtigung alle Umstände des einzelnen Falles auszugehen. Von Bedeutung sei insoweit für die Kammer insbesondere, dass das Ausscheiden des Klägers Teil eines umfassenden Personalabbaus bei der früheren Arbeitgeberin gewesen sei. Von daher sei davon auszugehen, dass – wenn es dem Kläger gelungen wäre, seine eigene Kündigung abzuwenden – ein anderer Arbeitnehmer hätte ausscheiden müssen, weil die Arbeitgeberin kaum ihre Personalabbauziele aufgegeben hätte. Auch wenn das Sperrzeitrecht in erster Linie bei dem individuellen Beschäftigungsverhältnis ansetze, sei dieser Zusammenhang nach Auffassung der Kammer jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der besonderen Härte zu berücksichtigen. Hinzu komme, dass der Kläger glaubhaft mitgeteilt habe, schon zum zweiten Mal dem Ansinnen ausgesetzt gewesen zu sein, einen Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen, und auch der Betriebsrat ihm zum Ausscheiden geraten habe. Vor diesem Hintergrund erscheine es nachvollziehbar, dass der Kläger es für aussichtslos gehalten habe, sein Arbeitsverhältnis dauerhaft zu erhalten, und sich daher zu dessen einvernehmlicher Beendigung gegen (höhere) Abfindung bereit erklärt habe. Auch die Zusatzvereinbarung zum Aufhebungsvertrag, die seine Teilnahme an einer sogenannten outplacement-Maßnahme bis zur Vermittlung in eine neue Tätigkeit vorgesehen habe, zeige, auch wenn die frühere Arbeitgeberin die Kosten hierfür aufzubringen hatte, dass sich der Kläger nicht einfach achtlos über die Interessen der Versichertengemeinschaft hinweggesetzt habe. Nach allem habe zwar ein wichtiger Grund für die Mitwirkung am Ausscheiden nicht vorgelegen; der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit aber würde eine besondere Härte bedeuten. Die Beklagte habe somit im Ergebnis den Eintritt einer Sperrzeit ab 1. April 2009 dem Grunde nach zu Recht festgestellt, hätte dies aber nur im Umfang von sechs Wochen tun dürfen. Der Sperrzeitbescheid sei daher (nur) teilweise aufzuheben gewesen.

Die Minderung der Anspruchsdauer folge aus § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III a.F. Allerdings reduziere sie sich wegen der Begrenzung der Sperrzeit auf sechs Wochen auf 42 Tage. Der Sperrzeitbescheid sei auch insoweit teilweise aufzuheben gewesen; darüber hinaus sei die Beklagte unter Abänderung des Leistungsbescheides zur Gewährung von Arbeitslosengeld für weitere 48 Tage, also für insgesamt 318 Tage, zu verurteilen gewesen, nachdem das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach (§ 117 ff. SGB III a.F., also Arbeitslosigkeit, Anwartschaftszeiterfüllung und Arbeitslosmeldung) auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt worden sei und die Kammer auch sonst keinen Anlass für Zweifel hieran habe.

Gegen das der Beklagten am 15. Januar 2014 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Darmstadt hat diese am 13. Februar 2014 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei vorliegend auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht von einer besonderen Härte auszugehen. Die vom Sozialgericht hierfür angeführten Gründe überzeugten nicht und ließen den Schutzgedanken des Arbeitsrechts außer Acht. Auch komme es für das Vorliegen einer besonderen Härte nicht darauf an, dass der Arbeitgeber mit Nachdruck die Annahme eines Aufhebungsvertrages fordere. Gleiches gelte für Äußerungen und/oder allgemeine Empfehlungen des Betriebsrates. Auch diese könnten, ebenso wie die vereinbarte Outplacement-Maßnahme, eine besondere Härte nicht begründen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 16. Dezember 2013 aufzuheben, soweit der Bescheid vom 16. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2010 teilweise aufgehoben und die festgestellte Sperrzeit auf sechs Wochen und die Anspruchsminderung auf 42 Tage reduziert wurde und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2010 verurteilt wurde, dem Kläger Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe in einem Umfang von 318 Tagen zu gewähren, und die Klage auch insoweit abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung wird auf die erstinstanzlichen Schriftsätze Bezug genommen.

