S 4 R 82/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 82/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 120/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RE 4/17 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 25.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin ab dem 01.05.2013 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Tätigkeit als Senior Manager, Biotech Quality Team Lead (Leitende Position im Qualitätsmanagement für Biotech Produkte) bzw. Biotech Quality Team Lead/ Gruppenleiterin Biotech Quality bei der Fa. C. GmbH zu befreien.

2. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ab dem 01.05.2013.

Die 1968 geborene Klägerin ist ausgebildete Tierärztin und seit dem 19.08.1993 approbiert.

Am 15.01.2013 schloss sie mit der Beigeladenen zu 2) einen Arbeitsvertrag. Danach war sie ab 01.05.2013 als "Senior Manager, Biotech Quality Team Lead (Leitende Position im Qualitätsmanagement für Biotech Produkte)" bei der Beigeladenen zu 2) beschäftigt. Zwischenzeitlich ist die Klägerin unter der Funktionsbezeichnung "Biotech Quality Team Lead/Gruppenleiterin Biotech Quality" bei der Beigeladenen bei inhaltsgleicher Tätigkeit beschäftigt.

Die Beigeladene zu 2) ist ein pharmazeutisches Unternehmen, welches sich nach eigenen Angaben auf die Herstellung und Entwicklung von Plasmaprotein-Biotherapeutika spezialisiert hat. Die Beigeladene zu 2) produziert und vertreibt weltweit eine breite Palette von plasmabasierten und rekombinanten Therapeutika. Konkret bietet die Beigeladene zu 2) Produkte insbesondere in den Indikationsgebieten Gerinnungsstörungen, Immundefekte, Wundheilung und Intensivmedizin an.

Die Klägerin ist nach den Ausführungen des Beigeladenen zu 2) mit der Gruppenleitung für die biotechnologischen Produkte betraut. Daneben ist die Klägerin verantwortlich für die generelle Sicherung der GMP(Good Manufacturing Practice)-Compliance, für die qualitätssichernde Betreuung der zuständigen Bereiche durch adäquate und zeitgerechte Bearbeitung von Abweichungen und Prüfung, Bewertung und Genehmigung von Änderungskontroll-, Qualifizierungs- und Validierungsdokumenten sowie die Leitung und Koordinierung von internen und standortübergreifenden Projekten. Der Klägerin obliegen nach den Ausführungen der Beigeladenen zu 2) insbesondere folgende Aufgaben:

- Sicherstellung von Qualität und Sicherheit der biotechnologischen Produkte zum Wohle der Patienten durch die Sicherstellung der "current Good Manufacturing Practices (cGMP)" und weiteren regulatorischen Anforderungen,
- Verbesserung und Nachverfolgung der "Corrective And Preventive Actions (CAPA)" im Rahmen des Qualitätsmanagementsystems für die biotechnologischen Produkte,
- Einführung und Überwachung qualitätsverbessernder Maßnahmen für die biotechnologischen Produkte innerhalb des Unternehmens und gemeinsam mit dritten Parteien,
- Unterstützung hinsichtlich Qualitäts- und Compliance-Aspekten für Projekte und Standorte, die biotechnologische Herstellungsverfahren zum Gegenstand haben,
- Überprüfung und Freigabe der chargenbezogenen Dokumentation im Einklang mit den nationalen und internationalen Anforderungen,
- Sicherstellung der Umsetzung von behördlichen Anforderungen und Industriestandards und konzerneigener Vorgaben im GMP-Bereich,
- Unterstützung von beauftragten Lohnherstellern (Contract Manufacturing Organisations, CMO) bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von behördlichen Inspektionen, ggf. auch direkte Interaktion mit den Inspektoren,
- Prüfung und Unterstützung von Anträgen auf Erteilung der arzneimittelrechtlichen Zulassung.

Die Aufzählung entspricht im Wesentlichen dem Tätigkeitsprofil in der englischsprachigen Stellenbeschreibung. Aus dieser geht des Weiteren hervor, dass sie sich an einen Pharmazeuten oder einen Absolventen eines anderen akademischen Studiengangs einer verwandten Naturwissenschaft (Biochemie, Biotechnologie, Biologie, Chemie, Human- oder Veterinärmedizin) richtet.

