L 12 SF 29/17

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 12 SF 29/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Abwarten auf eine entscheidungserhebliche Leitentscheidung gilt als sog. aktive Bearbeitungszeit mit der Folge, dass ein Verfahren trotz einer Verfahrenslaufzeit von 2 Jahren und 7 Monaten, regelmäßiger Wiedervorlagen zu Verfahrensbeginn und nachfolgender Verfügung ins Sitzungsfach keine gerichtliche Inaktivität feststellbar ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 47).

Das Abwarten auf eine Leitentscheidung kann dabei auch ohne förmliche Aussetzung oder einen Ruhensbeschluss vom Gestaltungsspielraum des Gerichts gedeckt sein, wenn für das Entschädigungsgericht hinreichend erkennbar ist, dass das Gericht auf eine Leitentscheidung gewartet und das Verfahren aus diesem Grund nicht gefördert hat (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 5 B 13/17 D -, Rn. 6, juris).
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 2.600,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer des vor dem Sozialgericht Schleswig geführten Klageverfahrens S 16 AS 468/14 (im Folgenden: Ausgangsverfahren).

Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der bei den Klägern zu berücksichtigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 30. Juli 2014 setzte der beklagte Kreis Leistungen für den Zeitraum 1. Dezember 2013 bis 31. Mai 2014 endgültig fest und berücksichtigte anstelle der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft in Höhe von 500,00 EUR lediglich Mietkosten in Höhe von 427,00 EUR monatlich. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der beklagte Kreis mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2014 mangels nachgewiesener Vollmacht für den im Namen der Kläger handelnden Rechtsanwalt als unzulässig zurück.

Mit Schreiben vom 8. September 2014 beantragten die Kläger die Überprüfung des Widerspruchsbescheides nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Mit Schreiben vom 12. September 2014, eingegangen am 18. September 2014, leitete der beklagte Kreis den Widerspruchsvorgang an das Sozialgericht Schleswig weiter, weil das Vorgehen angesichts der noch nicht abgelaufenen Klagefrist als Klage anzusehen sei. Am 3. Oktober 2014 erhoben die Kläger förmlich, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 2. September 2014. Zur Klagebegründung führte der Prozessbevollmächtigte umfangreich insbesondere zur Frage der fehlenden Bevollmächtigung sowie zur Frage eines schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten im Kreis aus.

Mit Verfügung vom 9. Oktober 2014 übersandte das Sozialgericht dem beklagten Kreis die Klageschrift zur Stellungnahme binnen einer Frist von einem Monat.

Mit Hinweisvermerken vom 10. Oktober 2014 und 20. Oktober 2014 wurde das Verfahren gemeinsam mit dem Parallelverfahren S 16 AS 408/14 vorgelegt. Gegenstand des Parallelverfahrens S 16 AS 408/14 waren ebenfalls höhere Unterkunftskosten der Kläger im vorangegangenen Bewilligungszeitraum vom 1. Mai 2013 bis 31. Dezember 2013 (vgl. L 12 SF 98/16 EK).

Mit Schriftsatz vom 24. November 2014, eingegangen bei Gericht am 25. November 2014, erwiderte der beklagte Kreis auf die Klage und verteidigte die Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig. Der Schriftsatz vom 24. November 2014 ist zusammen mit den weiteren Verfahren der Kläger S 16 AS 408/14 sowie S 16 AS 578/14 vorgelegt worden. Gegenstand des Verfahrens S 16 AS 578/14 waren höhere Unterkunftskosten der Kläger im Folgezeitraum vom 1. Juni 2014 bis zum 30. November 2014. Mit der Klagerwiderung vom 24. November 2014 in den Verfahren S 16 AS 408/14 und S 16 AS 578/14 wies der beklagte Kreis darauf hin, dass die Rechtsfrage, ob das Konzept des Kreises Nordfriesland den Anforderungen des Bundessozialgerichts (BSG) an die Schlüssigkeit genüge, bei dem 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (LSG) in diversen Verfahren (L 3 AS 126/13, L 13 AS 184 - 187/13 und L 3 AS 17/14) anhängig sei. Die Schriftsätze vom 24. November 2014 leitete das Sozialgericht dem Prozessbevollmächtigten der Kläger jeweils mit Verfügung vom 27. November 2014 zur Stellungnahme binnen Monatsfrist weiter und regte in den Parallelverfahren S 16 AS 408/14 und S 16 AS 578/14 darüber hinaus an, die Verfahren bis zur Entscheidung des LSG über die genannten Verfahren ruhend zu stellen.

Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2014, eingegangen bei Gericht am 3. Dezember 2014, nahm der Bevollmächtigte im Ausgangsverfahren zur Vermeidung von Wiederholungen auf den bisherigen Sach- und Rechtsvortrag Bezug und bat zur Frage des Nachweises der Bevollmächtigung im Vorverfahren um einen richterlichen Hinweis. Den Schriftsatz übersandte das Sozialgericht dem Beklagten am 5. Dezember 2014 zur Kenntnisnahme. In den gleichzeitig vorgelegten Parallelverfahren S 16 AS 408/14 und S 16 AS 578/14 sprach der Prozessbevollmächtigte sich mit weiteren Schriftsätzen vom 1. Dezember 2014 ausdrücklich gegen ein Ruhen der Verfahren bis zur Entscheidung des 3. Senats des LSG aus.

In der Folge erfolgten Wiedervorlagen des Ausgangsverfahrens am 5. März 2015, 6. Juli 2015, 6. Oktober 2015 und am 7. Januar 2016 - jeweils gemeinsam mit den Verfahren S 16 AS 408/14 und S 16 AS 578/14.

Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2015, eingegangen bei Gericht am 15. Dezember 2015, bat der Prozessbevollmächtigte im Parallelverfahren S 16 AS 578/14 um Mitteilung des Sachstandes bezogen auf die bei dem 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen LSG anhängigen Verfahren. Den Schriftsatz leitete das Gericht mit Verfügung vom 17. Dezember 2015 an den beklagten Kreis zur Stellungnahme weiter, der mit Schriftsatz vom 5. Januar 2016, eingegangen am 7. Januar 2016, mitteilte, dass eine Entscheidung in den anhängigen Verfahren vor dem LSG noch ausstehe. Am 11. Januar 2016 verfügte die Vorsitzende nach Vorlage des Ausgangsverfahrens die Verfahren gemeinsam mit den vorbezeichneten Parallelverfahren in das Sitzungsfach.

Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2015, eingegangen bei dem Sozialgericht per Fax am 19. April 2016, erhob der Prozessbevollmächtigte der Kläger im Ausgangsverfahren Verzögerungsrüge gemäß § 197 Abs. 4 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG; gemeint § 198 Abs. 3 GVG). Zur Begründung führte er aus, dass der letzte Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 datiere. Da das Gericht zur Frage des Nachweises der Bevollmächtigung seit über einem Jahr keinen Hinweis erteilt habe, bestehe Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werde. Die Vorsitzende leitete dem beklagten Kreis den Schriftsatz am 20. April 2016 zur Kenntnis weiter, vermerkte die Erhebung einer Verzögerungsrüge im Fachprogramm und verfügte das Verfahren danach erneut - gemeinsam mit den Parallelverfahren - ins Sitzungsfach.