Mit Schriftsätzen vom 13. November 2014 (Klägerseite) und 17. November 2014 (Beklagte) haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung ausdrücklich einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (Band I und II) sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, der jeweils Gegenstand der Beratung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung treffen, weil sich die Beteiligten damit übereinstimmend einverstanden erklärt hatten (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Berufung ist zulässig, ein Ausschließungsgrund (§ 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG) liegt nicht vor. Durch das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt wird die Beklagte im Ergebnis verpflichtet, für weitere 48 Tage Arbeitslosengeld zu zahlen. Bei einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 49,32 Euro (vgl. Änderungsbescheid vom 16. Februar 2010, Bl. 30 der Gerichtsakte) wird die Berufungssumme (= Wert des Beschwerdegegenstandes im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) deutlich überschritten.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht Darmstadt das Vorliegen der Voraussetzungen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe dem Grunde nach bejaht und aufgrund des Vorliegens einer besonderen Härte die festgestellte Sperrzeitdauer auf sechs Wochen und in der Folge auch die Anspruchsminderung von 90 Tagen auf 42 Tage reduziert. Gleiches gilt für die sich danach für die Beklagte ergebende Verurteilung zur Gewährung von Arbeitslosengeld für die Dauer von 318 Tagen anstatt bisher 270 Tagen. Der Senat schließt sich nach eigener Überzeugung den Ausführungen des Sozialgerichts an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG).

Die im Berufungsverfahren von der Beklagten vorgetragenen Bedenken zum Vorliegen einer besonderen Härte greifen zur Überzeugung des Senats nicht durch. Die Vorschrift des § 144 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 b) SGB III a.F. (in gleicher Weise zwischenzeitlich § 159 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 b) SGB III) sieht eine Halbierung der Regelsperrzeit vor, wenn die Sperrzeit von zwölf Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Eine besondere Härte ist anzunehmen, wenn das Verhalten des Versicherten, ohne dass es als wichtiger Grund anerkannt werden kann, gleichwohl verständlich und vertretbar erscheint. Die rechtlichen Folgewirkungen, die mit dem Eintritt einer Sperrzeit konkret verbunden sind, können in die Abwägung einbezogen werden (BSG, Urteil vom 4. September 2011 – B 7 AL 4/01 R, SozR 3-4100 § 119 Nr. 22). Maßgeblich sind dabei immer die Gesamtumstände des Einzelfalles. Dies berücksichtigend hat das Sozialgericht vorliegend das Vorliegen der Voraussetzungen einer besonderen Härte zu Recht angenommen. Insbesondere begegnet es keinen Bedenken, die Tatsache, dass es schon das zweite Ansinnen des Arbeitgebers - unterstützt sogar durch den Betriebsrat – gewesen ist, den Kläger zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu veranlassen, in die Bewertung der Gesamtumstände mit einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund erscheint es – obwohl für die Bejahung eines wichtigen Grundes nicht ausreichend – durchaus verständlich und vertretbar, dass der Kläger es für aussichtslos gehalten hat, sein Arbeitsverhältnis auf Dauer erhalten zu können und sich daher zu dessen einvernehmlicher Beendigung gegen (höhere) Abfindung bereiterklärt hat. Gleiches gilt für die vom Sozialgericht angeführte Tatsache, dass das Ausscheiden des Klägers offensichtlich Teil eines umfassenden Personalabbaus bei seiner früheren Arbeitgeberin gewesen ist. Auch dieser Aspekt kann ohne Weiteres in die Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalles einbezogen werden, wie auch die Tatsache, dass der Kläger ausweislich der im Rahmen einer Zusatzvereinbarung zum Aufhebungsvertrag vereinbarten Teilnahme an einer Outplacement-Maßnahme zum Ausdruck gebracht hat, dass er sich nicht einfach achtlos über die Interessen der Versichertengemeinschaft hinweggesetzt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Die Bewertung erfolgt allein auf Grund der Gesamtumstände des Einzelfalls. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Auch eine Divergenz im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nicht vor. Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 28. November 2014 auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. März 1997 (11 Rar 17/96, juris) verweist, ergibt sich daraus für den vorliegenden Fall nichts anderes, da ein Irrtum über die für den Eintritt einer Sperrzeit maßgebenden Tatsachen für die Begründung der besonderen Härte hier nicht herangezogen wird. Ansonsten hat auch das Bundessozialgericht in der angesprochenen Entscheidung ausdrücklich ausgeführt (juris Rn. 30): " ... Das BSG hat bei der Beurteilung der Frage, ob eine Sperrzeit nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen für den Arbeitslosen eine besondere Härte bedeutet, entscheidend auf eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls abgestellt (BSG SozR 4100 § 119 Nr 32; SozR aaO Nr 33). Daran ist festzuhalten. Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Härte, der in ganz unterschiedlichen Regelungsbereichen Anwendung findet (vgl BSG SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr 1), entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Deutung seines Begriffsinhalts. Er kann folglich nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Regelungsbereiches konkretisiert werden. Bezogen auf die unterschiedlichen Sperrzeittatbestände bedeutet dies, daß die Annahme einer besonderen Härte dann gerechtfertigt ist, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (BSG SozR 4100 § 119 Nr 32)."
Rechtskraft
Aus
Saved