Die Klägerin beantragte am 18.03.2013 bei der Beklagten die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab dem 01.05.2013. Das Versorgungswerk der Landestierärztekammer Hessen, der Beigeladene zu 1), bescheinigte der Klägerin, dass sie aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Mitglied der Landestierärztekammer Hessen sowie dessen Versorgungswerks ab dem 01.05.2013 ist.

Nach Vorlage der englischsprachigen Stellenbeschreibung und des Arbeitsvertrags vom 15.01.2013, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.07.2013 den Befreiungsantrag ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Tätigkeit der Klägerin bei der Beigeladenen zu 2) nicht berufsspezifisch sei, da für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) das tierärztliche Studium und die Approbation keine unabdingbaren Zugangsvoraussetzungen seien. Aus der Stellenbeschreibung ergebe sich, dass auch Absolventen anderer naturwissenschaftlicher Studiengänge die Voraussetzungen erfüllt hätten.

Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Befreiungsberechtigung könne nur aus einer berufsspezifischen Tätigkeit als Tierärztin, auf der die Pflichtmitgliedschaft beruhe, hergeleitet werden. Die Befreiungsfähigkeit beurteile sich bei Tierärzten/innen danach, ob für die konkrete Tätigkeit die Berufsausbildung notwendige Zugangsvoraussetzung sei, was jedenfalls im Fall der Heilkunde am Tier der Fall sei. Im Einzelfall könne sich die Befreiung auch auf solche Tätigkeiten erstrecken, die zwingend die Approbation als Tierarzt erforderten, was vorliegend schon aufgrund der Stellenausschreibung ersichtlich nicht der Fall sei.

Hiergegen richtet sich die am 26.02.2014 bei dem Sozialgericht Gießen erhobene Klage.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 23.09.2014 das Versorgungswerk der Landestierärztekammer Hessen und mit weiterem Beschluss vom 14.01.2016 die Arbeitgeberin der Klägerin, die C. GmbH, notwendig zum Verfahren beigeladen. Mit demselben Beschluss vom 14.01.2016 hat das Gericht des Weiteren die Landestierärztekammer einfach zum Verfahren beigeladen.

Die Klägerin ist im Wesentlichen der Auffassung, dass sie einen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die beschriebene Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) habe. Bei der von ihr ausgeübten Tätigkeit handele es sich um eine tierärztliche Tätigkeit im Sinne der maßgeblichen einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Vorschriften. Aus diesen ergebe sich ihre Pflichtmitgliedschaft in der Landestierärztekammer Hessen und im Versorgungswerk der Landestierärztekammer Hessen. Maßgeblich hierfür seien die Approbation und die Ausübung des tierärztlichen Berufs in Bundesland Hessen. Für die Auffassung der Beklagten, dass die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI auf eine "approbationspflichtige Tätigkeit" beschränkt sei, gebe es keine Grundlage. Die Beklagte habe offenbar überholte Vorstellung von der Tätigkeit von Tierärzten und der zugrundeliegenden Hochschulausbildung. Insbesondere sei eine Tätigkeit in der pharmazeutischen Industrie keine berufsfremde Tätigkeit.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 01.05.2013 Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Tätigkeiten als Senior Manager, Biotech Quality Team Lead (Leitende Position im Qualitätsmanagement für Biotech-Produkte) bzw. Biotech Quality Team Lead/Gruppenleiterin Biotech Quality bei der Fa. C. zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den streitgegenständlichen Bescheiden. Ergänzend führt sie insbesondere aus, dass es für die Pflichtmitgliedschaft in den tierärztlichen Berufskammern nach den einschlägigen kammerrechtlichen Regelungen nicht zwingend auf die Ausübung des Tierarztberufs ankomme, sondern die Approbation als Tierarzt und eine Berufsausübung in Hessen genüge. Der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfordere jedoch eine Schnittmenge dergestalt, dass die rentenrechtlich in Frage stehende Beschäftigung auch dem mit dem Status des Tierarztes verbundenen Tätigkeitsbereich zugehören müsse. Dementsprechend liege eine befreiungsfähige Tierarzttätigkeit nur vor, wenn die Tätigkeit objektiv zwingend die Approbation als Tierarzt voraussetze und gleichzeitig dem typischen, durch die Hochschulausbildung und den entsprechenden Hochschulabschluss geprägten Berufsbild und Tätigkeitsbereich des Tierarztes entspreche. Anders als im Beitragsrecht der Kammern sei eine berufsspezifische Tätigkeit danach nicht bereits gegeben, wenn noch Kenntnisse und Fähigkeiten der tierärztlichen Ausbildung mit verwendet würden, vielmehr müsse es sich um eine "approbationspflichtige Tätigkeit" handeln. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Dass sie Kenntnisse aus dem tiermedizinischen Studium verwende und die tiermedizinische Qualifikation von großem Vorteil sei, reiche zur Annahme einer tierärztlichen Tätigkeit i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht aus. Anderslautende Urteile der Sozial- und Landessozialgerichte stellten Einzelfallentscheidungen dar.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Der Beigeladene zu 1) ist der Auffassung, dass die Klägerin aufgrund der von ihr ausgeübten Tätigkeit zwingend Pflichtmitglied der Landestierärztekammer Hessen und im Versorgungswerk sei. Er verweist zur Begriffsbestimmung der tierärztlichen Tätigkeit auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zum Beitragsrecht der Kammern, die auch im Sozialrecht anzuwenden sei, da auch das Bundessozialgericht auf das einschlägige Kammerrecht verwiesen habe. Im Übrigen sei entgegen der Auffassung der Beklagten nicht jeder approbierte Tierarzt, der in Hessen (irgendeinen) Beruf ausübe, Pflichtmitglied in der Kammer, sondern nur die Tätigkeit als Tierärztin oder Tierarzt führe zur Pflichtmitgliedschaft.