Im Parallelverfahren S 16 AS 578/14 wies der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 16. September 2016, eingegangen am Gericht am 21. September 2016, unter Bezugnahme auf den Schriftsatz des beklagten Kreises Nordfriesland vom 5. Januar 2016 darauf hin, dass dieser in anderen Verfahren darauf hinweise Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des 3. Senats des LSG Schleswig-Holstein erhoben zu haben. Vor diesem Hintergrund rege er an, den beklagten Kreis zur Übersendung einer anonymisierten nicht veröffentlichten Entscheidung aufzufordern. Den Schriftsatz leitete das Sozialgericht dem beklagten Kreis am 26. September 2016 zur Kenntnis- und eventuellen Stellungnahme - mit einer Erklärungsfrist von einem Monat - weiter und verfügte die Akte erneut ins Sitzungsfach. Der Erwiderung des beklagten Kreises Nordfriesland mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2016, eingegangen am Gericht am 27. Dezember 2016, wonach die Entscheidungen des LSG durch die Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerden noch nicht rechtskräftig und daher für den Beklagten noch nicht bindend seien, fügte er die Eingangsbestätigungen des BSG bei und forderte den Prozessbevollmächtigten auf, anonymisierte Entscheidungen direkt beim LSG anzufordern. Er gehe allerdings davon aus, dass dem Prozessbevollmächtigten die Entscheidungen inzwischen vorlägen. Den Schriftsatz leitete das Gericht am 5. Januar 2017 an den Prozessbevollmächtigten der Kläger weiter.

Mit am 5. Januar 2017 eingegangenem Schriftsatz vom 2. Januar 2017 beantragte der Bevollmächtigte der Kläger im Ausgangsverfahren Akteneinsicht in die Gerichtsakte. Daraufhin teilte die Vorsitzende dem Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 6. Januar 2017 die Absicht des Gerichts mit, in den Verfahren der Kläger aus den Jahren 2014 bis 2016 im Februar 2017 einen mündlichen Verhandlungstermin anzuberaumen.

Mit Verfügung vom 11. Januar 2017 beraumte das Sozialgericht Termin zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung mit weiteren sieben Klagen der Kläger (S 16 AS 408/14 VR, S 16 AS 578/14 VR, S 16 AS 438/14, S 16 AS 468/15, S 16 AS 258/16, S 16 AS 268/16 und S 16 AS 568/16) für den 16. Februar 2017 an und übersandte dem Bevollmächtigten antragsgemäß die Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens mit der Ladung zum Termin zur Einsichtnahme, die dieser mit Schriftsatz vom 23. Januar 2017 an das Sozialgericht zurücksandte. Die Klage begründete er sodann ergänzend mit Schriftsätzen vom 4. Februar 2017 und 11. Februar 2017. Dazu stellte er u.a. klar, dass der (streitgegenständliche) Bewilligungszeitraum für den Monat Dezember dem Grunde nach für den vorliegenden Rechtsstreit (nunmehr) außer Betracht bleibe, da dieser Monat bereits im Parallelverfahren S 16 AS 408/14 streitgegenständlich gewesen sei.

Mit Urteil vom 16. Februar 2017 gab das Sozialgericht der Klage statt. In den Urteilsgründen setzte sich das Sozialgericht ausführlich mit dem vorgelegten Konzept zur Ermittlung der Mietobergrenze für die Empfänger von Grundsicherungsleistungen im Kreis auseinander. Nachdem das LSG in umfangreichen Entscheidungen erst am 13. Mai 2016 sowie am 17. Juni 2016 die den Verfahren zugrundeliegende Methode der Gegenkontrolle und das Konzept zur Bestimmung der Unterkunftskosten schließlich gänzlich verworfen und eine Verpflichtung zu einer rückwirkenden Primärdatenerhebung zur Erstellung eines gänzlich neuen Konzepts abgelehnt habe, habe das Gericht (erst jetzt) die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft unter Rückgriff auf die Wohngeldtabelle in § 12 Wohngeldgesetz zuzüglich eines Zuschlages von 10 % definieren können. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 4. April 2017 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

