L 3 R 17/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 4 R 1312/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 17/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Dezember 2016 wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versagung einer Erwerbsminderungsrente wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 66 Absatz 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).

Die am xxxxx 1967 geborene Klägerin hat die d. Staatsangehörigkeit und einen Grad der Behinderung von 50 mit dem Merkzeichen G. Sie hat nie gearbeitet und bezieht Grundsicherungsleistungen vom Sozialamt sowie Pflegegeld von der Pflegeversicherung.

Am 6. Juni 2011 beantragte sie bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung. Beigefügt war ein Attest vom Allgemeinmediziner Dr. K., der eine seropositive Polyarthritis bescheinigte (Attest vom 7. April 2000), eine Kopie des im Rahmen der Arbeitslosengeld-II-Bewilligung unter dem 7. Dezember 2009 erstellten Gutachtens von Dr. K1 sowie Atteste des Allgemeinmediziners S. vom 13. April 2010 (Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit auf Dauer) und 3. Dezember 2010 (Bescheinigung, dass aufgrund einer psychischen Erkrankung eine längere ambulante Maßnahme vorgesehen sei).

Die Beklagte bestellte die Klägerin unter Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung zu zwei Untersuchungsterminen ein. Hierzu erschien die Klägerin nicht.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2012 wurde die beantragte Rente bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt, weil die Klägerin der Aufforderung, sich einer ärztlichen Untersuchungsmaßnahme zu unterziehen, nicht nachgekommen sei und ein Ausschlussgrund nach § 65 SGB I nicht vorliege. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Eine Begutachtung mit Untersuchung kam im Widerspruchsverfahren ebenfalls nicht zustande. Im Widerspruchsbescheid vom 22. November 2013 wurde die Versagungsentscheidung auf-rechtgehalten und dargelegt, dass die eingereichten ärztlichen Berichte und das arbeits-amtsärztliche Gutachten vom 7. Dezember 2009 nicht ausreichend für die Leistungsbeurteilung seien. Die Klägerin sei mehrfach zur ärztlichen Untersuchung eingeladen worden, aber nicht erschienen, sondern habe geltend gemacht, eine Begutachtung sei aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Stattdessen habe sie ein Ambulanzgespräch in der Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätskrankenhauses E. wahrgenommen, bei dem verschiedene Verdachtsdiagnosen geäußert worden seien, und den Bericht hierüber vorgelegt. Auch habe sie ein Schreiben ihrer Krankenversicherung über die Zuerkennung der Pflegestufe 1 und das Pflegegutachten vom 12. September 2013 ein-gereicht. All dies sei nicht ausreichend, um die Voraussetzungen für eine Rentengewährung zu prüfen. In den medizinischen Unterlagen würden die angegebenen Ängste, die Wohnung zu verlassen, nicht erwähnt. Außerdem zeige der Besuch der Fachambulanz des Universitätskrankenhauses E., dass die Wohnung für eine Untersuchung verlassen werden könne. Daher sei eine sozialmedizinische Begutachtung zumutbar. Die Versagung der Rente sei somit zu Recht erfolgt.

Die am 18. Dezember 2013 erhobene Klage hat das Sozialgericht nach Beiziehung weiterer Unterlagen und Einholung des Gutachtens des Neurologen/Psychiaters Dr. R. vom 5. September 2015 nach Aktenlage mit Urteil vom 1. Dezember 2016 abgewiesen. Der an-gegriffene Bescheid vom 24. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2013 sei rechtmäßig. Die Beklagte habe die Rentengewährung zu Recht versagt, weil die Klägerin zweimal ohne wichtigen Grund zur Untersuchung nicht erschienen sei und ohne die Durchführung einer ambulanten Untersuchung inklusive einer Blutuntersuchung die Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht festgestellt werden könnten. Die Beklagte habe insoweit ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Soweit die Klägerin im Klageverfahren die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente an-strebe, sei die Klage unzulässig, denn hierüber habe die Beklagte nicht entschieden, so dass es an einem Verwaltungsverfahren mangele.

Gegen die erstinstanzliche Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, ihr würde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund einer bei ihr vorliegenden rheumatischen Erkrankung zustehen. In ärztlicher Behandlung sei sie nicht. Sie behauptet, auch nicht krankenversichert zu sein.

Entsprechend ihrem Vorbringen stellt die Klägerin sinngemäß den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Dezember 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat im Berufungsverfahren ursprünglich die Auffassung vertreten, die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 7. September 2018 hat die Beklagte nach Hin-weisen des Senats auf den Ermessensnichtgebrauch in ihren Bescheiden den angegriffenen Bescheid vom 24. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2013 aufgehoben und angekündigt, über den Rentenantrag bzw. die Versagung der beantragten Leistung erneut zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 16. Januar 2018 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Trotz des Nichterscheinens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung konnte der Senat den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden, denn ausweislich des Zustellnachweises ist die Klägerin ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt und darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens entschieden werden kann (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet.

Da es sich bei der Klage gegen einen Bescheid, der eine Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 66 SGB I versagt, um eine reine Anfechtungsklage handelt, ist die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Leistungsgewährung unzulässig, mithin die Berufung gegen die diesbezügliche Ablehnung durch die erste Instanz unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht in der angegriffenen Entscheidung ausgeführt, eine solche Klage sei vorliegend nicht statthaft. Mit einem Versagungsbescheid wird keine Beweislastentscheidung in der Sache getroffen, sondern nur ein Fehlverhalten eines Leistungsberechtigten sanktioniert. Erweist sich im gerichtlichen Verfahren die Einschätzung des Leistungsträgers in Bezug auf das Fehlverhalten als unzutreffend, erfolgt hierdurch noch keine Aussage zum Leistungsanspruch. Über das Bestehen eines Leistungsanspruches bzw. eine Versagung – unter Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens – hat der Leistungsträger nach Aufhebung der Versagungsentscheidung grundsätzlich erneut zu entscheiden. Dies hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch angekündigt. Für den geltend gemachten Leistungsanspruch der Klägerin fehlt es damit an der Zulässigkeit der Klage. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht im Weiteren Bezug auf die Begründung des sozialgerichtlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die gegen den Versagungsbescheid nach § 66 SGB I statthafte Anfechtungsklage ist dadurch unzulässig geworden, dass die Beklagte ihre Bescheide aufgehoben hat. Bei der Aufhebung der angegriffenen Bescheide handelt es sich nicht um ein bloßes Anerkenntnis. Vielmehr stellt sie – bezogen auf den Prozessgegenstand - die Vornahme einer tatsächlichen, das Prozessbegehren erfüllenden Handlung und damit prozessrechtlich einen Realakt und nicht nur eine prozessuale Willenserklärung dar. Die durch die Aufhebung der angegriffenen Bescheide eintretende Rechtsfolge, der Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin für die Anfechtungsklage, tritt tatsächlich ein, ohne dass dieser Effekt vom Willen der Behörde abhängig wäre. Wegen der Erfüllung des Prozessbegehrens braucht ein Anerkenntnisurteil nicht mehr zu ergehen.

Nach alledem ist die Berufung insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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