Die Beigeladene zu 2) stützt im Wesentlichen die Auffassung der Klägerin. Die Klägerin übe bei der Beigeladenen zu 2) eine tierärztliche Tätigkeit im Sinne der versorgungs- und kammerrechtlichen Vorschriften aus. Die Beklagte sei an das kammerrechtliche Verständnis der tierärztlichen Berufsausübung gebunden und habe die Klägerin – auch zur Vermeidung einer beitrags- bzw. abgabenbezogenen Doppelbelastung - von der Rentenversicherungspflicht zu befreien.

Die Beigeladene zu 3) hat mit Schreiben vom 02.02.2016 die maßgeblichen bundes- und landesrechtlichen Vorschriften zur Akte übersandt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 25.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ab 01.05.2013 für die Tätigkeiten als Senior Manager, Biotech Quality Team Lead (Leitende Position im Qualitätsmanagement für Biotech-Produkte) bzw. Biotech Quality Team Lead/Gruppenleiterin Biotech Quality bei der Beigeladenen zu 2).

Gemäß § 6 Abs. 1 SGB VI werden Beschäftigte und selbstständig Tätige von der Versicherungspflicht für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit befreit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist. Die Befreiung ist auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI).

Alleine streitig ist vorliegend, ob die Klägerin eine Beschäftigung ausübt, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer ist. Die weiteren Voraussetzung gemäß § 6 Abs. 1 SGB VI liegen unstreitig vor.

Ob ein Beschäftigter oder selbstständig Tätiger wegen der streitigen Beschäftigung bzw. Tätigkeit Pflichtmitglied einer Versorgungseinrichtung und einer berufsständigen Kammer ist, ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die abstrakte berufliche Qualifikation des Beschäftigten an. Maßgeblich ist vielmehr die Klassifikation der Tätigkeit, für welche die Befreiung begehrt wird (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 R, juris, Rn. 34; Hessisches LSG, Urteil vom 06.02.2014, L 1 KR 8/13, juris; Urteil vom 28.04.2016, L 1 KR 347/15, juris).