Mit bei Gericht am 29. März 2017 eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger eine Entschädigungsklage anhängig gemacht und zur Begründung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - ausgeführt: Die vollständige Klage sei am 3. Oktober 2014 einschließlich Anlagen beim Gericht eingegangen. Die Klagerwiderung sei mit Schriftsatz des Gerichts vom 27. November 2014 übersandt worden; darauf sei mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 erwidert worden. Bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge am 2. Dezember 2015 und erneut bis zur Ladung zum Termin am 16. Februar 2017 durch gerichtliche Verfügung vom 11. Januar 2017 seien keine prozessfördernden Handlungen mehr erfolgt. Unter Zubilligung einer Bedenkzeit von einem Jahr sei das Verfahren im Dezember 2015 entscheidungsreif gewesen; ab diesem Zeitpunkt sei der Beginn einer unangemessenen Verfahrensdauer anzunehmen. Da seit diesem Zeitpunkt weitere 13 Monate verstrichen seien, ergebe sich bei zwei Klägern ein Anspruch in Höhe von 2.600,00 EUR (13 Monate * 2 Kläger * 100,00 EUR).

Die Kläger beantragen,

das beklagte Land zu verurteilen, an die Kläger Schadensersatz in Höhe von 2.600,00 EUR als Entschädigung für eine überlange Verfahrensdauer zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Entschädigungsklage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Entschädigungsklage mit Schriftsatz vom 20. September 2017 entgegengetreten. Das Sozialgericht habe im Rahmen der ihm zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit (nach Klageerwiderung am 25. November 2014 und Replik der Kläger am 3. Dezember 2014) von dem Ergebnis der obergerichtlichen Entscheidung Gebrauch machen wollen. Das ergebe sich aus den regelmäßigen Wiedervorlagen sowie der Bezugnahme auf weitere Verfahren. So sei die Akte der Vorsitzenden im Anschluss an ihre letzte Verfügung vom 4. Dezember 2014 regelmäßig mit drei- bis viermonatigen Wiedervorlagefristen vorgelegt worden. Dieses "Abwarten" des Ausgangsgerichts sei angesichts der entscheidungsrelevanten Grundsatzfrage zur Bestimmung der Mietobergrenze im Sinn einer gebotenen Verfahrensförderung gerechtfertigt gewesen. Die Kläger hätten durch das "Zuwarten" keine schwerwiegende Belastung im Sinne einer Beeinträchtigung in einem Grund- und Menschenrecht erlitten. Vielmehr habe das Ausgangsgericht unter den gegebenen Umständen aus der (maßgeblichen) ex-ante-Sicht die Richtigkeit der Rechtsanwendung über die "Schnelligkeit" des Verfahrens stellen und die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen LSG für die (richtige) Beurteilung der Erfolgsaussichten für die Klage auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen - hier Kosten der Unterkunft - nach dem SGB II abwarten dürfen. Daraus erwachse keine (entschädigungsrelevante) Zeit gerichtlicher Inaktivität. Im Anschluss an die obergerichtliche Entscheidung zum Mietobergrenzen-Konzept sei das Verfahren zügig beendet worden. Insbesondere sei für diesen Verfahrensabschnitt zu berücksichtigen, dass der Bevollmächtigter noch mit Schriftsatz vom 2. Januar 2017 Akteneinsicht in die Gerichtsakte beantragt habe, in dessen Folge er erst mit Schriftsätzen vom 4. Februar und 11. Februar 2017 den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum - ohne den Dezember 2013 - klargestellt habe.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der des Ausgangsverfahrens S 16 AS 468/14 sowie der Parallelverfahren S 16 AS 408/14 (vgl. dazu Entschädigungsklage L 12 SF 98/16 EK) und S 16 AS 578/14 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage auf Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Schleswig unter dem Az. S 16 AS 468/14 geführten Klageverfahrens ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Maßgebend für das Entschädigungsklageverfahren sind die §§ 198 ff. GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG), jeweils in der Fassung vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) und des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2554). Nach § 201 Abs. Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren im ersten Rechtszug heranzuziehen. Nach § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Kläger stützen die begehrte Entschädigungszahlung auf § 198 GVG, wonach angemessen entschädigt wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet (Satz 1 der Vorschrift). Eine vorherige Verwaltungsentscheidung sieht das Gesetz nicht vor.