Das Recht zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI steht zudem nur solchen Personen zu, die eine berufsspezifische, d.h. eine für den in der jeweiligen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung pflichtversicherten Personenkreis typische Berufstätigkeit im Beschäftigungsverhältnis oder selbstständig ausüben (vgl. Boecken in: Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung, hrsg. v. Ruland/Försterling, § 6 Rn. 49 m.w.N.). Voraussetzung für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist nämlich, dass die Pflichtmitgliedschaft wegen der Beschäftigung besteht. Angesichts dieser sprachlichen Verknüpfung ist ein kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung und der Mitgliedschaft in den berufsständischen Körperschaften nötig (vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2014, B 5 RE 13/14 R, juris, Rn. 27). Mit anderen Worten ist unter Berücksichtigung von § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI der Inhalt des jeweiligen konkreten Beschäftigungsverhältnisses maßgeblich und nicht etwa nur die Berufsbezeichnung, die berufliche Qualifikation oder der berufliche Status (BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R -, juris Rn. 18, 34). Die Befreiungsmöglichkeit besteht daher nicht für Personen, die zwar Pflichtmitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, jedoch einer berufsfremden Tätigkeit nachgehen (zur Vereinbarkeit der gleichzeitigen Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung und in einem berufsständigen Versorgungswerk mit Art. 3 Abs. 1 GG s. BVerwG, Beschluss vom 23.03.2000, 1 B 15/00), (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 06.02.2014, a.a.O.).

Ausgang der Prüfung einer Befreiung sind daher zunächst die versorgungs- und kammerrechtlichen Normen.

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Hessisches Heilberufsgesetz (in der Fassung vom 7. Februar 2003, GVBl. I 2003, 66) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 der Satzung der Landestierärztekammer Hessen (LTK) gehören alle Tierärzte der LTK an, die ihren Beruf in Hessen ausüben; von der Mitgliedschaft ausgenommen sind die bei der Aufsichtsbehörde tätigen Tierärzte (§ 2 Abs. 1 der Satzung). Tierärzte, die ihren Beruf nicht oder nicht mehr ausüben, können gemäß § 2 Abs. 2 der Satzung freiwillig Mitglieder werden.

Gemäß § 5a Abs. 1 Hessisches Heilberufsgesetz in Verbindung mit § 7 der Satzung des Versorgungswerkes der LTK Hessen sind Pflichtmitglieder des Versorgungswerkes alle Kammerangehörigen, soweit sie nicht gemäß § 8 von der Pflichtmitgliedschaft ausgenommen sind. Gemäß § 8 Abs. 1 a) sind von der Pflichtmitgliedschaft zum Versorgungswerk Kammerangehörige ausgenommen, die eine tierärztliche Tätigkeit nicht ausüben. Tierärztliche Tätigkeit wird darin beschrieben als jede Tätigkeit, bei der die während des veterinärmedizinischen Studiums erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten verwertet werden. Gemäß § 8 Abs. 1 i) sind die freiwilligen Mitglieder der LTK von der Pflichtmitgliedschaft ausgenommen.

Nach § 3 der Berufsordnung der LTK (in der Fassung vom 18. Juli 2012) hat der Tierarzt die Aufgabe, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen ( ) und den Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Tierkrankheiten sowie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer Herkunft zu schützen. Der Tierarzt hat ebenso die Aufgabe, zum Schutz des Verbrauchers und der Umwelt die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln ( ) sicherzustellen. Gemäß § 4 Abs. 1 der Berufsordnung ist unter tierärztlicher Berufsausübung jede Tätigkeit zu verstehen, bei der während des veterinär-medizinischen Studiums erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten verwertet werden. Die Berufsbezeichnung "Tierarzt" darf führen, wer als Tierarzt approbiert oder entsprechend befugt ist, § 27 der Berufsordnung. Der niedergelassene Tierarzt kann sich als "praktischer Tierarzt" bezeichnen, § 28 der Berufsordnung (vgl. insg. Hess. LSG, a.a.O.).

Diese Maßgaben zugrunde gelegt, ist die Klägerin, die Pflichtmitglied in der hessischen Tierärztekammer und dem entsprechenden Versorgungswerk und für die Beigeladene zu 2) tierärztlich tätig ist, von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien.

Der Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin liegt in der Qualitätssicherung und -sicherheit bei der Herstellung von aus tierischen Zellen gewonnener rekombinanter Gerinnungsfaktoren, bei denen es sich um Arzneimittel gemäß § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) handelt. Die Klägerin ist insbesondere verantwortlich für die Einhaltung der Qualitäts- und Sicherheitsstandard nach nationalen und europäischen Vorgaben. Hierzu zählen die Good Manufacturing Practices (GMP), die ihre Grundlage im europäischen Recht und eine Umsetzung in das nationale Recht erfahren haben. Sie haben die Qualitätssicherung in den Produktionsabläufen und der pharmazeutischen Herstellungsumgebung bei der Produktion und Prüfung von Arzneimitteln zum Gegenstand.

Um die entsprechenden Aufgaben der beruflichen Tätigkeit der Klägerin verantwortlich wahrnehmen zu können, sind entsprechende Kenntnisse erforderlich, die unter anderem im Rahmen eines veterinärmedizinischen Studiums erworben werden. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Approbation von Tierärztinnen und Tierärzten (TAppV) sollen in der Ausbildung zum Tierarzt/zur Tierärztin die grundlegenden veterinärmedizinischen, naturwissenschaftlichen, fächerübergreifenden und methodischen Kenntnisse, praktische Fertigkeiten, geistige und ethische Grundlagen und die dem Wohle von Mensch, Tier und Umwelt verpflichtete berufliche Einstellung vermittelt werden, derer es bedarf, den tierärztlichen Beruf in seiner gesamten Breite verantwortlich unter besonderer Berücksichtigung der Qualitätssicherung auszuüben. Gemäß Anlage 1 der TAppV sind u.a.
- Physik,
- Chemie,
- Physiologie und Biochemie,
- Pharmakologie und Toxikologie einschließlich Klinischer Pharmakologie; Arznei- und Betäubungsmittelrecht, Arzneiverordnungs- und anfertigungslehre, Rückstandsbildung und -vermeidung, Risikoerfassung,
- Bakteriologie, Mykologie, Virologie, Parasitologie, Immunologie, Tierseuchenbekämpfung, Epidemiologie,
- Allgemeine Pathologie, Spezielle pathologische Anatomie und Histologie einschließlich Obduktionen,
- Lebensmittelkunde einschließlich Lebensmittelhygiene, Technologie und Qualitätssicherung, Lebensmitteltoxikologie, Rückstandsbeurteilung, Lebensmittelrecht und Untersuchung von Lebensmitteln; Milchkunde einschließlich Technologie und Qualitätssicherung, Mikrobiologie der Milch und Milchuntersuchungen; Fleisch- und Geflügelfleischhygiene einschließlich Technologie und Qualitätssicherung

Inhalt der veterinärmedizinischen Ausbildung. Kenntnisse in diesen Disziplinen sind zur verantwortlichen Aufgabenwahrnehmung der Klägerin unabdingbar. Die Tätigkeit eines/r Senior Manager, Biotech Quality Team Lead (Leitende Position im Qualitätsmanagement für Biotech-Produkte) bzw. Biotech Quality Team Lead/Gruppenleiterin Biotech Quality erfordert die Qualifikation von Hochschulabsolventen mit umfassenden medizinische, biochemische und immunologische Kenntnissen. Dies ergibt sich für das Gericht überzeugend aus den schriftsätzlichen Ausführungen der Klägerin als auch ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung. Gestützt wird dies auch durch die Ausführungen der Beigeladenen zu 2) sowie durch die vorliegende Stellenbeschreibung. Im Bereich der Qualitätssicherung von Arzneimitteln, die aus tierischen Zellen gewonnen werden, sind die Fachkenntnisse auch von Tierärzten elementar. Im Rahmen der Qualitätssicherung ist insbesondere der Schutz des Menschen vor Krankheitserregern bedeutend, die potentiell von dem Ausgangsmaterial tierischer Herkunft auf den Menschen übertragen werden können (sog. Zoonosen). Auch die Bewertung der Auswirkungen von Abweichungen während des Produktionsprozesses auf die Unbedenklichkeit des Endprodukts für den Patienten erfordern im tiermedizinischen Studium vermittelte Kenntnisse.