Die Klagefrist des § 198 Abs. 5 GVG ist gewahrt. Danach kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden; die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Ausgehend von der am 20. April 2016 bei dem Sozialgericht Schleswig eingegangenen Verzögerungsrüge und dem rechtskräftigen Urteil vom 16. Februar 2017 erfolgte die Erhebung der Entschädigungsklage am 29. März 2017 fristgerecht.

Das beklagte Land ist passivlegitimiert, § 200 Satz 1 GVG.

Die Klage ist jedoch nicht begründet, denn die Voraussetzungen des § 198 GVG sind vorliegend nicht erfüllt.

§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG setzt voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2, § 198 Abs. 4 GVG). Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge, § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Maßstäbe (BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 28 ff.; Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 23 ff.; Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - Rn. 33 ff., juris) erfolgt die Prüfung der (Un-)Angemessenheit der Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG in drei Schritten:

(1) Ausgangspunkt und erster Schritt bildet die Feststellung der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Kleinste relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat.

(2) In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen. Dabei ist zu beachten, dass die Verfahrensführung des Ausgangsgerichts vom Entschädigungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen ist.

(3) Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei geht das BSG davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe lässt sich eine unangemessene Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens nicht feststellen:

(zu 1) Das erstinstanzliche Verfahren hat vom 18. September 2014 (Weiterleitung durch den beklagten Kreis ) bzw. der originären Klagerhebung der Kläger vom 3. Oktober 2014 (Faxeingang) bis zur Zustellung des Urteils vom 16. Februar 2017 am 4. April 2017 insgesamt 2 Jahre und 7 Monate angedauert.

(zu 2) a) Bei der Messung des Ablaufs des Ausgangsverfahrens an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist zunächst festzustellen, dass das Verfahren einen überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Im Streit stand, ob der beklagte Kreis den Widerspruch mangels Vorlage der Originalvollmacht der Kläger als unzulässig zurückweisen durfte und ob der beklagte Kreis im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum über ein "schlüssiges Konzept" im Sinne der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, Rn. 18 ff, juris) zur Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten verfügte. Letzteres war zum Zeitpunkt der Klageerhebung in den Tatsacheninstanzen noch nicht abschließend geklärt (zur Rechtsanwendung des "schlüssigen Konzepts" im Einzelfall durch die Tatsacheninstanzen vgl. BSG, Beschluss vom 7. Oktober 2015 – B 14 AS 255/15 B –, juris). Nach den Entscheidungen des LSG Schleswig-Holstein vom 13. Mai 2016 - L 3 AS 126/16 - und vom 17. Juni 2016 - L 3 AS 184/13 bis 187/13 - und den mit Beschlüssen des BSG vom 14. Dezember 2016 - B 14 AS 251/16 B (zu L 3 AS 126/16) - und vom 20. Dezember 2016 - B 4 AS 247/16 B, B 14 AS 248/16 B, B 4 AS 249/16 B, B 14 AS 250/16 B (zu L 3 AS 184/13 bis 187/13) zurückgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerden -, wonach der beklagte Kreis in der Vergangenheit (bis Juni 2015) nicht über ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der kommunalen Angemessenheitsgrenze für die Unterkunftskosten verfügt, verurteilte das Sozialgericht den beklagten Kreis zur Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung unter Zugrundelegung der Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetzes zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % und sprach den Klägern für den streitgegenständlichen Zeitraum weitere Leistungen in Höhe von insgesamt 292,02 EUR zu. Zudem wies die Bescheidlage eine besondere Komplexität auf, da es sich um die endgültige Feststellung vorläufig gewährter Leistungen unter Anrechnung von Einkommen und der Feststellung einer Erstattungsleistung in Höhe von 309,03 EUR handelte. Vor diesem Hintergrund ist von einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit des Ausgangsverfahrens auszugehen. Dieser Gesichtspunkt hat sich auch im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Februar 2017 und der Anerkennung einer Erhöhung der Mittelgebühr um 20 % niedergeschlagen.

b) Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens ist zumindest durchschnittlich gewesen. Die für die Beurteilung der Verfahrensdauer relevante Bedeutung des Verfahrens ergibt sich aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zur Bedeutung der Sache im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition der Kläger und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 -, Rn. 29 juris). Aus diesem Grunde wird existenzsichernden Leistungen regelmäßig überdurchschnittliche Bedeutung für ihren Empfänger beigemessen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 -, Rn. 18, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 39, juris). Eine Klage auf Grundsicherungsleistungen ist auch nicht deshalb weniger bedeutsam und dringlich, weil sich die Kläger nicht um einstweiligen Rechtsschutz bemüht haben (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R -, Rn. 29, juris). Im vorliegenden Fall standen existenzsichernde Leistungen im Streit. Die Kläger begehrten statt der ihnen nur anteilig bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung Am Ochsenkamp 4, 25813 Husum in Höhe von 427,00 EUR für einen 3-Personen-Haushalt die Übernahme der kopfanteiligen tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 500,00 EUR. Aus der für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II wirtschaftlich bedeutsamen Höhe des Begehrens für den Streitzeitraum (1. Dezember 2013 bis 31. Mai 2014) von insgesamt 292,02 EUR (6 x 48,67 EUR) einerseits und der der Forderung der Kläger gegenüberstehenden Erstattungsforderung in Höhe von 309,03 EUR ergibt sich eine durchschnittliche Bedeutung des Ausgangsverfahrens. Letztlich standen den Klägern im streitigen Zeitraum höhere Leistungen auf der Grundlage der vorläufigen Bewilligungsentscheidung und der durch Aufnahme einer Beschäftigung verbesserten Einkommensverhältnisse zur Verfügung, die es ihnen ermöglichten, im Bewilligungszeitraum die Bedarfe einschließlich der streitigen Unterkunftsbedarfe weitestgehend zu decken. Gleichwohl waren die Kläger im Ausgangsverfahren angesichts des unzutreffend bestimmten Unterkunftsbedarfs im Rahmen der endgültigen Leistungsfestsetzung einer Erstattungsforderung ausgesetzt, so dass zusammen mit der von den Klägern wohl auch beabsichtigten Signalwirkung für weitere Bewilligungszeiträume vorliegend von einer zumindest durchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens auszugehen ist.

c) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich zudem danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind. Denn eine Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit hängt wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen (§ 200 GVG), also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, Rn. 41 unter Bezugnahme auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, juris).

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist dabei zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, Rn. 14, juris). Angesichts dessen muss dem Gericht in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, Rn. 44, juris). Bei der Bestimmung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer sind daher keine zu engen zeitlichen Grenzen zu ziehen (vgl BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL -, Rn. 27; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013, - 5 C 23/12 D -, Rn. 41 f mwN; BFH, Zwischenurteil vom 11.Juli 2013 - X K 13/12 -, Rn. 54, juris). Allerdings müssen die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (vgl BVerfG, stattgebender Kammerbeschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, Rn. 11 und Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 -, juris).

Zudem eröffnet das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Vielmehr hat das Entschädigungsgericht die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Die Prozessordnung räumt dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Grundrechts Art 19 Abs. 4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 43 mwN., juris).

Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (BT-Drucks 17/3802 S 18; BSG, Urteile vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - und - B 10 ÜG 2/12 KL -, jeweils zu Rn. 25 ff mwN, juris), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG grundsätzlich jeder Instanz des Ausgangsverfahrens eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, Rn. 27 und 45 ff, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 54;BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R -, Rn. 46 f.; BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R -, Rn. 33, juris), soweit nicht nach den besonderen Umständen des Einzelfalles (etwa wegen erheblicher Bedeutung als Musterprozess) ausnahmsweise eine kürzere bzw. gar keine (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 50; BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 1/13 R -, Rn. 32, juris) oder eine längere Vorbereitungs- und Bedenkzeit (etwa wegen exzessiver Inanspruchnahme der Gerichte: vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2016 - L 37 SF 360/13 EK AS -, Rn. 81 f, juris) anzusetzen ist. Diese Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann am Anfang, in der Mitte oder am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt 12 Monate nicht übersteigende Abschnitte, unterteilt sein (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, Rn. 46, juris).

Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen erst dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D -, Rn. 42; BGH Urteil vom 13. Februar 2014, - III ZR 311/13 -, Rn. 31 mwN; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rn. 35; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 –; juris). Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben ist und das Verfahren weder betrieben noch sonst gefördert hat. Damit kommt eine Rechtfertigung von Verzögerungen bei strukturellen Mängeln wie eine Überlastung der Gerichte oder anderen in den Verantwortungsbereich des Staates fallenden Umständen nicht in Betracht (vgl umfassend BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D –, Rn. 43 mwN zur Rechtsprechung des EGMR und BVerfG).

Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (z.B. Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht dies die Verfahrensdauer in der Regel noch nicht unangemessen. Auch ein Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren kommt als sog. aktive Bearbeitungszeit in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von unmittelbarer Relevanz sind (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 31; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss, - 1 BvR 170/16 - Vz 1/12 [Verzögerungsbeschwerde] -, Rn. 32 f. (Zurückstellung zugunsten eines Pilotverfahrens); BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 47, juris) oder wenn die Beteiligten diesem Vorgehen ausdrücklich zustimmen. Das Abwarten auf eine Leitentscheidung oder eine Entscheidung in einem Parallelverfahren kann dabei auch ohne förmliche Aussetzung oder einen Ruhensbeschluss vom Gestaltungsspielraum des Gerichts gedeckt sein, wenn für das Entschädigungsgericht hinreichend erkennbar ist, dass das Gericht auf eine Leitentscheidung gewartet und das Verfahren aus diesem Grund nicht gefördert hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 5 B 13/17 D -, Rn. 6, juris). Anderes gilt hingegen für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird, oder sich auf sog. Schiebeverfügungen beschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/14 R –, Rn. 48, juris).

Vor diesem Hintergrund kommt es auf die fehlende Zustimmung des Prozessbevollmächtigten zum Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf die seinerzeit im 3. Senat anhängigen Berufungsverfahren L 3 AS 126/13 sowie L 3 AS 183/13 bis L 3 AS 187/13, in denen die auch im Ausgangsverfahren relevante Frage eines schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten im Kreis zur Entscheidung anstand, nicht entscheidungserheblich an.

Vor dem Hintergrund der Ruhensanregung des Gerichts angesichts der bei dem Schleswig-Holsteinischen LSG anhängigen Berufungsverfahren in den Parallelverfahren der Kläger - S 16 AS 408/14 und S 16 AS 578/14 -, der eindeutig ablehnenden Haltung der Kläger einerseits und der Verfahrensführung der Kammervorsitzenden, sich die in ihrer Kammer anhängigen Verfahren der Kläger zum gleichen Verfahrensgegenstand jeweils gleichzeitig vorlegen zu lassen, ist für das Entschädigungsgericht hinreichend deutlich, dass das Gericht den Ausgang der von dem beklagten Landkreis benannten Berufungsverfahren zur entscheidungserheblichen Rechtsfrage abwarten wollte. In diesem Zusammenhang darf das Ausgangsverfahren nicht isoliert betrachtet, vielmehr muss es gemeinsam mit den zeitgleich geführten Parallelverfahren der Kläger, den Verfahren S 16 AS 408/14 und S 16 AS 578/14, gesehen werden. Die regelmäßige Wiedervorlage aller die Unterkunftskosten der Kläger betreffenden Verfahren nach Ablehnung der Ruhensanregung des Gerichts mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 in den Parallelverfahren bis zur Verfügung vom 11. Januar 2016 ("Sitzungsfach") lassen zur Überzeugung des Senats nur diesen Rückschluss zu. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt, dass die Kammervorsitzende des Ausgangsverfahrens die Verfahren am 11. Januar 2016 ins Sitzungsfach verfügt hat. Mit dieser Verfügung hat die Kammervorsitzende das Verfahren - einschließlich der mitlaufenden Parallelverfahren - aus der von der Geschäftsstelle zu überwachenden Fristenkontrolle genommen. Soweit der Prozessbevollmächtigte einwendet, dass mit dem Terminus "Sitzungsfach" zum Ausdruck komme, dass das Verfahren nunmehr entscheidungsreif sei und eine Zeit der gerichtlichen Inaktivität darstelle, vermag der erkennende Senat sich vor dem Hintergrund des erkennbaren Abwartens der obergerichtlichen Entscheidung zur entscheidungserheblichen Rechtsfrage nicht anzuschließen. Denn offensichtlich ging auch der Prozessbevollmächtigte der Kläger seinerzeit davon aus, dass das Ausgangsgericht keine eigenen Ermittlungen vornehmen, sondern die Entscheidung des 3. Senat abwarten wollte, wie sich aus seinen Anfragen vom 8. Dezember 2015 sowie vom 16. September 2016 im Parallelverfahren S 16 AS 578/14 zum Verfahrensstand der Musterverfahren deutlich ergibt.

Nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidungen des LSG vom 13. Mai 2016 und 17. Juni 2016 durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerden des BSG vom 14. und 20. Dezember 2016 hat das Gericht das Ausgangsverfahren - gemeinsam mit einer Vielzahl an Parallelverfahren der Kläger - am 11. Januar 2017 kurzfristig auf den 16. Februar 2017 terminiert und abschließend entschieden. Damit hat das Gericht nach Wegfall der (faktischen) Ruhensgründe sichtbar zum Ausdruck gebracht, nunmehr das Verfahren durch Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zu fördern. Angesichts der unmittelbar nach Veröffentlichung der Nichtzulassungsbeschwerden seitens des BSG erfolgten Terminierung des Ausgangsverfahrens sowie weiterer Parallelverfahren der Kläger wird zudem deutlich erkennbar, dass das Ausgangsgericht trotz Herausnahme des Ausgangsverfahrens aus der regelmäßigen Wiedervorlage die Verfahren der Kläger im Blick behalten hat.

Der Senat geht mit dem 10. Senat des BSG (Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 47) davon aus, dass das Abwarten auf eine entscheidungserhebliche Leitentscheidung - hier: L 3 AS 126/13 sowie L 3 AS 183/13 bis L 3 AS 187/13 - als sog. aktive Bearbeitungszeit gilt mit der Folge, dass im Ausgangsverfahren trotz einer Verfahrenslaufzeit von 2 Jahren und 7 Monaten und einer Vielzahl an Wiedervorlagen im 3 bzw. 4 Monatsrhythmus bzw. der Verfügung ins Sitzungsfach ab dem 11. Januar 2016 keine gerichtliche Inaktivität bestand.

Angesichts dessen lässt sich vorliegend eine unangemessene Verfahrensdauer nicht begründen. Aus Sicht des Senats erübrigt sich damit eine Auseinandersetzung mit der Rechtsauffassung des BFH (Urteil vom 2. Dezember 2015 - X K 6/14 -, Rn. 40 f, juris), wonach, sofern die Beteiligten auf gerichtliche Anfrage einem Ruhen des Verfahrens mit Rücksicht auf ein bei dem BFH anhängiges Revisionsverfahren in einer parallelen Angelegenheit nicht zustimmen - vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls im Allgemeinen -, davon ausgegangen werden könne, dass für die Verfahrensverzögerung in dieser Zeitspanne keine Entschädigung in Geld zu gewähren sei und die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG ausreichend sei.

Vor diesem Hintergrund bedarf es auch nicht der vertieften Erörterung der Frage, ob die per Fax am 19. April 2016 bei dem Sozialgericht eingegangene Verzögerungsrüge wirksam erhoben worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt der Sachentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Der Streitwert war gemäß § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 2.600,00 EUR festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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