Dies stellt auch die Beklagte vorliegend nicht in Abrede, die ausführt, dass die von der Tätigkeit der Klägerin umfassten Aufgabenbereiche mit Kenntnissen und Fähigkeiten aus einem veterinärmedizinischen Studium bewältigt werden könnten, diese also entsprechende Kenntnisse erfordere. Soweit die Beklagte dies aber für eine berufsspezifische Tätigkeit i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht ausreichen lässt und eine approbationspflichtige Tätigkeit zur Voraussetzung machen will, überspannt sie die gesetzlichen Anforderungen. Zwar ist der Beklagten zuzustimmen, dass die Funktion eines Senior Manager, Biotech Quality Team Lead (Leitende Position im Qualitätsmanagement für Biotech-Produkte) bzw. Biotech Quality Team Lead/Gruppenleiterin Biotech Quality – anders als die Tätigkeit eines niedergelassenen Tierarztes - nicht dem "typischen" oder "gängigen" Berufsbild eines Tierarztes entspricht. Nach § 3 der Berufsordnung der LTK hat der Tierarzt jedoch nicht nur die Aufgabe, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen ( ). Er hat vielmehr auch die Aufgabe, zum Schutz des Verbrauchers und der Umwelt die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln sicherzustellen. Das von der Beklagten vertretene Verständnis des Berufsbild des Tierarztes und die einschränkende Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI auf "approbationspflichtige Tätigkeiten" ist folglich zu eng. Zudem findet sich hierfür kein Anknüpfungspunkt in den gesetzlichen Regelungen. Nach den oben angeführten Normen ist es nicht erforderlich, dass es sich um die Tätigkeit eines niedergelassenen Tierarztes oder eine damit vergleichbare Tätigkeit handeln muss. Dies folgt zum einen aus §§ 27 f. der Berufsordnung. Zum anderen wird aus der Vielzahl der Fachtierarztausbildungen die Vielfalt der Tätigkeiten von Tierärzten deutlich (z.B. Epidemiologie, Laboratoriumsdiagnostik, Lebensmittelhygiene, Pharmakologie und Toxikologie, die für die Tätigkeit eines niedergelassenen Tierarztes weniger relevant sein dürften). Ähnliches gilt für die gemäß § 29 der Verordnung zur Approbation von Tierärztinnen und Tierärzten vorgesehenen Prüfungsfächer (wie z.B. Pharmakologie und Toxikologie) (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 06.02.2014, a.a.O.; vgl. zur Verneinung einer approbationspflichtigen Tätigkeit bei Apothekern u.a. auch Hess. LSG, Urteil vom 28.04.2016, a.a.O.; SG München, Urteil vom 12.10.2016, S 15 R 328/16, beide abrufbar in juris). Damit liegt vorliegend eine für eine Tierärztin berufsspezifische Tätigkeit vor.

Ob auch andere naturwissenschaftliche Akademiker wie Humanmediziner, Pharmazeuten oder Biologen die Tätigkeit ausüben könnten, ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht entscheidungserheblich. Eine entsprechende Begrenzung ist den maßgeblichen Vorschriften – wie dargelegt - nicht zu entnehmen. Zudem kommt es - wie oben bereits ausgeführt - nicht auf die abstrakte berufliche Qualifikation des Beschäftigten an. Maßgeblich ist vielmehr die Klassifikation der Tätigkeit, für welche die Befreiung begehrt wird (s. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 3/11 R, juris, Rn. 34; Hess. LSG, a.a.O.). Zwar stellt § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI eine Ausnahmevorschrift dar. Allerdings eröffnet diese Vorschrift dennoch gerade die Möglichkeit, bei Ausübung eines sog. freien Berufs in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu erlangen. Dass in der Industrie und in weltweit operierenden Gesundheits- und Pharmakonzernen nicht immer die Berufsgruppen der einzelnen Fachrichtungen wie Human-, Veterinärmedizin, Pharmazie und Biologie etc. im klassischen Sinne ausgeübt werden, erscheint bei einem von interdisziplinärer Zusammenarbeit geprägten Arbeitsumfeld augenscheinlich. Dies kann aber nicht zur Folge haben, dass alleine aufgrund von Überschneidungen der Berufsgruppen im Einzelfall keine berufsspezifische Tätigkeit vorliegt. Unabhängig davon, ob die Beigeladene zu 2) bei der Einstellung der Klägerin die Qualifikation als Veterinärmedizinerin voraussetzte oder ob auch Absolventen anderer wissenschaftlicher Studiengänge die Voraussetzungen erfüllt hätten, stellt sich der Aufgabenbereich der Tätigkeit der Klägerin in Übereinstimmung mit der Berufsordnung der LTK als berufsspezifisch dar.

Die Klägerin hat ihren Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bereits vor Aufnahme der Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) gestellt, so dass die Befreiung ab Beginn der Tätigkeit am 01.05.2013 zu erteilen ist (§ 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI).

Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI liegen somit vor und der Klage war stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da diese keine eigenen Anträge gestellt haben.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143 ff. SGG.
Rechtskraft
Aus
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